Читать книгу Ruhrpott, Venedig, Tanger - tot! 3 Krimis - Alfred Bekker - Страница 50
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Mord – Martens spürte meine Zweifel, für so etwas besaß er einen siebten Sinn – und knurrte gereizt: »Stellen Sie sich nicht an; ich will Ihnen nichts am Zeug flicken.«
»Wenn ich das nur glauben könnte!«, murmelte ich.
Er schnaubte. »Herr Altmann, wir wollen eines gleich klarstellen. Mit Ihren Methoden war und bin ich nicht einverstanden, daran hat sich nichts geändert, ich nehme immer noch jede Wette darauf an, dass Sie und Ihr Partner sich Informationen auf ungesetzlichem Weg beschaffen, dass Sie Telefone anzapfen und Wanzen installieren und ...«
»Na, na«, protestierte ich automatisch, »das können Sie doch nicht so mir nichts, dir nichts behaupten.«
»Behaupten schon, aber leider nicht beweisen«, parierte er kühl. »Aber darum handelt es sich hier nicht. Noch einmal: Ihre Methoden missfallen mir, aber ich habe nie angenommen oder unterstellt, dass Sie Ihre Klienten übers Ohr hauen und ausnehmen.«
»Das freut mich«, bedankte ich mich ironisch, »aber was hat das mit ...«
»Moment!«, fiel er mir ins Wort. »Eins nach dem anderen. Das spielt in diesem Fall schon eine Rolle.«
»Na schön«, brummte ich, »also raus mit der Sprache. Zuhören kann ja nicht schaden.«
Martens holte tief Luft: »Zum Teufel, Sie ... Ach was, lassen wir’s. Ich hatte wieder einmal Besuch von einer Frau Kehlin, Irene Kehlin. Sie hat heute Morgen ihre ältere Schwester begraben.«
»Mord?«
»Nein, Selbstmord. Einwandfrei Selbstmord.«
»Was hat dann die Mordkommission damit zu schaffen?«
Er beherrschte sich mühsam. »Langsam. Die Schwester – sie hieß übrigens Sabine – hat am Sonntagnachmittag einen Abschiedsbrief geschrieben, eingeworfen und dann eine Überdosis Schlaftabletten geschluckt. Irene Kehlin hat den Brief am Montagabend in ihrem Briefkasten gefunden – ach so, das wissen Sie ja nicht: Irene Kehlin lebt in Stuttgart ... Sie hat also den Brief gegen achzehn Uhr gelesen, sofort die Polizei in Stuttgart alarmiert, die Kollegen haben uns benachrichtigt, und wir haben natürlich einen Streifenwagen hingeschickt.«
»Wo wohnte denn die Schwester?«
»Am Bahnhof Stadtwald. Die beiden Streifenpolizisten wollten sich die Wohnungstür aufschließen lassen, mussten sie dann aber aufbrechen. Sie haben die tote Sabine Kehlin gefunden.«
Ich wunderte mich: »Ich verstehe noch immer nicht – war es nun Selbstmord oder Mord?«
»Ohne jeden Zweifel Selbstmord. Die Wohnungstür war von innen verschlossen, der Riegel war innen vorgeschoben, am Wasserglas und am Tablettenröhrchen haben wir nur die Fingerabdrücke der Toten gefunden. Keine Spuren eines Einbruchs. Die Leiche wies ebenfalls keine Spuren von Gewaltanwendung auf, und außer den Schlaftabletten hat die Gerichtsmedizin keine Fremdstoffe im Körper entdeckt. Der Pathologe sagt übrigens das Gleiche: Einwandfrei Selbstmord.«
»Was ist mit dem Abschiedsbrief?«
»Die Schwester und unser Graphologe sagen ohne Vorbehalt, dass Sabine Kehlin ihn geschrieben hat.« Er stockte einen Moment und setzte dann griesgrämig hinzu: »Bevor Sie mich löchern, will ich Ihnen lieber gleich sagen, dass der Pathologe auch nichts anderes gefunden hat: Sie war nicht schwanger, hatte keine lebensbedrohenden Krankheiten und auch keinen Gehirntumor. Eine kerngesunde Tote sozusagen.«
»Was stört Sie dann an dem Fall?«
»Mich stört gar nichts. Für die Kripo ist der Fall abgeschlossen. Wir haben die Leiche schon am Mittwoch freigegeben.«
»Ja, aber warum dann ein Privatdetektiv?«
Er grunzte ärgerlich. »Das Motiv: In dem Abschiedsbrief steht nicht drin, warum sie ... Und wenn man der Schwester glauben will, hatte Sabine überhaupt keinen Grund, sich umzubringen.«
»Kann die Polizei ihr nicht helfen?«
»Nein. Wir haben den Fall abgeschlossen.«
Wir überlegten beide eine Weile, bis er einräumte: »Sehen Sie, Herr Altmann, mir passt es auch nicht, dass sich kein Motiv entdecken lässt. Auf der anderen Seite kann ich nicht bei jedem Selbstmord tage- und wochenlang herumstöbern, bis wir einen einleuchtenden Grund entdeckt haben. Wenn alle Indizien dafür sprechen, dass jemand die Tabletten selbst und freiwillig geschluckt hat, muss ich die Untersuchung abbrechen.«
»Und damit will sich Schwesterchen Irene nicht zufriedengeben«, ergänzte ich.
