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Ein ganz linker Trick Reiner Frank Hornig

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„Wie bitte?“ Die ältere Dame hinter der Registrierkasse blickte die Kundin ungläubig an.

„Ich sagte“, wiederholte Judy mit festem Blick, „dass ich Ihnen einen Hunderter gegeben habe.“

„Sie müssen sich da täuschen, junge Dame!“ versuchte die Verkäuferin der kleinen Boutique in der Carnaby Street vorsichtig einzuwenden. „Es war lediglich eine Zehn-Pfund-Note. Der Schal kostete zwei achtundsechzig, und ich habe Ihnen korrekt sieben Pfund und zweiunddreißig Pence herausgegeben.“

Das blonde Mädchen schaute sich hilfesuchend um sich. „Ja, 7,32, das stimmt schon, das haben Sie mir herausgegeben. Aber ich gab Ihnen doch hundert Pfund, und nicht zehn. Hundert Pfund“, sagte sie noch einmal. Jetzt näherten sich, durch den sich anbahnenden Streit herbeigelockt, langsam ein junges Pärchen in mittleren Jahren dem Kassenbereich. Der Mann – ein hagerer Londoner mit borstigem Schnurrbart und selbstbewusstem Blick – erfasste die Situation sofort und wandte sich lächelnd an Judy.

„Mein Name ist Hastings“, stellte er sich vor. „Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein, Miss?“

„Judy. Judy Barnley. O ja, wissen Sie, ich bezahlte hier soeben mit einer 100-Pfund-Note, aber die Dame gab mir nur auf zehn Pfund heraus.“ Dabei deutete sie auf die Verkäuferin, die mittlerweile einen hochroten Kopf bekommen hatte.

„Das entspricht leider nicht ganz der Wahrheit, Sir. Es waren wirklich nur zehn Pfund. Es wäre mir doch bestimmt aufgefallen, wenn…“

„Und Sie sind sich da ganz sicher?“ unterbrach der Gentleman sie da.

„Absolut!“

„Und Sie, Miss?“ Der Schnurrbärtige blickte nun zu Judy.

„Ich ebenfalls, Sir! Oh, wo es doch fast mein ganzes Geld für diesen Monat war. Ich bin nämlich Studentin…“ Hastings nickte verständig. Dann wandte er sich wieder der Verkäuferin zu.

„Haben Sie überhaupt eine 100-Pfund-Note in Ihrer Kasse?“

„Ja sicher, sogar gleich mehrere. Heute ist doch Freitag, und da

kaufen schon sehr viele Leute bei uns ein. Sie sehen ja“, fügte sie erklärend hinzu, und wie auf ein Kommando drehten sich Judy und Hastings herum. Mittlerweile hatten sich noch einige weitere Kunden hinzugesellt und beobachteten jetzt neugierig den Disput.

Noch einmal versuchte die Angestellte zu schlichten. „Sehen Sie, Miss, Sie geben mir jetzt Ihre Adresse, und sollte ich heute Abend bei der Abrechnung neunzig Pfund zu viel in der Kasse haben,

werde ich Ihnen den Betrag umgehend zukommen lassen.“

„Ja, das ist ein guter Vorschlag, Miss Barnley, den sollten Sie ruhig annehmen“, meinte jetzt auch Hastings.

Doch Judy schüttelte den Kopf. „Nein, ich will mein Recht jetzt auf der Stelle. Bitte, holen Sie die Polizei!“

Die Verkäuferin erbleichte.

„Die Polizei? Aber was soll da nur meine Kundschaft denken?“

Der Schnurrbärtige griff nun zum zweiten Male ein. Er wandte sich an die Verkäuferin: „Lassen Sie die junge Dame doch einen Constable holen. Wenn Sie ein gutes Gewissen haben, können Sie dem Vorschlag doch zustimmen. Ich werde inzwischen“, und dabei blickte er Judy beruhigend in die Augen, „solange hierbleiben und ein Auge auf die Kasse behalten. Bitte, bedienen Sie die anderen Kunden ruhig weiter.“

Die Verkäuferin war jetzt völlig durcheinander. Handelte es sich hier etwa um den arrangierten Vorfall eines Betrügerpärchens? Schoss es ihr durch den Kopf. Sie bediente ihre Kundschaft nur mit halber Aufmerksamkeit und beobachtete dabei alle Ecken und Winkel.

