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»Kannsse nich rein!«

Zuerst hörte ich die Stimme aus der Dunkelheit des Eingangsschlauches, dann sah ich seinen Schatten und dann ihn selbst. Er war so um die 1,60 herum, hatte ein sanftes Gesicht mit kohlrabenschwarzen Augen und langes, bis in den Nacken hinab gewelltes Haar. Italienischer als er konnte man gar nicht aussehen. Aber seine Sprache war die eines Püttlers, dessen Opa schon »auf Zeche« malocht hatte.

»Kannsse echt nich rein.« Er grinste, maß mich längs und quer mit einem einzigen Blick und kam wohl zu dem Schluss, dass er von mir keine Schwierigkeiten zu erwarten hatte,

Hatte er ja auch nicht, wenn er mir keine Schwierigkeiten machte. »Tonio Rossario kann gar nicht abwarten, mich zu sehen«, sagte ich.

Die Brauen des Kleinen huschten erstaunt in die Höhe. Er wiederholte den Blick, mit dem er mich schon einmal vermessen hatte. Und jetzt erschien ich ihm als zu groß für einen, den man einfach beiseite schieben konnte.

Neben der weiß gestrichenen Eingangstür, über der die italienische Flagge neben der deutschen schlaff an einem Mast hing, befand sich der Kasten mit einem Telefon.

»Ich bekomme nur Trinkgeld«, sagte der Kleine, der Italiener der dritten Generation war und wahrscheinlich schon den Pass mit dem Pleitegeier aufs Auge gedrückt bekommen hatte. »Kann ich anrufen?«

Er konnte. Ich hatte keine Lust auf Ärger jedweder Art. Dazu war zu viel passiert.

»Borgmann«, sagte ich. »Peter Borgmann.«

Der Kleine sprach italienisch, schaute mich unentwegt an und gebrauchte eine Menge Worte, die ich nicht verstand und die in meinen Ohren nicht wie Streicheleinheiten klangen. Dann hängte er wieder ein und schüttelte bedauernd den Kopf

»Wie schon gesagt«, brummte er. »Kannsse nich rein.«

Ich schaute an der Fassade hoch. Im ersten Stock brannte hinter vorgezogenen Gardinen Licht. In mehreren Räumen.

»Da verhebste dich dran«, sagte er. »Würde ich nicht tun.«

»Weißt du, warum die meisten Italiener so klein sind?«

Er schaute mich aus seinen großen, schwarzen Augen verblüfft an. »Nee«, sagte er dann.

»Weil ihre Mama ihnen gesagt hat, das sie arbeiten müssen, wenn sie groß sind.«

Er grinste schief. »Ich bin Deutscher.«

»Tut mir Leid für dich«, sagte ich. »Würde mir noch mehr Leid tun, wenn du auf die Idee kommst, dich zwischen mich und die verdammte Tür zu stellen.«

»Würde ich nicht drauf kommen«, sagte er schnell. »Ich muss ohnehin mal um die Hausecke zum Pinkeln.«

»Es geht nichts über eine gute Blase, die sich im genau richtigen Moment meldet«, sagte ich.

Ich visierte die Tür an. Sie sah stabil aus. Aber beinahe alle Türen, auch die, die auf den ersten Blick stabil aussahen, hatten ihre Achillesferse dicht unter- und oberhalb des Schlosses. Kriminalobermeister Hermann Stahlmann hatte mir das beigebracht. Er war der Spezialist für Türen, Schlösser und Alarmanlagen. Außerdem war er dreimaliger deutscher Polizeimeister im Boxen, Schwergewicht, und berühmt wegen eines Einsatzes unter dem Hermannsdenkmal, wo er mehr als einem Dutzend rechter Extremisten während einer Aufräumaktion dazu verholfen hatte, dass sie sich einige Wochen lang in den umliegenden Krankenhäusern flüssig ernähren lassen durften. Seit diesem Einsatz nannte man Kriminalobermeister Stahlmann »Hermann den Cherusker«.

Ich trat kurz und kräftig genau gegen die Schwachstelle. Der weiße Flügel flog auf. Hinter mir hallten die Schritte des Kleinen, der sich wirklich um die Hausecke verzog.

