Читать книгу Vom Killer gejagt: 7 Strand Krimis - Alfred Bekker - Страница 12
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Wir machten wir uns auf zu Rademachers Kripo-Kollegen. Herr Delmar war sein direkter Vorgesetzter und Herr Nürnberger wiederum war der Vorgesetzte von Herrn Delmar.
Inzwischen lief die Suche nach dem möglichen Tatort längst auf Hochtouren.
Als Laie denkt man ja erstmal, dass ein Kanal für die Binnenschifffahrt ein stehendes Gewässer ohne Strömung ist und dass deswegen in so einem Fall die Leiche in der unmittelbaren Nähe des Fundortes ins Wasser gelangt sein muss .
Dass ist aber ein Irrtum.
Durch den Schiffsverkehr, durch den Betrieb der Schleusen und weitere, ähnliche, in ihrem Zusammenspiel nur sehr schwer zu berechnende Faktoren, kommt es auch in Gewässern, die man gemeinhin als nicht-fließend bezeichnet, zu erheblichen Sogwirkungen. Und diese Sogwirkungen können mit einer Flussströmung in den Auswirkungen durchaus vergleichbar sein.
Ganz so einfach würde die Suche nach dem Tatort also nicht werden.
Zahlreiche Kollegen der Berliner Polizei sollten sich in der Nähe des Westhafens umhören, ob jemand dort Kommissar Rademacher in der Nacht seines Todes gesehen hatte.
Herr Nürnberger empfing uns in seinem Büro. „Herr Delmar ist noch nicht hier. Er wurde zwischenzeitlich zu einem Tatort gerufen, aber ich nehme an, dass Sie mit sprechen können, sobald wir hier fertig sind.“
„In Ordnung“, sagte ich. „Erzählen Sie uns am besten alles, was Ihnen zum Kollegen Rademacher einfällt. Wir stehen ganz am Anfang unserer Ermittlungen. Alles, was wir wissen ist, dass er in Ufernähe erschossen wurde, eine Kevlar-Weste trug und die Kugel, die ihn tötete, aus einer Waffe stammt, die bei einer Schießerei im Club ‚El Abraxas’ verwendet wurde.“
„Und das ‚Abraxas’ steht unter Kontrolle von Benny Farkas, einem der aufstrebenden Kriminellen Berlins“, ergänzte Herr Nürnberger. Er hatte sich offenbar gut informiert.
„Die genauen Hintergründe der Tat konnten nie wirklich aufgeklärt werden“, fuhr ich fort. „Tatsache ist, dass es damals fünf Tote und mehrere Schwerverletzte gab, darunter auch der Anführer einer Drogengang.“
„Sieht ganz nach geschäftlichen Differenzen aus, wenn man das so bezeichnen will“, sagte Herr Nürnberger. „Aber was den Kollegen Rademacher angeht, könnte es da noch eine alte Rechnung geben. Er war schließlich erst seit ein paar Monaten hier bei uns in der Abteilung. Vorher gehörte er zu Drogenfahndung.“
„Bei uns sind die Akten noch nicht angekommen“, gab ich Auskunft. „Ich kenne nur die Kurzfassung, die uns Kriminaldirektor Bock gegeben hat.“
„Die Sache ist ganz einfach: Kommissar Rademacher wurde verdächtigt, kleine Drogendealer und Mitglieder von Gangs erpresst zu haben, indem er ihnen Drogen unterschob und Beweismittel manipulierte. Es lief ein Verfahren gegen ihn. Dieses Verfahren ist inzwischen eingestellt worden, aber man hielt es für besser, Rademacher trotzdem zu versetzen.“
„Mich wundert, dass man ihn nicht bis zur Klärung der Sache suspendiert hat!“, ergänzte ich.
„Nein, das sehen Sie jetzt falsch. Die Sache konnte sehr schnell geklärt werden und Rademacher galt als unbescholten.“ Herr Nürnberger zögerte einen Moment, ehe er weitersprach. Ihm schien selbst aufzufallen, dass sich da allein schon angesichts der nüchternen Aufzählung der Fakten ein widersprüchliches Bild ergab. Aber Herr Nürnberger hatte offenkundig keinerlei Interesse daran, diesen sachlichen Widerspruch auch noch sprachlich hervorzuheben. Er wirkte etwas verunsichert. Schließlich fuhr er schließlich fort: „Nun, er sollte jedenfalls nichts mehr mit Drogen zu tun haben.“
„Dann war seine Weste vielleicht doch nicht so rein, wie das eingestellte Verfahren vermuten lässt?“, fragte ich.
