Читать книгу Private Ermittler - 2000 Seiten, 16 Krimis in einer Sammlung - Alfred Bekker - Страница 24

7. Kapitel Ausgebootet auf der BOOT

Оглавление

Berringers Nachricht auf Peter Geraths Mailbox blieb unbeantwortet. Daher griff der Detektiv am nächsten Morgen selbst zum Telefon, um ihn zu kontaktieren.

„Haben Sie meine Nachricht nicht bekommen?“

„Welche Nachricht?“

„Es geht um Matthias Gerndorf. Das war der Typ, der neulich vor Ihrem Haus herumgelungert hat. Der Golffahrer. Sie erinnern sich?“

„Ja, schon ...“

„Sagt Ihnen der Name was?“

Schweigen.

„Was ist?“

„Wir besprechen das ein anderes Mal“, sagte Peter Gerath und legte auf.

Später besuchte Berringer seinen Ex-Kollegen Björn Dietrich in dessen verqualmten Büro im Krefelder Polizeipräsidium am Nordwall.

„Du kommst gerade richtig. Sieh dir das mal an, Berry.“

„Worum geht es?“

„Erkenntnisse unserer Ballistiker.“

„In Fernsehkrimis sind die immer viel schneller fertig.“ Auf dem Schreibtisch lag ein Grundriss, der Haus und Grundstück von Peter Gerath und die Nachbargrundstücke zeigte. Eine gerade rote Linie markierte die Schusslinie.

„Wie du dir denken kannst, geht es um das zweite Attentat auf Gerath.“

„Als ihn die Kevlarweste gerettet hat.“

„Genau. Er ging nach den Angaben, die er uns gegenüber machte, kurz auf die Terrasse, um frische Luft zu schnappen. Der Schuss wurde vom Balkon eines Nachbarhauses abgegeben. Der Täter muss dort ziemlich lange auf der Lauer gelegen haben.“

„Und seine Bodyguards?“

„Einer war auf der Toilette, und der andere hat sich erst mal um Herrn Gerath gekümmert und ihn gesichert. Wahrscheinlich stand er in der Schussbahn, sodass der Täter es nicht noch einmal versuchte.“

Berringer deutete auf das Nachbarhaus. „Wer wohnt dort?“

„Niemand. Das Haus steht zum Verkauf, nachdem der Besitzer umgezogen ist.“ Berringer überlegte und murmelte bei sich: „Das es dieselbe Tatwaffe war wie bei dem Pferdeanschlag, hat ja schon der Vergleich der Projektile ergeben ...“

„Der Schuss wäre tödlich gewesen, wenn er nicht eine Kevlarweste unter seiner Kleidung getragen hätte“, erklärte Dietrich.

Berringer zuckte mit den Schultern. „Bringt uns das jetzt irgendeinen neuen Ermittlungsansatz?“

„Nein. Nur die Bestätigung eines alten: Die Sache war so akribisch vorbereitet, dass ich inzwischen fest an einen Profi glaube.“

„Waren Patronenhülsen auf dem Balkon zu finden?“

„Nicht auf dem Balkon, sondern unter dem Balkon. Sie sind offenbar in die Tiefe gefallen.“

„Das macht kein Profi.“

„Vielleicht ein Profi, der nicht wie ein Profi erscheinen will“, schlug der Kommissar vor. „Außerdem gibt es an den Patronenhülsen keine Fingerabdrücke, was auch für einen Profi spricht. Wenn er Latexhandschuhe trug, kann man bei ihm noch nicht einmal Schmauchspuren an den Händen nachweisen.“

„Mein Mitarbeiter hat einiges über diesen Ferdinand Commaneci und sein dubioses Firmengeflecht herausgefunden“, erklärte Berringer. „Da wird irgendetwas im Krefelder Hafen vorbereitet, das euch vielleicht die Möglichkeit geben könnte, diese Organisation auszuhebeln.“

„Lass hören, Berry.“

Am Nachmittag hatte Berringer seine wöchentliche Sitzung beim Psychiater. Das war eine heilige Zeit, in der ihn nichts stören durfte. Gleichgültig, an welchem Fall er auch arbeiten mochte. Eine Stunde in der Woche, die ihm gehörte. Ihm und den Untiefen seiner Seele.

In dieser Zeit stellte er sogar das Handy ab, was er sonst nicht einmal nachts tat.

Als die Sitzung vorüber war und er wieder im Wagen saß, hörte er seine Mailbox ab.

Vanessa hatte sich gemeldet. „Ich bin hier bei Avlar Sport und habe mich gerade mit einer Frau aus der Buchhaltung unterhalten. Durch sie hab ich erfahren, dass Frank Severin ein Gehalt bezog, das etwa doppelt so hoch war wie in seiner Position üblich“, berichtete sie. „Ich denke, es muss einen Grund dafür geben. Freiwillig zahlt doch kein Arbeitgeber so viel – das sieht man ja an dir, Robert! Tschüss und meld dich!“

Später machte er noch einen Abstecher zum Haus Oberkassel, um Regina Gerath aufzusuchen. Sie empfing ihn in einem der im englischen Jugendstil sehr individuell eingerichteten Räume. „Leider ist es noch entschieden zu kalt, um sich auf die Terrasse des Rosengartens zu setzen“, sagte sie. „Aber bei den ersten Sonnenstrahlen im Jahr denkt man daran.“

„Sie waren schon öfter hier?“, schloss Berringer aus ihren Worten.

„Frank und ich haben uns manchmal ein Wochenende hier gegönnt. Bei ihm zu Hause war das immer etwas riskant. Krefeld ist schließlich eine Kleinstadt. Aber hier

...“

„Ich wusste gar nicht, dass Herr Severin ein so kulturbeflissener Mensch war.“

„Sie unterschätzen ihn. So wie Sie auch mich falsch einschätzen. Denn ich habe mit seinem Tod nicht das Geringste zu tun – abgesehen davon, dass ich unendlich traurig darüber bin. Aber ich habe inzwischen gelernt, solche Gefühle nicht mehr allzu stark nach außen dringen zu lassen.“

Da hast du dann aber fleißig geübt, dachte Berringer und fragte: „Sagt Ihnen der Name Matthias Gerndorf etwas?“

„Gerndorf ... Gerndorf ... Nein, tut mir leid. Es könnte sein, dass der Name mal erwähnt wurde. Irgendetwas Geschäftliches oder ...“ Sie schüttelte den Kopf. „Hat keinen Sinn, Herr Berringer. Im Übrigen habe ich von den Geschäften meines Mannes keine Ahnung mehr. In den letzten Jahren, seit ich nicht mehr im Betrieb mitarbeite, hat er mich auch nicht mehr in diese einbezogen.“

„Ich verstehe.“

„Das glaube ich kaum, Herr Berringer. Das glaube ich kaum.“ Ein paar Tage später begann die BOOT. Berringer hatte bis dahin kaum Kontakt zu Gerath. Der Unternehmer ließ ihn immer wieder abwimmeln, befand sich angeblich in Meetings oder war aus irgendeinem anderen Grund nicht zu erreichen.

Berringer sah ihn erst am ersten Tag der BOOT wieder, wo Avlar Tex einen großen Stand hatte, auf dem die neuesten Segelstoffe präsentiert wurden. Der Stoff, aus dem die Zukunft ist, lautete der Firmenslogan.

Berringer wurde von Vanessa Karrenbrock und Mark Lange begleitet. Gerath wirkte sehr hektisch. Er schwitzte, aber das lag vielleicht auch an der Temperatur, die trotz Aircondition in der Messehalle herrschte und der Tatsache, dass er eine Schutzweste unter dem Hemd trug.

„Guten Tag, Herr Berringer. Schön, dass Sie hier sind. In Ihrer Gegenwart fühle ich mich doch noch etwas sicherer.“

„Taugen Ihre Bodyguards nichts?“

„Als ich auf die Terrasse ging, um frische Luft zu schnappen, haben die mich auch nicht schützen können.“ Er langte in seine Jackettinnentasche und zog einen Umschlag hervor, den er Berringer reichte. „Sehen Sie mal rein!“ Berringer holte ein gefaltetes DIN-A4-Blatt hervor. Darauf waren in ausgeschnittenen Buchstaben die Worte STRAFE MUSS SEIN!!! zu lesen.

Drei Ausrufungszeichen.

„Das war heute Morgen im Briefkasten. Diese Mafiatypen wollen mich umlegen!“

„Das hätten Sie gleich der Polizei geben und vor allen Dingen nicht anfassen sollen!“

„Es besteht doch ohnehin keine Chance, denjenigen zu identifizieren, der das verfasst hat.“

„Da muss ich Ihnen widersprechen.“

„Wie auch immer. Ich hatte vor der BOOT einfach keinen Nerv, großes Aufsehen deswegen zu machen. Für mich ist das Allerwichtigste, dass die Messe gut über die Bühne geht. Davon hängt so viel ab. Sie glauben ja gar nicht, was hier alles für Geschäfte angebahnt werden. Wenn ich das mal in Beziehung zu meinen Umsatzzahlen setze, dann ...“

„Ich würde eigentlich gern mit Ihnen noch mal über Matthias Gerndorf sprechen.“ Sein Gesicht veränderte sich. Es erstarrte zu einer Maske. Der Mund wurde zu einem dünnen Strich.