Der sich anschließende Garderobenraum war dunkel. Genau für die zehn Sekunden, die ich brauchte, um mich nach vorn zu tasten.

Dann knallte es. Eine Feuerzunge fraß sich durch die Dunkelheit, und im Widerschein des Mündungsblitzes war das zerhauene Gesicht eines breitschultrigen Mannes zu sehen.

Sie hatten mich zwar zum Bundesbullen gemacht, aber die Unsterblichkeit hatten sie mir nicht verliehen. Das war ihnen wohl etwas zu weit gegangen. Ich fiel dort um, wo ich gerade noch gestanden hatte, und machte mich platt wie eine Flunder. Nach dem Zwischenfall, der Larissa Steiner das Leben gekostet hatte, war die Situation gespannt, und die Leute reagierten etwas überempfindlich.

»An deiner Stelle würde ich aufstehen«, sagte der Breitschultrige mit dem zerhauenen Gesicht. »Langsam und gesittet!«

Ich hatte keinen Grund, mich zu beschweren. Ich hatte die Tür eingetreten. Der Knabe hatte das Recht, mich für einen Bösewicht zu halten. Auch jetzt noch.

»An deiner Stelle würde ich nicht noch einmal auf einen deutschen Bullen schießen«, sagte ich.

Das Licht flammte an. Zwei Sekunden lang schloss ich geblendet die Augen. Dann sah ich den Kerl, der mit einer alten Walther 08, für die er mit Sicherheit keinen Waffenschein besaß, auf mich geschossen hatte. Und auch den zweiten Mann, der neben dem Garderobentresen stand. Was die Größe anging, hätte er ein Bruder des Kleinen sein können, der sich um die Hausecke zurückgezogen hatte, um sich zu erleichtern.

»Bulle?«, fragte der Breitschultrige. Im Widerschein des Mündungsblitzes hatte sein Gesicht nicht ganz so schlimm ausgesehen wie jetzt. Salopp gesagt hatte er eine Visage, als habe er aus Lustgewinn seinen Kopf mal in einen Mähdrescher gehalten. Mehr Reißverschlüsse, als sein Gesicht verunstalteten, gab es an keiner vernünftigen Jeans. Er sah etwas verzweifelt aus. Wie jemand, der gerade die Dummheit begangen hatte, die er sich absolut nicht mehr leisten konnte.

»Hast du einen Ausweis?«, fragte der Kleine.

»Eine Beretta«, sagte ich.

»Das ist keine Bullenwaffe.«

»Macht aber auch Löcher. Etwas größere.«

Der Kleine zuckte irritiert mit den Augenbrauen. Der andere schob sich die Walther 08 in den Hosenbund und drehte ab. Um zu verschwinden und mir nicht mehr unter die Augen zu kommen. Er fürchtete die Schwierigkeiten, die ich ihm machen konnte, und vielleicht auch die Frage nach seinem Waffenschein. Aber ehrlich gesagt war mir der egal. Es war nichts passiert. Wenn man auf diese Art und Weise in fremde Häuser eindringt, muss man nun mal damit rechnen, dass man nicht immer mit offenen Armen von der Dame des Hauses empfangen wird.

»Machst du die Führung, oder muss ich mich alleine zurechtfinden?«, fragte ich den Kleinen.

»Kommt darauf an, wo du hinwillst.«

»Ich bin ein Fan von Rossario.«

»Der hat keine Zeit. Außerdem sind da schon ein paar Kollegen von dir, die sich gerade mit ihm unterhalten.«

»Die brauchen meinen Rat!«

Er glaubte mir kein Wort, aber er kam nicht mehr dazu, es mir zu sagen.

»Es ist genug!«

Die Stimme erklang schräg hinter mir, wo sich die geschwungene Treppe befand. Ich drehte mich um. Ich hatte Tonio Rossario erwartet und wurde enttäuscht. Der Mann, der oben am Treppenabsatz stand, war groß und hager. Er hatte ein eher krankes als römisch-klassisches Gesicht. Das Jackett seines grauen Straßenanzuges war zerknittert. Die Hose hatte entsetzliche Kniebeulen. Überhaupt saß die ganze Konstruktion nicht richtig. Konnte sie auch nicht, wenn man wie der Kerl ein Schulterholster trug. Was ihn aus der Masse heraushob, waren sein stechender Blick und die viel zu dicht beieinander stehenden Augen.

