Читать книгу Private Ermittler - 2000 Seiten, 16 Krimis in einer Sammlung - Alfred Bekker - Страница 12

1. Kapitel Ein Detektiv namens Berringer

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Robert Berringer spürte die Hitze. Sein Haar wurde förmlich versengt. Er starrte in die auflodernden Flammen. Sie züngelten aus dem Wagen empor, der sich innerhalb von Sekunden in einen explodierenden Glutball verwandelt hatte. Metallteile wurden durch die Luft geschleudert.

Ein einziger Gedanke durchzuckte Berringers Bewusstsein.

Sie sind dort, in dieser Hölle! Und es gibt nichts, was ich tun kann.

Zwei Namen.

Zwei Tote.

Bettina.

Alexander.

Seine Frau und sein Kind.

„Robert!“

Wie ein scharfes Messer schnitt dieser Ruf durch seine Gedanken und hallte vielfach in seinem Kopf wieder.

„Robert!“

Schweiß perlte ihm von der Stirn. Er zitterte und spürte, wie Hände ihn an den Schultern fassten.

„Robert! Was ist mit dir los?“

Berringer wandte den Kopf und sah in ein Paar braune Augen. Sie gehörten einem Gesicht, das mit der Gegenwart zu tun hatte und dessen Anblick ihn daher auch sofort ins Hier und Jetzt transferierte. Die Hitze war weg. Die Flammen ebenfalls. Nur die Schweißperlen auf seiner Stirn blieben und dazu die Erinnerung an die Hölle, die er durchlitten hatte. Die Hölle von damals.

Das Gesicht gehörte Vanessa Karrenbrock, einer jungen Frau, die stundenweise in seiner Detektei arbeitete, um Ordnung in seine Buchhaltung zu bringen. Außerdem sorgte sie dafür, dass ausstehende Honorare auch angemahnt und eingetrieben wurden.

Eines Tages war sie in seinem heruntergekommenen Büro in Düsseldorf Bilk aufgetaucht und ihn mit ihrer Eloquenz davon überzeugt, dass er unbedingt auf ihre Dienste angewiesen wäre. Das ist Kapitalismus, hatte er gedacht. Man überzeugt jemanden davon, Bedürfnisse zu haben, von denen derjenige bis dahin nichts geahnt hat.

Vanessa war siebenundzwanzig, was, im Vergleich zu Berringers fünfundvierzig Jahren, ziemlich jung, für eine BWL-Studentin im dritten Semester aber schon recht getagt war. Sie hatte alles in ihrem Leben abgebrochen, was man abbrechen konnte, und auch dieses Studium würde sie vermutlich nicht beenden. Außerdem sah in Jeans und T-Shirt nun wirklich nicht so aus, als hätte sie vor, sich dem Lebensstil einer BWL-Studentin wenigstens für Dauer eines kompletten Studiums anzupassen. Da Berringers Büro in der Nähe der Universität lag, hatte er sich oft einen Sport daraus gemacht, einzuschätzen, welcher Fakultät die Studenten angehörten, die dort das Straßenbild prägten. Konservativ-biedere BWLer, elegante Romanistinnen, Sozialwissenschaftler im Grunge-Look oder angehende Psychologen mit Stachelhalsband.

Berringer hoffte, dass Vanessa den Job zumindest so lange behielt, bis die nächste Steuererklärung beim Finanzamt war, sonst konnte es ziemlich unangenehm für ihn werden.

Sie hatte sich manche Freiheiten herausgenommen. Zum Beispiel die, ihren Arbeitgeber Robert zu nennen und zu duzen. Berringer hatte nicht früh genug widersprochen, so war daraus etwas geworden, was man ein Gewohnheitsrecht nennen konnte. Berringer wusste, dass er ihr das Duzen nicht mehr würde abgewöhnen können, und darum versuchte er es auch gar nicht erst.

Er atmete tief durch.

Sie sah ihn etwas verstört an. Er wich ihrem Blick aus. Der Schock, der in ihren Zügen zu lesen stand, war unübersehbar. Sie hatte ihn nie zuvor in diesem Zustand gesehen, und wenn Berringer es hätte vermeiden können, dann wäre das auch niemals so weit gekommen.

Er sah an ihr vorbei.

Jetzt hatte er erst einmal genug damit zu tun, selbst bei Verstand zu bleiben und den Weg zurück in die Realität zu finden, da konnte er sich um das schockierte Gesicht seiner Mitarbeiterin nicht auch noch kümmern. Prioritäten setzen. Darauf kam es an.

Das hatte er in den zwanzig Dienstjahren bei der Polizei gelernt. Schnell entscheiden, was wichtig, was etwas weniger wichtig war und was im Moment erst einmal vernachlässigt werde konnte. Nur so vermied man es, sich in kritischen Situationen zu verzetteln.

Er sah an ihr vorbei, blickte zur Uhr.

„Es ist zehn Uhr zwanzig am Vormittag. Wir haben Dienstag. Ich befinde mich auf meinem Hausboot im Düsseldorfer Hafen, für das ich keinen Namen gefunden habe und das ich deshalb DIE NAMENLOSE genannt habe ...“ Erst murmelte, dann sagte er diese Dinge laut vor sich hin, was Vanessa Karrenbrock natürlich noch mehr verwunderte. Aber für Berringer war das sehr wichtig. Es war eine Technik, die bei posttraumatischen Belastungsstörungen half, wenn der Betreffende einmal wieder durch die Macht der Vergangenheit gefesselt war. Ein kleiner, unscheinbarer Anlass reichte aus, um das Erlebte zu reaktivieren. Dieselbe Temperatur, ein Geräusch, das damals eine Rolle gespielt hatte, ein Wort oder ein Geruch. Der Körper hatte sein eigenes Gedächtnis, und plötzlich befand sich der Betreffende wieder in jener Hölle, die er bereits so oft durchlitten hatte.

Aber es war schon besser geworden. Die Anfälle waren nicht mehr so häufig und vor allem nicht mehr so lang. Doch Berringer gab sich keinen Illusionen hin, was die Zukunft betraf. Und sein Psychiater im Übrigen auch nicht. Es dauerte eben einige Zeit, bis man es verarbeitet hatte, dass die eigene Familie durch eine Autobombe aus dem Leben gerissen wurde. Einfach so. Und weg!

Sein Psychiater hatte ihm gesagt, dass er mit bescheidenen Erfolgen zufrieden sein müsse. Berringer hatte sich selbst auf diesem Gebiet fortgebildet und festgestellt, dass der Mann Recht hatte. Andere Traumatisierte verloren den Verstand und wurden geisteskrank. Das war ihm erspart geblieben. Also konnte er doch eigentlich ganz zufrieden sein.

Zufrieden ...

Ein Wort, das Berringer in diesem Zusammenhang irgendwie unpassend erschien.