„Chef, kommen Sie mal bitte!“, rief seine Sekretärin.

„Sie glauben es vielleicht nicht, aber auch ich muss für mein Geld arbeiten“, sagte Gerath.

Er drehte sich um und ging zu seiner Sekretärin, die ihm einem Mann im dunkelgrauen dreiteiligen Anzug vorstellte, der seine Aktenmappe dicht an den Körper gepresst hielt.

In den folgenden Tagen drängten sich die Besucher der BOOT in den Messehallen, um sich Yachten, Jollen und Zubehör anzusehen oder wichtige Geschäfte abzuschließen.

Berringer und seine beiden Angestellten lösten sich schichtweise ab. Außerdem hatte Peter Gerath noch Schutz durch die Bodyguards von SAFE & SECURE, die von der Messeleitung sogar eine Sondergenehmigung bekommen hatte, ihre Waffen zu tragen.

Berringer hatte seine Waffe gar nicht erst mitgenommen. Er besaß zwar eine SIG

Sauer P 228, zu der er natürlich einen Waffenschein vorweisen konnte, aber in der Praxis führte er die sechzehnschüssige Pistole so gut wie nie mit sich, geschweige denn, dass er sie benutzte. Und auf der BOOT schloss sich jeder Waffeneinsatz eigentlich von vornherein aus. Das galt auch für die anwesenden Polizeikräfte, die Ein- und Ausgänge sicherten. Es war völlig undenkbar, innerhalb einer so dichten Menschenmasse eine Schusswaffe einzusetzen. Die Gefährdung Unbeteiligter war schlicht und ergreifend viel zu hoch und stand in keinem Verhältnis zum möglichen Nutzen.

Während einer der BOOT-Schichten, die Berringer persönlich übernehmen musste, glaubte er plötzlich in der Menge ein Gesicht wiederzuerkennen.

Der unscheinbare Golffahrer, von dem er inzwischen wusste, dass er Matthias Gerndorf hieß, hielt sich an einem Stand in unmittelbarer Nachbarschaft auf und blickte immer wieder zu dem von Avlar Tex hinüber.

Diese Gelegenheit wollte sich Berringer nicht entgehen lassen. Er ging mit schnellen Schritten auf Gerndorf zu, rempelte rücksichtslos ein paar Leute aus dem Weg und war schließlich bis auf ein Dutzend Schritte an den Mann herangekommen.

Aber dieser hatte Berringer im letzten Moment bemerkt. Er eilte davon, lief durch einen Pulk von Menschen, und Berringer versuchte ihm zu folgen. Wenig später blieb der Detektiv jedoch im dichten Gedränge stecken. Gerndorf war verschwunden.

Wohin man auch blickte – überall Gesichter. Nur das von Gerndorf war nicht dabei.

Er war in der Masse untergetaucht wie ein Fisch im Wasser.

„He, seien Sie doch nicht so rücksichtslos!“, beschwerte sich jemand.

„Entschuldigung.“

„Sie sind mir auf den Fuß getreten, und zwar heftig.“

„Ich sagte: Entschuldigung!“, erwiderte Berringer ziemlich gereizt und kehrte zum Avlar-Tex-Stand zurück.

Gerath war nicht dort. Ein potentieller Geschäftspartner – der Geschäftsführer einer Bootsfirma – hatte ihn an Bord seiner im Rahmen der BOOT ausgestellten Yacht geladen, um einen großen Segeltuch-Deal abzuschließen. Gerath war schon vorher ganz aus dem Häuschen gewesen.

„Was war denn da los?“, wandte sich einer der Wachmänner an Berringer.

„Ehrlich gesagt, wüsste ich das auch gern“, murmelte der Detektiv.

Der Publikumsandrang in der Messehalle war in den nächsten zwei Stunden so groß, dass sich die Besucher nur im Schritttempo fortbewegen konnten.

Peter Gerath war noch nicht von seiner Vertragsunterzeichnung zurück, aber Berringer machte sich diesbezüglich wenig sorgen. Schließlich wurde er von einem der Sicherheitsleute der SAFE & SECURE begleitet.

Auf einmal geschah es, plötzlich und völlig unerwartet: Mehrere Männer, die Gesichter mit Sturmhauben bedeckt, die nur die Augen freiließen, sprangen auf den Stand von Avlar Tex zu. Einer der Wachleute erhielt einen brutalen Faustschlag und taumelte zu Boden, und Berringer wurde neidergestoßen und konnte gerade noch einem Tritt ausweichen.

Sofort begannen die Angreifer die Dekoration des AvlarTex-Standes niederzureißen.

Tische wurden umgestoßen, ebenso die Ständer mit Faserproben und die aufgerichteten Modellsegel.

Etwa ein Dutzend Angreifer waren an dieser blitzschnell durchgeführten Aktion beteiligt. Mehrere von ihnen warfen Farbbeutel, die beim Aufprall zerplatzen. Der Inhalt besudelte nicht nur die Vorführsegel und das Personal, sondern verbreiteten auch einen ekelhaften Geruch, der an faule Eier erinnerte.

So schnell der Angriff erfolgt war, so rasch war er auch vorbei. Die Maskierten zogen sich zurück, stoben in verschiedene Richtungen davon und tauchten in der Menge unter. Sobald das geschehen war, nahmen sie vermutlich ihre Masken ab und waren in der Masse nicht mehr identifizierbar.

Doch Berringer fixierte seine Aufmerksamkeit auf einen von ihnen und setzte nach.

Inzwischen war Tumult ausgebrochen. Panik hatte sich breitgemacht, da kaum jemand wusste, was eigentlich los war. Jemand rief etwas von einem „Anschlag“, und natürlich dachten die Leute direkt an eine Terroraktion und Bombenleger. Es wurde gedrängelt und geschubst.

Berringer bahnte sich seinen Weg durch die Menge. Der Abstand zu dem Maskierten wurde immer geringer. Schließlich erreichte er ihn, packte ihn von hinten und riss ihn zu Boden. Rechts und links wichen die Leute zur Seite. Erschrockene Schreie gellten durch die Halle.

Der Maskierte rappelte sich auf und kam wieder auf die Beine. Er stürzte sich auf Berringer. Sein Schlag ging jedoch ins Leere, da der Detektiv geschickt auswich.

Berringer ergriff den Arm des Maskierten und hebelte ihn herum, sodass er ihn sicher unter Kontrolle hatte, ohne ihn zu verletzen.

„Gelernt ist gelernt!“, keuchte Berringer. „Auch wenn es schon eine Weile her ist, dass ich das mal anwenden musste.“

Die Umstehenden wichen so gut es ging zurück und sahen sich mit scheuem Interesse das Schauspiel an, das sich ihnen bot.

„Wäre bitte jemand von Ihnen so freundlich, mit seinem Handy die Polizei zu rufen?“, fragte Berringer laut und mit durchdringender Stimme, die man eher einem Lehrer zugetraut hätte, der es gewohnt war, sich vor einem Haufen lärmender Jugendlicher durchzusetzen, als einem Ex-Polizisten.

Niemand reagierte.

Berringer wandte sich einem Mann im blauen doppelreihigen Mantel zu, dessen Äußeres vor allem durch die Ankerkrawatte bereits ein gewisses Interesse an maritimen Themen erkennen ließ. „He, Sie!“

„Ich?“

„Haben Sie ein Handy?“

„Ja ... sicher!“

„Dann rufen Sie bitte die Polizei!“

Der Freizeitkapitän löste sich aus seiner Erstarrung und holte tatsächlich ein Mobiltelefon hervor.

Inzwischen kam jener Wachmann von SAFE & SECURE heran, den ein Faustschlag ins Gesicht niedergestreckt und der sich wohl erst etwas hatte erholen müssen. Seine Nase war blutverschmiert. Er zog dem Gefangenen die Sturmhaube vom Kopf. Das Gesicht eines dunkelhaarigen jungen Mannes kam darunter zum Vorschein.

„Lassen Sie mich los!“, ächzte er.

„Erst wenn die Polizei da ist“, kündigte Berringer an.

Der junge Mann sprach einen Akzent, der für Berringers Ohren irgendwie nach Osteuropa klang.

„Wer hat Ihnen gesagt, dass Sie den Stand von Avlar Tex verwüsten sollen?“, fragte Berringer.

„Das ist Körperverletzung, was Sie tun!“, krächzte der junge Kerl und versuchte sich loszureißen.

Aber Berringers Griff war eisern. „Und das, was Sie hier getan haben? Was sollte das sein? Eine Luftveredelung, damit man den Körpergeruch der Messebesucher nicht so stark wahrnimmt?“

Es dauerte eine Weile, bis die Polizei eintraf und den Täter in Gewahrsam nahm. Er hatte einen deutschen Führerschein bei sich, der ihn als Marian Illiescu auswies, einen rumänischen Staatsangehörigen, der aber seit zehn Jahren in Deutschland lebte.

Der Stand von Avlar Tex wurde von der Polizei zunächst einmal abgesperrt.