»Er behauptet, Bulle zu sein«, sagte der kleine Italiener.

»Und wenn schon! Er soll zum Teufel gehen!«

Ich kannte diesen Ton. Jedes Mal, wenn ich diese Überheblichkeit hörte, wurde mir kotzübel davon.

Hinter mir knarrte die aus dem Schloss getretene Tür. Draußen zeterte der Eckenpisser und behauptete allen Ernstes, Mama Luna sei kein Puff, in den man nach Belieben aus und ein gehen könne. Hermann Stahlmanns Stimme klang gereizt, als er dem Pisser sagte, er solle sein Maul halten. Paul Karaschewski hustete wie eine Robbe. Das tat er schon seit Tagen. Die Wintergrippe hatte ihn erwischt. Er blieb nicht zu Hause, weil die Decke ihm wieder mal auf den Kopf fiel.

»Er soll zum Teufel gehen!«, wiederholte der Kerl oben von der Treppe. Er wirkte etwas nervös. »Die anderen beiden auch. Egal, wer sie sind.«

Paul Karaschewski kam heran und baute sich neben mir auf. Den Kleinen aus der Garderobe, der ihm zu dicht auf den Pelz rückte, fächelte Paul mit einer unwirschen Handbewegung beiseite. Der Kleine stürzte und kam fluchend wieder auf die Beine.

»Den kenne ich«, sagte Karaschewski, den man den Polen nannte. Paul Karaschewski war in irgendeinem polnischen Kaff mit unaussprechlichem Namen geboren worden. Manchmal, wenn es ihm in den Kram passte, behauptete er selbst, Pole zu sein. Jetzt deutete Paul mit dem ausgestreckten Zeigefinger zur Treppe hinauf. »Als der Cherusker und ich zum ersten Mal hier waren, hat der Leisetreter einen Oberstaatsanwalt um Amtshilfe angefleht und uns wie Ungeziefer entfernen lassen!«

Karaschewskis Stimme hatte den gefährlichen Unterton angenommen, den nur die kannten, die lange genug mit ihm umgingen.

»Das kann schnell wieder passieren«, sagte der Kerl von der Treppe. »Das hier ist nichts für Plattfüße. Geht weiter Strafzettel schreiben!«

Ich vermutete, dass der auf der Treppe zu unserem eigenen Verein gehörte. Ich hatte, weiß Gott, nichts gegen Kollegen vom BKA Wiesbaden. Aber einige waren darunter – und wo gab es die nicht? –, die waren weitaus lästiger als gemeine Kopfläuse.

Ich flog die Treppenstufen hinauf. Stahlmann und der Pole hielten sich noch zurück. Der Hagere blieb stehen. Er hatte den einzigen heroischen Moment in seinem Leben und suchte die Konfrontation. Ich duckte mich unter seiner zupackenden Hand hinweg und rammte ihm die Schulter gegen das Brustbein. Weil er dastand wie ein plattfüßiger, müder Schwergewichtler, der den Schlussgong herbeisehnte, konnte er weder ausweichen noch auspendeln. Er knallte mit dem Rücken gegen das Treppengeländer. Das ächzte und knarrte verdächtig. Ich befürchtete das Schlimmste, aber das Geländer hielt.

»Du musst dich nicht aufspielen, Sportsfreund«, sagte ich, als er sich in die Hocke aufrichtete und mich aus glasigen »Jack-The-Ripper-Augen« ansah. »Wir sind doch alle nur armselige, kleine Geschöpfe des gleichen Vaters.«

»Borgmann weiß, wovon er redet«, sagte Karaschewski, der mir nachgestiefelt war. »Er stand mal als Ruhrbischof zur Debatte.«

Der Hagere stöhnte. Aber er erkannte die Zeichen der Zeit und verkniff sich die Unflätigkeiten, die ihm auf der Zunge brannten. Wahrscheinlich wegen dem Cherusker. Hermann starrte ihn an, als wolle er ihn fressen.