Er saß kerzengerade auf der Couch in seinem Wohnzimmer auf der NAMENLOSEN, die ihren festen Liegeplatz im Düsseldorfer Hafen hatte. Die NAMENLOSE war ein ehemaliger Binnenfrachter, den Berringer sich in jahrelanger und mühevoller Kleinarbeit zum Hausboot umfunktioniert hatte. Natürlich war er immer noch nicht fertig. Wer ihn kannte wusste, dass dies auch in Zukunft nie der Fall sein würde. Ein ewiges Projekt.

Durch die Bullaugen, die Berringer nachträglich hatte einsetzen lassen – erst hatte er es selbst versucht und dann erkannt, dass es doch besser war, jemanden zu fragen, der auch etwas davon verstand! – sah er einen lang gezogenen Frachter daher fahren.

Wahrscheinlich Richtung Duisburg. Alles, was schwimmen konnte, schipperte nach Duisburg, dem größten Binnenhafen Europas. Im Vergleich dazu war der Düsseldorfer Hafen nahezu unbedeutend.

Ein Signal ertönte.

Für Berringer bedeutete dieser Ton die endgültige Rückkehr in die Gegenwart.

Er sah Vanessa an.

„Was machst du hier eigentlich?“, fragte er.

„Eigentlich wäre ich heute im Büro, das ist richtig.“

„Und warum bist du da nicht?“

„Weil wir einen Klienten haben, den ich erstmal shoppen schickten musste, um hier raus zu fahren und dich aus deinem Dämmerzustand zu erlösen! Warum hast du dein Handy nicht abgenommen?“

„Weil es nicht geklingelt hat!“

„Hat es!“

Es lag auf einer Kommode. Vanessa nahm es und reichte es Berringer. Auf dem Display stand: Vier Anrufe in Abwesenheit.

Berringer erhob sich von der Couch und streckte sich. Er trug ein fleckiges Sweatshirt und eine Jeans. Das Haar ging schon deutlich zurück, und der Bart hatte graue Stellen.

„Robert, was war los?“, beharrte sie. „Wenn ich nicht wüsste, dass du total gegen so etwas eingestellt bist, dann würde ich jetzt denken, du nimmst vielleicht Drogen oder so was...“

„Ich bin manchmal so“, sagte er. „Und ich lasse es behandeln. Wenn mich nicht jemand in meinen eigenen vier Wänden überrascht, dann bekommt das normalerweise auch niemand mit ...“

Was er nur nicht garantieren konnte, wie ihm die vom Widerspruchsgeist geprägte Stimme in seinem Hinterkopf erklärte. Es konnte immer und überall passieren, wenn die Auslöser – die sogenannten Trigger - vorhanden waren. Das wusste er sehr gut.

„Ich habe es unter Kontrolle“, behauptete Berringer.

Sagte er das, um dich selbst zu beruhigen oder um Vanessa etwas vorzumachen?

Letztere konnte er vielleicht belügen. Aber sich selbst konnte er nichts vormachen.

„Es sah sehr gefährlich aus“, sagte sie.

„Das ist es aber nicht. Und im Übrigen ist dieses Schiff eigentlich für jeden Außenstehenden ein Tabu-Gebiet. Was glaubst du, weswegen ich ein Büro habe?“

„Ich bin eine Außenstehende?“, wunderte sich Vanessa und zuckte mit den Schultern.

„Du bezahlst mich, deswegen bist du auch der Boss. Dein Wort ist Gesetz, und wenn du das so siehst, soll es mir recht sein.“

„Nimm es nicht persönlich, aber ...“ Berringer sprach nicht weiter.

Vanessa nutzte die Pause, um das Gespräch auf ein Thema zu lenken, das ihr unter den Nägeln brannte. „Zieh dir was Vernünftiges an. Der Mann, der bisher vergeblich unser Klient werden wollte, ist sehr stilvoll gekleidet. Wegen unserem Büro hat er schon ganz komisch aus der Wäsche geguckt! Ich habe dir ja von Anfang an gesagt, dass du mal etwas Geld für eine saubere Tapete investieren solltest. Manche Kunden legen nämlich Wert auf so was!“

„Ich kann nur eins bezahlen: Die Tapete oder dich.“ Sie grinste schelmisch. „Dann will ich nichts gesagt haben. Vielleicht wird dieser fleckige Retro-Look aus den Siebzigern irgendwann wieder modern, und dann kann man jedem erzählen, dass die getrockneten Wasserschäden auf den Blumenmotiven in Wahrheit ein gewollter Aquarell-Effekt sind.“

„Du solltest in die Werbung gehen“, meinte Berringer. „Oder in die Politik.“ Sie runzelte die Stirn. „Wieso?“

„Na, wer fleckige Tapete zum Design definieren kann, der kann alles verkaufen!“ Schon drei Jahre betrieb Berringer die Detektei. Er hatte sie gleich nach seinem freiwilligen Ausscheiden aus dem Polizeidienst gegründet. Nach dem Tod seiner Familie war es ihm unmöglich gewesen, einfach so weiterzumachen, als wäre nichts gewesen. Er hatte sein Leben damals neu erfinden müssen, und manchmal konnte er immer noch nicht glauben, dass es dieses Attentat auf seine Familie tatsächlich gegeben hatte. Wenn er die Augen schloss und schlief, hoffte er insgeheim, dass ihn jemand weckte und darauf hinwies, dass alles nichts weiter als ein böser Traum war.

Aber so ging das nicht.

Berringer wusste es selbst am besten.

„Hat dieser Kunde dir gesagt, worum es geht?“, fragte Berringer.

„Als ob du da wählerisch sein könntest!“

„Ich frage ja nur.“

„Dieser Mann wollte den Chef persönlich sprechen“, berichtete Vanessa. „Davon war er nicht abzubringen.“

„Was hast du ihm gesagt?“, fragte der Detektiv.

„Dass du bei einem wichtigen Einsatz bist, der sich etwas verzögert hat ...“ Berringer schmunzelte. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sein Blick wirkte deutlich entspannter als zuvor.

„Eine gute Ausrede. Die solltest du dir merken.“

„Der Mann hat Geld. Glaub mir, ich habe einen sechsten Sinn dafür. Bis ins kleinste Detail ist er sehr stilvoll gekleidet, und die Rolex an seinem Handgelenk habe ich auch nicht übersehen.“

„Fahr schon mal zurück. Ich komme dann nach“, sagte er.

Aber sie machte keinerlei Anstalten zu gehen.

Vanessa musterte Berringer einige Augenblicke stirnrunzelnd.

Berringer stutzte. „Was ist los? Stimmt was mit mir nicht – abgesehen davon, dass mein Sweatshirt wahrscheinlich im Moment nicht unbedingt gut riecht?“

„Du bist dir sicher, dass alles in Ordnung ist?“

„Ja.“

Die Vertraulichkeit, mit der Vanessa ihn vom ersten Augenblick an angesprochen hatte, ging ihm auf die Nerven. Aber andererseits war es nicht leicht, jemanden zu finden, der mit der eher chaotischen Büroorganisation der Detektei Berringer zurechtkam.