Schließlich ging es unter anderem darum, Beweise zu sichern. Die Halle musste nach und nach geräumt werden, denn die Geruchsbelästigung war außerordentlich stark, und so lange man nicht wusste, ob möglicherweise gesundheitsgefährdende Stoffe in den Farbbeuteln gewesen waren, ging man lieber auf Nummer Sicher.

Als Peter Gerath von seiner Vertragsunterzeichnung zum Stand zurückkehrte und das deprimierende Ergebnis des Vandalismus des maskierten Rollkommandos sah, wurde er bleich wie die Wand. „Mir geht es nicht gut“, sagte er tonlos zu Berringer. „Diese Schweinehunde! Die haben ja keine Ahnung, was für eine Arbeit in so einer Präsentation steckt und was alles davon abhängt ...“ Seine Stimme bebte.

„Dank Herrn Berringer haben wir einen von den Kerlen der Polizei übergeben können“, informierte ihn ein Avlar-Tex-Mitarbeiter, dessen feiner dunkelgrauer Anzug mehrere Farbflecke aufwies.

Peter Gerath nickte leicht. Seine Augen wirkten glasig und krank. Er griff sich zwischendurch in die Herzgegend und atmete schwer, so als würde er nicht genügend Luft bekommen.

„Diese Schweinehunde!“, flüsterte er noch einmal vor sich und wandte sich wieder an Berringer. „Sie haben gute Arbeit geleistet.“

„Sie ist noch nicht zu Ende“, prophezeite Berringer.

„Ich weiß, ich weiß ...“

„Wenn wir Glück haben, dann kommen wir über den Kerl an die Hintermänner heran.“

Gerath lächelte matt. „Sie sind ein Optimist, Herr Berringer.“

„Ich hoffe, dass dieser Bande das Handwerk gelegt werden kann. Allerdings möchte ich Sie noch über einen anderen Aspekt informieren ...“

„Rufen Sie mich an“, bat Gerath. „Es geht mir hundeelend. Ich werde mir von meinem Arzt was verschreiben lassen.“

„Es geht um Matthias Gerndorf.“

Peter Gerath starrte Berringer an. „Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen, Berringer.

Ehrlich nicht.“

„Davon, dass der Kerl, der in einem Golf vor Ihrem Haus herumlungerte, hier auf der BOOT war und Ihren Stand beobachtet hat, kurz bevor sich dieses Rollkommando die Sturmhauben überstreifte und losschlug.“

„Sie denken doch nicht im Ernst, dass diese beiden Dinge irgendetwas miteinander zu tun haben?“

„Kann ich es ausschließen?“

„Gerndorf ist einfach nur ein Versager“, sagte Peter Gerath und wurde dabei ungewohnt heftig. Er sprach mit einer Vehemenz, die dafür sorgte, dass sich sogar einige der Polizisten umdrehten, die in der Zwischenzeit damit beschäftigt waren, den Tatort einer ersten Begutachtung zu unterziehen.

„Woher kennen Sie Gerndorf?“

„Wir sind uns ganze zwei Mal persönlich begegnet. Das eine Mal war auf einem Empfang der Industrie- und Handelskammer Krefeld, und das andere Mal in einem Prozess, in dem er versucht hat, seine wirtschaftliche Misere anderen anzuhängen.

Aber für Misserfolg im Geschäftsleben ist man ganz allein selbst verantwortlich.

Wenn ich in all den Jahren, in denen ich nun schon an führender Position im Business tätig bin, eins gelernt habe, dann das. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte.“ Berringer telefonierte noch mit Kommissar Björn Dietrich, bevor er die Messe verließ. Dietrich versprach, sich um alles Nötige zu kümmern und die Sache in die Hand zu nehmen. Dass zwischen dem Überfall des Rollkommandos und den Anschlägen auf Peter Gerath ein Zusammenhang bestand, galt als sehr wahrscheinlich.

„Die Hinweise, die uns dein Mitarbeiter in Hinblick auf illegale Warenladungen aus China via Rumänien und Ungarn, sowie die Geschäfte eines gewissen Ferdinand Commaneci geben konnte, scheinen sehr wertvoll zu sein.“

„Ich wette, dass der Kerl, der mir auf der BOOT ins Netz gegangen ist, mit dem Verein etwas zu tun hat“, meinte Berringer.

„Anzunehmen. Leider redet er bislang noch nicht mit uns. Aber ich bin überzeugt, dass wir ihn noch eines Besseren belehren können. Schließlich ist der junge Mann nur ein kleiner Handlanger, der dazu angeheuert wurde, auf der BOOT ein bisschen Krawall zu machen und den Avlar-Tex-Stand aufzumischen. Wenn er begreift, dass es hier um einen Mordfall geht, wird er kalte Füße kriegen.“

„Hast du mit den Düsseldorfer Kollegen Kontakt aufgenommen“, fragte Berringer.

„Ja. Wir bereiten eine koordinierte Operation vor.“

„Falls es irgendwelche Hinweise auf die sogenannte Eminenz gibt, dann möchte ich davon erfahren.“

„Das wirst du, Berry. Ganz bestimmt.“

„Ich würde gerne bei den Befragungen dabei sein.“

„Berry, du weißt, dass das nicht geht.“

„Ja.“

„Also vertrau deinen alten Kollegen, fahr nach Hause und erhol dich etwas von dem Stress.“

Berringer seufzte. „Vielleicht ist das das Beste.“

„Ganz bestimmt“, gab sich Dietrich überzeugt, dann fiel ihm noch etwas ein.

„Übrigens haben die Kollegen in Düsseldorf inzwischen die Genehmigung, Commanecis Telefon abzuhören. Das BKA hält es für möglich, dass der Kerl mehrere Morde in Rumänien und Deutschland in Auftrag gegeben hat, aber das ist ihm bislang nicht nachzuweisen.“

„Ich mache dir einen Vorschlag. Mein Mitarbeiter Mark Lange hat Commaneci in den letzten Tagen beschattet und eine Serie von Fotos gemacht. Vielleicht könnt ihr jemanden auf den Bilder identifizieren.“

„Schick uns die Bilder als E-Mail-Anhang!“

„Mach ich.“

Berringer beendete das Gespräch und rief in der Detektei an. Vanessa hielt die Stellung. Mark war noch unterwegs, wurde aber jeden Moment erwartet.

„Hör zu, ich habe keine Zeit, dir einen langen Bericht zu geben. Schick bitte den gesamten Bildersatz, den Mark von Commaneci und seiner Kamarilla gemacht hat, an Björn Dietrichs E-Mail-Adresse.“

„Wenn’s weiter nichts ist ...“

„Im Augenblick nicht.“

Danach fuhr Berringer zurück zur Detektei. Dort traf er Mark Lange und Vanessa Karrenbrock an.

„Wir waren inzwischen nicht untätig“, sagte Mark Lange. „Allerdings glaube ich, dass uns bei Commaneci und seinen Leuten nur noch die Polizei uns einen Schritt weiterbringen kann.“

„Die sind an der Sache dran“, sagte Berringer.

„Ich hab übrigens einen rumänischen Austauschstudenten wegen der Übersetzung einiger im Internet veröffentlichter Presseartikel angesprochen, in denen es um Commaneci geht“, berichtete Vanessa Karrenbrock.

„Und?“

„Er war bis vor einer Stunde noch hier. Das Ergebnis ist sehr interessant. Commaneci ist offenbar in Rumänien bereits zweimal wegen des Verdachts der Verabredung zum Mord angeklagt worden.“

„Da er noch auf freiem Fuß ist, kann dabei nicht viel herausgekommen sein“, meinte Berringer.

Vanessa Karrenbrock nickte. „Beide Fälle wurden rasch niedergeschlagen. Es wurde offen der Verdacht der Bestechung geäußert, aber das konnte nie nachgewiesen werden. Einmal starb der festgenommene Lohnkiller, der gegen Commaneci aussagen wollte, im Gefängnis und auf mysteriöse Weise.“

„Nun erzähl mir noch, dass die Morde, um die es bei den Gerichtsverhandlungen ging, mit einer Jagdwaffe ausgeführt wurden“, sagte Berringer.

„Genau so ist. Und das verwundert auch nicht, denn die sind dort unten sehr verbreitet.“

Berringer musste sich daraufhin erst einmal setzen.

Es war bereits dunkel. Peter Gerath hatte sich an diesem Abend früh zu Bett gelegt, aber er fand keinen Schlaf. So war er wieder aufgestanden und ging durch das riesige Wohnzimmer, barfuss und im Pyjama. Darüber trug er einen Morgenmantel. Draußen machte sich einer der Wachhunde kurz bemerkbar.

Was ist das für ein Leben - gefangen im eigenen Haus!, ging es ihm durch den Kopf.

Ein Schritt auf die Terrasse, und es wurde auf einem geschossen!

Die Geschehnisse auf der BOOT wühlten ihn noch ziemlich stark auf. Viele Kunden würden sich diskret von ihm zurückziehen, aus Angst, selbst zur Zielscheibe der Unbekannten zu werden. Vor Wut und Hilflosigkeit ballte er die Hände zu Fäusten.

Frank Severin hatte offenbar mit der Textil-Mafia kooperiert. Aber er – Peter Gerath -

war entschlossen, dieses Spiel nicht mitzumachen.

