Читать книгу Die große Halloween Horror Sammlung November 2021 - Alfred Bekker - Страница 46
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"Jessica! Schön, dass Sie kommen konnten!", begrüßte mich Ray Smith ziemlich überschwänglich, während ich in meinem figurbetonten Cocktail-Kleid und einem Sektglas in der Hand dastand und hoffte, dass der kräftige Westwind meine Frisur nicht völlig ruiniert hatte, als ich aus dem Taxi gestiegen war. Smith kam auf mich zu. Er war drahtig und hager. Fast wirkte er ein bisschen ausgezehrt. Stets hatte er dicke Ringe unter den Augen und klagte darüber, was für einen harten Job er hatte. Er war Agent für Schauspieler und vermittelte vor allem Darsteller von Nebenrollen. Sein größter Traum war es wohl, einmal einen richtigen Weltstar unter seinen Schauspielern zu haben, aber das Problem dabei war, dass die meisten seine Agentur verließen, sobald sie den Durchbruch geschafft hatten.
An diesem Abend war Smith der Gastgeber.
"Ich hoffe, Sie amüsieren sich gut, Jessica", meinte er.
"Nun..."
"Es sind ein paar interessante Leute heute Abend hier..."
Es war einer dieser VIP-Parties, auf denen es mehr oder minder darum geht, sich zu zeigen und gesehen zu werden.
Es kommen diejenigen, die wichtig sind und natürlich die, die sich für wichtig halten. Vermutlich liegt das Zahlenverhältnis beider Gruppen bei etwa eins zu zehn zu Ungunsten der wirklich Wichtigen.
Und das ist sicher eine günstige Schätzung.
"Ich möchte Ihnen jemand vorstellen", erklärte Smith. "Kommen Sie!"
Ich folgte ihm und stand ein paar Augenblicke später vor einem hochgewachsenen, gutaussehenden Mann um die fünfunddreißig. Die Augen waren strahlend blau, das Haar aschblond. Um seine Lippen spielte ein Lächeln, das seinem Gesicht ein wenig von seiner markanten Kantigkeit nahm.
Das dunkelblaue Schurwolle Jackett stand ihm gut, aber kombiniert mit einer Jeans, deren Saum bereits ein wenig ausgefranst war, wirkte er für diesen Anlass etwas zu lässig.
"Mister Gardner, dies ist Jessica Dark, Reporterin des New World Observer", stellte Ray mich vor. Der Agent sah mich an. "Darf ich Ihnen Mister Curt F. Gardner vorstellen?"
Gardner ergriff meine Hand.
"Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Miss Dark", erklärte er und dabei trafen sich unsere Blicke. Seine Augen gefielen mir. Sie hatten eine sympathische Ausstrahlung.
"Sind Sie der Gardner?", fragte ich etwas ungläubig. "Der Autor des Buchs UNTER WÖLFEN?"
Gardner nickte. "Ich fürchte, ich muss mich schuldig bekennen", erwiderte er charmant.
"Ich habe Ihr letztes Buch gelesen", sagte ich. "Es hat mich beeindruckt." Ich sagte das nicht nur so dahin, sondern es entsprach meiner ehrlichen Meinung. UNTER WÖLFEN war eine Reportage über den internationalen Waffenhandel. Gardner pflegte unter falschem Namen zu recherchieren und dabei für Monate in eine falsche Identität zu schlüpfen. Auf diese Weise war er bis in die Spitzenzirkel der Waffen-Mafia vorgedrungen. Seine Bücher waren Bestseller. Kein Eisen war ihm zu heiß. Bevor UNTER WÖLFEN endlich herausgekommen war, hatte es Drohungen gegenüber Verlag und Autor gegeben und in einem halben Dutzend Staaten in drei Kontinenten waren auf Grund seiner Enthüllungen Minister zurückgetreten.
"Und Sie? Hat man Sie verdonnert, etwas über diese Party zu schreiben?", fragte Gardner.
Er war selbst lange Zeit Reporter bei verschiedenen amerikanischen Zeitungen gewesen und kannte das Geschäft ganz genau. Ihm etwas vormachen zu wollen war sinnlos. Er wusste, wie der Hase lief.
Ich schenkte ihm ein charmantes Lächeln und sagte: "Oh, zumindest wird man mich für das, was ich schreibe, nicht mit dem Tode bedrohen, Mister Gardner."
"Seien Sie da nicht zu sicher!"
Wir lachten beide. Als ich dann an meinem Sektglas nippte, merkte ich, dass Ray Smith sich aus dem Staub gemacht hatte.
