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Nieser

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Von der eigentlichen Schnauze selbst, dem fest gesetzten Spieler im Gesicht, abgesehen, kommandiert der Geruchssinn des Hundes aber auch noch andere Körperteile und Verhaltensweisen zu seinen Gunsten. Nicht umsonst sind Bloodhounds mit so langen Ohren gesegnet. James Thurbers berühmte Zeichnungen der Rasse zeigen ebenso viel Ohr wie Kopf. Und die Ohren tragen dazu bei, dass die Mitglieder dieser Rasse so herausragende Riechtalente sind. Wenn der Bloodhound seine Nase auf den Boden hält, wischen seine langen Ohren, die in Extremfällen über dreißig Zentimeter messen, Gerüche vom Boden auf, damit sie besser gerochen werden können. Sie sind zwei am Kopf angebrachte Wedel, die mögliche Gerüche direkt an den Riecher leiten. Selbst der Speichel, der von den Lefzen eines Bloodhounds hängt, könnte dabei helfen, Gerüche zur Begutachtung durch das vomeronasale Organ nach oben zu transportieren.

Ich habe aber durch einfache Beobachtung von Hunden noch zwei weitere Verhaltensweisen entdeckt, die mit dem Riechen zu tun haben. Viele meiner Studien, die ich im Dog Cognition Lab durchführe, fußen auf der Beobachtung von Hundeverhalten in natürlichen Umgebungen wie zum Beispiel in Stadtparks, in Gegenwart anderer Menschen oder anderer Hunde. Ich habe unzählige Stunden damit verbracht, Hunde beim Spielen miteinander zu filmen und dann ihr Verhalten zu dekodieren, indem ich mir die Aufnahmen in Einzelstücken von je ein Dreißigstel Sekunden ansah. Ich lasse das Video in dieser Super-Zeitlupe laufen, weil mich das Dinge sehen lässt, die uns im wahren Leben sonst entgehen. Aber es hat noch einen weiteren Vorteil: sich die Aufnahme in dieser Geschwindigkeit anzuschauen, hebt das uns am Hund so Vertraute auf und entfremdet ihn uns ein bisschen. Während es einen Riesenspaß macht, Hunden beim Spielen zuzuschauen (glauben Sie mir: es war ein hartes Stück Arbeit, eine Dissertationskommission davon zu überzeugen, dass es sich hierbei tatsächlich um richtige Arbeit handeln könnte), neigen wir Menschen von Natur aus dazu, zwar das Spiel zu sehen, aber nicht das, was eigentlich vor sich geht. Wir sehen, ohne zu sehen.

Wenn wir Hunden zuschauen, sind wir uns so unmittelbar und so selbstverständlich darin sicher, was sie gerade tun – Oh, die sind Freunde; guck, er möchte mitspielen; sie ist schüchtern und so weiter – dass wir die tatsächliche Beobachtung, was sie gerade tun, vorwegnehmen.

Während ich also Hunden auf diese Art und Weise zuschaute, machte ich eine überraschende Beobachtung: Hunde wedeln viel mit dem Schwanz, wenn sie jemand Neuen treffen oder einen Hund begrüßen, den sie schon kennen.

Wie, sagen Sie jetzt, das ist doch nichts Neues! Natürlich nicht. Wir wissen schließlich, warum Hunde wedeln. Ein entspanntes, lockeres Wedeln mit hochgestellter Rute ist ein Zeichen für Freundlichkeit. Ein schnelles, niedriges Wedeln dagegen deutet auf Angst hin. Da stimmt – aber allein die Tatsache, dass wir das wissen, macht es uns schwerer, zu erkennen, was das Wedeln sonst noch bewirkt. Es verteilt Geruch. Ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt – wenn eine Hündin mit ihrem Schwanz wedelt, verbreitet sie damit all den (aus Hundesicht) überaus faszinierenden Duft aus ihren Analbeuteln fächerförmig um ihren Körper herum. Sie sagt dem anderen Hund nicht nur, wie sie sich gerade fühlt, sondern teilt ihm über den Geruch mit, wer sie ist.

