Читать книгу Alfred Bekker Thriller: Ein Ermordeter taucht unter - Alfred Bekker - Страница 6
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ОглавлениеWir befanden uns gerade auf dem South Street Viaduct und fuhren auf die Südspitze Manhattans zu. Es war ein klarer, sonniger Tag mit guter Fernsicht. Man konnte die Häuser auf Vinegar Hill in Brooklyn auf der gegenüberliegenden Seite des East River sehen. Der starke, kühle Wind kräuselte das Wasser und ließ es wie ein Perlenmeer glitzern.
Der Anruf erreichte uns kurz bevor wir den Battery Park erreichten.
Es war Mister Jonathan D. McKee, der Chef des FBI Field Office New York.
„So eben traf ein Notruf per Handy bei uns ein“, erklärte er uns. „Ein gewisser Charles Patterson gab an, im Robert F. Wagner Jr Park verfolgt und bedroht zu werden. Danach war ein Schuss zu hören und das Gespräch brach ab. Sie müssten eigentlich nicht allzu weit entfernt ein!“
„Wir sind schon so gut wie da!“, versprach ich, während Milo die Scheibe herunterließ und das Rotlicht auf das Dach des Sportwagen setzte.
„Patterson hat übrigens noch ein Foto an uns schicken können, das er offenbar im letzten Moment mit seinem Handy geschossen hat!“, berichtete Mister McKee.
„Um den Täter zu identifizieren?“
„Möglich. Ich leite es an Sie weiter, Jesse. Aber versprechen Sie sich nicht zu viel davon. Es ist sehr unscharf und man kann so gut wie nichts darauf erkennen.“
Wenige Augenblicke später hatten wir das Bild auf dem TFT-Bildschirm, der zusammen mit einem Computer in die Mittelkonsole des Sportwagens installiert war.
Dessen Auflösung war natürlich um ein Vielfaches größer als die eines Handy Displays.
Erkennen konnte man da wirklich nicht viel. Im Hintergrund war etwas Grünes, das sich in viereckige Pixel auflöste. Offenbar handelte es sich um Ziersträucher, wie sie in den verschiedenen Parkanlagen am Hudson-Ufer der Battery Park City zu finden waren. Im Vordergrund war etwas Dunkles.
Nur ein Schatten?
Oder das Abbild eines Mörders?
Wir konnten nur hoffen, dass die Kollegen vom Labor noch etwas Licht ins Dunkel brachten.
Mein Kollege Milo Tucker hatte die Freisprechanlage auf laut geschaltet, sodass wir beide mit Mister McKee sprechen konnten. Ich trat das Gaspedal voll durch. Die Sirene heulte auf.
Der Robert F. Wagner Jr Park war eine kleine Grünanlage, die sich im Nordwesten an den Battery Park anschloss.
„Wir haben das zuständige Revier der City Police alarmiert“, informierte uns Mister McKee inzwischen. „Der Robert F. Wagner Jr Park soll weiträumig abgesperrt werden.“
„Wenn schon geschossen wurde, kommen wir wahrscheinlich so oder zu spät“, gab ich zu bedenken.
„Ja, aber es könnte sein, dass der Täter in den Maschen des Netzes hängen bleibt, das wir jetzt gerade über die Gegend werfen“, erwiderte Mister McKee. „Ob der Fall tatsächlich bei uns landet, hängt von den Tatumständen ab. Falls nicht, betrachten Sie das Ganze als Amtshilfe für die City Police.“
„Ja, Sir“, sagte Milo.
„Viel Glück!“, wünschte uns unser Chef. Danach unterbrach er die Verbindung.
Wir passierten die Unterführung, die unter dem an der Südspitze Manhattans gelegenen Battery Park hindurch führte und sahen am Battery Place wieder Tageslicht. Von dort aus war es nur noch ein Katzensprung.
Wir erreichten das Grüngelände des Robert F. Wagner Jr Parks. Auf den Wegen durfte man hier eigentlich nicht fahren. In diesem Notfall beschlossen wir, die Verkehrsregeln schlicht zu ignorieren. Für den Mann, der sich mit der Bitte um Hilfe an das FBI gewandt hatte, ging es wahrscheinlich um jede Sekunde.
Ich fuhr also einfach weiter und ließ den Sportwagen den schmalen Weg für Fußgänger und Radfahrer entlangfahren. Dabei konnte natürlich nur eine Reifenspur auf dem gepflasterten Weg bleiben, während die Reifen der anderen Seite eine hässliche Spur in dem nach englischem Vorbild gepflegten und auf Bürstenschnitt gebrachten Rasen zog.
Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis wir die in ihrer längsten Ausdehnung knapp dreihundert Yards durchmessende Grünlange durchquert hatten.
Es waren kaum Passanten dort. Eine Joggerin blieb stehen und starrte uns fassungslos an.