Ich ging voran. Immer den schmalen Gang entlang, der mit einem dicken, hochflorigen Teppich ausgelegt war. Rossarios Büro war nicht zu verfehlen. Man brauchte nur den italienischen Flüchen nachzugehen. Das Heiligtum des »Ruhrgebiets-Paten« war normalerweise durch eine ledergepolsterte Doppeltür akustisch abgeschirmt. Aber jetzt waren die Flügel nicht geschlossen, sodass ich geradewegs in den protzig möblierten Raum marschieren konnte. Obgleich mir jemand zurief, ich solle stehen bleiben, bremste ich erst vor dem wuchtigen, überdimensionalen Mahagonischreibtisch.

Rossario saß dahinter. Auf einem gemütlichen Ledersessel, mit dem man sich bei Bedarf auch in den Schlaf wippen konnte. Jetzt jedoch war er hellwach. Er war auch im Sitzen imposant. Er war an

die drei Zentner schwer, ausgestattet mit dem Nacken eines spanischen Kampfstiers und einem wuchtigen, runden Schädel, der trotz seiner Masse ein konturvolles, herbes Gesicht hatte. Die langen, bis in den Nacken reichenden Haare standen ihm ganz und gar nicht. Er hob die Rechte und zielte damit auf mich. Im Licht der Neonbeleuchtung glitzerten fünfzehn Karat, die er an drei Fingern verteilt trug.

»Raus!«

Es klang bestimmt. Jemand anderer als Stahlmann, Karaschewski und ich hätte sich durch diese Stimme vielleicht einschüchtern lassen.

Ich grinste ihn unfreundlich an. »Du redest, wenn du dazu aufgefordert wirst«, sagte ich. »Und alles, was vom BKA oder einem anderen exotischen Verein hier ist, verschwindet. Ihr könnt den Oberstaatsanwalt noch mal um Amtshilfe ersuchen. Aber von unten!«

Es waren noch drei Mann. Sie sahen ungefähr so aus wie der Hagere, der das Treppengeländer geküsst hatte. Die gleichen überheblichen Gesichter, die gleichen schlecht sitzenden Anzüge, die sich über Schulterholstern beulten. Mir war durchaus klar, dass ich mir unter Umständen einen Sack voll Schwierigkeiten einhandelte. Aber in diesem Moment waren das meine geringsten Sorgen. Ich dachte an Larissa Steiner, an ihr Ende, und daran, dass niemand das Recht hatte, mich davon abzuhalten, der Sache auf den Grund zu gehen. Das BKA nicht und Rossario, der wie eine Qualle hinter dem Schreibtisch saß, noch lange nicht.

»Sie überschätzen sich, Mann!«, sagte einer.

Rossario nickte zustimmend, aber sichtlich halbherzig. Wahrscheinlich verfluchte er es, seine eigenen Männer nicht hier zu haben, die anders gegen Stahlmann, Karaschewski und mich aufgetreten wären.

»Sie überschätzen sich, Borgmann! Und Sie sind auf der falschen Hochzeit!«

Erneut nickte Rossario.

»Sorg dafür, dass er stumm ist, und verschwindet wie die anderen, Hermann«, sagte ich zudem Cherusker, ohne den Blick auch nur für einen Sekundenbruchteil von Rossario zu nehmen.

»Ich bin absolut gegen Gewalt«, hörte ich Stahlmann hinter mir sagen. »Aber Borgmann ist der Boss, und ich hänge nun mal an meinem Job.«

»Ich könnte es dir zeigen, Plattfuß«, sagte der Mann, der das Wort führte. »Ich könnte es dir wirklich zeigen!«

Hermann lachte grollend. »Nur zu, wenn du ein Ersatzgesicht zu Hause hast, Mann!«

Rossario atmete schwer und gleichmäßig. Die dunklen, tiefliegenden Augen glitzerten. Leute wie er hatten Macht, aber gefährlich waren sie eigentlich nur, wenn andere da waren, denen sie Befehle erteilen konnten. Ich glaube nicht, dass Rossario in den letzten Jahren auch nur einen Finger gerührt hatte.

»Das wird ein verdammtes Nachspiel haben!«, versprach der Sprecher. Dann klatschte die Doppeltür ins Schloss.

