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Am nächsten Tag fanden wir uns im Büro unseres Chefs zur Besprechung ein. Außer Rudi und mir waren auch unsere Kollegen Jürgen Carnavaro und Oliver Medina sowie eine ganze Reihe weiterer Ermittler unserer Abteilung anwesend. Darunter auch Max Herter, ein Innendienstler aus unserer Fahndungsabteilung und Hans-Peter Haselmann, der Chefballistiker.

„Guten Morgen“, begrüßte uns Kriminaldirektor Bock, nachdem alle anwesend waren. Seine Sekretärin Mandy hatte uns Kaffee serviert, und ich nippte an dem heißen, aber unvergleichlich guten Gebräu. „Wer von Ihnen Lokalnachrichten gehört hat oder schon dazu gekommen ist, eine Zeitung zu lesen, wird bemerkt haben, dass der Fall Rademacher hohe Welle geschlagen hat. Einige Medien scheinen die Sache für ihre Zwecke ausnutzen zu wollen. Das Ganze geht etwa in die Richtung, dass man sich in der Stadt wohl nicht mehr sicher fühlen kann, wenn schon Polizisten umgebracht werden. Das ist natürlich Unsinn. Jeder weiß, dass die Verbrechensraten in Berlin seit Jahren konstant rückläufig sind. Ich fürchte nur, dass von dieser Wahrheit in der Öffentlichkeit kaum etwas durchdringen wird!“

„Andererseits hat uns der Gang an die Öffentlichkeit den Hinweis auf Udo’s Imbiss beschert“, hielt Max Herter dem entgegen.

Kriminaldirektor Bock nickte. „Ja, das ist richtig, Max“, räumte er ein. „Aber ich denke, auch Sie sind erschrocken darüber, welche Folgen dieser Gang an die Öffentlichkeit darüber hinaus hatte. Ich bin weit davon entfernt, die Maßnahme für falsch zu halten. Schließlich habe ich sie selbst nach reiflicher Überlegung angeordnet. Ich will nur, dass jedem von Ihnen klar ist, was für ein zweischneidiges Schwert es sein kann, die Öffentlichkeit in die Fahndungsarbeit mit einzubeziehen. Die Sache gleitet einem schneller aus der Hand, als einem lieb ist.“ Kriminaldirektor Bocks Gesichtsausdruck wirkte sehr ernst, während er das sagte. Für einen kurzen Moment herrschte absolute Stille im Büro. Dann wandte er sich an Max. „Es liegen tatsächlich ein paar neue Erkenntnisse vor. Vielleicht fassen Sie den Kollegen kurz die Lage zusammen.“

„Ja, Herr Bock. Auf jeden Fall ist die Westhafenstraße in Moabit tatsächlich der Tatort. Erstens besteht kein Zweifel mehr daran, dass der Fleck auf dem Asphalt eine Blutlache war, zweitens, dass es so gut wie unmöglich wäre, allein diesen Blutverlust zu verkraften und dass drittens der Tote zum Wasser geschleift worden ist.“

„Außerdem konnte ein Projektil in der Uferböschung sichergestellt werden“, ergänzte unser Ballistiker Hans-Peter Haselmann. „Den Untersuchungsergebnissen nach stammt es aus derselben Waffe, mit der Rademacher getötet wurde, sodass wir das Ergebnis der DNA-Analyse wohl nicht abwarten brauchen, um davon ausgehen zu können, dass wir tatsächlich den Tatort gefunden haben.“

„Was ist mit den Zeugenaussagen von Udo Jakobi und seinen Angestellten?“, hakte Kriminaldirektor Bock nach.

„Daraus sind Phantombilder hervorgegangen“, erläuterte Max Herter und präsentierte uns das erste dieser Bilder mit Hilfe eines Beamers in überdimensionaler Größe an der Wand. Es zeigte einen Mann mit gelocktem Haar. „Die haben wir mit Personen abgeglichen, die in irgendeinem Zusammenhang mit Rademacher standen und sind fündig geworden. Wir haben eine mindestens 85-prozentige Übereinstimmung zwischen dem Mann, mit dem sich Rademacher einmal in dem Imbiss getroffen hat, und einem gewissen Ede Gerighauser. Gerighauser war ein kleiner Dealer und Mitglied einer Rocker- und Drogengang mit der Bezeichnung ‚Killer-Bandoleros’. Mit seiner Hilfe wurde Manuel Bentz, der Anführer der Gang zusammen mit dem Großteil seines Führungspersonals verhaftet.“

„Lass mich raten: Thorben Rademacher war maßgeblich an der Verhaftung beteiligt!“, glaubte Jürgen.