»Nein, sie will das Motiv wissen. Sie hat mir eben vor einer Stunde zu diesem Punkt sehr gründlich die Meinung gegeigt – Moment, ich hab’ mir Notizen gemacht ...« Ich hörte Papier rascheln. »Ah ja, hier. Also, Sabine war gesund, hübsch, sie hatte eine gute Figur und Erfolg in ihrem Beruf. Sie hatte Freunde und auch Liebhaber, sie war nicht einsam, nicht unglücklich verliebt, interessierte sich für vieles, sie hatte keine Feinde und war reich, sogar sehr reich. Außerdem weiß die Schwester mit absoluter Gewissheit, dass Sabine nicht in eine Straftat verwickelt war und nicht erpresst wurde. Sie hatte keinen Kummer und ist nie in psychiatrischer Behandlung gewesen ... Wollen Sie im Ernst behaupten, solch ein Mensch begeht Selbstmord?! Ausrufezeichen, Fragezeichen ... So Irene Kehlin«, setzte er grimmig hinzu.
»Die Dame scheint resolut und gründlich zu sein.«
»Auf beides können Sie Gift nehmen!«, bestätigte er.
»Was will sie also?«
»Ein Motiv erfahren. Oder mit hundertprozentiger Sicherheit wissen, dass es eine Kurzschlusshandlung war, obwohl sie diese Erklärung im Augenblick noch weit von sich weist. Eines von beiden. Um jeden Preis.«
»Um jeden Preis ...«, wiederholte ich gedehnt.
Wir verstanden uns ohne Worte. »Der Auftrag schmeckt Ihnen nicht?«, fragte er ruhig.
»Nein, im Augenblick überhaupt nicht. Ich habe übrigens noch nicht zugesagt.« Danach warteten wir beide, aber er war zäher als ich, und weil er die letzte Unklarheit nicht freiwillig ausräumte, musste ich sie ansprechen: »Herr Martens, wie kommen Sie überhaupt dazu, einer fremden Frau einen Privatdetektiv zu empfehlen? Schließlich gibt’s im Telefonbuch ein Branchenverzeichnis, in dem wir auch stehen.«
Man musste schon sehr genau hinhören, um das winzige Zögern mitzukriegen. »Ich will sie endlich loswerden, sie rennt mir sonst die Bude ein.«
»So ist das also!«, sagte ich ausdruckslos.
