Читать книгу Ruhrpott, Venedig, Tanger - tot! 3 Krimis - Alfred Bekker - Страница 55

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Natürlich schlief ich schlecht. Wie befürchtet, war die Wohnung heiß und stickig; es roch intensiv ungelüftet, was sich auch in der halben Stunde Durchzug nicht wesentlich änderte, in der ich meinen Schlummerwhisky trank und intensiv, aber ergebnislos grübelte, wer mich wohl warum und seit wann überwachte. Im Schlaf peinigten mich wilde und absurde Schreckensträume. Einmal wurde ich wach, weil ich alles durchgeschwitzt hatte. Nach der Dusche fiel ich in einen unruhigen Halbschlaf.

Irgendwann schoss ich hoch und saß kerzengerade im Bett. »Natürlich«, brüllte ich laut, »das ist es!« Im Traum war mir klargeworden, was mein Unterbewusstsein seit Stunden anmahnte. Kurz vor halb sechs – zum Teufel, einschlafen konnte ich ohnehin nicht mehr.

Irene Kehlin hob nach dem zehnten Läuten ab. Empört erkundigte sie sich: »Wissen Sie eigentlich, wie spät es ist?«

»Ja, ja, Entschuldigung, Frau Kehlin, aber ich habe eine unruhige Nacht verbracht. Ich muss Sie unbedingt etwas fragen.«

»Hat das nicht Zeit?«

»Nein, es drängt wirklich.«

Stöhnend gab sie nach. »Also, schießen Sie los.«

»Erstens: Haben Sie wirklich keine Todesanzeigen verschickt?«

»Nein. Warum fragen Sie?«

»Später. – Zweitens: Wen genau haben Sie vom Tod Ihrer Schwester benachrichtigt?«

Sie brauchte nicht zu überlegen: »Das habe ich doch schon gesagt: Die Firma und die Hausverwaltung. Dann natürlich meinen Vater und unseren Rechtsanwalt. Der hat alles Nötige veranlasst.«

»Bestimmt keine Bekannten oder Verwandten? Oder Sabines Freunde?«

»Nein, wirklich nicht.«

»Also, dann drittens: Wie oft haben Sie seit Mittwoch die Wohnung Ihrer Schwester verlassen?«

»Ach, das weiß ich nicht genau, fünf- oder sechsmal.«

»Aber nie sehr lange?«

»Nein«, bestätigte sie verwundert, »immer höchstens für zwei Stunden.«

»Sehr schön. Dann die letzte Frage: Hat irgendjemand versucht, sich unter einem Vorwand Zutritt in die Wohnung zu verschaffen?«

»Was für ein Amtsdeutsch!«, kicherte sie vergnügt. »Aber nein, das hat ... Halt, doch. Am Donnerstag waren zwei Männer von der Post da, die wollten das Telefon nachsehen.«

»Aha. Und? Haben sie nachgesehen?«

»Nein, ich habe sie nicht reingelassen. Ich hatte keine Lust, und das Telefon war ja in Ordnung ... Aber nun erklären Sie endlich, was diese Fragerei soll!«

»Einen Moment noch. Und sonst ist kein Fremder in der Wohnung gewesen, die ganze Woche über?«

»Nein, sag ich Ihnen doch ... Halt, das stimmt schon wieder nicht. Dieser komische Knabe vom Autoverleih war noch da, zweimal.«

»Was für ein Autoverleih?«

»Ach, Sabine hatte sich am Samstag vor ihrem ... Vor ... Also, am Samstag zuvor ein Auto geliehen. Eigentlich wollte sie es am Montagabend zurückgeben, aber das ging ... Nun ja. Der Mann von der Firma erschien am Donnerstag und wollte sich nach dem Auto erkundigen. Aber ich konnte ihm nichts sagen, und in der Tiefgarage stand der Wagen nicht. Er hat sich ziemlich aufgeregt, und ich brauchte lange, bis ich ihn beruhigt hatte.«

»Ist das Auto inzwischen gefunden?«

»Ja, er rief noch am Donnerstagnachmittag an. Das Auto stand am Stadtwaldplatz vor einer Parkuhr, und weil schon ein Zettel unter dem Scheibenwischer hing, hat es die Polizei schließlich abgeschleppt.«

»Wo sind die Schlüssel und die Papiere geblieben? Und der Mietvertrag?«

»Schlüssel und Papiere hat sich dieser Mann am Freitag abgeholt. Den Durchschlag vom Mietvertrag habe ich noch. Tut mir leid, das habe ich gestern vergessen. Ja, und eine Quittung kann ich Ihnen auch noch zeigen – für das Kilometergeld und die Abschleppkosten.«