Es gibt unter den Tieren einen Präzedenzfall für den Einsatz des Schwanzwedelns als Duftverbreiter: Das Flusspferd wackelt beim Koten und Urinieren wie wild mit seinem winzigen Schwänzchen, um seinen Geruch besser zu atomisieren. Manche Nager und Eichhörnchen wedeln mit dem Schwanz, wenn ein möglicher Paarungspartner in der Nähe ist. Das Karibu benutzt seinen Schwanz, der von einen moschusartigen Geruch absondernden Duftdrüsen bedeckt ist, als „Geruchspinsel“, um einen Alarmduft zu verbreiten. Wenn also auch ein mit dem Schwanz wedelnder Hund einfach nur aussehen mag wie ein Hund, der fröhlich mit dem Schwanz wedelt, so sagt er doch: „Komm und schnupper diesen schwebenden Duft, der zu mir gehört.“

Außerdem entdeckte ich eines Tages beim Spazierengehen mit meinem Hund Finnegan noch ein weiteres gewöhnlich-ungewöhnliches Verhalten. Als wir an einem hoch aufgerichtet daherstolzierenden, schwarzen Großpudel vorbeigingen, der an strammer Leine unsere Straße entlang geführt wurde, schauten die Hunde sich gegenseitig an (und rochen sich). Plötzlich schüttelte der Pudel sich am ganzen Körper – im Weitergehen. Ich konnte beinahe sehen, wie die Duftwolken aus seinem lockigen Fell in Richtung Finns Nase stiegen und diesen innehalten ließen. Kann ein Hund sich absichtlich schütteln? fragte ich mich. Vielleicht war dies ja das hündische Äquivalent davon, wie ich mir in Gegenwart eines Verehrers flirtend durchs Haar fahre und dabei den Duft des leicht überteuerten Shampoos, das ich benutze, um mich herum verteile.

Als ich versuchte, durch das uns vertraute Hundeverhalten hindurchzusehen, lernte ich außerdem noch etwas über das Niesen. Niesen ist zuerst einmal Niesen, ganz klar: eine reflexhafte Reaktion, um die Nase von etwas Kitzelndem oder einem Fremdkörper zu befreien. Hunde niesen im Gegensatz zu Menschen ausschließlich durch die Nase, ohne Beteiligung des Mundes. Dieser Nur-Nasen-Weg ist ein Anzeichen für einen weiteren, zweitrangigen Nutzen des Niesens: die Nase von einem unerwünschten Geruch zu befreien. In diesem Fall bin ich der Meinung, dass Hunde das Niesen mit Absicht einsetzen, um das Riechen des einen Geruchs zu beenden und sich auf das Riechen des nächsten vorzubereiten. Beobachten Sie einmal Ihren Hund, wenn er an einer starken, kürzlich erst deponierten Duftmarke an der Hausecke riecht und achten Sie darauf, ob er nicht niest, bevor er seinen Weg fortsetzt. Dazu passend ist auch den Ausbildern von Spürhunden immer wieder aufgefallen, dass manche Hunde offensichtlich ihre Nase freimachen, indem sie den Kopf kurz vom Boden heben und etwas weniger stark riechende Luft einsaugen. Hierbei handelt es sich nicht um eine Pause oder um einen Fehler, sondern um einen wichtigen Bestandteil der Sucharbeit.


Letzten Endes ist es nicht die Größe des Riechkolbens selbst, der die Nase des Hundes so gut macht. Es ist auch nicht die Zahl der Rezeptorzellen an sich oder die Art, wie Hunde schnüffeln. Es ist auch nicht einfach nur die Länge der Nase. Es ist all das zusammen. Es ist das Schnüffeln, so, wie ein Hund es macht, durch die Nase, die er hat, in die vielen Rezeptoren, die diese Nase beherbergt und zu dem Gehirn, das sich so entwickelt hat. Das Ergebnis ist absolut erstaunlich.