»Und was soll das werden, wenn es fertig ist?«, fragte Rossario etwas spöttisch. Natürlich hatte er keine Angst. Aber irgendwie unbehaglich fühlte er sich doch. »Mit einem Zwergenaufstand kann man in dieser Welt nichts mehr bewegen, Borgmann. Das war doch dein Name, oder?«

»Peter Borgmann«, sagte ich und setzte mich mit der halben Backe auf den Schreibtisch. »Kommen wir gleich zur Sache, Rossario. Da unten auf der Straße ist ein Mädchen überrollt worden. Von Leuten, die dir zuvor einen Besuch abgestattet haben. Keinen Freundschaftsbesuch, aber immerhin kannten sie dich …«

»… und jetzt soll ich sie auch kennen?«

»Ich sehe, wir verstehen uns, Rossario.«

Er wollte aufstehen. Stahlmann stand hinter ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Sitzend machst du eine bessere Figur, Mann!«

»Tut mir Leid wegen des Mädchens«, sagte Rossario. Vielleicht meinte er es wirklich so. Es war ihm nicht anzusehen, aber ich war geneigt, davon auszugehen. Immerhin war er Italiener und als solcher ausgestattet mit einer besonders engen Familienbeziehung, einem weichen Herz für Mutter, Tochter und Sohn. »Wenn ich etwas tun kann, werde ich es für die Kleine tun.«

»Bisschen spät«, presste ich durch die Zähne. »Sie ist tot.«

Rossario zuckte zusammen, und ich verfluchte die Bullen vom BKA, die es ihm nicht mal berichtet hatten. Aber vielleicht hatte es sich so weit noch nicht herumgesprochen oder es interessierte sie einen Dreck. Meine Gemütsverfassung wurde durch solche Gedanken auch nicht besser.

»Wer waren die Freunde, die an deinem Thron sägen, Rossario?«, fragte ich.

Er lachte schief, und dabei verzog sich sein Gesicht wie Teig, in das man die Faust bohrt.

»Das heute waren nicht die ersten Schwierigkeiten, Rossario.« Ich wusste es nicht, weil ich mich mit ihm und seiner Organisation niemals befasst hatte, aber es erschien mir logisch. »Die Freunde haben begriffen, dass dein Imperium zu groß ist, als dass du es lückenlos abschirmen kannst. Nun suchen sie die Stelle, an der sie das Brecheisen ansetzen können, um dich aus dem Sattel zu heben. Komm, Rossario!«

»Du verstehst nichts!«, sagte er. »Absolut nichts!«

»Will ich auch nicht, Mann. Ich will die Kerle, die das Mädchen überfahren haben. Das ist alles.«

»Die wollte ich auch, Borgmann!«

Ich schwang die Beine quer über seinen Schreibtisch. Mit den Füßen rasierte ich die kostbare Lampe herunter. Dazu eine Uhr und die üblichen Schreibtischutensilien. Hermann Stahlmann, der hinter Rossario stand, zuckte nervös mit den Lidern. Im Gegensatz zu Rossario. Kein Muskel regte sich in dessen Gesicht. Darauf hatte sich ein statisches Grinsen eingenistet und das blieb.

»Die Kleine ist die Schwägerin eines Polizisten, Rossario.« Ich deutete auf Stahlmann und Karaschewski. »Wir waren alle mit ihr befreundet. Wir, und noch einige andere Polizisten aus dem Ruhrrevier.«

»Was willst du damit sagen, Borgmann?«

»Ich will damit sagen, dass wir dir von nun an das Leben schwer machen, Rossario. So schwer, dass du daran verzweifelst. Du kannst es auch einfacher haben. Ich will die Kerle …«

Er sprang auf. Viel zu schnell und plötzlich, als dass Hermann Stahlmann ihn zurückhalten konnte. Mit seinem dicken Hintern versetzte er dem gemütlichen Sessel einen Stoß. Hermann Stahlmann konnte nicht ausweichen. Er bekam die hohe Lehne in den Bauch und gegen die Brust. Das warf ihn zwei Meter zurück. Gleichzeitig packte Rossario meine Füße, die auf seiner Seite über den Schreibtisch hinausstachen. Er zog daran, brachte mich aus dem Gleichgewicht, und ich fiel auf die Mahagoniplatte. Dann drehte er sich einmal im Kreis, stieß einen italienischen Fluch aus und hielt plötzlich eine 45er Colt Automatic in der fleischigen Pranke. Irgendwo unter seinen weiten Gewändern hatte er die Waffe unauffällig verstecken können.

