Читать книгу Die große Halloween Horror Sammlung November 2021 - Alfred Bekker - Страница 65
Оглавление21
Ich nahm mir eines der vorsintflutlichen Taxis, zeigte dem Fahrer die Adresse, die Gardner sich offenbar in großer Eile notiert hatte und ließ mich dorthin fahren.
Das Taxi brachte mich zu einem großen, ziemlich heruntergekommenen Bau im Kolonialstil am anderen Ende der Stadt. Die Fassade blätterte herunter und sicher war dieses Gebäude seit Jahrzehnten nicht mehr gestrichen worden.
Unverkennbar strahlte dieses Haus eine Aura unaufhaltsamen Verfalls aus.
Früher hatte hier vielleicht einmal ein Beamter der britischen Kolonialverwaltung residiert, heute war hier ein Hotel der schlechteren Kategorie.
Ich betrat die Eingangshalle, in der ein großer Ventilator ziemlich geräuschvoll vor sich hin summte. Ich war unwillkürlich an das bedrohliche Summen eines Wespenschwarms erinnert.
Die Eingangshalle war voller Menschen. Sie diente gleichzeitig als eine Art Teehaus. Zänkisches Stimmengewirr mischte sich mit den Geräuschen des Ventilators. Einige der Männer, die in der Halle herumsaßen, bedachten mich mit abschätzigen Blicken, aber ansonsten achtete niemand auf mich.
Neben der Adresse dieses Hotels hatte Gardner noch eine Nummer notiert. Ich nahm an, dass es die Zimmernummer war und zog es vor, auf eigene Faust nach dem dazu passenden Zimmer zu suchen. Jemanden an der Rezeption zu fragen konnte dafür sorgen, dass Ellings gewarnt wurde.
Vielleicht war er auch gar nicht mehr hier...
Auch mit dieser Möglichkeit musste ich rechnen.
Auf einem der Flure sprach ich eines der Zimmermädchen an.
Es konnte kaum Englisch, verstand aber schließlich doch, was ich wollte und zeigte mir den Weg.
So stand ich schließlich vor einer ziemlich morsch wirkenden Tür mit dunkler, gusseiserner Klinke. Ich strich mir eine verirrte Strähne aus dem Gesicht und biss mir auf die Lippe. Die Hand hatte ich schon gehoben, um anzuklopfen, doch dann hielt ich mitten in der Bewegung inne, als ich eine Art stöhnen hörte...
Ich klopfte.
Keinerlei Antwort.
Ich versuchte es noch einmal und erhielt wieder keinerlei Reaktion. So drückte ich einfach die Klinke herunter. Die Tür öffnete sich knarrend und ich trat ein.
Es dauerte einige Augenblicke, bis ich mich an das hier herrschende Halbdunkel gewöhnt hatte. Die Fenster waren zwar geöffnet, die Vorhänge hingegen zugezogen, so dass kaum Sonnenlicht hereinkam. Der jetzt entstandene Durchzug bewegte die Vorhänge leicht hin und her.
Ich schloß die Tür hinter mir und ließ den Blick umherschweifen. Das Zimmer enthielt kaum Mobiliar. In einer Ecke sah ich einen Koffer.
Und auf dem schmalen Bett lag ausgestreckt und reglos ein Mann. Das Gesicht war weiß wie die Wand und erinnerte mich unwillkürlich an eine Totenmaske. Der Atem schien äußerst flach zu sein. Jedenfalls war er für mich nicht wahrnehmbar.
Sein Brustkorb hob und senkte sich nicht und in seinem Gesicht zuckte nicht ein einziger Muskel.
Es wirkte wie erstarrt.
Kein Zweifel.
Das Gesicht erkannte ich sofort. Dieser Mann war niemand anderes als Peter Ellings. Mir schauderte bei dem Gedanken daran, wen ich vor mir hatte...
Einen teuflischen Mörder...
Das Herz schlug mir bis zum Hals.
Mir war klar, dass ich jemandem gegenüberstand, dessen Kräften ich vermutlich nicht das geringste entgegenzusetzen hatte... Meine Gedanken gingen für einen kurzen Moment zu der Toten aus der MacMillan Street... Und ich fragte mich, ob vielleicht irgendwo in den engen Gassen von Sanpur die mumienhafte Leiche eines alten Greises gefunden worden war, dessen Gesicht entfernt an die Züge eines Bestseller-Autors namens Curt F. Gardner erinnerte...
Ich hatte das Gefühl, als schnürte mir jemand die Kehle zu.
Das verblichene Parkett knarrte unter meinen Füßen und im nächsten Moment öffnete Ellings die Augen.
Ich erstarrte förmlich zu einer Salzsäule und war unfähig, mich zu rühren. Unser beider Blicke begegneten sich. Seine Augen waren dunkel. Dunkel und uralt, so schien es mir.
In der ersten Sekunde, nachdem er die Augen geöffnet hatte, stand so etwas wie Verwunderung in seinem Gesicht. Danach eher Gleichgültigkeit.
"Ich habe wohl vergessen, die Tür richtig abzuschließen", murmelte er.
"Sind Sie Peter Ellings?", fragte ich.
Ein mattes Lächeln umspielte seine dünnen Lippen. Er erhob sich und setzte sich kerzengerade auf. Sein Blick war jetzt prüfend.
"Ich habe viele Namen getragen", sagte er dann. "Wie kommen Sie ausgerechnet auf diesen?"