Es war nur zu hoffen, dass dieser ganze Saustall ausgemistet wurde, dachte er.

Berringer hatte einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, indem er einen der Schläger festgehalten hatte. Den Rest erledigte hoffentlich die Polizei.

Und was ist mit Gerndorf?, fragte eine Stimme in Geraths Hinterkopf, die er vergeblich versuchte, zum Schweigen zu bringen. Er konnte diesen Namen nicht mehr hören, aber vielleicht war es besser, sich den Dämonen der Vergangenheit zu stellen, als ständig vor ihnen auf der Flucht zu sein.

Er schloss die Augen.

„Schluss!“, sagte er so laut, als wäre noch jemand im Raum, dem er das Wort verbieten wollte. Er wollte nicht mehr darüber nachdenken.

Das Telefon klingelte. Gerath zögerte, ehe er zum Apparat ging und abnahm. Wer konnte das sein? Berringer? Dessen Auftrag war im Grunde erledigt, fand Gerath.

Herauszufinden, wer Frank Severin umgebracht hatte, das war Aufgabe der Polizei.

„Hier Gerath. Was gibt’s?“

„Andreas hier.“

Es folgte ein längeres gegenseitiges Schweigen. Wie lange hatte er mit Andreas nicht mehr gesprochen? Seitdem die Sache mit der Unterschlagung herausgekommen war, hatten sie keinerlei Kontakt mehr gehabt. Peter Gerath hatte seinerseits gar nicht den Versuch unternommen, auch wenn seine Frau ihn immer wieder dazu gedrängt hatte, Andreas aufzusuchen und sich trotz allem, was geschehen war, mit ihm zu verständigen. Aber Peter Gerath sah bis zu diesem Tag nicht ein, wozu eigentlich.

Warum sollte er, der doch der Betrogene in dieser Angelegenheit war, den ersten Schritt machen?

„Weil du der Vater bist, und Andreas ist dein Sohn!“ Noch immer hatte er Reginas Antwort auf diese Frage im Ohr und versuchte sie verzweifelt, aus seinem Kopf zu verbannen.

Die Verlegenheit war beiderseitig.

„Wie geht es dir, Andreas?“

Er antwortete nicht gleich. „Ich bin als Versicherungsberater tätig.“

„Das habe ich gehört. Aber das war keine Antwort auf meine Frage.“

„Vom Koks bin ich los, wenn du das meinst. Von ein paar anderen Dingen noch nicht.“

„Das heißt, du spielst noch.“

„Ja“, gab er zögernd zu. „Aber das bekomme ich auch noch in den Griff.“

„Warum rufst du an? Brauchst du Geld?“

Tief in seiner eigentlich sehr empfindsamen Seele hoffte Peter Geraths, dass Andreas Nein sagen und sich seine Vermutung nicht bestätigen würde. Er hoffte, dass Andreas einfach nur so anrief. Ohne einen Hintergedanken, ohne ein konkretes Ziel, abgesehen davon, wieder Kontakt zu seinem Vater aufzunehmen.

Aber das war nicht der Fall.

„Ja“, sagte Andreas. „Ich brauche Geld. Sehr viel Geld.“

„Wie viel?“

„500.000 Euro. Und die Leute, denen ich es schulde, fackeln nicht lange.“

„Wollen die dir was antun?“

„Nein, sie würden mich nicht töten. Schließlich bin ich die Kuh, die sie noch melken wollen.“

„Aber ...“ Die Gedanken begannen in Peter Gerath zu rasen.

„Sie wollen dich umbringen, Vater. Und sie haben mir gesagt, dass sie es auch schon beinahe erledigt hätten. Bislang hätten sie dich absichtlich nicht getötet.“

„Das ... das ist doch absurd!“, schrie Gerath.

„Nein, das ist sogar ziemlich clever, Vater“, widersprach sein Sohn. „Wenn sie dich töten, bekomme ich mindestens mein Pflichtteil – und das bedeutet, die Schweine bekommen ihr Geld!“

Peter Gerath war wie vor den Kopf gestoßen. „Das ist nicht wahr“, keuchte er.

„Wieso hast du mir nichts gesagt?“

„Ich hab nicht geglaubt, dass sie ernst machen.“

„Was sind das für Typen?“

„Der Anführer ist ein Deutsch-Rumäne. Er heißt Commaneci und ist hier in Düsseldorf eine bekannte Unterweltgröße.“ Eine Pause folgte. Gerath war unfähig, auch nur einen einzigen Ton herauszubringen. „Ich muss jetzt Schluss machen“, sagte Andreas Gerath und unterbrach die Verbindung.

Peter Gerath überlegte. Dann suchte er die Nummer von Robert Berringer aus dem Telefonregister. Aber statt die Stimme des Detektivs bekam Peter Gerath nur einen monotonen Satz zu hören: „Der Teilnehmer ist momentan nicht zu erreichen. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht auf der Mailbox.“ Robert Berringer zog sich so leise wie möglich an. Aber er war offenbar dennoch nicht leise genug. Wiebke Brönstrup räkelte sich in den Kissen, langte auf die andere Bettseite und begriff dann, was los war.

„Du willst gehen?“

„Ja.“

Sie gähnte. „Warum bleibst du nicht bis zum Frühstück?“

„Wir wollen es nicht gleich übertreiben“, meinte er.

Sie war auf einmal hellwach, setzte sich im Bett auf und strich sich das rote Haar zurück. „Es sind doch nur noch ein paar Stunden, bis wir beide aus den Federn müssen!“

Berringer lächelte. „Bis du aus den Federn musst“, korrigierte er. „Wann ich aufstehe, bestimme ich selbst.“

„Und lässt die Arbeit von deinen beiden Angestellten machen.“

„Genau.“

„Noch ein Grund mehr, einfach hier zu bleiben.“

„Nein.“

Sie wechselten einen Blick. Ihr entging nicht das besondere Timbre, in dem er dieses letzte „Nein“ gesprochen hatte. Endgültigkeit lag darin. Und noch etwas anderes.

Furcht vielleicht? Aber wovor? Sie verstand es nicht.

„Sag mir, was los ist“, forderte sie. „Ich dachte, du hättest dich tatsächlich geändert.

Du hast sogar dein Handy beim Sex ausgemacht, das habe ich früher nie bei dir erlebt. Du warst so sensibel und einfühlsam - und jetzt lässt du mich einfach allein?“

„Nein, so ist das nicht.“

„Wie ist es dann? Hat es dich vielleicht irritiert, dass ich die Initiative ergriffen habe?

Aber erstens hätte ich wahrscheinlich lange darauf warten können, dass du den ersten Schritt machst, und zweitens dachte ich, als moderne selbstständige Frau ... Mein Gott, wir sind ja schließlich keine Teenager mehr!“

„Es ist ganz einfach: Ich möchte hier nicht einschlafen.“

„Aber weshalb nicht?“

„Ich ... ich ...“ Er wedelte mit den Händen in der Luft herum, suchte die richtigen Worte. „Ich träume manchmal schlecht“, gestand er dann. „Und ich möchte nicht, dass jemand das mitkriegt.“

„Ich bin nicht die Prinzessin auf der Erbse. Früher habe ich dein Schnarchen schließlich auch ausgehalten.“

„Ich rede nicht von Schnarchen.“

„Aber ...“

„Akzeptier es einfach.“

„Robert ...“

„Ich kann es nicht und Punkt. Noch nicht.“

„Aber ich ...“

„Gute Nacht. Oder guten Morgen. Ganz wie du willst.“ 8.

Kapitel

Böses Erwachen

Als Berringer erwachte, ahnte er, dass er viel zu spät dran war. Draußen schien schon die Sonne, und als er durchs Fenster blickte, sah er, wie ihr Licht von der leicht gekräuselten Wasseroberfläche glitzernd reflektiert wurde. Das Hafenbecken sah aus wie ein Perlenmeer.

Berringer hatte sich, nachdem er Wiebke Brönstrup verlassen hatte, noch einmal bei sich zu Hause ins Bett gelegt und war sofort eingeschlafen. Er griff zum Handy und stellte fest, dass er vergessen hatte, es wieder einzuschalten. Das holte er sofort nach.

Drei Anrufe in Abwesenheit wurden ihm angezeigt. Berringer kontrollierte die Nummern. Gerath, Dietrich und die Nummer seiner Detektei.

Welche zuerst zurückrufen?, überlegte er. Er entschied sich fürs Büro. Seine Mitarbeiter mussten wissen, wo er blieb, und dass es noch etwas dauerte, bis er bei ihnen auftauchte.

Wenig später hatte er Vanessa am Apparat.