»So, ja ... Seltsam.«

Sie fauchte: »Ich will endlich wissen, was diese Fragerei zu bedeuten hat!«

»Jetzt hören Sie mal gut zu: Ich glaube, da will jemand unbedingt in die Wohnung ... Nein, woher soll ich wissen warum? Aber dieser geheimnisvolle Dauer-Anrufer, der seinen Namen nicht nennt und den Sie für einen schüchternen Verehrer Sabines gehalten haben, der will nur kontrollieren, ob die Wohnung leer steht. Und als ich gestern Abend von Ihnen wegfuhr, haben mich zwei ausgebuffte Profis verfolgt. Den einen bin ich nur mit großer Mühe losgeworden.«

Jetzt schnappte sie nach Luft. »Das kann doch nicht wahr sein!«

Bewusst grob fuhr ich sie an: »Sie wollten doch nie an einen Selbstmord glauben. Dann kann Sie doch solch ein Intermezzo nicht überraschen – oder?«

Am anderen Ende blieb es lange still, dann stöhnte sie: »Also, was soll ich jetzt tun?«

»Aufstehen, sich anziehen, Kaffee kochen. In vierzig Minuten bin ich bei Ihnen.«

Mein lieber Partner Walter Müller knurrte gereizt, als ich ihn aus seinem geheiligten Samstagmorgen-Schönheitsschlaf riss, aber er stellte wenigstens keine dummen Zwischenfragen, sondern versprach ergeben, gegen zehn Uhr mit Menschen und Material anzurücken: »Schon wieder ein Wochenende zum Teufel.«

Vorsichtshalber bestellte ich ein Taxi, die Beschatter sollten meinen Wagen nicht wiedererkennen, wenn sie vor dem Haus erneut Position bezogen hatten. Auf der Fahrt überlegte ich mir, dass es die beiden Verfolger gestern Abend nicht sehr klug angefangen hatten, ganz im Gegenteil: Sogar sehr blöd hatten sie sich benommen – wenn sie wirklich die Kehlinsche Wohnung beobachteten. Ich zum Beispiel hätte, um die Besucher zu identifizieren, die Autonummern notiert und den Namen des Halters festgestellt. Wollten die Unbekannten das nicht? Oder konnten sie es nicht? Andererseits – welches Interesse sollte jemand an der Wohnung einer toten Frau haben? Wie auch immer, mit ihrem dummen, auffälligen Verhalten hatten sie meine Neugierde geweckt.

Irene Kehlin hatte sich das Anziehen geschenkt. Sie trug nur einen Morgenmantel und servierte den Kaffee mit einer Miene, als würde ich ihr gleich ein Todesurteil ohne Revisionsmöglichkeit verkünden. Nach zwei ungemütlichen Tassen und einer Zigarette begann ich mit der Suche. Prompt wurde sie blass, was ich sogar verstand, denn »Filzen«, heißt: eine Wohnung auseinanderzunehmen, sie in ihre Einzelteile zu zerlegen, sozusagen den Staub aus der Sesselritze aufzulesen. Ihr hatte ich die schöne Aufgabe zugedacht, alle in der Wohnung vorhandenen Tonbänder abzuhören und mich bei dem geringsten Verdacht, der Inhalt könne der säuberlich-ausführlichen Beschriftung der Cassette nicht entsprechen, unverzüglich zu alarmieren. Ergeben schickte sie sich in ihr Los.

Punkt zehn Uhr erschienen, schwer beladen, Walter, Nina und unsere beiden »festen freien Mitarbeiter«, Klein-Kollau, winzig, pfiffig und wie üblich, trotz der frühen Stunde, nach Bier duftend, und der schöne Felix, elegant, verlegen und als sentimentaler Schürzenjäger sofort mit heißen Augen auf die Gastgeberin starrend. Die Begrüßung verlief etwas frostig, und Irenes Stimmung kühlte bis zum Gefrierpunkt ab, als wir nun die Schränke zerlegten und Walter jedes Schriftstück mehrfach fotografierte. Gegen Mittag war ein Taifun durch die Wohnung gerast, um zwei Uhr holte Nina für uns alle Hamburger und Bier, gegen drei Uhr rief der Unbekannte wieder an, gegen vier Uhr lichtete sich der Dschungel, und eine Stunde später befand sich alles wieder ordentlich an seinem Platz. Die Wohnung war sauber im doppelten Sinn des Wortes: staubfrei und frei von irgendwelchen verdächtigen Dingen. Zweifel bestanden nur an dem Inhalt des Ringbuches; Walter meinte zwar auch, es sei ein Entwurf für ein Computerprogramm, aber für alle Fälle packten wir das Buch nebst allen persönlichen Unterlagen ein.


Ruhrpott, Venedig, Tanger - tot! 3 Krimis

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