"Eine seltsame Art, meine Frage zu beantworten."
"Es ist auch seltsam, in ein Hotelzimmer einzudringen, um jemanden auszufragen. Wer sind Sie?" Aber noch ehe ich antworten konnte, machte er eine wegwerfende Handbewegung und fuhr fort: "Ach, behalten Sie es für sich! Es interessiert mich nicht."
"Ich bin auf der Suche nach einem Mann, der hier in Sanpur verschwunden ist!"
"Viele verschwinden in Sanpur. Seit Jahrhunderten..."
"Durch die Kajari, die den Menschen die Lebensenergie aussaugen und leblose, mumienhafte Körper zurücklassen?"
Er blickte auf.
Sein Mund, der wie ein dünner Strich wirkte, verzog sich leicht.
"Hat man Ihnen diese Geschichten, die man an jeder Straßenecke hören kann, also auch erzählt!"
"Ich denke, Sie wissen, dass einiges davon wahr sein könnte!"
"Und ich denke, dass Sie wissen, dass man Ihnen für ein paar Rupien mehr sofort eine ganz andere Geschichte erzählen würde!" Seine Stimme hatte jetzt sogar den Anflug leichten Zorns bekommen. Er atmete tief durch. Schon einen Moment später schien er sich jedoch wieder völlig beruhigt zu haben.
Auf seinem Gesicht erschien wieder eine Maske der Gleichgültigkeit.
"Ich suche nach einem Mann namens Curt F. Gardner", sagte ich. "Und ich weiß, dass er bei Ihnen war und Sie gefunden hat."
Ellings zuckte die Achseln.
"Was sollte ich mit diesem Mister Gardner zu schaffen haben?"
"Er war Ihnen seit langem auf den Fersen..."
"Ach, ja? Weshalb?
"Weil er wusste, dass Sie ein vielfacher Mörder sind, Mister Ellings oder wie immer Sie sich auch in den letzten zweihundert oder mehr Jahren genannt haben. Ein Mörder, dem allerdings wohl nie irgendein Gericht auch nur einen seiner Morde zweifelsfrei wird nachweisen können..."
Ellings' Gesicht wurde zu einem Relief scharfgeschnittener Falten. Sein Blick war eisig.
"Sie haben Mut, hier aufzutauchen."
"Sie meinen, weil Sie mich töten könnten?"
Er gab keine Antwort darauf. Statt dessen stand er vom Bett auf und wankte zum Fenster. Dort hielt er sich am Rahmen fest. Das Gehen schien ihn ziemlich anzustrengen. Ich hatte den Eindruck einen schwerkranken, entkräfteten Mann vor mir zu haben.
"Gardner war bei mir", gab er dann zu. Seine Stimme war brüchig und kaum zu hören.
"Und Sie haben ihn umgebracht. Wie die Tote in der MacMillan Street..."
Ellings schüttelte entschieden den Kopf.
"Nein, Sie irren sich. Ich versuchte, sein Leben zu retten."
Ich sah ihn erstaunt an und fragte: "Das müssen Sie mir erklären!"
"Sie erwähnten vorhin den Stamm der Kajari..."
"Ja."
"Ihr Freund Gardner hatte die absurde Idee, deren Geheimnis zu ergründen und ich habe versucht, ihn davon abzubringen... Leider ohne Erfolg. Ich bin ein Mörder, dass habe ich auch Gardner gegenüber nicht bestritten. Aber wer will mich richten? Ich werde schon sehr bald nicht mehr unter den Lebenden sein..."
"Könnten Sie nicht weitere zweihundert Jahre..."
Er unterbrach mich auf eine Art und Weise, die mir signalisierte, dass er meinen Einwurf gar nicht gehört hatte.
"Mein Lebenswille ist versiegt. Endgültig. Ich bin es leid. Sowohl das Leben als auch das...", er stockte. Seine Stimme war kaum mehr als ein heiseres Krächzen gewesen. Schließlich vollendete er: "...das Töten. Es muss aufhören! Sie sehen, ich bin am Ende meines Weges angelangt. Meine letzten Tage möchte ich hier verbringen. In Sanpur."
"Ihrer Heimat."
"Ja. Wenn es so etwas für einen ruhelosen Wanderer wie mich überhaupt gibt. Bald... Bald ist es vorbei... Alles!"
"Wo ist Gardner jetzt?"
"Gehen Sie, wer immer Sie auch sein mögen!", beschwor er mich plötzlich. "Gehen Sie! Es reicht, dass Ihr Freund sich ins Unglück gestürzt hat. Sie können ihm nicht helfen, aber wenn Sie weiter nach ihm suchen, werden Sie selbst es sein, für die jede Hilfe zu spät kommt!"
"Ist er im Palast des Rajas von Sanpur?", fragte ich dann, meinem inneren Instinkt folgend.
Er blickte mich mit weit aufgerissenen Augen an. Aber er antwortete mir nicht.
"Gehen Sie!", beschwor er mich. "Fliegen Sie um den halben Erdball und vergessen Sie diesen Ort, von dem das Grauen einst seinen Ausgang nahm..."
Ich wusste, dass es so war, wie ich vermutete.
Und ich betete dafür, dass ich mich irrte.
"Auf Wiedersehen", murmelte ich.
"Wir werden uns nicht wiedersehen", erklärte Ellings. "Ich werde kaum noch lange genug dafür leben..."