Wortlos drehte sich Vanessa um und ging.

Berringers Büro lag auf dem Fürstenwall im Stadtteil Bilk – nur eine Viertelstunde Fußweg vom Hafen entfernt und in direkter Nähe zur Universität und der Düsseldorfer Altstadt. Viele Kneipen prägten das Erscheinungsbild dieser Gegend.

Die Mietpreise waren niedrig und sorgten zusammen mit der Uni-Nähe dafür, dass das Durchschnittsalter sehr viel jünger war als im Rest der Landeshauptstadt.

Außerdem siedelten sich in der Gegend auch viele Angestellte aus den Medien- und Werbeagenturen an, die im benachbarten Hafenviertel wie Pilze aus dem Boden schossen und das Gebiet dort zum In-Viertel gemacht hatten.

Berringers Büro lag im vierten Stock eines Altbaus ohne Fahrstuhl. Wer hier residierte, brauchte keinen Heimtrainer mehr, hatte Berringer gedacht, als er sich die Räumlichkeiten zum ersten Mal angesehen hatte. Noch zwei Stockwerke höher und man hätte von der Fensterfront aus sogar das Polizeipräsidium am Ende des Fürstenwalls sehen können. Aber diese tägliche Erinnerung an sein erstes Leben blieb ihm glücklicherweise erspart.

In der ersten Zeit seiner Selbstständigkeit als Privatdetektiv hatte Berringer ganz auf ein eigenes Büro verzichtet und Klienten auf seinem Hausboot empfangen. Einer dieser Klienten war Unternehmensberater und Marketingspezialist, für den Berringer ausstehende Honorarzahlungen hatte eintreiben sollen, wobei das Hauptproblem darin bestanden hatte, überhaupt eine ladungsfähige Adresse für die Zustellung gerichtlicher Mahnbescheide zu finden. Jedenfalls hatte dieser Klient Berringer seinerzeit dringend empfohlen, sich eine repräsentative Büroadresse mit hoher Publikumsfrequenz zu suchen. „Wenn jemand zum Beispiel in den Schadow-Arkaden ein paar Blumen kauft und gleichzeitig daran zweifelt, ob seine Partnerin ihn vielleicht betrügt, braucht er nur zufällig Ihr Schild mit der Aufschrift ROBERT

BERRINGER – PRIVATE ERMITTLUNGEN zu sehen und Sie haben einen Klienten gewonnen!“, war seine Ansicht gewesen.

Allerdings hatte Berringer einfach nicht das Geld, um sich eine so repräsentative Büroadresse leisten zu können.

Irgendwann mal!, hatte er sich vorgenommen. Aber das waren Zukunftsträume. Im Moment kämpfte er noch um das geschäftliche Überleben.

Die Investition hätte sich zwar vermutlich schon deswegen gelohnt, weil nicht nur die Zahl der Kunden sich verändert hätte, sondern auch deren Art. Sicherheitskonzepte für Großunternehmen brachten einfach mehr Geld in die Kasse als Ermittlungen über untreue Ehepartner. Aber zurzeit war ein nicht unbeträchtlicher Teil seiner Kundschaft wohl ganz froh darüber, ihn an einem unscheinbaren, nicht so im Fokus der Öffentlichkeit stehenden Ort aufsuchen zu können. Schließlich waren manche der Aufträge, die Berringer übernahm, hart am Rande der Legalität.

Vor Berringers Bürotür wartete ein breitschultriger Kerl im dunklen Anzug auf dem Flur und spielte mit einem Jojo. Berringer musterte ihn und fragte sich, ob es einen Studiengang gab, in dem man BWL zusammen mit Sport belegen musste.

„Kann ich was für Sie tun?“

„Sind Sie der Detektiv?“

„Ja.“

„Mein Chef wartet da drinnen auf Sie.“

Als Robert Berringer sein Büro betrat, zog er seinen Parka aus und warf ihn auf einen der Ledersessel, die dort eine etwas klobig wirkende Sitzgruppe bildeten. Er hatte sie vom Sperrmüll. An den Armlehnen waren einige ziemlich abgeriebene Stellen, ansonsten waren sie in Ordnung, fand Berringer. Unter dem Parka trug er ein dunkelblaues Jackett und ein weißes Hemd. Das war sein Outfit für vornehme Anlässe. Das Hemd war zwar ungebügelt und seine einzige Krawatte hatte er nicht finden können, aber Berringer fühlte sich gut angezogen.

So, wie Vanessa den Klienten beschrieben hatte, wusste dieser ein elegantes Auftreten durchaus zu schätzen, wobei dies bei Berringer dadurch geschmälert wurde, dass Berringer seine fleckige Jeans noch immer trug.

Der Klient hingegen trug das berühmte Manager-Grau. Die Rolex am Handgelenk und die goldenen Manschettenknöpfe machten deutlich, dass die Begriffe „Geld“ und

„Probleme“ sich wahrscheinlich erst ab sechsstelligen Fehlbeträgen zusammenaddierten. Die Selbstverständlichkeit, mit der er den maßgeschneiderten Dreiteiler trug, machte außerdem klar, dass dies offenbar seine tägliche Arbeitskleidung war und keineswegs ein gutes Stück, das man zu Beerdigungen und Hochzeiten aus dem Schrank holte.

Eisgraue Augen musterten Berringer. Augen, die es offenbar gewohnt waren, blitzschnell Menschen einzuschätzen und zu entscheiden, ob ein weiterer Kontakt mit ihnen lohnte oder nicht. Hopp oder topp, bestanden oder durchgefallen. Dieser Blick glich einer Bonitätsüberprüfung im Schnelldurchlauf.

Der Klient stand auf.

Etwas langsamer, als es nötig gewesen wäre, um Berringers ausgestreckte Hand ohne Verzögerung entgegen nehmen zu können. Der Händedruck war sehr fest. Da wollte jemand von Anfang an deutlich machen, wer der Chef war.

„Gerath“, sagte er hart und knapp. „ Der Gerath.“

„Ah, ja...“

Die wirklich Großen und Wichtigen hatten nur einen Namen. Spock. Prince.

Konsalik.

Die noch größeren bekamen noch einen Artikel dazu.

Die Dietrich.

Der Kaiser.

Der Gerath schien sich selbst in diese besondere Wichtigkeitskategorie einzureihen, wobei Berringers Erfahrung nach der Gebrauch des Artikels immer auch auf einen etwas divenhaften Charakterzug hindeutete.