Karaschewski ging auf Tauchstation, und ich drehte mich auf die Seite. Rossario gehörte nicht zu denen, die drohten. Er feuerte. Zweimal. Neben Karaschewski staubte der Teppich auf, und der Pole vergaß, seine Dienstwaffe zu ziehen.

»Scheiße!«, brüllte der Cherusker.

Rossario wechselte mit einem schnellen Schritt nach rechts den Standort. Jetzt konnte er uns alle sehen. Ich starrte ihn an. Auf seinem Gesicht gab es noch immer das statische Grinsen. Nur seine dunklen Augen waren etwas schmaler geworden. Und es schien, als sei drinnen in seinem Schädel ein Licht angegangen, das durch die Pupillen schimmerte.

»Und jetzt?«, fragte Rossario, der die Waffe auf meinen Bauch richtete. »Künstlicher Magenausgang rechts oder links, Borgmann?«

Schweiß schoss mir auf die Stirn. Ich hatte einen verdammten Fehler begangen, weil ich mich vor diesem Besuch nicht näher mit ihm beschäftigt hatte. Was ich über ihn wusste, kannte ich vom Hörensagen. Keiner hatte mir gesagt, dass er trotz seiner Massen beweglich war wie eine Primaballerina, dass er eine Colt Automatic mit sich herumschleppte und einen sehr nervösen Zeigefinger hatte.

»Was, verdammt, habt ihr geglaubt? Hier reinkommen und einen fetten Italiener aufmischen? Vielleicht mit Gewalt etwas aus ihm herausquetschen? Ich komme aus Palermo, Borgmann. Bevor Wohlstand und Macht mich geküsst haben, habe ich mich aus Mülleimern ernährt, Schuhe geputzt und bescheuerte Touristen ausgeraubt.«

»Und jetzt glaubst du, hier im Pütt Wildwest spielen zu können?«, keuchte ich und beobachtete seinen fetten Zeigefinger, der sich beängstigend um den Abzug der schweren Waffe krümmte.

»Jetzt, Borgmann, bin ich so weit, dass ich mit hohen deutschen Polizeistellen zusammenarbeite und kleine Scheißer mir nicht auf den Schlips treten können. Ein Mädchen ist tot. Ich hasse die Kerle, die es verbrochen haben, mindestens genauso wie du und deine Freunde. Wenn ich wüsste, wer sie sind, Borgmann, würde ich, verdammt, nicht auf dich warten. Dann würde ich einige meiner Jungs schicken und die Sache wäre von einer Minute auf die andere erledigt.« Er hob die Waffe noch einmal an und knallte sie dann mit einer wütenden Bewegung neben mir auf die Schreibtischplatte. Dafür stieß er seinen Zeigefinger in meine Richtung. »Du hältst mich für einen Scheiß-Mafioso, he?«

Das Blut rauschte mir in den Ohren. Mit der gleichen wilden Bewegung, mit der er die 45er Automatic auf die Schreibtischplatte geknallt hatte, fegte ich sie hinunter. Sie klatschte in einen venezianischen Spiegel und ließ das teure Ding in tausend Scherben zerspringen. Dann rutschte ich vom Schreibtisch und stand wieder auf den Füßen. Karaschewski hatte sich ebenfalls erhoben. Sekundenlang hielt er unschlüssig die Dienstwaffe in der Hand. Dann steckte er sie wieder ein. Stahlmann löste sich vom Fenster. Er massierte sich den Bauch und das Brustbein, wo der Stuhl ihn getroffen hatte. Die beiden Freunde schauten mich an. Ich hatte sie nach hier kommen lassen und sie hatten sich meiner Spielart angepasst. Jetzt wollten sie wissen, wie es weiterging.

Ich wusste es, verdammt, selbst nicht. Ich hatte mich verrechnet. Irgendwie traute ich dem Fetten, der behauptete, die Kerle nicht zu kennen, die etwas Unruhe in seinen Laden gebracht und auf dem Rückweg Larissa überfahren hatten.

