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Es war ein VW-Transporter mit Leinwandplane. Saarlandstraße Ecke Kreuzstraße war er mir zum ersten Mal aufgefallen, weil er mit Standlicht fuhr. Alle anderen Fahrzeuge hatten das Fahrtlicht eingeschaltet.

Der Regen fiel in dichten Schnüren. Vom Asphalt stieg weißer Dampf auf und mischte sich mit dem Nebel zu einer immer mehr undurchdringlichen grauen Masse. Die Sichtverhältnisse waren auf höchstens hundert Meter begrenzt. Das war gut für mich. Wer mich beschatten wollte, musste notgedrungen dicht an mir kleben, oder er konnte es vergessen.

Der VW-Transporter mit der Segeltuchplane über dem Pritschenaufbau blieb dicht an mir. Zwischen ihm und mir befanden sich zwei andere Fahrzeuge. Hätte ich ihm davonfahren wollen, wäre es leicht gewesen. An der katholischen Kreuzkirche mit dem sich dahinter befindlichen Altersheim hatte sich noch ein nervöser Vectra-Fahrer zwischen den VW und meinen Porsche geschoben. Als der Fahrer des VW einen kurzen Moment lang nicht aufgepasst hatte, war die Lücke entstanden, in die der Vectra geschlüpft war. Ich hätte den Vinckplatz umrunden und etwas mehr Gas geben können. Dann wäre er weg vom Fenster gewesen. Aber das war nicht der Sinn der Übung. Ich fuhr gemütlich bis zur Arneckestraße, ließ zwei Fahrzeuge an mir vorbei, so dass sich zwischen dem VW und meinem grünen Porsche nur noch ein Wagen befand, und fuhr dann in aller Ruhe auf die Wittekindstraße zu. Hier irgendwo erwartete Karaschewski mich. Ich konnte ihn nicht ausmachen, denn ich wusste nicht, was für einen Wagen er fuhr. Auf jeden Fall lag ich in der Zeit, und auf den Polen war Verlass.

Zum ersten Mal sah ich den Fahrer des VW. Es war der Italiener mit dem zerhauenen Gesicht, der in der Mama Luna mit der Walther auf mich geschossen und sich dann wohlweislich verdünnisiert hatte. Als ich ihn erkannte, stiegen die ersten Zweifel in mir auf. Da dachte ich, dass Rossario den Burschen vielleicht zu meinem Schutz abgestellt hatte, weil er mich noch brauchte.

Über Sprechfunk nahm ich Kontakt mit Karaschewski auf. Der Pole fuhr zwei Wagen hinter dem VW-Transporter.

»Nichts Verdächtiges«, sagte Paul. »Ist der Arbeitswagen einer Malerkolonne aus Schwerte, die hier …«

»Da sitzt, verdammt, kein Pinselquäler drin, Paul. Das ist der Pizzabäcker mit der schnellen Walther, der mich im Mama Luna unter Feuer genommen hat.«

»Dann soll er auf dich aufpassen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Rossario seine eigenen Leute mobilisiert, wenn er was gegen dich hat.«

»Ich auch nicht«, sagte ich. »Aber Vorstellungskraft reicht manchmal nicht aus, um die Wirklichkeit zu treffen.«

»Kleiner Philosoph!«

»Ich nehme auf Höhe von Diekmüllerbaum den Weg rechts an den Schienen entlang, Paul. Wenn der VW folgt, ist das der richtige Ort. Okay?«

»Okay!«

Ich fuhr weiter. Gesittet, den Wetterverhältnissen angepasst. Das WDR Funkhaus Kabelfunk blieb links von mir. Rechts erstreckte sich der Südwestfriedhof, dann das Kreuz des Rheinlanddamms, und dann hatte ich den richtigen Kurs. Der VW folgte mir. Der letzte Wagen zwischen uns hatte mich passiert. Wenn ich in den Rückspiegel schaute, konnte ich das verkniffene Gesicht des Fahrers sehen. Jede einzelne Falte, ebenso das Glitzern seiner dunklen Augen. Er saß allein im Wagen. Wenn sie es auf mich abgesehen hatten, ergab das keinen Sinn. Dann hatte er alleine keine Chance.

Ich fuhr weiter. Meine Handflächen wurden feucht. Ich spürte die Gefahr, noch bevor sie mich ansprang. Im Lauf der Jahre hatte ich einen beinahe untrüglichen Instinkt entwickelt. Auf den hörte ich, auch wenn er in manchen Situationen noch so lächerlich erschien.