Es gelang Berringer nicht, seine momentane Ratlosigkeit darüber, wer der Gerath wohl sein mochte, zu verbergen und so sah sich der Klient genötigt, seinen vollen Namen zu nennen. Berringer konnte nur hoffen, das der Gerath nach dieser Demütigung noch an einer Geschäftsbeziehung interessiert war.

„Peter Gerath, ich bin der Inhaber der Gerath Avlar Tex GmbH & Co. KG in Krefeld.

Wir stellen Spezialfasern her, die in der Produktion von kugelsicheren Westen oder Segeln eingesetzt werden. Aber zu den Einzelheiten werden wir sicher gleich kommen, wie ich annehme...“

Die Selbstsicherheit, die dieser Mann zur Schau trug, wirkte auf Berringer etwas aufgesetzt. Zwar bestand für den Detektiv kein Zweifel daran, dass dieser Mann es sicher gewohnt war, wie der natürliche Boss – oder neudeutsch: Entscheider –

aufzutreten, aber Berringer spürte auch, dass diesen äußerlich wie aus Granit wirkenden Mann irgendetwas bis ins Mark verunsichert haben musste, auch wenn er sich redlich Mühe gab, dies nicht nach außen dringen zu lassen.

„Ich bin Robert Berringer. Meine Mitarbeiterin hat mir bereits gesagt, dass Sie mich dringend sprechen möchten, aber ich wurde leider etwas aufgehalten.“

„Ich verstehe. Sie werden als Freiberufler sicherlich auch von einem Acht-Stunden-Tag oder dergleichen nur träumen können.“

„Das ist leider wahr. Aber während meiner Zeit als Kriminalbeamter war das leider auch nicht besser.“

Gerath ließ den Blick durch den Raum schweifen. Abgesehen von dem großen Computertisch und einem Regal mit Aktenordnern gab es keine weitere Einrichtung.

Der Blick auf die fleckige Tapete war also vollkommen frei. „Ich sage immer: Ein Acht-Stunden-Tag ist etwas für Herzkranke! Da ist doch ein normal veranlagter Mensch überhaupt nicht ausgelastet!“

Berringer lächelte mild. „Ich wette, Ihr Betriebsrat kann dieser Ansicht nicht so ganz zustimmen.“

„Welcher Betriebsrat?“, fragte Gerath. „Diesen Firlefanz habe ich bisher erfolgreich verhindern können, obwohl das immer schwieriger wird. Na ja, man braucht eben einen guten Anwalt und ein paar Tricks. Und da wir schließlich keine Billigschneiderei, sondern ein High Tech-Unternehmen sind, bezahle ich ohnehin über Tarif, sodass sich niemand beschwert. Unsere Produkte laufen hervorragend, auch international. Die indonesische Polizei wird demnächst mit kugelsicheren Westen ausgerüstet, die unsere Fasern enthalten und auf der nächsten BOOT-Messe hier in Düsseldorf wird man eine Auswahl neuester High Tech-Produkte für die Segel einer völlig neuen Generation sehen. Die Wörter surfen und segeln wird man in Zukunft anders buchstabieren, sag ich Ihnen!“

Peter Gerath machte eine große Geste und setzte sich wieder. Berringer nahm ebenfalls Platz. Vanessa Karrenbrock fragte den Gast, ob er noch Kaffee wolle, aber Gerath verneinte. Kein Wunder, dachte Berringer. Vanessas Kaffee war schlecht. Viel zu dünn. Es schien auch völlig sinnlos zu sein, ihr das beibringen zu wollen. Vanessa selbst bevorzugte aromatisierte Tee-Sorten und hatte auch schon versucht, Berringer zu dieser Ersatzdroge zu bekehren. Bisher allerdings ohne jeden Erfolg. Inzwischen war Berringer dazu übergegangen, löslichen Kaffee zu verwenden.

Peter Gerath hatte von der Kaffee-Misere in der Detektei Berringer natürlich nichts wissen können und war prompt auf Vanessas freundliche, einladende Art hereingefallen.

Die Tür öffnete sich.

Ein Mann von etwa fünfunddreißig Jahren in Lederjacke und Jeans unterdrückte ein Gähnen und stutzte, als er Gerath sah.

„Sorry!“, sagte er. „Ich wusste nicht, dass du ein Meeting hast, Robert!“

„Mark, wenn du dich bitte zu uns setzen würdest!“, sagte Berringer. „Herr Gerath, dies ist Mark Lange, ein weiterer Mitarbeiter meiner Firma.“ Mark war in Wahrheit ebenfalls nur stundenweise bei Berringer angestellt. Er half ihm bei Observationen und immer dann, wenn der Computer streikte. Im Moment versuchte er die kostenlose, auf dreißig Tage begrenzte Probeversion eines Bildbearbeitungsprogramms zu knacken.

Ein weiteres Gähnen unterdrückend nahm Mark Lange in der Runde Platz. Von den Aufträgen abgesehen, die er bei Berringer bekam, war er zurzeit arbeitslos. Zuvor war Angestellter der Geldtransportfirma Delos aus Mönchengladbach gewesen, die nach einem Skandal sondergleichen vor dem Konkurs stand. Gelder von Kunden waren entnommen und für Spekulationen benutzt worden. Jetzt stand die ganze Branche vor einem Scherbenhaufen, denn wer vertraute einer Geldtransportfirma noch seine Einnahmen an, wenn er damit rechnen musste, dass die entsprechenden Gelder nicht dort ankamen, wo sie erwartet wurden?

Für die ohnehin schlecht bezahlten Delos-Mitarbeiter hatte dies die Entlassung bedeutet.

Berringer hatte ihn vor ein paar Jahren – noch während seiner Zeit bei der Polizei -

bei Ermittlungen um einen Überfall kennen gelernt. Seit zwei Monaten stand Mark Lange der Detektei nun nach Bedarf zur Verfügung, und Berringer war vollauf zufrieden mit dem jungen Mann. Gerade bei langwierigen Observationen war es eigentlich unumgänglich im Team zu arbeiten.

„Was ist Ihr Anliegen, Herr Gerath?“, fragte Berringer.

Gerath blickte zur Seite, zunächst kurz zu Mark Lange hinüber und anschließend zu Vanessa, die ihn erwartungsvoll und interessiert ansah.

„Ich dachte eigentlich, dass ich die Angelegenheit mit Ihnen persönlich besprechen könnte, Herr Berringer.“

„Vor meinen Mitarbeitern sollten Sie keine Geheimnisse haben. Im Übrigen müsste ich sie hinterher ohnehin über die Sachlage in Kenntnis setzen, also stören Sie sich bitte nicht an ihrer Anwesenheit.“

Gerath räusperte sich. „Wie Sie meinen ...“

„Worum geht es also?“

„Vor zwei Wochen ist ein Anschlag auf mein Leben verübt worden. Ich habe ein Pferd auf einem Reiterhof in Pension und widme mich jeden Sonntagmorgen einem ausführlichen Ausritt. Ich bin kein sportlicher Reiter, müssen Sie wissen. Oder sollte ich sagen: nicht mehr? Ab und an macht mein Rücken nämlich nicht mehr mit. Ich hatte ein ruhiges, gut zu lenkendes Pferd und nehme meistens denselben Rundweg, nördlich von Münchheide. Das Tier kannte diesen Weg schon. Offenbar hat jemand meine Gewohnheiten ausgekundschaftet und sich auf die Lauer gelegt.“ Die Maske der Selbstsicherheit war jetzt für in paar Augenblick völlig ihm abgefallen. Berringer spürte erneut und diesmal noch deutlicher, dass dieser Mann zutiefst erschüttert worden war.