Schon bald betrat, gefolgt von Judy, ein Constable den Laden und sorgte zunächst einmal für ein vorübergehendes Schließen des Ladens. Dann bat er alle drei beteiligten Personen um eine möglichst korrekte Schilderung des Falles.

Bald fiel auch schon die entscheidende Frage: „Können Sie beweisen, Miss, dass es eine 100-Pfund-Note war?“

Judy bejahte eifrig. „Jetzt fällt mir in der ganzen Aufregung wieder ein, dass ich ja von jedem größeren Schein die Nummer notiere, für den Fall, dass es einmal zu einem Irrtum kommen sollte

Ich habe dafür extra einen kleinen Bleistift in meinem Portemonnaie.“

Der Constable nickte beifällig.

„Sehr vernünftig, Miss. Und wie lautet also die Nummer des von Ihnen ausgegebenen Scheines?“

„Das kann ich ganz genau sagen, da es der einzige Schein war, den ich momentan bei mir trug.“

Judy öffnete ihre mit Perlen besetzte Börse und brachte ein kleines Zettelchen zutage.

„B 23 38 80 04 77“, las sie vor.

Der Constable wandte sich daraufhin an Hastings: „Und Sie, Sir, haben die Kasse während der Abwesenheit der jungen Dame nicht aus den Augen gelassen?“

Dieser verneinte. „Und die Verkäuferin hat in dieser Zeit auch keine 100-Pfund-Note herausgegeben?“

„Nun“, meinte der Uniformierte, „falls die Junge Dame recht hat, muss sich die Banknote mit der betreffenden Seriennummer ja noch in der Registrierkasse befinden. Darf ich Sie jetzt bitten; Madame, Ihre Kasse zu öffnen und mir alle 1000-Pfund-Noten auszuhändigen?“

Die Verkäuferin kam dieser Aufforderung nur zögernd nach. Und wenn nun der Constable kein echter war, sondern mit zu den eventuellen Trickdieben gehörte? Was, wenn er alle 100-Pfund-Noten ‚beschlagnahmen‘ wollte?

Kurz darauf fischte der Constable aus einem kleinen Geldbündel triumphierend eine Note heraus und hielt sie gegen das Licht. Mit unbewegter Miene verkündete er: „B 23 38 80 04 77!

Damit wäre der Fall nun geklärt. Aber ich bin sicher, dass es sich um einen ungewohnten Irrtum handelt – etwas, was hin und wieder eben einmal vorkommen kann. Ich glaube, wir sollten die Sache damit auf sich beruhen lassen.“

Judy nickte froh. „Ja, sicher. Ich hatte zu keinem Zeitpunkt den Verdacht, dass man mich absichtlich betrügen wollte!“

„Dann muss ich mich wohl doch geirrt haben“, meinte die Verkäuferin resigniert, „wenngleich ich…“ Als sie den festen Blick des Gesetzeshüters auf sich spürte, zuckte sie nur ergeben mit den Schultern und entschuldigte sich vielmals bei der jungen Kundin.

Zwei Minuten später stand Judy in einer roten Telefonzelle, wählte die Nummer einer anderen Fernsprechbox, wartete, bis sich ihr Teilnehmer meldete, warf dann ein Fünf-Pence-Stück ein und schirmte die Muschel des Hörers mit der Hand gegen den heftigen Verkehrslärm draußen ab.

„Hallo Jenny! Bist Du‘s? Klar hat es wunderbar geklappt. Diesmal waren die furchtbar misstrauisch , und ich musste sogar einen Bobby holen. Aber der war schön doof und checkte überhaupt nichts. Jetzt bist Du wieder an der Reihe! Wie wär‘s mit der Westminster-Apotheke? Die ist in der Toss Road. So in ‘ner Viertelstunde werde ich dort gewesen sein, dann kannst du aufkreuzen, ja?

Wieder Hundert Pfund diesmal. Und beeil dich, dass der Lappen nicht vorher wieder weg ist. Heute ist überall großer Andrang.

Pass auf, die Nummer des Scheines ist A 44 62 23 01 01. Hast Du‘s? Und ein Kaffeefleck ist auch auf dem Wasserzeichen. Bis dann also. Bye, bye!“

ENDE

Kurze Morde, kurzer Prozess: Krimisammlung

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