»Kannst du was auf dem Kasten ausmachen, Paul?«

»Nichts.« Karaschewskis Stimme klang heiser. Er hustete verhalten. »Ich denke, wir sehen Gespenster, Peter.«

Rosemeyerstraße, Tassiloweg. Zwischen den Gebäuden waren die Tennisplätze zu sehen. Verwaist wie der Südfriedhof. Vor mir befand sich der Schienenstrang, der zum Güterbahnhof Dortmunder Feld und hinauf zur Thyssen Maschinenbau führte. Ich fuhr noch langsamer und zog den Wagen dann nach rechts in den schmalen, abknickenden Weg, der an der Bahnlinie entlang führte und der für den normalen Verkehr gesperrt war.

Der VW schlingerte. Ich war so abrupt abgebogen, dass der Fahrer Mühe hatte, die Kurve zu bekommen. Dass er mir folgte, war auf jeden Fall ein Fehler. Wenn er mich beschatten sollte, hatte das möglichst unauffällig zu geschehen. Im Hinblick auf andere, die es auf Rossario abgesehen hatten. Spätestens in dem Moment, als er mir folgte, hatte er sich verraten. Und wenn er in feindlicher Absicht hinter mir war, hätte er erst recht nicht diesen schmalen Weg nehmen dürfen, auf dem er den Wagen nicht mal wenden konnte.

Ich gab Gas, um von der Straße wegzukommen. Wenn es zu einem Zwischenfall kam, sollte niemand darin verwickelt werden. Nach zweihundert Metern trat ich die Bremse. Der Porsche stellte sich quer. Ich brauchte nicht mehr in den Rückspiegel zu schauen. Jetzt hatte ich den Großen hinter mir, jetzt sah ich seine schwarzen Augen wirklich glühen.

Er stieß die Fahrertür auf. Ich warf mich über die Vordersitze, öffnete die Beifahrertür und ließ mich aus dem Porsche heraus in den Matsch gleiten, als es zweimal knallte. Die Kugeln durchschlugen die Windschutzscheibe, sirrten durch den Wagen und verließen ihn durch die Seitenscheibe.

Während ich mich zur Motorhaube rollte, betete ich still darum, dass sie keine Löcher in die Karosserie meines schönen neuen Dienstwagens schossen. Dann stieg ich neben der Kühlerhaube hoch.

Der Fahrer stand vor dem VW. Es war die gleiche Walther von gestern, die er in meine Richtung herumschwingen ließ. Ich hob die Beretta und wollte ihm etwas zuschreien, als die Plane der Ladefläche zur Seite geschlagen wurde. Zwei Männer sprangen von der Ladefläche. Genau in dem Moment, als Karaschewski auf den VW auffuhr und die alte Karre damit so weit nach vorn bewegte, dass der Große beiseite geschleudert wurde, als er gerade den Finger krümmte.

Die Kugel bohrte sich, zum Teufel, in die Kühlerhaube und riss sie auf. Mit einem wütenden Schrei hechtete ich über die Haube hinweg. Jetzt sah ich die beiden Kerle, die von der Ladefläche gesprungen waren. Sie trugen Parkas, Pudelmützen und dünne Lederhandschuhe. Sie mussten dünn sein, damit der Zeigefinger durch den Abzugsbügel der MPs passte, die sie in den Händen hielten. Sie standen Rücken an Rücken. Einer hatte sich zu Karaschewski herumgedreht, der mit Sicherheit seinen Wagen schon verlassen hatte. Der andere visierte mich an.

Ich drehte mich durch den Dreck, als die MP in seiner Hand zu tanzen begann. In unmittelbarer Nachbarschaft klatschten einige Kugeln in den Matsch und spritzten Schlamm in mein Gesicht. Ich drückte ab. Zeit zum Zielen hatte ich nicht. Es war ganz einfach so: Wenn ich ihn nicht erwischte, dann erwischte er mich. Ich feuerte zweimal und veränderte die Position.

Durch das Stakkato der zweiten MP hindurch brüllte der Pole etwas, das ich nicht verstand. Es hörte sich nach Wut an.