„Robert, was ist denn mit deinem Telefon?“

„War abgeschaltet. Tut mir leid!“

„Du glaubst gar nicht, was hier los ist!“

„Ich nehme an, du wirst es mir gleich erklären.“

„Hier geht laufend das Telefon. Dein ketterauchender Freund Björn Dietrich versucht dich zu erreichen.“

„Ex-Kollege, nicht Freund“, korrigierte Berringer. „Mit dem Begriff gehe ich sehr sparsam um.“

„Wie auch immer. Heute früh haben die eine groß angelegte Operation gegen Commaneci und seine Organisation durchgeführt. Mark ist Richtung Krefeld unterwegs.“

„Wieso?“

„Weil sie ihn als Zeugen brauchen. Es waren wohl ein paar Treffer unter den Fotos, die er geschossen hat. Der Bildabgleich hätte ergeben, dass unter anderem ein seit langem wegen mehrerer Auftragsmorde gesuchter Lohnkiller unter den Typen war, mit denen sich Commaneci getroffen hat.“

„Das klingt doch vielversprechend.“

„Im Krefelder Hafen wurde eine Ladung mit illegal eingeschleusten Billigklamotten konfisziert. Am besten, du rufst Björn gleich an.“

„Das mach ich. Aber für dich heißt der Kerl Kommissar Dietrich.“

„Ach, Robert! Jetzt hör doch mit diesem Spießerquatsch auf. Ich glaube, dein Ex-Kollege ist eigentlich ganz locker. Könntest du dir eine Scheibe von abschneiden.“

„Danke, so etwas hört man immer gern, wenn man es gerade geschafft hat, die Augen für fünf Minuten am Stück offen zu halten.“

„Spaß beiseite: Auch Gerath hat angerufen. Aber er hat nicht gesagt, was er von dir will.“

„Ich kann es mir schon denken.“

„So?“

„Der Auftrag ist erfüllt. Wer seinen Geschäftsführer Frank Severin umgebracht hat, interessiert ihn nicht.“

„Vielleicht mit gutem Grund“, meinte Vanessa.

„Warum?“

„Meiner Ansicht nach scheidet er als Auftraggeber des Mordes an Severin keineswegs aus“, sagte sie. „Eifersucht ist eines der ältesten und häufigsten Mordmotive. Und dazu eines der stärksten. Das passt perfekt!“ Berringer rieb sich mit einer Hand durchs Gesicht und murmelte: „Wir unterhalten uns später darüber.“

Er wollte die Verbindung schon unterbrechen, da sagte sie hastig: „Ach, noch was.“

„Ja?“

„Soll ich mit den Nachforschungen über diesen Matthias Gerndorf fortfahren? Ich meine, Golf fahren ist weder strafbar noch für Herrn Gerath lebensgefährlich, also kann auch niemand etwas dagegen haben, dass Gerndorf auf einer öffentlichen Straße in seinem Wagen sitzt.“

„Ich möchte alles über den Kerl wissen.“

„Bezahlt uns auch jemand diese Nachforschungen? Du weißt, dass ich immer auch ein bisschen darauf achte, dass genug Geld reinkommt, sonst bin ich meinen Arbeitsplatz im Handumdrehen wieder los, wenn du pleite machst.“

„Das passiert schon nicht. Keine Sorge.“

„Trotzdem ...“

Berringer unterdrückte ein Gähnen, bevor er schließlich antwortete: „Ruf einen gewissen Fernholz an. Seine Nummer steht im Adressenverzeichnis unseres Rechners, falls ich schon dazu gekommen sein sollte, die Daten nachzutragen. Sonst liegt ein Zettel in der Nähe des Bildschirms.“

„Da liegt ein Zettel“, stellte Vanessa etwas ernüchtert fest.

„Sag ihm, dass ich alles daran setzen werde, Gerndorf ausfindig zu machen. Ein Betrüger ist er nämlich ganz unabhängig davon, ob er vielleicht noch irgendwelche schlimmeren Dinge im Schilde führt.“

Berringer machte sich fertig. Zum Frühstücken war keine Zeit. Er zog sein gefüttertes Longjackett an, ging durch eiskalte Luft zu seinem Wagen, den er in der Nähe des Hafens abgestellt hatte, stieg ein und startete. Wenig später hatte er sich in den Verkehr eingefädelt.

Von unterwegs rief er Dietrich über die Freisprechanlage an. Der war wie elektrisiert.

Wie berauscht vom Erfolg seiner Ermittlungen redete er drauflos wie ein Wasserfall.

„Der Kerl, den du auf der BOOT geschnappt hast, ist schließlich umgefallen und hat uns wertvolle Hinweise geliefert“, berichtete er. „Commaneci hat das Rollkommando für die Messe angeheuert. Es geht dabei um hohe Spielschulden, die Andreas Gerath bei Commaneci hat. Wir vermuten, dass er die Schuldscheine, die Andreas Gerath unterschrieben hat, gezielt von einigen anderen Unterweltgrößen zusammengekauft hat, um ein Druckmittel gegen den alten Gerath zu haben. Offenbar will Commaneci auf diese Weise erreichen, dass seine Geschäfte über Avlar Sport auch nach dem Tod des Geschäftsführers reibungslos weiterlaufen.“

„Ihr glaubt, dass diese Bande auch für die Schüsse auf Gerath beziehungsweise den Tod seiner Pferde verantwortlich ist?“

„Wir gehen davon aus“, bestätigte Dietrich. „Du klingst irgendwie so skeptisch.“

„Ich weiß nicht. Was ist mit dem Mord an Frank Severin? Commaneci und seine Leute müssten doch bescheuert sein, wenn sie ihren treuen Vasallen aus dem Weg räumen.“

„Er war wohl in letzter Zeit nicht mehr so treu, wie er hätte sein sollen. Aber wir sind mit unseren Ermittlungen ja schließlich auch noch nicht am Ende.“

„Klar.“

„Du musst übrigens auch noch zu uns kommen. Schließlich bist du ein wichtiger Zeuge – vor allem hinsichtlich der Ereignisse auf der BOOT.“

„Hat sicher noch ein bisschen Zeit, oder?“

„Ein bisschen schon. Aber denk dran.“

„Ich werde es nicht vergessen.“

„Wenn du die Aussage schon mal vorformulieren würdest, wäre das nicht schlecht und würde uns einiges an Arbeit ersparen. Du weißt ja, wie so ein Zeugenprotokoll auszusehen hat.“

„Sicher.“

„Gerath ist übrigens in groben Zügen bereits informiert.“

„Dann wird er sich ja freuen.“

Etwa eine Dreiviertelstunde später traf Berringer bei der Villa der Geraths ein. Einer Villa, in der mittlerweile niemand mehr außer dem Unternehmer selbst lebte. Die Familie war in alle Winde verstreut, und Peter Gerath war dafür - zumindest nach Berringers Ansicht - der Hauptverantwortliche.

Die Wachmänner von SAFE & SECURE, die im Garten patrouillierten, wirkten wesentlich lockerer als sonst.

Gerath empfing Berringer in der Eingangshalle. „Ich hatte eine Nachricht von Ihnen auf der Mailbox“, sagte Berringer. „Es geht um Ihren Sohn.“

„Ja. Aber das war gestern. Inzwischen ist diese Angelegenheit zu meiner vollsten Zufriedenheit geregelt. Die Schurken sitzen hinter Gittern, und jetzt kommt es nur noch darauf an, dass die Justiz sie nicht gleich wieder laufen lässt.“

„Das wird sie schon nicht“, gab sich Berringer zuversichtlich.

In diesem Moment kam ein junger Mann die Freitreppe herab. Er sah Till Gerath ähnlich, dem unverwüstlichen Künstler, der außer der Kunst des Bildermalens noch die Kunst beherrschte, Unmengen von Alkohol zu trinken, ohne dabei zittrig zu wirken oder die Bewegungen nicht mehr kontrollieren zu können. Das, was ihn –

abgesehen von seinen Klamotten – von seinem jüngeren Bruder unterschied, war vor allem der Umstand, dass Andreas einfach einige Jahre jünger war.

Er trug einen kobaltblauen Anzug. Die Krawatte saß locker und hing ihm wie ein Strick um den Hals. Berringer fielen die roten Nasenlöcher auf. Entweder, der hatte Heuschnupfen, oder er zog sich mit dem Riechzinken öfter mal 'ne Line rein, überlegte er. Und da es für Heuschnupfen einfach noch etwas zu früh im Jahr war, blieb eigentlich nur die zweite Möglichkeit.

„Das ist mein Sohn Andreas. Wir haben uns ausgesprochen“, behauptete Gerath Senior, „und man kann sagen: auch ausgesöhnt“,

Sein Sohn nickte nur dazu. Er schien kein Mann großer Worte zu sein.