Er war irgendwo im Gedränge verschwunden. Natürlich hatte er mich nicht ohne Grund Gardner vorgestellt. Ray wollte unbedingt, dass ich etwas über seine Party schrieb, damit er im Gespräch blieb. Ich kannte Ray immerhin gut genug, um zu wissen, wie eitel er war.
Und die Wahrscheinlichkeit, dass überhaupt etwas über seine Party ins Blatt kam, stieg natürlich, wenn wirklich prominente Gäste vorhanden waren.
Und Gardner war prominent. Zumindest sein Name. Sein Gesicht hingegen kannte kaum jemand und er hütete sich natürlich auch, es auf die Schutzumschläge seiner Besteller drucken zu lassen.
"Ganz im Ernst, Mister Gardner. Ich bewundere sehr, was Sie tun", erklärte ich. "Schließlich haben Sie für Ihre Reportagen wohl mehr als einmal Ihr Leben riskiert..."
"Nun..."
"Bleiben Sie länger in London?"
In seinen blauen Augen glaubte ich ein kurzes Aufblitzen erkennen zu können.
"Warum so förmlich?", fragte er lächelnd. "Nennen Sie mich Curt."
Ich erwiderte das Lächeln.
"Jessica."
Ich war mir nicht sicher, aber in diesem Moment kam mir der Gedanke, dass er mir vielleicht nur deswegen angeboten hatte, ihn beim Vornamen zu nennen, damit er mir nicht zu antworten brauchte. Immerhin eine äußerst charmante Art und Weise, einer Frage auszuweichen.
"Ich habe übrigens auch bereits einige Artikel von Ihnen gelesen, seit ich hier in London bin, Jessica", sagte er. "Sie scheinen ein Faible für Themen zu haben, die irgendwie mit dem Übernatürlichen zusammenhängen..."
"Das ist richtig."
"Glauben Sie an die Existenz übernatürlicher Phänomene?"
"Als gute Journalistin bleibe ich immer skeptisch", erwiderte ich. "Allerdings denke ich, wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass da Dinge existieren, für die es keine befriedigende Erklärungen gibt.Ich finde allerdings, dass man deshalb nicht einfach die Augen davor verschließen kann..."
Er trat etwas näher an mich heran. Ich konnte sein angenehmes After Shave riechen. Der Blick seiner strahlend blauen Augen musterte mich prüfend. "Haben Sie selbst bereits derartige Erlebnisse gehabt, Jessica?"
Ich musste schlucken.
Was sollte ich ihm sagen?
Ich hatte nicht die Absicht, ihm von meiner leichten hellseherischen Gabe zu erzählen. Bei den Recherchen für meine Reportagen war ich selbst des öfteren Zeuge von Ereignissen geworden, die eigentlich nur einen vernünftigen Schluss zuließen: Dass nämlich das Übersinnliche eine Realität war.
"Es gibt Fälle...", begann ich ausweichend, aber Gardner schüttelte den Kopf und unterbrach mich.
"Ich spreche von Ihnen selbst, Jessica! Von Ihnen und Ihrem Leben!"
Als Jugendliche hatte ich den Brand eines Hauses vorausgesehen - und dieses Erlebnis hatte ich bis heute nicht vergessen können. Ein kalter Schauer überlief mich allein bei dem Gedanken daran.
"Das ist eine sehr persönliche Frage, Curt", erwiderte ich.
"Zu persönlich? Dann entschuldigen Sie."
"Hat diese Frage vielleicht etwas mit dem Buch zu tun, an dem Sie gerade arbeiten?"
Gardner lachte.
"Auch eine sehr persönliche Frage", erwiderte er.
"Zu persönlich?"
"Zu persönlich, als dass ich die Antwort darauf morgen im New World Observer lesen möchte, Jessica!"
"Aber ich entnehme dem, dass Sie an einem neuen Projekt arbeiten", stellte ich fest.
Gardner nahm das mit Humor, ließ sich aber darüber nichts weiter entlocken. Er hob die Augenbrauen und meinte: "Scheint ja richtig gefährlich zu sein, sich mit Ihnen zu unterhalten, Jessica."
Ich zuckte die Achseln. "Sie sind doch ein Mann, dem es nicht viel auszumachen scheint, sich in Gefahr zu begeben!"
Wir lachten. Dann stießen wir die Sektgläser gegeneinander. Das Geräusch, das dadurch entstand, klang in meinen Ohren wie Musik.