Max bestätigte dies. „So ist es. Angeblich versucht Bentz’ Bruder Lionel Bentz – genannt ‚Der King’ – die Gang wieder aufzubauen. Tatsache ist, dass Ede Gerighausers Eltern und seine Schwester kurz nach Manuel Bentz’ Verhaftung ermordet wurden.“

„Der Schluss liegt nahe, dass es sich da um einen Rachefeldzug handelt“, meinte Kriminaldirektor Bock. „Genießt Ede Gerighauser Zeugenschutz? Hat er eine neue Identität?“

„Nein. Jedenfalls nicht, dass wir davon wüssten oder dass er dafür behördliche Hilfe in Anspruch genommen hätte. Es ist zumindest nichts darüber in den Akten verzeichnet. Den Grund dafür müssen wir noch herausfinden.“

„Auf jeden Fall gehörte Gerighauser nicht zu den Fällen, in denen Rademacher wegen des Unterschiebens von Beweismaterial und Erpressung von Spitzeldiensten ins juristische Kreuzfeuer kam“, stellte Kriminaldirektor Bock mit Blick auf seine Unterlagen fest.

„Die Tatsache, dass Gerighauser Rademacher nicht angezeigt hat, heißt nicht, dass es in seinem Fall nicht auch so gewesen sein könnte“, gab Rudi zu bedenken. „Vielleicht hatte Gerighauser einfach nur kein Vertrauen in die Polizei.“

„In dem Fall hätte Gerighauser ein erstklassiges Motiv, um Rademacher umzubringen“, glaubte Olli. „Er könnte Rademacher für den Tod seiner Eltern und Schwester verantwortlich gemacht haben.“

„Allerdings ist ja wohl noch nicht erwiesen, dass Gerighauser tatsächlich die Person war, mit der Rademacher an dem Abend telefonierte“, gab ich zu bedenken. „Sein Handy wurde ja leider nie aufgefunden.“

„Wir gehen der Spur auf jeden Fall weiter nach“, entschied Kriminaldirektor Bock. „Ist Gerighauser Aufenthaltsort bekannt?“

„Leider nicht“, sagte Max. „Er scheint untergetaucht zu sein.“

„Er wird zur Fahndung ausgeschrieben, aber wir gehen nicht an die Öffentlichkeit damit“, bestimmte unser Chef. „Was ist mit der Frau?“

Max Herter projizierte ihr Phantombild an die Wand und überblendete es anschließend mit dem Foto, das anlässlich einer Festnahme gemacht worden war.

„Hier ergibt sich eine hohe Übereinstimmung mit Christine Wistanow, einer mehrfach wegen verschiedenen Delikten vorbestraften Prostituierten.“

„Unter Rademachers Kollegen glaubte man, Christine sei seine Freundin“, ergänzte ich.

Jürgen Carnavaro zuckte mit den Schultern und warf ein: „Wer weiß, vielleicht glaubte Rademacher das sogar selbst.“ In knappen Worten informierte er uns darüber, wie und unter welchen Umständen Christine Wistanow in Rademachers Haus aufgegriffen worden war.

„Unsere Verhörspezialisten Meinert Schneider und Pascal Horster haben sich die halbe Nacht mit ihr befasst und versucht, etwas aus ihr herauszubekommen, das über ihre Standard-Aussage hinausging, mit der sie bereits uns abgespeist hatte. Heute Morgen ist ihr Haftprüfungstermin. Ihr Anwalt ist ein gewisser Karlheinz Bandella, der zuvor häufiger mal für Benny Farkas tätig war.“

„Das ist ein interessantes Detail“, murmelte ich.

„Es kommt noch besser“, mischte sich nun Hans-Peter Haselmann ein. „Die konfiszierte Waffe vom Kaliber .22 wurde bei derselben Schießerei in Benny Farkas’ Club ‚El Abraxas’ benutzt, wie die .45er mit der Rademacher ermordet wurde.“

„Dann wird es Zeit, dass wir Farkas mal näher auf den Zahn fühlen!“, meinte Rudi.

Max zeigte uns ein Foto von ihm. Ein geckenhafter Mann mit dunklem Teint, feinem Oberlippenbart in schneeweißem Anzug. Am Revers trug er eine Rose. „Das ist Farkas! Ein Dutzend Clubs dürfte unter seiner Kontrolle stehen. Außerdem gilt er als einer der Großverteiler von Drogen in Berlin“, erläuterte Max. „Die ‚Killer Bandoleros’ sollen zu seinem Verteilernetz gehört haben, nur konnte man das im Prozess leider nicht nachweisen. Die Kollegen von der Drogenfahndung vermuteten, dass es damals zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Benny Farkas und den ‚Bandoleros’ kam. Vermutlich konnte man sich über Gewinnmargen nicht einig werden, woraufhin einige Mitglieder der ,Killer Bandoleros’ mehrfach in Farkas Club ziemlich rustikal aufgetreten sind und die Gäste verscheucht haben. Es ist zu vermuten, dass dies der Hintergrund der Schießerei ist, die dann stattfand und bei der mindestens ein Mitglied der ‚Killer Bandoleros’ ums Leben kam.“

„Ich schlage vor, Farkas’ Club heute Abend mal einen kleinen Besuch abzustatten“, meinte Jürgen.


Vom Killer gejagt: 7 Strand Krimis

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