„Ich weiß nicht, ob der Fall wirklich gelöst ist“, sagte Berringer. „Wir wissen schließlich immer noch nicht, wer Frank Severin getötet hat.“

„Es gibt Geheimnisse, die besser nie gelüftet werden“, meinte Gerath Senior allen Ernstes. „Ich bin sehr zufrieden, wie Sie Ihren Job gemacht haben, Berringer. Haben Sie Lust, mich zum nächsten Heimspiel der Krefeld Pinguine gegen die Kölner Haie zu begleiten? Oder interessieren Sie sich nicht für Eishockey?“

„Doch.“

„Hier in Krefeld ist das ja mehr oder weniger Pflicht - bei der Eishockey-Tradition, die wir hier haben. Allerdings muss ich gestehen, dass die ganz großen Zeiten schon weiter zurückliegen.“ Gerath machte eine Pause, dann trat er etwas näher. „Ich habe genug Freikarten. Sie können auch eine haben – oder auch mehrere, wenn Sie versprechen, sie wirklich an den Mann oder die Frau zu bringen. Alles andere wäre Verschwendung.“

„Ich nehme drei Karten“, entschloss sich Berringer. „Dann kann ich meinen Mitarbeitern auch mal was Gutes tun.“

„Es ist wichtig, dass man als Arbeitgeber auch mal spendabel ist und nicht immer nur am Wertvollsten spart: dem Humankapital, wie es so schön heißt.“

„Ganz meine Meinung.“

„Natürlich kriegen Sie das volle Honorar plus ein paar Extras. Schreiben Sie mir eine Rechnung und schlagen Sie zehn Prozent drauf. Einverstanden?“

„Hört sich nicht so an, als müsste ich mich dagegen sträuben“, sagte Berringer. „Und auch die Freikarten nehme ich gern. Allerdings frage ich mich, was Sie mit Eishockey zu tun haben?“

„Ich werde den Pinguinen in Zukunft die Trikots stiften und bin seit langem Mitsponsor.“ Er zuckte lächelnd mit den Schultern. „Da muss man sich auch hin und wieder mal im Eisstadion blicken lassen.“

„Sicher.“

„Ich freue mich darauf, Sie heute Abend zu sehen, Herr Berringer. Ihre Mitarbeiter natürlich auch. Beachten Sie bitte, es sind VIP-Karten.“

„Lassen Sie sich von Leibwächtern begleiten?“

„Ich weiß nicht, ob das wirklich noch nötig ist.“

„An Ihrer Stelle würde ich es nicht darauf ankommen lassen.“

„Aber dieser Commaneci sitzt doch in Untersuchungshaft. Und bei jemanden mit so intensiven Kontakten ins Ausland wird man doch wohl Verdunklungsgefahr annehmen, sodass die Wahrscheinlichkeit, dass er gleich wieder frei kommt, wohl eher gering ist.“

„Solche Leute geben auch noch aus dem Knast heraus ihre Befehle, Herr Gerath.“

„Ich denke, es ist besser so“, stimmte auch Andreas zu. „Man muss ja nicht gleich leichtsinnig werden.“

Gerath gab sich geschlagen. „Nun gut, wenn das hier der allgemeine Tenor ist ...“ Für Berringer war das Thema damit zunächst abgehakt – und unvermittelt kam er auf ein neues, indem er fragte: „Interessiert es Sie wirklich nicht, wer nun Frank Severin ermordet hat?“

„Darum kümmert sich die Polizei, Herr Berringer.“

„Er scheint ein besonders wertvoller Mitarbeiter gewesen zu sein.“ Gerath musterte ihn unwillig. „Wie kommen Sie jetzt darauf?“

„Sein Einkommen war für Ihre Unternehmensgruppe extrem hoch.“ Gerath seufzte. „Ja, das stimmt, und wahrscheinlich haben Sie dazu von einigen Mitarbeitern auch böse Kommentare aufschnappen können. Aber Severin war nun mal kein einfacher Mitarbeiter oder nur irgendein austauschbarer Geschäftsführer, der ein bisschen mit Zahlen jonglieren konnte. Nun, insbesondere in diesem Punkt hat er mich ja wohl auch hintergangen, wenn wir von dem gegenwärtigen Erkenntnisstand ausgehen.“

„Er konnte den Hals nicht voll bekommen.“

„Scheint so. Aber ich habe nicht nur negativen Empfindungen, wenn ich an Severin denke.“

„Das wundert mich. Ich persönlich mag Leute nicht, die mich betrügen.“

„Die Firma verdankt Severin sehr viel. Es gibt ein paar Patente, die für uns vor allem in der Anfangszeit sehr wichtig waren und die auf seinen Namen laufen. Produkte, die uns in den ersten Jahren auf die Beine geholfen und gegenüber der Konkurrenz einen unbezahlbaren Marktvorteil verschafft haben. Inzwischen sind diese Patente nicht mehr so wichtig. Die Zeit geht schließlich voran, und der chemische Fortschritt auch.“

Und es schien ihm ganz recht zu sein, dass die Zeit auch über Frank Severin selbst hinwegging, dachte Berringer.

Der Detektiv schüttelte den beiden Geraths die Hände und wandte sich zur Tür, als ihn die Stimme des Hausherrn noch einmal aufhielt.

„Ach, Sie hatten mich doch mehrfach wegen Matthias Gerndorf angesprochen“, sagte Peter Gerath, der wohl aus irgendeinem Grund das Gefühl hatte, noch etwas erklären zu müssen.

„Ja.“ Berringer drehte sich zu ihm herum. „Ich fand es verwunderlich, dass er vor Ihrem Haus rumlungerte und sich während der BOOT auch in der Nähe Ihres Stands herumgedrückt hat.“

„Der Mann klebt wie eine Klette an mir. Es ist nicht das erste Mal, dass er zur BOOT

kam und in der Nähe des Avlar-Tex-Standes herumstromerte. Er hat seine Firma in den Sand gesetzt, und jetzt starrt er voller Neid und Hass auf die erfolgreicheren Konkurrenten von damals. Ein armer, bedauernswerter Mensch, der es einfach nicht geschafft hat, mit einem geschäftlichen Rückschlag fertig zu werden und sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen, wie sich das für einen richtigen Unternehmer gehört. Stattdessen hängt er in den Seilen unseres Sozialstaates.“

„Er hatte eine Ausgabe von Jagd und Hund auf dem Beifahrersitz“, erklärte Berringer. „Das bedeutet für mich, dass er sich zumindest für die Jagd interessiert, vielleicht selbst aktiver Jäger ist ...“

Gerath legte den Kopf schief. „Das kann er sich jetzt wohl kaum noch leisten.“

„... oder Jäger war. “

Ein Lächeln huschte über Geraths Gesicht. „Sie können es nicht lassen, oder?“

„Muss wohl eine Berufskrankheit sein.“

Vanessa Karrenbrock und Mark Lange waren begeistert gewesen, zum Heimspiel der Pinguine zu gehen.

Auf dem Eis ging es gemächlich zu, aber der Stimmung im Krefelder Königpalast, in dem nicht nur Eishockey gespielt, sondern auch Stars wie Roger Whittaker die angemessene Bühne gegeben wurde, tat das keinen Abbruch. Von den Rängen schallten die Fan-Gesänge. Schals und Fahnen wurden geschwenkt.

Peter Gerath saß zwischen Vereinsoberen und Sponsoren. Einer seiner Bodyguards hielt sich dabei immer in seiner Nähe. Sein Sohn Andreas war ebenfalls anwesend, doch sein Blick wirkte gelangweilt, und er konnte ein Gähnen hin und wieder nur mit Mühe unterdrücken. Für Eishockey schien er sich nicht im Mindesten zu interessieren, aber wenn er tatsächlich in die Führungsriege der Firma zurückkehren wollte, musste er diese Kröte wohl schlucken.

Er hatte schon Schlimmeres geschluckt, dachte Berringer. Dies würde ihn wenigstens nicht umbringen.

Er und die beiden Mitarbeiter seiner Detektei waren etwas abseits platziert worden.

Diesmal hatten sie eben nur Statistenrollen. Doch immer wieder ließ er den Blick über das Publikum schweifen.

Suchst du nach Gerndorf?, dachte er. Hör auf damit, und genieß das Spiel. Du machst dich nur lächerlich!

Das erste Drittel war vorbei. Es stand unentschieden, und der Trainer der Haie redete mit großer Gestik auf seine Spieler ein. Berringer drehte sich zu Peter Gerath um und ...

Gerath war verschwunden, und der Bodyguard ebenfalls!

Auch nachdem das Spiel wieder angepfiffen wurde, kehrte Gerath nicht zurück. Die Minuten rannen dahin. Gegen Ende des zweiten Drittels war auf einmal auch der Platz von Sohn Andreas nicht mehr besetzt.

Berringer machte seine beiden Mitarbeiter darauf aufmerksam. „Der tut als Sponsor auch nur so gerade seine Pflicht“, kommentierte Mark Lange das Verhalten des Unternehmers.

Berringers Antwort ging im Jubel der Krefelder Fans unter. Endlich waren die Pinguine in Führung gegangen. Umso erstaunlicher, als dass sie nach einem groben Verteidiger-Foul seit zwei Minuten in Unterzahl spielten.

Berringer achtete nicht weiter auf den Spielverlauf. Er sah auf einmal den Bodyguard von SAFE & SECURE, der direkt auf ihn zusteuerte. „Herr Berringer, kommen Sie bitte mit! Man braucht Ihre Hilfe!“

„Was ist geschehen?“

„Nicht hier, Herr Berringer!“

Berringer und seine Mitarbeiter folgten dem Personenschützer, dessen Gesicht blass geworden war wie die Wand. Es dauerte eine Weile, bis sie sich bis zum Herren-WC

durchgedrängelt hatten. Eine Traube von Menschen hatte sich davor gebildet. Ordner und Polizisten hielten die Schaulustigen oder Leute, die einfach nur die Toilette benutzen wollten, auf Distanz.

Andreas Gerath winkte Berringer herbei. Er hatte ein hochrotes Gesicht. „Da sind Sie ja, Herr Berringer.“

Durch die geöffnete Tür konnte Berringer in den Waschraum sehen. Peter Gerath lag dort ausgestreckt und in eigenartiger Verrenkung am Boden. Berringer sah sein Gesicht mit den weit aufgerissenen Augen. Ihr Blick war starr und tot.

