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„Watson, das Spiel beginnt!“ von Reiner Frank Hornig

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Nur wenig ist über die geheimen Leidenschaften meines Freundes Sherlock Holmes bekannt. Dieser hatte mich nie gebeten, unsere gemeinsamen Abenteuer, über die ich in regelmäßigen Abständen berichtete, vorab lesen zu dürfen. Bestimmte Indiskretionen habe ich bislang immer zurück behalten, aber nach dem Tode meines großen Freundes glaube ich, hie und da jetzt eine Ausnahme machen zu dürfen.

Es war im Jahre ‘92, wenn ich mich recht erinnere. Während es ganzen Vormittags hatte Holmes auf seiner Stradivari herumgekratzt und dabei nur wenig zu unserer Konversation beigetragen. Er war dabei, eine Hommage an Mrs. Hudson, unsere Haushälterin (die alte liebenswürdige Seele möge es ihm verzeihen!), zu komponieren.

Mit einem Male vernahmen wir ein Klopfen an der Tür, und ein recht junger Bote überbrachte uns ein Telegramm. Mein Freund las den Inhalt aufmerksam, jedoch ohne irgendeinen Kommentar darüber abzugeben. Dann schritt er zum Kamin und warf das zerknüllte Dokument in die lodernden Flammen.

Auf meine Fragen hin hüllte er sich in Schweigen. Doch mit Sicherheit war der Inhalt dieses Telegramms der Grund dafür, dass wir uns hastig in Schale warfen und nur wenig später in einem Einspänner in Richtung South Norwood galoppierten.

Nachdem wir in die Ross Road eingebogen waren, gab Holmes dem Kutscher ein fürstliches Trinkgeld, noch bevor dieser das Gefährt zum Stillstand gebracht hatte.

Während unserer hastigen Fahrt durch den milden Frühlingsmorgen verlor Holmes nur wenige Worte und murmelte etwas von einer persönlichen Fehde mit einem alten Erzfeind und langjährigem Gegner. Zugleich versicherte er mir, dass dieser Erzfeind in schon wenigen Minuten einen herben Rückschlag erleiden würde.

Während wir unseren Weg durch die dichte Menschenmenge bahnten, die sich auf den Trottoirs der bekannten Einkaufstraße drängten, fragte ich mich immer wieder, was mein schweigsamer Freund eigentlich zum Ziel hatte. Ich war gerade zu dem Schluss gekommen, dass Holmes wohl nicht seinen alten Gegner Professor Moriarty gemeint haben konnte, weil es ihm ja niemals in den Sinn gekommen wäre, zu kichern, wenn von diesem die Rede war, als wir soeben eine schlanke Gestalt mit flachsblondem Haar überholten.

„Ho, Holmes, das war Inspector Gregson!“ rief ich außer Atem, doch Holmes zeigte sich ob dieser Begegnung keineswegs überrascht.

„Schnell, Watson, schnell!“ rief er mir zu. „Diesmal darf er uns nicht wieder zuvor kommen!“

Noch im Laufen beobachtete ich, wie mein Freund einen kleinen Gegenstand aus seiner Tasche zog, doch leider konnte ich in der Eile nicht erkennen, um was es sich handelte. In diesem Augenblick hielten wir vor einem mit grellroter Farbe bemalten Türeingang eines nicht gerade einen guten Eindruck erweckenden Hauses an. Offensichtlich hatten Holmes und ich unser Ziel gerade erreicht.

Gerade hatte uns Gregson eingeholt und schien darüber nicht sehr erfreut.

Mit einer sichtlich kindlichen Miene auf seinem hageren Raubvogelgesicht war Sherlock Holmes in die zweifelhaften Hallen eingetreten, über deren Türbogen ein Banner mit der Aufschrift ‚Neueröffnung‘ flatterte.

Gerade warf er eine Münze in den Schlitz eines der zahlreichen einarmigen Banditen ein, dessen stimmungsvolle Bemalung ein Stelldichein zwischen Gaunern und Polizisten darstellte.

Holmes drehte sich zu uns herum, und seine Augen leuchteten dabei euphorisch.

Noch immer leicht außer Atem flüsterte er mir aufgeregt zu:

„Watson, das Spiel beginnt!“

ENDE

Kurze Morde, kurzer Prozess: Krimisammlung

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