Читать книгу Die große Halloween Horror Sammlung November 2021 - Alfred Bekker - Страница 67
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Der Palast war eine kleine Stadt für sich, abgeschottet durch eine hohe, weiße Sandsteinmauer, die das Sonnenlicht grell reflektierte.
Das Tor war ein prächtiger Rundbogen, über dem der Kopf eines goldenen Löwen prangte und drohend die Zähne fletschte.
Darunter standen Worte in Devanagari-Schrift, die ich nicht lesen konnte.
Ich bezahlte den Fahrer, der mir daraufhin anbot, mir noch weiter zu helfen. "Sie wollen doch zum Raja."
"Ja."
"Aber bevor Sie zu ihm vorgelassen werden, müssen Sie an seinem Sekretär vorbei - ein unangenehmer Bursche, aber ich kenne ihn. Soll ich Ihnen helfen?"
Welche Wahl hatte ich? Er kannte sich aus, ich mich nicht.
Ich nickte also und machte einen Preis mit ihm aus.
"Und was ist mit Ihrem Karma?", fragte ich ihn dann, woraufhin ein verschmitztes Lächeln auf seinem Gesicht erschien.
"Ich diene jetzt Ihnen, Ma'am. Nicht dem Raja oder seinem Priester!"
Ich zuckte die Schultern. Schließlich wusste er es sicher am besten zu beurteilen, ob seine Seele für einige Rupien ein paar Flecken vertragen konnte.
Er stellte den Wagen, einen uralten und so gut wie durchgerosteten Austin, vor dem Palasttor ab, an dem zwei dekorativ gekleidete Wächter patrouillierten. Sie trugen weiße Hemden mit dunkelroten Scherpen. Ihre Hosen hatten einen weiten Schlag. Ich fragte mich, ob sie außer den reich verzierten Krummschwertern, die sie an der Seite trugen, noch modernere Waffen unter ihrer Kleidung verborgen hatten.
Sie sahen aus, als wären sie gerade einem orientalischen Märchen entsprungen. Aber ihre Gesichter waren reglos, wirkten kalt und abweisend.
Der Fahrer sprach mit den beiden, wovon ich nicht ein einziges Wort verstand. Immerhin ließen sie uns durch und das war die Hauptsache.
Ein beklemmendes Gefühl erfasste mich, als wir das Innere des Palastes betraten. Mein Blick glitt über die sanften Kuppeln, die verspielten Verzierungen an den Fenstern und die Springbrunnen, deren Plätschern normalerweise beruhigend gewirkt hätte.
Wie in einem Traum!
Eine seltsame Aura lag über diesem Ort, der wirkte, als wäre er nicht von dieser Welt. Vordergründig lag Ruhe und Frieden über allem. Aber irgendwo in diesen massiven, die Zeiten überdauernden Mauern, lag eine furchtbare Wahrheit verborgen...
Ich dachte an meinen Alptraum.
Es war jener Palast.
Ich erkannte ihn wieder. Es waren Einzelheiten. Die Verzierungen eines Bogens, die Anordnung der Gebäude...
Mir fröstelte und obwohl es sehr heiß war, spürte ich eine tiefe Kälte in mir.
Der Sekretär des Rajas hatte sein Büro in einem der Nebengebäude. Der Fahrer sprach zunächst mit ihm. Doch erfolglos. Das Gesicht des Sekretärs, dessen dunkelbraunes Gesicht von einem schwarzen Bart umrahmt wurde, schien nicht bereit zu sein, mir eine Audienz beim Raja zu verschaffen.
Die beiden hatten Hindi gesprochen, weswegen ich nichts hatte verstehen können. Aber es war eindeutig, wie die Sache lief. Der Sekretär wandte sich schließlich an mich und sagte auf Englisch: "Es tut mir leid, Ma'am, aber der Raja hat keine Zeit für Sie."
"Wollen Sie ihn das nicht besser selbst fragen?", erwiderte ich. "Sehen Sie, ich bin Jessica Dark, Reporterin des New World Observers..."
"Sie sind nicht die erste Zeitung, die sich für den Raja interessiert. Aber er ist nicht daran interessiert, seine Privatgemächer auf den Seiten britischer Illustrierten abgebildet zu sehen! Und da er finanziell nicht notleidend ist, hat er es auch nicht nötig, auf entsprechende Angebote einzugehen, Miss Dark. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis!"
"Sie irren sich", erwiderte ich schnell. "Ich bin aus einem ganz anderen Grund hier... Ein Mann namens Curt F. Gardner ist verschwunden. Bei uns ist er ein bekannter Buchautor und wenn ein Mann wie er plötzlich wie vom Erdboden verschwunden ist, wird das viele interessieren..."
Bei der Nennung von Gardners Namen hatte sich das Gesicht des Sekretärs für einen kurzen Moment ein wenig verändert.
Doch schon in der nächsten Sekunde hatte er sich wieder unter Kontrolle.
"Was hat der Raja mit diesem Mister Gardner zu tun?" Der Sekretär versuchte, betont gelassen und ruhig zu wirken.
"Er war hier", sagte ich. "Dafür habe ich Beweise."
"Hier kennt niemand einen Mister Gardner!"
"Das möchte ich gerne vom Raja persönlich hören", sagte ich dann. "Oder glauben Sie, es wäre ihm recht, wenn demnächst in London Schlagzeilen erscheinen, die besagen, dass Gardners Spur im Palast von Sanpur endet? Ganze Heere von sensationsgierigen Journalisten werden sich aufmachen, um..."
"Also gut", gab der Sekretär schließlich nach. "Ich werde den Raja fragen, ob er mit Ihnen reden will!"
Ich nickte.
"Gut."