„Mein Vater war nur kurz auf Toilette“, berichtete Andreas atemlos. „Dort muss ihn jemand ...“ Er stockte, schluckte einen Kloß hinunter, der ihm die Kehle verstopfte.

„Jemand muss ihn umgebracht haben.“ Er holte tief Luft, dann fügte er mit heiserer Stimme hinzu: „Die Kripo ist unterwegs, aber ich möchte, dass Sie in der Sache weiterermitteln. Der Polizei traue ich nicht mehr.“ Berringer wollte den Waschraum betreten, um sich den Tatort genauer anzusehen, aber ein Polizist hielt ihn zurück. „Hier kommt niemand rein!“, schnarrte er. „Hier ist ein Mord passiert, und sie verderben alle Spuren, wenn Sie da rumtrampeln!“

„Schon gut, schon gut“, beschwichtigte Berringer den Mann, dessen groben Tonfall er gut nachvollziehen konnte. Wahrscheinlich war er in den letzten zehn Minuten so oft dumm angequatscht worden, dass ihm jede Lust auf Höflichkeiten vergangen war.

Berringer wandte sich an den Mann von SAFE & SECURE. „Ich habe Sie schon des Öfteren in Geraths Begleitung oder in seinem Garten gesehen, kenne aber nicht Ihren Namen.“

„Jürgen Rüger.“

„Herr Gerath wollte auf die Toilette?“

„Ja.“

„Was ist dann passiert?“

„Ich hab ihn bis zur Tür zu den Waschräumen begleitet, hier gewartet und dabei einen Schokoriegel gegessen. Aber Herr Gerath kam nicht zurück. Dann habe ich nachgesehen und den Toten gefunden.“ Rüger sah ziemlich mitgenommen aus. „Herr Gerath wollte nicht, dass ich den Toilettenbereich vorher untersuche“, versuchte er sich zu rechtfertigen. „Das wäre lächerlich, meinte er.“ Und schuldbewusst fügte er leiser hinzu: „Hätte ich es mal getan ...“

„Ist jemand während der Zeit, in der Sie auf Herrn Gerath gewartet haben, in den Toilettenbereich hineingegangen oder herausgekommen?“

„Ja, natürlich. Sicher sechs oder sieben Personen. Ein Kind war auch dabei.“

„Wer war der Letzte? Schließlich konnte niemand an der Leiche vorbei, ohne sie zu bemerken, und dann hätte er normalerweise sofort Alarm geschlagen. Dass das kein Betrunkener ist, der da auf dem Boden seinen Rausch ausschläft, ist ja wohl unübersehbar.“

Rüger legte die Stirn in Falten, schien angestrengt nachzudenken, dann hellte sich seine Miene auf einmal auf, und er antwortete: „Der Letzte, der aus vom WC kam, war ein junger Kerl mit Lockenkopf und diesen weiten, schlabberigen Kargohosen, die immer aussehen wie Säcke.“

Björn Dietrich trug ungewohnterweise Jackett und Krawatte unter seinem etwas abgenutzten Parka. Das Jackett war ihm allerdings deutlich zu eng und ließ sich nicht mehr zuknöpfen.

„Man hat mich von einem Rendezvous weggeklingelt“, maulte er, statt Berringer zu begrüßen. Er hatte mal wieder Arno Kleppke im Schlepp.

Inzwischen war das letzte Drittel des Spiels zu Ende, und die Fans strömten aus dem Königpalast, die Krefelder in Feierlaune, die Kölner tief deprimiert. Es war also klar, wie das Spiel gewonnen hatte.

Wenig später traf auch Dr. Wiebke Brönstrup ein. Sie nickte Berringer freundlich zu.

„Bist du noch sauer?“, fragte er.

„Quatsch.“

„Ich hab es vielleicht auch ungeschickt erklärt.“

„Ja. Aber ich denke, ich hab’s trotzdem verstanden.“

„Gut.“

Björn Dietrich ließ Berringer mit an den Tatort, auch wenn Arno Kleppke deutlich seine Missbilligung zum Ausdruck brachte.

Wiebke Brönstrup untersuchte den Toten. Das Ergebnis war eindeutig. „Er hat einen Schlag gegen die Kehle bekommen, der vermutlich auch die Todesursache war“, sagte sie. „Genaueres wie üblich nach weitergehenden Untersuchungen.“

„Wir würden gern auch mal 'nen anderen Text von Ihnen hören, Frau Dr. Brönstrup“, murrte Björn Dietrich, dessen Laune wohl wegen des geplatzten Rendezvous extrem mies war.

Es wurden ein paar Zeugen befragt, darunter auch die Frau, die für die Pflege der Toiletten zuständig war. „Ich habe niemanden bemerkt“, stellte sie gegenüber Björn Dietrich klar. Berringer stand in der Nähe und hörte jedes Wort. „Wissen Sie, ich bin auch für die Damentoilette dort drüben zuständig, und da war gerade ein Malheur passiert.“

„Ich dachte, zum Eishockey kämen kaum Frauen“, meinte Kommissar Dietrich.

„Es sind natürlich mehr Männer, das ist klar. Aber es sind immerhin genug Frauen, um die Damentoiletten aufzuschließen, und ab und zu Klopapier nachlegen muss man auch. Diesmal war es aber so, dass jemand sämtliche Toiletten mit Papier voll gestopft hatte. Das war vielleicht eine Schweinerei. Ansonsten bin ich die meiste Zeit natürlich bei den Herren.“

„Natürlich.“

„Das glaube ich kaum. Sie wissen ja nicht, was für Ferkel es gibt. Es gab natürlich eine Riesenverstopfung. Die ganze Suppe ist wieder hochgekommen. Bäh!“ Sie verzog angewidert das Gesicht.

Berringer schätzte sie auf Anfang fünfzig. Sie trug einen weißen Kittel und Gummihandschuhe.

„Schon gut, in diesem Punkt können wir – denke ich – auf eine ausführliche Schilderung verzichten“, sagte Dietrich. „Aber ich brauche Ihre Aussage noch mal schriftlich.“

„Ich soll das alles aufschreiben?“ Die Toilettenfrau starrte ihn an, als hätte er etwas Unanständiges von ihr verlangt.

„Nein, nicht Sie“, beschwichtigte Dietrich. „Ein Beamter wird Ihre Aussage zu Protokoll nehmen. Können Sie morgen ins Präsidium kommen?“

„Wenn ich Nein sage, hätte das wohl nicht viel Sinn, oder?“

„Es ist ein Mensch ermordet worden“, gab Dietrich zu bedenken. „Da sollte jeder mithelfen, dass der Schuldige gefasst wird.“

Sie zuckte gleichgültig mit den Schultern, sagte aber: „Ja, natürlich.“ Dietrich schrieb sich noch ihren Name und ihre Adresse auf.

Während die Spurensicherer noch den Tatort untersuchten, ging Berringer mit Andreas Gerath in eine Kneipe in der Nähe des Königpalastes. Andreas Gerath war niedergeschlagen, erschüttert und fertig. Außerdem machte er sich schwere Vorwürfe, weil er offenbar der Meinung war, den Tod seines Vaters durch seine Spielsucht verschuldet zu haben. In diesem Zustand wollte Berringer ihn nicht einfach nach Hause fahren lassen.

Vanessa Karrenbrock und Mark Lange waren nach Hause gefahren, nachdem Berringer sie ermahnt hatte, am nächsten Morgen pünktlich im Büro zu sein.

„Hauptsache, du bist es auch“, erwiderte Vanessa auf ihre etwas schnippische Art.

„Wenn ich es nicht sein sollte, dann ruf mich bitte an und sorg dafür, dass ich wach werde!“

„Buchhalterin, Detektivin – und jetzt auch noch Kindermädchen. Davon stand nie etwas im Anforderungsprofil für die Stelle.“

„Such morgen als Erstes außerdem alles heraus, was wir über Gerndorf haben.“

„Die Beschreibung des Typen, den dieser Wachmann als Letztes aus dem Klo herauskommen sah, passte aber nun wirklich nicht auf Gerndorf!“

„Such es trotzdem raus. Ich habe einfach das Gefühl, dass die Gerndorf-Geschichte irgendwie wichtig dabei ist.“

„Wie du meinst.“

„Was ist mit dieser Gerndorf-Geschichte?“, fragte Andreas Gerath später, als sie in der Kneipe saßen und Berringer bereits unangenehm dadurch aufgefallen war, dass er kein Alt und noch nicht einmal irgendein anderes Bier, sondern einfach nur Mineralwasser trank. Andreas Gerath hatte als Erstes einen Korn gekippt, um – wie er sagte – seine Nerven zu beruhigen, und hatte ein Alt vor sich stehen. „Sie haben den Namen schon gestern erwähnt, als Sie sich mit meinem Vater über diesen Mann unterhalten wollten.“

Berringer nickte verdrossen. „Dieser Matthias Gerndorf schien für Ihren Vater ein rotes Tuch gewesen zu sein. Ich hab tatsächlich mehrfach versucht herauszukriegen, was der Kerl mit ihm zu schaffen hatte, aber seine Antworten erschienen mir sehr ausweichend.“