Er räusperte sich nur. Wieder verging fast eine Minute, und diesmal kapitulierte Martens: »Na schön, dann sollen Sie auch den Rest erfahren. Es gibt noch zwei – nein, drei unklare Punkte ... Zuerst der Abschiedsbrief.«
»Ich denke, der ist koscher?!«
»Schon, aber seien Sie doch nicht immer so ungeduldig. Passen Sie auf: Haben Sie schon einmal am Sonntag Post in einen Briefkasten geworfen, die am nächsten Tag pünktlich ausgeliefert wurde?«
»In letzter Zeit selten.«
»Eben. Am Bahnhof Stadtwald, drei Minuten Fußweg von der Kehlinschen Wohnung, steht ein Briefkasten, der sonntags um zwanzig Uhr dreißig geleert wird. Gut, aber was macht unsere Sabine Kehlin? Sie setzt sich in die S-Bahn, fährt zwei Stationen zum Hauptbahnhof und wirft ihren Brief um sechzehn Uhr vierzig in den Kasten an der Hauptpost ein, der ständig geleert wird. Das geht zweifelsfrei aus dem Stempel hervor.«
»Hm ... Woher wissen Sie übrigens, dass sie mit der S-Bahn gefahren ist?«
»Erstens hat sie ihr Auto am Freitag zur großen Inspektion in ihrer Werkstatt abgeliefert, und zweitens haben wir in ihrer Handtasche zwei S-Bahn-Fahrkarten gefunden.«
»Seltsam.«
»Kann man wohl sagen. Und der dickste Hammer: Am Sonntag hat sie in einer Konditorei am Stadtwaldplatz Kuchen gekauft, und zwar so viel, dass sie ihn nie und nimmer allein aufessen konnte. Nun mag sie ihren Appetit überschätzt und den Rest weggeworfen haben, aber die Bedienung in der Konditorei, die Sabine Kehlin ganz gut kannte, schwört Stein und Bein, dass so etwas ausgeschlossen sei.«
»Mit anderen Worten: Die Kriminalpolizei geht davon aus, dass Sabine Kehlin am Sonntagnachmittag Besuch hatte ...«
»... der sich bis jetzt noch nicht gemeldet hat!«, ergänzte er schnell.
»Keinerlei Hinweis darauf, wer es gewesen sein könnte?«
»Nein.«
Das Wort knallte wie ein Pistolenschuss, und ich rieb mir geistesabwesend mein schmerzendes Ohr. Schließlich erkundigte ich mich vorsichtig: »Kennt Irene Kehlin diese Einzelheiten?«
»Ja, das ließ sich nicht vermeiden.«
Im letzten Moment verkniff ich mir ein höhnisches Glucksen. Martens hatte also auf der ganzen Linie vor der resoluten Schwester nachgeben müssen. »Na schön«, murmelte ich endlich; »ich werde die Kehlin anrufen und zwei, drei Tage an den Fall hängen.«
»Viel Spaß«, knurrte er.
»Danke, den werd’ ich schon haben ... Halt! Bevor Sie auflegen, könnten Sie mir noch einen Gefallen tun. Wie lautete denn der Abschiedsbrief?«
»Hm«, brummelte er, »der war verdammt kurz. Wo ist ... Also: Liebe Irene, es tut mir leid. Dir Kummer bereiten zu müssen. Aber wenn Du diesen Brief liest, habe ich mit allem Schluss gemacht. Ich kann es nicht mehr länger ertragen und scheide freiwillig aus dem Leben. Dir wünsche ich alles Gute. Grüße Vater von mir. Deine Sabine.«
»Überströmend gefühlsvoll. Und sehr verzweifelt.«
»Warten Sie nur ab, bis Sie die Schwester kennengelernt haben«, beschied er mich spöttisch. »Die Familie Kehlin hält nicht viel von Gefühlsduseleien, das werden Sie noch merken.«
»Auch das noch ... Aber erklären Sie mir doch bitte: Was konnte sie nicht länger ertragen?«
»Keine Ahnung«, gab er zu. Es klang verstimmt, und ich konnte mir gut vorstellen, dass ihm die energische Schwester dieselbe Frage auch schon unter die Nase gerieben hatte.
»Wenn das stimmt mit dem Reichtum, ich meine, wenn die tote Sabine tatsächlich über viel Geld verfügte, möchte man natürlich erfahren, wer den ganzen Schmutz erbt.«
»Schwester Irene. Die beiden haben gleichlautende Testamente gemacht und jeweils die andere als Alleinerbin eingesetzt.«
»Könnte das ein Motiv sein?«
»Unwahrscheinlich«, urteilte er, »und dann – was heißt hier Motiv? Für einen Mord? Verdammt, Herr Altmann, es war Selbstmord. Sie hat die Tabletten selbst geschluckt und niemand hat sie dazu gezwungen.«
»Na dann, vielen Dank und auf Wiedersehen.«
Er sparte sich eine Antwort.