Читать книгу Die große Halloween Horror Sammlung November 2021 - Alfred Bekker - Страница 68
Оглавление24
Auf die Antwort des Rajas musste ich fast zwanzig Minuten warten. Der Sekretär kehrte mit steinerner Miene zurück und ich wusste in diesem Moment, dass ich gewonnen hatte.
Ein Diener geleitete mich zum Haupthaus, nachdem ich mich von meinem Fahrer verabschiedet und ihn bezahlt hatte.
An einem der Fenster sah ich das Gesicht einer jungen Frau.
Dunkelhaarig war sie und ihr feingeschnittenes, außerordentlich hübsches Gesicht sah aus dem dritten Geschoss herab.
Einen Moment lang blieb ich stehen und erwiderte den Blick der jungen Frau, dann verschwand sie.
Ich folgte dem Diener, einem breitschultrigen Mann, dessen ausdrucksloses, fast grimmiges Gesicht an englische Butler erinnerte.
Durch eine helle, mit kunstvoll gearbeiteten Wandteppichen behängte Eingangshalle ging es in einen weiträumigen, lichtdurchfluteten Raum, der von zahlreichen reich verzierten Bögen unterbrochen wurde.
An einem der Fenster stand ein hochgewachsener, schlanker Mann mit einem makellos weißen Anzug. Der Schnitt entsprach der hiesigen Mode. Das Revers war bis zum Hals geschlossen.
Er hatte mir zunächst die Seite zugewandt. Jetzt drehte er sich herum und bedachte mich mit einem prüfenden Blick.
Er sah ausgesprochen gut aus. Sein Gesicht hatte Ähnlichkeit mit dem des jungen Omar Sharif. Die starken Augenbrauen machten seinen Blick um so ausdrucksstärker. Das Gesicht war feingeschnitten. Ein dünner Oberlippenbart gab ihm das gewisse Etwas.
Der Raja von Sanpur wirkte sehr jugendlich. Ich schätzte, dass er kaum älter als ich sein konnte. Nur die Augen...
Ich hatte gleich das Gefühl, dass mit diesen Augen etwas nicht stimmte, ohne genau sagen zu können, was es eigentlich war... Sie drückten zu viel Erfahrung aus und schienen zu diesem jungen Mann einfach nicht zu passen, so begriff ich etwas später.
"Guten Tag, Miss Dark", sagte der Raja in bestem Oxford-Englisch. Seine Stimme hatte einen samtenen, angenehmen Klang. Er kam auf mich zu und reichte mir die Hand.
"Guten Tag, Sir", erwiderte ich. "Verzeihen Sie, aber ich hätte Sie sicher anders anreden sollen..."
Er lächelte charmant. "Nein, das ist schon in Ordnung", erwiderte er freundlich. "Vielmehr muss ich um Verzeihung bitten."
"Wofür?"
"Für das rüde Benehmen meines Sekretärs. Er hätte Sie nicht auf diese Weise behandeln dürfen. Sie könnten sonst den Eindruck gewinnen, am Palast von Sanpur weiß man nicht, was Gastfreundschaft ist!"
Wie es schien, hatte ich in diesem Mann einen vollendeten Gentleman mit ausgesucht guten Manieren vor mir.
"Ihr Sekretär wird Ihnen sicher gesagt haben, weshalb ich hier bin..."
"Ja, Sie suchen einen Verschwundenen namens... Wie hieß er doch gleich?"
"Gardner. Curt F. Gardner."
"Und dieser Mann soll hier in den Palast gekommen sein?"
"Ja."
"Ich hätte mich daran erinnert."
"Wirklich?"
Für den Bruchteil einer Sekunde wurde sein Gesicht zu einer harten, eisigen Maske, bevor es seine alte Liebenswürdigkeit wiedergewann. "Sie wollen damit sicher sagen, dass er möglicherweise nur einem meiner Diener oder Sekretäre gesprochen hat... Seien Sie versichert, ich hätte auch dann davon erfahren, Miss Dark. Aber natürlich kann ich sie alle noch einmal befragen, wenn Sie es wünschen."
"Warum nicht? Dann könnten Sie sie auch gleich fragen, weshalb sie Mister Gardners Sachen aus seinem Hotel geholt haben, wenn er Ihnen doch völlig unbekannt ist, Sir!"
Der Raja zuckte die Achseln. "Ach, das hat Sie hier her geführt... Ich muss Sie enttäuschen. Ganz gleich, was man Ihnen erzählt hat, das können nicht meine Männer gewesen sein. Vielleicht waren es Männer, die unter anderem auch bereits für mich gearbeitet haben. Das ist möglich. Tagelöhner, die man für ein paar Rupien anheuert und deren Namen sich weder noch mein Sekretär oder sonst jemand zu merken bereit ist..."
"Sie haben für alles eine Erklärung, scheint mir", erwiderte ich mit leicht ironischem Unterton.
"Und Sie werden vom Misstrauen zerfressen, Miss Dark."
"Vielleicht eine Krankheit, die mein Beruf mit sich bringt!"
Er zuckte die Achseln. "Das muss es wohl sein." Sein Lächeln wirkte jetzt etwas entspannter, fast schon unverschämt überlegen. "Ich muss Sie schon wieder um Verzeihung bitten, so lange habe ich Sie hier stehen lassen. Kommen Sie! Nehmen Sie Platz!"