„Seltsam.“

„Wissen Sie was über den Mann?“

Er schüttelte den Kopf. „Tut mir leid. Ich meine, mein Vater bezeichnete ihn ja als einen wenig erfolgreichen geschäftlichen Konkurrenten. Und soweit ich mich erinnere, gab es, als ich noch ein Kind war, am Glockenspitz eine Firma namens Gerndorf, die wohl so in etwa das Gleiche herstellte, womit Avlar Tex später sehr erfolgreich wurde.“

„Aber die Firma ist pleitegegangen.“

„Ja.“

„Wissen Sie noch etwas über die näheren Umstände?“

„Das war nie Thema bei uns. Warum auch?“

„Gut, dann zu etwas anderem: Frank Severin. Er genoss eine besondere Stellung bei Ihrem Vater, was mit ein paar Patenten zusammenhing.“

„Ja, das ist richtig.“ Gerath trank an seinem Alt, leerte das Glas zur Hälfte und sprach dann weiter: „Um die Wahrheit zu sagen, ohne diese Patente gäbe es Avlar Tex in seiner jetzigen Form heute gar nicht. Aber ich weiß nicht, weshalb Sie mir all diese Fragen stellen. Es geht doch wohl darum, dass Commanecis Leute offenbar noch mal zugeschlagen haben. Das so etwas möglich ist, obwohl der Anführer hinter Gittern sitzt - unglaublich!“

„Ich war von Anfang an der Ansicht, dass die Angriffe gegen Ihren Vater und auf seine Pferde auch einen anderen Hintergrund haben könnten.“

„So?“ Andreas Gerath schaute ihn erstaunt an.

„Ist Ihnen mal der Gedanke gekommen, dass die Leute, denen Sie Geld schuldeten, einfach nur die Gunst der Stunde genutzt haben, indem Sie Ihnen gegenüber nur einfach behauptet haben, für die Schüsse auf die Pferde verantwortlich zu sein?“ Andreas schien verblüfft. „Nein.“ Er schüttelte verwirrt den Kopf. „Aber ich dachte, es wäre erwiesen, dass das Rollkommando auf der BOOT von dieser Bande angeworben wurde.“

Berringer nickte. „Ja, aber auch nur das. Damit wollten die Typen den Druck auf Ihren Vater erhöhen. Aber das heißt nicht, dass sie zwangsläufig hinter den Schüssen auf Ihren Vater und dem Pferdemassaker auf dem Rahmeier-Hof stecken, richtig?“

„Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen, Herr Berringer.“

„Von Anfang an sind mir ein paar Dinge merkwürdig vorgekommen. Aber auf jeden Fall haben Sie es gut: Der Mann, dem Sie 500.000 Euro schulden, sitzt hinter Gittern.

Und ich bezweifle, dass es sich dabei um Schulden handelt, die man regulär eintreiben könnte. Außerdem hatten Sie sich mit Ihrem Vater offensichtlich ausgesprochen und wieder versöhnt.“

„Sagen wir so: Wir befanden uns seit kurzem im Zustand friedlicher Koexistenz. Er wollte mir mit den Schulden aus der Patsche helfen, und außerdem dachte er darüber nach, mir Severins Job bei Avlar Sport zu geben.“

„Das wäre für Sie doch ein ganz schöner Aufstieg gewesen.“

„Ja, das ist richtig.“

„Und was wird jetzt?“

Andreas griff wieder zum Glas, leerte es, stellte es ab und sagte: „Wir werden eine Erbengemeinschaft bilden. Ich schätze, Till und Maja werden die Auszahlung ihres Teils verlangen, was nicht so ganz einfach werden wird.“

„Und Ihre Mutter?“

Andreas Gerath nickte dem Wirt zu und deutete auf sein leeres Glas, während er sagte: „Das kann ich nicht einschätzen.“

„Aber abgesehen von Ihnen gibt es niemanden in der Familie, der sich für das Geschäft interessiert und in der Lage wäre, das Unternehmen zu leiten.“ Andreas atmete tief durch. „Das ist korrekt.“

Er mustere Berringer argwöhnisch, sodass dieser sich genötigt sah zu erklären: „Ich versuche nur zu erfassen, wer alles vom Tod Ihres Vaters vielleicht profitiert. Severin starb durch einen Schlag, wie er bei verschiedenen Kampfsportarten geübt wird. Ihre Mutter und Ihr Bruder Till trainieren Aikido.“

„Und das macht sie gleich zu Mördern?“

Berringer schüttelte den Kopf. „Ich zähle nur die Fakten auf. Den Schluss haben Sie gezogen. Jedenfalls passt die Beschreibung des Mannes, der als Letzter aus der Herrentoilette kam, auf Ihren Bruder!“

Andreas riss die Augen weit auf. „Ist das Ihr Ernst?“ Berringer zuckte mit den Schultern. „Zumindest sollte man ihn mal fragen, wo er heute während des Abends war.“ Er nahm einen Schluck von seinem Wasser.

„Dann kommen Sie! Wir statten ihm jetzt noch einen Besuch ab! Ich will das wissen!“

„Aber versprühen Sie nicht zu viel Gift“, mahnte Berringer.

„Was geht Sie das an?“, brauste Andreas Gerath auf. „Mein Bruder und ich haben uns noch nie verstanden. Erst war ich in seinen Augen der Streber und Papis Liebling.

Und als Papa mich dann fallen ließ, da war ihm das ein innerer Vorbeimarsch.“

„Aber wenn Sie eine Erbengemeinschaft bilden, werden Sie sich mit ihm einigen müssen.“

Der junge Mann erhob sich und kramte seine Brieftasche hervor, um zu bezahlen.

Dass der Wirt gerade ein neues alt vor ihm auf den Tresen stellte, ignorierte er. „Wir fahren jetzt zu meinem Bruder“, bestimmte er.

„Ein bisschen spät, oder?“

„Kann Ihnen doch gleichgültig sein, Sie fahren doch sowieso nach Düsseldorf zurück, oder?“

„Da ist natürlich wahr.“

„Ich bin mit dem Wagen meines Vaters hier. Den würde ich gern erst wieder zurückbringen, sonst sagt man mir hinterher nach, ich wollte mir irgendwas unter den Nagel reißen.“

„Wie Sie wollen.“

„Anschließend würde ich gern mit Ihnen mitfahren.“

„Sie haben derzeit keinen Wagen?“

„Ich habe nichts mehr. Aber keine Sorge, Sie kriegen Ihr Geld schon. Das Erbe ist ja groß genug.“

„Darauf wollte ich nicht hinaus.“

„So? Komisch, klang aber so.“

„Wenn wir bei Ihrem Bruder in Düsseldorf ankommen, wird es nach Mitternacht sein.“

„Da steht Till doch gerade erst auf, um seine eigenwilligen Schmierereien auf die Leinwand zu klecksen.“

Berringer saß noch immer auf dem Hocker, während Andreas aufbruchbereit neben ihm stand, und sagte: „Das klingt ja richtig nach Geschwisterliebe.“

„Er ist der Ältere und hatte die besten Möglichkeiten, für unseren Vater den Thronerben und Vasallen zu mimen. Was kann ich dafür, dass er seine Chance nicht genutzt hat?“

„Haben Sie Ihre denn genutzt?“

Er schwieg. Schließlich ließ er sich wieder auf dem Hocker nieder und nahm das frische Bier in die Hand.

„Wenn Sie noch fahren wollen, sollten Sie nicht so viel trinken“, mahnte Berringer.

Andreas Gerath ignorierte ihn, trank das Glas auf einem Zug leer und sagte dann mit leiser Stimme: „Ich war das Schwächste von all seinen Kindern. Ich hab das schlechteste Abi gemacht und war am häufigsten krank. Und trotzdem bin ich der Einzige, der überhaupt versucht hat, in die übergroßen Stiefel zu steigen, die man für uns hingestellt hatte.“

„Und das Sie dann gestolpert sind, lag an den Stiefeln, nicht an Ihnen“, kommentierte Berringer.

Andreas Gerath wandte sich ihm zu und zischte aufgebracht: „Ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum ich Ihnen das alles erzähle.“

„So ist das eben.“

„Was?“

„Manche Dinge muss man sich halt von der Seele reden.“ Andreas Gerath drehte den Kopf, schaute vor sich auf das leere Glas und murmelte:

„Schon möglich.“

„Das Dumme ist nur, dass es kaum jemanden gibt, der sich das anhören will, ohne dass er dafür bezahlt wird. Glauben Sie mir, ich weiß sehr gut, wovon ich spreche.

Einmal die Woche gönne auch ich mir das Vergnügen.“ Andreas hob wieder den Kopf, sah Berringer mit gerunzelter Stirn an. „Sagen Sie mal, wie sind Sie denn drauf? Wovon sprechen Sie eigentlich?“

„Davon, dass ich Ihnen die Nummer meines Psychiaters geben könnte, wenn Sie es wollen.“

Andreas winkte ab. „Danke, ich hab zwar vieles durchgemacht, aber bekloppt bin ich nicht.“

Private Ermittler - 2000 Seiten, 16 Krimis in einer Sammlung

Подняться наверх