»Willst du vielleicht behaupten, hinter deinem Ärger stecke die Mafia? Willst du mir weismachen …?«

»Scheiße, Borgmann. Noch gibt es hier nicht genug zu holen, als dass die Mafia im Pütt aktiv wird. Und die Kerle, die hier waren, sind noch schlimmer, auch wenn du dir das nicht vorstellen kannst.«

Als wolle jemand das unterstreichen, klangen von unten dumpfe Explosionen in das Büro herauf. Drei, vielleicht auch vier. Schreie klangen auf. Irgendwo belferte eine Maschinenpistole. Scheiben gingen zu Bruch, und scharfer Brandgeruch waberte durch das Haus. Rossario tauchte nach der 45er, grapschte sie vom Boden und sprang ans Fenster.

»Weg da!«, schrie ich. »Verdammt …«

Das Fensterglas klirrte. Rossario zuckte zusammen, drehte sich einmal um die eigene Achse und sank vor dem Fenster zu Boden, als das zweite Geschoss hereinsirrte.

Stahlmann und Karaschewski hatten sich zu Boden geworfen. Ich tauchte neben das Fenster. Irgendwo dort unten quietschten Reifen, und im nächsten Moment schellte das Telefon.

Rossario richtete sich halb auf und kroch auf allen Vieren zum Schreibtisch. Er zog eine Blutspur hinter sich her. Stöhnend griff er nach dem Apparat und zog ihn neben sich auf den Boden. Er schaltete den gekoppelten Lautsprecher ein, bevor er abnahm und sich meldete.

Ein italienischer Wortschwall klang durch das Büro.

»Sprich Deutsch!«, bellte Rossario. »Kalabrischer Hurensohn, sprich Deutsch mit mir!«

»Wenn du noch lange wartest, hast du nicht mehr genug Geld zum Bezahlen, Sizilianer. Und die deutschen Bullen können dir auch nicht helfen.«

»Noch eine Woche«, krächzte Rossario.

»Ich bin nicht sicher, ob Angela noch so lange überleben wird.«

Rossario heulte wie ein einsamer Wolf. Sein Gesicht hatte sich zu einer Fratze verzerrt. Speichel rann aus seinem Mundwinkel, vermischt mit hellem Blut. »Noch eine Woche. Ich brauche hier Ruhe, sonst kann ich gar nichts unternehmen. Verstehst du kalabrischer Hurensohn das nicht? Zwei Milliarden Lire habe ich nicht herumliegen. Eine Woche …«

Der Anrufer lachte, dann legte er auf.

Von unten stürmten einige Männer herauf. Die mit den grauen Anzügen. Die Italiener waren nicht zu sehen. Der Sprecher blieb schwer atmend stehen. »Handgranaten!«, keuchte er.

»Hast du gedacht, die werfen mit Wattebällchen?«, fragte Rossario, bevor ich mir einige Worte zurechtgelegt hatte.

»Was ist da unten los?«, fragte Karaschewski.

»So weit alles unter Kontrolle«, sagte der, der Bekanntschaft mit dem Treppengeländer geschlossen hatte. »Sieht nur so aus, als müsse der Laden hier von Grund auf renoviert werden. Und das war ja wohl auch der Sinn der Übung, oder?«

Ich ging neben Rossario in die Knie. Die Kugel hatte ihn eine Handbreit unterhalb der rechten Schulter erwischt. Die Wunde blutete heftig. Rossario drückte seine gewaltige Pratze darauf. Er starrte mich an.

»Kalabrische Bluthunde«, keuchte er. »Von der ’Ndrangheta. Begreifst du jetzt, du Superbulle?«

»Nein«, sagte ich dumpf. »Aber das spielt keine Rolle. Ich kriege die auch so!«

Ich wollte ihn nach Angela befragen und wofür zwei Milliarden Lire bezahlt werden sollten. Aber er verlor das Bewusstsein. Karaschewski und Stahlmann hatten sich unterdessen mit den Leuten vom BKA verständigt und alles erledigt, was erledigt werden musste. Notarztwagen und Feuerwehr waren verständigt. Die Polizei kam von selbst.

Das klagende Sirenengeräusch war schon zu hören.

Krimi Doppelband 2211

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