„Was ist geschehen?“

„Mir wurde meine Island-Stute Laura förmlich unter dem Hintern weggeschossen, wenn Sie mir diese drastische Ausdrucksweise verzeihen!“

„Natürlich.“

„Ich hatte Glück mit dem Leben und einer Schulterprellung davongekommen zu sein.

Der Kerl hatte es auf mich abgesehen, da bin ich mir hundertprozentig sicher.“

„Sie haben gesehen, dass es ein ‚Kerl’ war?“, hakte Berringer sofort nach. Die alte Polizistenschule machte sich bemerkbar. Auf Kleinigkeiten achten. Die Details führten am Ende oft genug zur Lösung des Falls oder entlarvten falsche Aussagen.

Gerath reagierte genervt. „Nein, natürlich habe ich das nicht gesehen“, sagte er jetzt ziemlich unwirsch. Im nächsten Moment hatte er sich wieder unter Kontrolle, aber Berringer fand seinen anfänglichen Eindruck bestätigt, dass unter der kalten Granitfassade dieses Unternehmers etwas brodelte, das nun für Sekunden an die Oberfläche gekommen war. Die Nerven dieses Mannes waren bis zum Zerreißen gespannt. Aber nach dem, was er berichtet hatte, war das auch kein Wunder, fand Berringer. „Ich habe vom Täter überhaupt nichts gesehen. Die Schüsse sind aus einem Waldstück abgegeben worden. Dort war das Unterholz so dicht, dass ich auf die Entfernung nichts erkennen konnte.“ Er atmete tief durch und zuckte die Schultern. „Einen Wagen hörte ich etwas später davonbrausen, das ist alles. Wirklich alles.“

„Ich nehme an, Sie sind zur Polizei gegangen.“

„Ja, natürlich. Schließlich wollte ich es nicht darauf ankommen lassen, dass dieser Killer mich in Kürze doch noch niederstreckt. Schließlich hat der Schütze ja sein Ziel nicht erreicht und was immer ihn auch zu seiner Tat getrieben haben mag – die Vermutung liegt ja wohl nahe, dass er keine Ruhe geben wird, bis er es geschafft hat.

Und so kam es dann ja auch...“

Berringers Augen verengten sich. „Es gab noch einen zweiten Anschlag?“, vergewisserte er sich.

Gerath nickte. „Ja. Und das ist auch der Grund dafür, dass ich mich jetzt an Sie wende, Herr Berringer, nachdem die Polizei leider so kläglich versagt hat.“ Er seufzte. „Aber am besten alles der Reihe nach.“

„Bitte!“

„Ich bin nach dem ersten Anschlag natürlich zur Polizei gegangen. Der bearbeitende Kommissar, der das Dezernat für Tötungsdelikte bei der Krefelder Kriminalpolizei leitet, erschien mir ziemlich inkompetent.“

„Erinnern Sie sich zufällig an den Namen?“, fragte Berringer.

„Dittmann oder so ähnlich.“

„Kriminalhauptkommissar Björn Dietrich?“, hakte Berringer nach. Schließlich hatte Berringer immer noch guten Kontakt zu den ehemaligen Kollegen und kannte viele der Dezernatsleiter in den umliegenden Städten.

Gerath sah den Detektiv etwas erstaunt an. „Ja, richtig, so hieß er. Ein schlaksiger Kerl mit strubbeligen Locken. Unter einem Beamten stelle ich mir sowieso etwas anderes vor. Aber wahrscheinlich denkt der, dass er sein dreizehntes Monatsgehalt und die fette Beamtenpension auch bekommt, wenn er herumläuft wie ein Wischmob.“ Er blies seinen Brustkorb auf und erinnerte Berringer an einen Gorilla-Silberrücken, der Eindruck machen wollte. Die Haarfarbe stimmte auf jeden Fall überein. „Das sollte unsereins mal machen!“, ereiferte er sich. „Die Geschäftskunden würden doch Reißaus nehmen und sich fragen, ob eine Firma, die ihren Mitarbeitern nicht einmal genug zahlen kann, um sich einen Gang zum Frisör zu leisten, wohl der richtige Geschäftspartner sein kann ...“ Er vollführte eine ruckartige Bewegung.

„Wieso fragen Sie? Kennen Sie den Kerl?“

„Björn und ich waren früher beide hier in Düsseldorf bei der Kripo, bis Björn nach Krefeld versetzt wurde.“

„Verstehe“, murmelte Gerath etwas kleinlaut.

„Dieser Umstand erleichtert vermutlich die Zusammenarbeit mit der Polizei Krefeld ganz erheblich. Ich kann zwar nicht behaupten, dass Björn je davon begeistert war, wenn ihm ein Privatermittler in die Quere kam, aber wenn jeder die Kompetenzen des anderen respektiert, können beide Seiten nur profitieren.“ Gerath schwieg einen Augenblick und lehnte sich zurück.

„Sie sind doch jetzt nicht beleidigt?“, fragte der Unternehmer.

Berringer hob die Augenbrauen. Sein Gesicht blieb unbewegt. „Warum sollte ich?“

„Na, wegen der Sachen, die ich gerade über Ihren Freund und Beamte im Allgemeinen ...“

„Mal abgesehen davon, dass man das dreizehnte Monatsgehalt mehr oder minder abgeschafft hat und die Kollegen in den vergangenen Jahren mit Einkommenskürzungen und allerlei anderen Unannehmlichkeiten zu tun hatten, haben Sie ja vollkommen recht, Herr Gerath.“

Wieder entstand eine Pause des Schweigens.

Wenigstens ist es ihm hinterher noch peinlich, wenn er sich so in Rage geredet hat, dachte Berringer. Aber sei ehrlich: Du bist froh, dass er nicht dein Chef ist.