Er geleitete mich zu einer Sitzgruppe. Ich ließ mich auf einem kostbaren Diwan nieder, der Raja saß mir gegenüber.
"Möchten Sie eine Erfrischung?"
"Warum nicht?"
Er rief einen Diener herbei, der uns wenig später ein Tablett mit Erfrischungsgetränken herbeibrachte.
"Was wollte Mister Gardner denn hier in Sanpur?", fragte der Raja dann.
"Er war einem Geheimnis auf der Spur", erwiderte ich, während ich mein Glas zum Mund führte und ein wenig daran nippte.
"Einem Geheimnis?", echote der Raja.
"Dem Geheimnis der Kajari", flüsterte ich.
Er hob die Augenbrauen. In seinen Augen blitzte es und der Mund verzog sich zu einem amüsierten Lächeln.
"Gibt es hinter den Ammenmärchen, die alte Frauen und Bettler erzählen, denn ein Geheimnis?"
"Ja." Ich sagte das voller Entschlossenheit und ließ dabei eine Kraft spüren, die ihn zurückschrecken ließ. "Ich selbst habe Nachforschungen auf diesem Gebiet angestellt... Es deutet viel darauf hin, als wäre Sanpur das Zentrum der Kajari... Vermutlich gibt es nicht mehr viele von ihnen. Aber sie töten und nehmen die Lebensenergie ihrer Opfer in sich auf, um auf diese Weise über ihre Zeit hinaus am Leben zu bleiben..."
Der Raja unterbrach mich.
"Sagen Sie, sind Sie schon mal auf den Gedanken gekommen, dass dieser Mister Gardner vielleicht von sich aus den Kontakt zu Ihnen abgebrochen hat?"
"Das halte ich für ausgeschlossen."
"Dann nehme ich an, hat Ihre Suche nach ihm vor allem... persönliche Gründe?"
Ein Kloß saß mir im Hals und verschnürte mir förmlich die Kehle. Der Raja schien meinen Ärger zu bemerken. Er lächelte und wich meinem Blick dabei aus. Er wirkte auf eine sonderbare Art zufrieden. Ich hatte keine Ahnung, was in diesem Moment in seinem Kopf vor sich ging. Jedenfalls entschuldigte er sich im nächsten Moment. "Verzeihen Sie, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten."
Ich sah ihn erstaunt an.
Er erwiderte meinen Blick und atmete tief durch. Dann nippte er kurz an seinem Glas und stellte es auf den niedrigen Tisch.
"Sie sind eine faszinierende Frau, Miss Dark. Irgendwie interessieren Sie mich und ich möchte Ihnen gerne bei der Suche nach diesem Mister Gardner - wer immer das nun auch sein mag helfen. Sofern Sie es mir gestatten..."
Ich war überrascht. Seine Stimme klang einschmeichelnd samtig, aber gleichzeitig war mir bewusst, dass ich auf der Hut sein musste. Ich wusste nicht, welches falsche Spiel er möglicherweise trieb und mit Gardner vielleicht schon gespielt hatte.
"Wie wollen Sie mir helfen?", fragte ich.
"Nun, ich kenne viele Leute in Sanpur und viele sind mir mehr als nur einen Gefallen schuldig. Mein Einfluss ist beträchtlich. Für den Anfang schlage ich vor, dass Sie ihr Hotel verlassen und hier im Palast Ihr Quartier nehmen. Ich weiß nicht, wo Sie untergekommen sind, aber eine wirklich gute Unterkunft gibt es in Sanpur nicht - es sei denn im Palast... Und dann werden wir weitersehen."
Ich überlegte einen Moment.
Die Aussicht, in diesem Palast zu wohnen, dem Palast meiner Alpträume, trieb mir kalte Schauder über den Rücken.
Andererseits hatte ich so vielleicht Gelegenheit, mehr über Gardners Schicksal zu erfahren.
Denn ich war überzeugt davon, dass mein Gegenüber in dieser Beziehung gelogen hatte!
"Das ist sehr freundlich", erwiderte ich.
"Sie können dieses Angebot ruhig annehmen. Es verpflichtet Sie zu nichts. Und ich bekäme die Gelegenheit, eine überaus interessante junge Frau etwas näher kennenzulernen..."
Aus dem Blick, mit dem er mich bedachte, sprach ein ganz eigentümliches hungriges Verlangen. Ein Blick, der tief in meine Seele zu dringen schien, so tief, dass mir schauderte.
Mein Puls beschleunigte sich und eine unbestimmte Furcht stieg in mir auf.
Ich war wie gelähmt und hatte auf einmal das Gefühl, als ob plötzlich jegliche Kraft aus meinem Körper geflohen wäre...
Das Geräusch von Schritten ließ uns beide zur Seite blicken.
Eine wunderschöne Frau in einem blauen Sari war eingetreten. Es war die junge Frau, die ich am Fenster gesehen hatte, als ich zum Eingang des Haupthauses gebracht worden war...
An ihrem Blick sah ich, dass sie mich ebenfalls wiedererkannte.
Der Raja erhob sich und lächelte.
"Ich möchte Ihnen Venja vorstellen", erklärte er an mich gewandt. "Meine Mutter."