Ein messerscharfer Schluss.
Aber einer, der Herr Nürnberger nicht gefiel.
Und einer, den er so auch nicht stehen lassen wollte.
Er brauchte allerdings einen Moment, um seine Gedanken zu ordnen und darauf zu reagieren.
Nürnberger atmete zuerst tief durch und setzte zweimal an, ohne dass dann tatsächlich auch irgendein Satz über seine Lippen gekommen wäre. Dann zuckte er die Schultern, ehe er schließlich doch seine Sprache wiederfand. „Jemand, der in der Drogenfahndung arbeitet, vollführt täglich einen Tanz auf der Rasierklinge. Man sieht wie die Dealer mit Millionen jonglieren und der Ermittler denkt an die Hypotheken für sein Haus und daran, dass sein Wagen noch nicht abgezahlt ist und sich seine Kinder beklagen, dass schon im zweiten Jahr nacheinander keine Urlaubsreise drinsitzt, während der Drogenboss mit dem Privatjet mal kurz nach Monaco hinüberfliegen kann.“
„Da will ich nicht widersprechen“, sagte ich.
Herr Nürnberger fuhr fort: „Da braucht man schon einen stabilen Charakter, um auf der richtigen Seite zu bleiben.“
Ich hob die Augenbrauen. „Wem sagen Sie das!“
„Glauben Sie, Rademacher besaß nicht den nötigen Charakter?“, mischte sich Rudi ein.
„Wie gesagt – die Untersuchung konnte den Verdacht gegen ihn nicht erhärten“, erklärte Nürnberger nochmals. „Sie werden es ja in den Akten nachlesen können.“
„Sobald die uns erreicht haben“, sagte Rudi. Und er gab sich wirklich große Mühe, dabei nicht sarkastisch zu klingen.
Unser Gegenüber nickte.
„Ja“, sagte Herr Nürnberger.
„Aber das ist keine Antwort auf die Frage.“
„Welche Frage meinen Sie nochmal?“, fragte Herr Nürnberger.
„Die mit dem Charakter“, stellte ich klar.
Nürnberger lächelte dünn. „Ja, Sie haben Recht. Aber die lässt sich vielleicht auch gar nicht so leicht beantworten. Wer von uns kann schon in den Schädel eines Kollegen hineinschauen?“ Herr Nürnberger machte eine kurze Pause, erhob sich aus seinem Schreibtischstuhl und füllte seinen Kaffeebecher wieder auf. Nachdem er einen Schluck genommen hatte, sagte er schließlich: „Ich will ehrlich sein.“
Na endlich!, dachte ich.
Herr Nürnberger fuhr fort: „Am Anfang war ich sehr skeptisch, was Rademacher anging.“
„Warum?“
„Dafür kann ich Ihnen noch nicht einmal einen greifbaren Grund angeben.“
„Aha...“
„Es war einfach mein Bauchgefühl – und in all den Jahren, in denen ich als Ermittler meinen Mann stehe, habe ich gelernt, dass es einem das Leben retten kann, wenn man sich auf dieses Gefühl verlässt.
„Okay...“
„Aber was Rademacher angeht, hat mich mein Instinkt wohl getrogen.“
„Erklären Sie mir das!“
„Jedenfalls gab es keinen Ärger, so lange er hier war und soweit ich das beurteilen kann, hat er gute Arbeit geleistet. Mehr kann ich dazu nicht sagen.“
„Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit“, sagte ich.
Man ist ja höflich.
Selbst hier im sprachlich etwas raueren Berlin.
Aber das ist sowieso nur ein Klischee.
Wirklich.
Nürnberger nickte. „Vielleicht kann Ihnen Herr Delmar etwas mehr dazu sagen, schließlich arbeitete er mit Rademacher direkt zusammen.“