Ich hielt den Wagen an. Milo sprang heraus und hielt ihr seinen Ausweis entgegen.
„Agent Milo Tucker, FBI! Warten Sie einen Moment.“
Die Joggerin war Mitte zwanzig, weiß, dunkelhaarig und recht zierlich. Sie trug ein Stirnband mit der Aufschrift SPORTIVE ENERGY und musterte Milo misstrauisch.
Erst als sie den Ausweis genauer sehen konnte, wurde sie etwas entspannter.
„Ein Mann soll hier bedroht worden ein. Es ist ein Schuss gefallen. Haben Sie irgendetwas davon bemerkt?“
„Ich habe zwei Schüsse gehört“, berichtete sie. Sie deutete auf eine Front von etwa zweieinhalb Meter großen Ziersträuchern, die die Sicht auf den Hudson verdeckten. „Hinter den Sträuchern verläuft ein Weg, direkt am Hudson-Ufer entlang. Dort muss es passiert sein.“
„Wie ist Ihr Name?“
„Sara McDougal. Ich wohne in 26 Battery Place, keine 300 Meter von hier.“
„Wir brauchen Ihre Aussage noch schriftlich. Warten Sie hier. Die Kollegen des NYPD treffen jeden Moment ein!“
Wie zur Bestätigung heulten Polizeisirenen aus der Ferne.
Milo kam zurück zum Sportwagen und stieg ein. Ich trat das Gas durch, fuhr über den Rasen und gelangte schließlich auf einen anderen Weg, der zum Hudson-Ufer führte.
Dort fanden wir den Uferweg.
Ich bremste. Wir stiegen aus, griffen nach den Dienstwaffen und sahen uns um.
Es war nirgends etwas zu sehen.
„Der Kerl kann sich nicht in Luft aufgelöst haben“, meinte ich.
„Vielleicht hat jemand die Leiche in den Hudson geworfen“, vermutete Milo.
Wir gingen den Weg entlang. Im Süden konnte man die am Ende einer weit in den Hudson hineinragenden Pier gelegene Fireboat Station am Battery Park sehen. Nördlich des Museum of Juwish Heritage schlossen sich mehrere Grünanlagen an, die wie ein grüner Strich entlang des Hudson Ufers bis hinauf zum Nelson A. Rockefeller Park zogen – nur unterbrochen vom Yachthafen an der North Cove in der Nähe des World Financial Center.
Auf jeden Fall gab es in der Nähe genügend Vegetation, um dort eine Leiche zumindest vorübergehend zu verstecken.
Wir gingen das Ufer in südliche Richtung entlang. Milo informierte inzwischen per Handy die Kollegen der City Police darüber, dass wir nichts vorgefunden hatten.
Lieutenant Rick Diberti, unter dessen Leitung der Einsatz der NYPD-Kollegen stand, sagte zu, dass so schnell wie möglich alle Straßen, die vom Tatort wegführten, abgeriegelt würden, um Fahrzeug- und Personenkontrollen durchzuführen.
„Das muss alles verdammt schnell gegangen sein!“, meinte ich.
Ich starrte auf den Boden. Der Weg war mit grauen Steinen gepflastert. In den Fugen wuchs Gras.
Mir fiel etwas auf, das in der Sonne metallisch blinkte. Ich bückte mich und entdeckte eine Patronenhülse. „Sieh an!“, sagte ich, steckte die Dienstwaffe weg, holte einen Latex-Handschuh hervor und hob die Patronenhülse auf.
„Hier scheint tatsächlich jemand geschossen zu haben!“, stellte ich fest.
„Die Frau hat von zwei Schüssen gesprochen!“, gab Milo zu bedenken.
„Was bedeutet, dass es auch eine zweite Patronenhülse geben müsste!“
„Vielleicht hat der Täter die zweite Hülse aufgesammelt und die andere einfach in der Eile nicht mehr gefunden.“
Ich tütete die Patronenhülse sorgfältig ein und blickte mich dann erneut um.
„Am Jewish Heritage Museum ist ein Parkplatz“, sagte ich. „Von dort kann man auf den Battery Place gelangen.“
„Du denkst, der Täter ist mit der Leiche dorthin gelaufen, hat sie in den Kofferraum eines Wagens gelegt und ist dann auf und davon, Jesse?“
„Ich habe nur laut gedacht.“
„Klingt für mich sehr unwahrscheinlich. Zumal der Täter immer in Gefahr gewesen wäre, gesehen zu werden. Hier hätten ihn die Sträucher geschützt – aber auf dem Parkplatz am Museum nicht mehr.“
„Der Weg ist auch zu weit“, meinte ich. „Zumindest mit einer so schweren Last. Dann muss sich die Leiche hier in der Umgebung befinden.“
„Oder im Hudson.“
„Ich fürchte, das ist die wahrscheinlichste Variante. Ich bin dafür, wir fordern schon mal Taucher an.“