Sicher haben Sie schon einmal einen Hund beim Schlafen beobachtet, der mit flackernden Augenlidern, zuckenden Pfoten und gedämpftem Bellen ganz offensichtlich zu träumen schien. Auch Hunde haben eine REM-Phase, das ist diejenige Schlafphase, in der wir am häufigsten träumen, weshalb es sehr wahrscheinlich ist, dass sie auch träumen: Sie jagen mit diesen zuckenden Pfoten und sie kündigen mit diesem verschluckten Bellen Eindringlinge an. Wenn Sie das nächste Mal einen träumenden Hund sehen, achten Sie einmal auf seine aktiven Nasenöffnungen. Bei einem solchen Nasentier kann man sich so gut wie sicher sein, dass es im Traum auch riecht. Vielleicht folgt Ihr Hund gerade dem Geruch seines Kumpels die Straße entlang, schnuppert frisch in den Napf gefülltes Futter oder untersucht einen interessanten Geruch, der gerade unter der Haustür hereindringt.

Gehen Sie hin und sehen Sie sich die Nase Ihres Hundes nochmals an. Ich liebe es, meinen Hunden in die Augen zu sehen: Ein gegenseitiger Blick steckt voller Verstehen und ist eine stille Übereinkunft, dass wir zusammengehören. Dass Hunde uns anschauen, ist das, was einen frühzeitlichen Urhund, der um die Ränder der ersten Dörfer schlich, schrittweise zu dem machte, was heute auf Ihrem Schoß sitzt und bei Ihrem Anblick wedelt.

Aber jetzt sehe ich mir auch die Nasen meiner Hunde an – ihre ganze Länge, besonders aber ihre feuchte Spitze – und auch das bringt mein Herz zum Hüpfen. Was mich dabei bewegt, ist, wie tief das Wissen ist, das diese Nase über die Welt besitzt.


Wenn Sie mit Humanpsychologen und Neurowissenschaftlern sprechen, werden diese Ihnen sagen: Ach wissen Sie, es ist ein Mythos, dass Hunde so viel besser riechen können als Menschen. Und dann schauen Sie ihnen einmal ins Gesicht und fragen sie, was sie denn heute gerochen haben. Die Antworten werden von „nichts“ bis hin zum dichterischen „saftige Wiesen, Präriegras“ reichen, wie mir der Geruchsforscher und Autor Dr. Avery Gilbert aus seinem neuen Zuhause in Colorado berichtet. So weit so gut. Nun überlegen Sie mal, wie es wäre, einen Hund zu fragen. Wenn ein Hund sprechen könnte, wäre seine Antwort ein episches Gedicht, das er über mehrere Stunden hinweg rezitieren würde. Menschen haben tatsächlich feine Nasen. Aber die meisten von uns machen sich einfach nichts daraus, zu riechen. Ich dachte darüber nach, als ich eines Abends an Finnegans Fell roch (Geruch: Kühler, schnell fließender Fluss, über Steine im Flussbett springendes Wasser.) Hmmm. Vielleicht sollte ich mich einmal darum kümmern, dass meine Nase ein ebenbürtiger Kumpel für die meines Hundes wird.

* Zu diesen Medizinern zählte auch Freud, der bekanntermaßen großzügig an sich selbst mit Kokain experimentierte sowie zahlreiche andere, die fragliche (oder sogar radioaktive) Substanzen aßen oder tranken, sowie außerdem Forscher, die sich selbst Katheter legten oder sich Viren und noch nicht fertig entwickelte Impfstoffe spritzten.

* Jawohl, ich vergleiche das Hundehinterteil mit der Sternennacht. Hunde haben absolut kunstvolle Hinterteile.

* Tatsächlich gibt es heutzutage immer öfter Spürhunde, die auf das Auffinden illegal eingeführter Lebensmittel trainiert sind.

* Der Rest sind „Pseudogene“ – Gene, die so mutiert sind, dass sie nicht mehr zur Entwicklung eines Rezeptors führen, sprich, sie tun nicht mehr das, wozu sie eigentlich da sind. Bei Hunden sind etwa 20 bis 25 Prozent ihrer Geruchsrezeptoren Pseudogene, bei Menschen sind es mehr als 50 Prozent.

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