Gerath räusperte sich. „Ich habe mich also an die Polizei gewandt“, fuhr er in gedämpftem Tonfall fort. „Leider hat Ihr ehemaliger Kollege Dietrich mit seinen Leuten nicht allzu viel herausgefunden. Dass weiterhin akute Gefahr für mein Leben und vielleicht auch das Leben meine Familie besteht, hat Hauptkommissar Dietrich im Übrigen auch so gesehen. Er hat mir Polizeischutz angeboten. Wissen Sie, wie das aussieht? Regelmäßig patrouillieren jetzt uniformierte Polizisten vor dem Haus, und ein paar Tage war sogar ein Kripo-Beamter bei uns einquartiert. Und dann hatte Dietrich auch noch die glorreiche Idee, mir vorzuschlagen, ich sollte eine kugelsichere Weste tragen! Damit würde ich seinen Kollegen und ihm maßgeblich den Job erleichtern.“

„Ist das keine gute Idee?“, fragte Berringer kühl. „Ich meine, wo Sie doch an der Quelle sitzen!“

Gerath klopfte sich auf die Brust und erinnerte jetzt noch mehr an einen zornigen Silberrücken. „Glauben Sie, ich bin tatsächlich so dick? Ich trage das neueste, mit unserer Faser bestückte Modell der Firma Swanken & Partner. Sitzt wie angegossen und ist so dünn, dass ich wenigstens das Hemd zubekomme und das Ganze nicht so auffällt.“

Berringer blieb gelassen. „Sie wollten mir noch von dem zweiten Anschlag berichten“, versuchte er seinen Klienten wieder auf das eigentliche Thema zurückzuführen. Die Art und Weise, wie Gerath immer wieder dazu neigte abzuschweifen, ging Berringer inzwischen ganz gehörig auf die Nerven und er fragte sich, wie es dieser unkonzentrierte Mann schaffte, eine Firma mit straffer Hand zu leiten – was in seiner Branche mit Sicherheit nötig war.

„Der zweite Anschlag war am Sonntag.“

„Sie waren wieder reiten?“

Gerath machte eine wegwerfende Handbewegung und schüttelte den Kopf. Er hatte die seltene Gabe, Gesprächspartnern schon durch die Körperhaltung klar zu machen, dass sie Idioten waren.

„Wo denken Sie hin, Herr Berringer! So schnell besteige ich kein Pferd mehr! Ich bin nur kurz auf die Terrasse gegangen, um frische Luft zu schnappen. Jemand hat dabei auf mich gefeuert und wenn ich nicht eine dieser Westen getragen hätte, dann wäre ich heute unter Garantie nicht mehr unter den Lebenden!“

„Wenn es sich um Gewehrkugeln handelt, können die aus größerer Entfernung abgefeuert worden sein. Befinden sich im Umkreis von etwa einem Kilometer um Ihren Garten hohe Gebäude?“

„Natürlich befinden sich da hohe Gebäude! Ich wohne in Krefeld, ich nicht auf dem Kuhdorf.“

„Es war nur eine Frage“, sagte Berringer betont ruhig.

Gerath strich mit einer fahrigen Handbewegung über das Gesicht, so als wollte er mit aller Macht etwas hinweg wischen. Er schüttelte den Kopf. Nein, dies war die Realität. Aus diesem Albtraum gab es kein schnelles Erwachen. „Ich möchte, dass Sie mir helfen, Herr Berringer. Die Polizei schafft es nicht, mich am Leben zu erhalten -

aber vielleicht sind Sie ja erfolgreicher. Ihre Angestellte hat mir schon die üblichen Honorarsätze verraten, die Sie nehmen. Ich lege noch ordentlich was drauf, darauf können Sie Gift nehmen. Nur machen Sie dieser Sache ein Ende. Ich will wieder ruhig schlafen können! Ich will wieder unbehelligt ein Spiel der Krefeld Pinguine besuchen können! Ich will wieder auf ohne Angst durch die Landschaft reiten können!“

Berringer nickte leicht. „Wir sind eine kleine Detektei. Ich kann Ihnen keinen Rundum-die-Uhr-Personenschutz organisieren, aber wenn Sie wollen, dann empfehle ich Ihnen da einen Kollegen.“

„Das ist auch nicht nötig. Privaten Personenschutz habe ich mir inzwischen besorgt. Ich will, dass Sie herausfinden, wer dahinter steckt! Seit der Delos-Pleite läuft ja so viel Sicherheitspersonal frei auf dem Arbeitsmarkt herum, dass man sich die Leute aussuchen kann.“

Berringer wirkte nachdenklich. „Gut“, sagte er. „Da Sie über den finanziellen Rahmen ja bereits mit meiner Mitarbeiterin gesprochen haben, können wir gleich zur Sache kommen. Ich brauche noch ein paar Informationen von Ihnen.“

„Bitte! Fragen Sie!“, forderte Gerath den Detektiv etwas überrascht auf.

„Sie sind verheiratet?“, fragte Berringer.

„Ja, meine Frau heißt Regina.“

„Berufstätig?“

„Nein. Früher hat sie die Buchhaltung in der Firma gemacht, aber das hat alles längst Dimensionen erreicht, die ihre Möglichkeiten völlig übersteigen.“

„Haben Sie Kinder?“

„Ja. Till, Andreas und Maja. Sie sind bereits alle drei aus dem Haus und ich muss gestehen, ich habe wenig Kontakt zu ihnen.“ Er zuckte die Schultern. „Vielleicht bin ich kein ganz so fürsorglicher Vater gewesen, wie das heute modern ist.“

„Ich verstehe ... Haben Sie selbst irgendeine Vermutung, was der Hintergrund der Anschläge sein könnte? Gibt es jemanden, mit dem Sie in letzter Zeit heftige Auseinandersetzungen hatten?“

Er schüttelte den Kopf. „Nur das Übliche“, sagte er. „In der Firma gibt’s natürlich immer mal ein paar Konflikte. Aber ich vermute etwas anderes.“

„Bitte, heraus damit!“, forderte Berringer den Textilfabrikanten auf, nachdem er gemerkt hatte, dass dieser offensichtlich zögerte.

Gerath schluckte. Sein Blick glitt ins Nirgendwo.

„In unserer Branche wird mit sehr harten Bandagen gekämpft. Ein Großteil der Textilindustrie ist ohnehin bereits aus Deutschland verschwunden und in Billiglohnländer abgewandert. Das Einzige, was hier noch geht, sind High Tech-Qualitätsprodukte. Ansonsten wird bei vielen Produkten in Deutschland nur noch die Linie entwickelt und die eigentliche Produktion nach Asien vergeben. Das machen wir zum größten Teil auch so.“

Kam der Mann irgendwann noch mal zur Sache ging es Berringer durch den Kopf, oder war er gezwungen, sich das allgemeine Lamento eines Wirtschaftskapitäns über den Standort Deutschland anzuhören?

Gerath fuhr fort: „In einer so harten Konkurrenzsituation wird natürlich auch mit Mitteln gekämpft, die nicht ganz legal sind. Darum misstrauen sich alle gegenseitig.