Ich richtete mich auf. Der Kerl, der mich aufs Korn genommen hatte, lag zusammengekrümmt in einer Pfütze. Er rührte sich nicht mehr. Der andere, der sich bislang um Karaschewski gekümmert hatte, wirbelte herum. Wahrscheinlich ging von mir die meiste Gefahr aus. Vielleicht bildete er sich das auch deshalb nur ein, weil ich seinen Kollegen ausgeschaltet hatte.

Ich hob die Beretta.

Bevor ich schießen konnte, sprang das Reißverschlussgesicht auf und taumelte, noch etwas benommen vom Stoß des VW-Transporters, nach links. Dass, er damit die Schussbahn des MP-Mannes kreuzte, wurde ihm gar nicht mehr richtig bewusst. Im Gegensatz zu mir – ich feuerte nicht – war der Kerl mit der MP nicht so feinfühlend. Er zog den Abzug durch. Das Reißverschlussgesicht bekam die volle Ladung, die mir zugedacht war. Während der Kerl zu Boden ging, hechtete ich hinter die Motorhaube des arg in Mitleidenschaft gezogenen Porsche. Ich warf einen Blick an der Seite des Porsche entlang und sah Karaschewski. Wie ein Molch kroch der Pole durch den Matsch und befand sich auf der abgewandten Gefahrenseite des VW.

Kugeln klatschten in die Karosserie des Porsche. Ich gab Karaschewski ein Handzeichen. Er sollte seinen Arsch in Deckung halten. Zwei Mann konnten auch nicht mehr ausrichten als einer. Und ganz tief in meinem Hinterkopf gab es den Gedanken, dass wir einen lebend brauchten, um überhaupt einen Fuß zwischen die Tür zu bekommen.

Karaschewski schrie etwas.

Ich rollte hinter der Haube hervor, riss die Beretta hoch und visierte die Schultern des MP-Mannes an. Ich spürte den Rückschlag der Waffe bis ins Schultergelenk hinauf, sah das Regenwasser an den Einschussstellen des Parka aufspritzen und den Kerl zwei Meter zurücktaumeln. Er ging in die Knie. Er schaute in meine Richtung. Seine dunklen Augen waren staunend aufgerissen. Irgendwie drang es nicht zu ihm durch, dass ich ihn erwischt hatte, obgleich alle Chancen gegen mich gewesen waren. Er schrie etwas. Wahrscheinlich Flüche. Dann neigte sein Oberkörper sich nach vorn.

Ich blieb liegen. Ich hatte ihn zwar erwischt, aber er hatte die MP noch immer nicht fallen lassen. Er begrub sie unter sich. Ganz dumpf war das Stakkato einiger Schüsse zu hören, als der Kerl den Finger krümmte. Ob er es tat, um sich selbst zum Schweigen zu bringen, oder ob sein halb umnebelter Geist ihm suggerierte, er könne mich treffen, wusste ich nicht.

Der schwere Körper, der die MP unter sich begrub, zuckte auf und nieder. Noch einmal warf der Kerl den Kopf in den Nacken. Es gelang ihm, den Blick auf mich auszurichten. Das Erstaunen in seinen dunklen Augen blieb, bis sie brachen.

Ich blieb einige Sekunden lang liegen. Ich dachte, dass es das gar nicht geben durfte. Nicht hier in einem Außenbezirk von Dortmund, wo die Welt eigentlich noch heil war.

»Borgmann!«

Wenn er aufgeregt oder wütend oder besonders gut aufgelegt war, nannte der Pole mich nur beim Nachnamen.

»Borgmann!«

»Okay«, sagte ich, kam in die Knie hoch und schaute mich um. Drei Tote. Die verdammten Löcher in meinem Porsche, um die ich eben noch getrauert hatte, hatten jegliche Bedeutung verloren. Ich wusste plötzlich, dass ich mich in den Bereich der Fangarme eines Riesenkraken begeben hatte, und dass ich irgendwann nicht mehr schnell genug sein würde, diesen Armen ausweichen zu können. »Okay, Paul. Ruf die Kollegen!«

Karaschewski stöhnte. Er stand neben mir, streckte mir seine Hand entgegen und zog mich auf die Füße. »Was hat das zu bedeuten?«

Ich zuckte mit den Schultern. Mir war kalt. Der Regen war wie eine Eisdusche. »Ich weiß nicht«, sagte ich leise. »Auf jeden Fall wollten sie mich.«

Krimi Doppelband 2211

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