Aber ich weiß dennoch aus zuverlässiger Quelle, dass ich nicht der Einzige bin, der bedroht wurde ...“

„Sie meinen der einzige Textilfabrikant?“

„Ja. Ihr Ex-Kollege von der Polizei sagte mir, es ginge das Gerücht um, dass sich eine mafia-ähnliche Organisation in dieser Branche breit gemacht hat, die Schutzgelder erpresst.“

„Sind Sie denn bereits jemals aufgefordert worden zu zahlen?“

„Nein. Aber dieser Dietrich hält es für möglich, dass die mich erst weich kochen wollen ...“

„Aber Sie haben nicht den Eindruck.“ Berringer gab seine Antwort im Ton einer Feststellung und nicht einer Frage.

Gerath schüttelte den Kopf. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass da jemand absichtlich vorbei geschossen hat. Man wollte mich umbringen – nicht einschüchtern!“

„Wir werden sehen“, versprach Berringer. „Ich brauche noch den Namen und die Anschrift des Reiterhofs, auf dem Sie Ihr Pferd untergebracht hatten und außerdem wäre es gut, wenn Sie mir auf einer Karte den genauen Weg zeigen können, den Sie geritten sind. Unter Umständen müssen wir den Ort des Attentats auch zusammen noch mal aufsuchen. Glauben Sie, Sie schaffen das psychisch?“

„Ich bin Unternehmer und kein heulendes Müsli-Sensibelchen.“ Ein Muskel zuckte unruhig in seinem wie aus Stein gemeißelten Gesicht. Auf der rechten Wange befand sich eine schnurgerade, scharf geschnittene Furche und Berringer fragte sich unwillkürlich, durch welchen bevorzugten Gesichtsausdruck wohl eine derartige Zeichnung in seine Haut hinein gefaltet worden war. Ein Gedanke, der ihn für Sekunden nicht losließ. Eigentlich absurd, dachte er. Aber manchmal tat er absurde Dinge, um sich vor dem zu schützen, was in ihm schlummerte. Vor den unverarbeiteten Erinnerungen an eine Vergangenheit, die jederzeit wieder die Herrschaft über ihn und sein Leben gewinnen konnte. Da war es gut, sich an irgendetwas festzuhalten. An etwas Markantem. An dieser Falte mitten auf der Wange zum Beispiel.

„Warum sollte ich es nicht schaffen, den Ort noch mal aufzusuchen, an dem Laura massakriert wurde?“ Peter Gerath schluckte. „Laura, das ist – Verzeihung: das war -

der Name meiner Stute. Ich habe insgesamt vier Pferde dort, aber keine geht so diszipliniert wie Laura. Gleichgültig ob im Trab oder Tölt ...“ Er atmete schwer, so als ob ihm eine zentnerschwere Last auf der Brust lag. Er wollte es nicht wahrhaben, dachte Berringer. Vielleicht kamen bei ihm die Flashbacks noch, aber es könnte gut sein, dass es keine so gute Idee gewesne war, ihm vorzuschlagen, den Ort des Geschehens nochmals aufzusuchen ...

Berringer hatte für solche Dinge inzwischen einen siebten Sinn entwickelt.

„Wann waren Sie zuletzt bei Ihren Pferden?“

„Ich war nicht mehr dort, seit der Anschlag geschah ...“ Also doch, dachte Berringer. So fing es immer an. Man mied bestimmte Orte. „Ich werde in den nächsten Tagen bei Ihnen zu Hause vorbeikommen und möchte auch mit Ihrer Frau sowie mit den Mitarbeitern Ihrer Firma sprechen, falls dies sinnvoll erscheinen sollte.“

„Nichts dagegen.“

„Und was ist mit Ihren Kindern? Sind sie informiert?“ Gerath zog die Augenbrauen zusammen und sah Berringer überrascht an. „Die haben nichts mit dieser Sache zu tun. Außerdem sagte ich Ihnen ja schon, dass ...“

„Dass Ihr Kontakt derzeit nicht der Beste ist, ich weiß“, vollendete Berringer den Satz.

„Sprechen Sie mit wem immer Sie wollen. Nur sorgen Sie dafür, dass demjenigen, der es auf mich abgesehen hat, das Handwerk gelegt wird!“ Er blickte auf die Uhr an seinem Handgelenk. Offenbar drängte irgendein Termin.

Typisch, dachte Berringer. Jemanden wie Gerath konnte nicht einmal ein sicheres Rendezvous mit dem eigenen Tod daran hindern, seine geschäftlichen Verabredungen einzuhalten. Und wahrscheinlich war er von seiner eigenen Wichtigkeit so sehr überzeugt, dass er sich nicht im Traum vorzustellen vermochte, dass ihn jemand anderes auch nur ein einziges Mal vertreten könnte.

Ein mildes Lächeln spielte um Berringers Lippen, als er sich sagte: Mal ehrlich, Robert, bist du in dieser Hinsicht vielleicht anders? Wenn ja, dann beweis es und besteh das nächste Mal darauf, dass ein wichtiger Kunde, der in deinem Büro auf dich wartet, sich mit Vanessa auseinandersetzt, und schick Mark Lange zur Krefelder Polizei, um die Detektei über den Stand der Ermittlungen zu informieren ...

Peter Gerath erhob sich.

Sitzung beendet, dachte Berringer sarkastisch.

„Sie wollten noch die Adresse des Reiterhofs haben, auf dem ich Laura untergestellt hatte“, erinnerte Gerath ihn.

Berringer hatte sich inzwischen ebenfalls erhoben. Er ging zum Schreibtisch, der trotz der Tatsache, dass inzwischen Vanessa Karrenbrock hier regelmäßig aufräumte, ziemlich chaotisch aussah. Wirklich wegräumen durfte Vanessa hier natürlich auch nichts. Alles, was Berringer ihr zugestand, war, dass sie herumliegende Papiere in farbige Boxen einsortierte. Eine Ordnung, die den Namen verdiente, entstand dadurch zwar nicht, worauf Vanessa ihren Arbeitgeber auch schon des Öfteren hingewiesen hatte. Aber immerhin war das Chaos nicht mehr so augenfällig. Und das, so fand Berringer, war schon mal ein guter Anfang.

Berringer griff zielsicher zu den Post-its, wühlte einen Stift aus einer Schublade und gab beides an Peter Gerath weiter.

Dieser nahm jedoch beides nicht an, griff in seine Jackettinnentasche und zog seine Brieftasche hervor, aus der er eine Visitenkarte nahm. Anschließend holte er seinen eigenen Kugelschreiber hervor und kritzelte etwas auf die Visitenkarte.

„Ich schreibe Ihnen die Adresse des Reiterhofs hier auf. Meine Handynummer steht auch auf der Karte!“, kündigte der Chef von Avlar Tex an. „Man weiß ja nie, vielleicht ergibt sich plötzlich noch irgendeine Frage, die für Ihre Ermittlungen von eminenter Bedeutung ist ...“

„Gut möglich“, bestätigte Berringer.

„Der Hof heißt Rahmeier-Hof. Die Besitzerin trägt den Namen Rahmeier. Petra Rahmeier. Ich nehme an, dass Sie früher oder später Kontakt mit ihr aufnehmen werden.“

„Anzunehmen. Wir werden von Ihnen eine Vorauszahlung für sieben Tagessätze verlangen. Die Rechnung geht noch heute im Laufe des Tages raus.“

„In Ordnung.“

Peter Gerath verabschiedete sich ziemlich knapp, aber wieder mit einem sehr dominanten Händedruck, der nach Berringers Empfinden diesmal sogar noch etwas schmerzhafter war als beim ersten Mal.

„Darf ich fragen, wie Sie ausgerechnet auf meine Detektei gekommen sind?“, fragte Berringer.

„Sie dürfen. Erstens kommen Sie nicht aus Krefeld. Ich will keinen, der mit dem lokalen Klüngel verwoben ist, dann macht doch alles gleich die Runde! Und zweitens haben Sie doch herausgekriegt, wer hinter den Einbrüchen bei Schauerte Logistic in Uerdingen steckte. Ich habe davon in der Zeitung gelesen.“

„Ja, das stimmt.“

Er machte eine ausholende Geste und meinte: „Allerdings hätte ich gedacht, dass Ihr Laden besser läuft – bei dem Erfolg, den Sie haben, müssten Sie eigentlich nicht in so einer erbärmlichen Absteige hausen. Wenn ich alleine den Anteil an der Versicherungssumme überschlage, den Sie bei dem Schauerte-Fall wahrscheinlich eingestrichen haben...“

„So etwas wird immer überschätzt.“

Er nickte. „Wahrscheinlich. Na ja, ist auch egal.“ Er klopfte Berringer gönnerhaft auf die Schulter. „Ich gebe gerne jemandem eine Chance, der was drauf hat.“

„Danke. Haben Sie Ihren Wagen in der Nähe parken können?“ Gerath verneinte. „Aber das macht nichts. Mein Bodyguard wartet vor der Tür auf mich. Da kann nichts geschehen“, sagte er, bevor er mit gravitätischem Schritt das Büro verließ.

„Wie war der denn drauf?“, fragte Mark Lange kopfschüttelnd, nachdem Peter Gerath die Detektei verlassen hatte. Der Fünfunddreißigjährige war kräftig gebaut. Das Haar trug er sehr kurz. Die Geheimratsecken hielten sich zwar noch in Grenzen, waren aber bereits unübersehbar. Mark sagte meistens gerade heraus, was er dachte. Und das mochte nicht immer besonders geschliffen oder diplomatisch verbrämt klingen, aber dafür war es ehrlich, was Robert Berringer durchaus zu schätzen wusste. Er mochte es lieber, wenn ihm jemand auf den Kopf zu sagte, dass ihm etwas nicht passte, als wenn lange herumgedruckst oder alles mit einem süßen Zuckerguss übertüncht wurde.

Mark Lange war froh, nach dem Delos-Desaster in der Detektei Berringer zumindest stundenweise einen Job gefunden zu haben, was in dieser Branche zurzeit gar nicht so einfach war. Mehr als tausend Mitarbeiter waren dem Konkurs der Geldtransportfirma zum Opfer gefallen. So viele Kaufhausdetektive, Parkplatzwächter und Seniorenhilfen zur Straßenüberquerung brauchten Mönchengladbach, Düsseldorf und Krefeld nicht einmal zusammen.

Die wenigen Stellen, die es in diesem Beruf gab, waren natürlich schnell weg gewesen. Der Rest der Mitarbeiterschaft von Delos musste nun hoffen, dass der Sozialplan noch irgendwelche Wohltaten bereit hielt oder sich vielleicht doch noch ein gnädiger Investor fand, der das Unternehmen mit Haut und Haaren aufkaufte –

ohne Rücksicht darauf, ob er sich an diesem Bissen vielleicht verschluckte.

„Ein komischer Kerl ist das schon“, stimmte Vanessa zu. „Aber auch ein armer Hund.

Ich weiß nicht, ob ich noch in der Lage wäre, überhaupt nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen, wenn in so rascher Folge zwei Mordanschläge auf mich verübt worden wären!“

„Wir beginnen damit, alle Informationen zusammenzutragen, die wir bisher haben“, bestimmte Berringer.

„An deiner Stelle hätte ich diesen Auftrag nicht angenommen“, meinte Mark Lange.

„So?“, fragte Berringer etwas irritiert zurück. Vor einer Woche hatte Berringer ihm aktiv das Du angeboten, damit zumindest in dieser Hinsicht Gleichheit zwischen seinen Angestellten herrschte.

„Diese Gerüchte über eine Textilmafia, die in Krefeld und Umgebung ihr Unwesen treibt, sind doch schon seit längerem im Umlauf. Ich habe in der Zeit, als ich noch für Delos fuhr, davon gehört. Einige der Kunden, für die wir Bareinnahmen zur Bank gebracht haben, waren davon betroffen. Ich weiß das auch nur über drei Ecken ...

Offiziell hätte das niemand zugegeben.“

„Weißt du noch, welche Firmen das waren?“, fragte Vanessa.

„Klar. Die Breiler Textil und die Satoria GmbH. Beide in Krefeld ansässig. Die Kollegen haben sich bei diesen Fahrten immer zu drücken versucht, weil sie wohl befürchteten, dass diese Schutzgelderpresser direkten Zugriff auf das Geld nehmen könnten ... Ich wusste das zu Anfang natürlich nicht und erfuhr die Hintergründe erst nach und nach.“

„Dann schlage ich vor, dass du deine alten Kontakte reaktivierst, damit wir Näheres wissen.“

„In Ordnung“, bestätigte Mark Lange.

„Ich könnte auch etwas übernehmen“, meinte Vanessa. „Ich weiß, dass du mich für’s Büro bezahlst, Robert, aber im Moment ist da nichts Dringendes zu tun.“ Berringer wandte sich an Vanessa.

„Sind die Daten für die Umsatzsteuervoranmeldung schon beim Steuerberater?“

„Ja. Sonst wäre es jetzt auch schon zu spät.“

„Dann fahr du bitte zu diesem Rahmeier-Hof, wo der Gerath seine Pferde untergebracht hat. Wer immer ihn auch ins Visier genommen haben mag, er muss vorher genau über die Gewohnheit seines Opfers Bescheid gewusst und sich vielleicht auch bei der Hofbesitzerin oder ihrem Personal erkundigt haben.“

„Ich werde mich dort umhören“, versprach Vanessa.

„Und ich werde mich mit Björn Dietrich von der Kripo Krefeld in Verbindung setzen“, kündigte Robert Berringer an.

Private Ermittler - 2000 Seiten, 16 Krimis in einer Sammlung

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