Читать книгу So viele Killer: Vier Kriminalromane - Alfred Bekker, Frank Rehfeld, Karl Plepelits - Страница 12
III
ОглавлениеAls Taggart gegen halb zehn sein Yard- Büro betrat, saß Sergeant Hulbert bereits am Schreibtisch und schlief laut schnarchend mit in der Ellenbeuge seines rechten Armes vergrabenem Gesicht. Im nächsten Augenblick schon war er wach und ganz „da“ — eine seiner typischen Eigenschaften. Chris Hulbert konnte wie ein Murmeltier schlafen und trotzdem keine Sekunde zu spät erwachen.
„Wünsch' Ihnen einen vergnügten Morgen ohne Sorgen, Sir!“, grinste er den Inspector an. „Gestern hat Sie einer fein angeführt, wie ich hörte ...“
„Allerdings“, gab Taggart knapp zu. „Er hat aber einen verdammt hohen Preis dafür bezahlt; ausgelacht hat er mich ganz sicher nicht. Hören Sie zu ...“ Er erzählte dem Sergeanten die verwunderliche Geschichte von A bis Z — eigentlich mehr, um selbst Abstand und Klarheit zu gewinnen — und am Ende brachte er seine Überlegungen auf den kürzest möglichen Nenner:
„Bei dem Frage- und Antwortspiel durch die Tür gewann Benham unter dem Eindruck seines schlechten Gewissens den Eindruck, ich sei nicht in der gleichen Affäre wie Strush zu ihm gekommen, also nicht wegen Elga Ashburton, und es könne sich logischerweise um sein Rauschgiftgeschäft handeln — worauf er prompt den einzigen Weg einschlug, der Schande zu entgehen. Mit der Verschwundenen hat die Marihuana-Affäre höchstwahrscheinlich nicht das mindeste zu tun. Seine Braut hingegen leugnete die Begegnung mit Elga bei Dunster Castle einzig und allein zu dem Zweck ab, um der dummen, naiven, täppischen Polizei Sand in die Augen zu streuen, alle Fäden zu verwirren und sie schließlich von der Rauschgiftaffäre abzulenken. Ihre Beweggründe?“ Er zuckte die Achseln. „Ich sehe zwei Möglichkeiten: Entweder hat sie Benham wirklich so sehr geliebt, dass sie das Andenken des Mannes, der sich selbst mit dem Tode bestraft hat, unter allen Umständen und wider jede Vernunft rein erhalten sehen möchte — oder sie steckt selbst bis zur Nasenspitze in der unsauberen Affäre, in welchem Falle sie natürlich nichts unversucht lassen wird, ihren Teil der Zeche unbeglichen zu lassen und sich der Strafe zu entziehen. Wie dem auch sei — sie wird damit nicht durchkommen. Dass die beiden — der Captain und seine Braut — tatsächlich am späten Abend des Dreiundzwanzigsten Mrs. Ashburton begegnet sind, ist für mich so sicher wie das Amen in der Kirche.“
Mit dieser Deutung war der Sergeant nicht einverstanden, seine Haltung und Miene drückten es aus. „Ich erlaube mir alleruntertänigst darauf hinzuweisen“, sagte er (und besaß sogar die dreiste Stirn, dabei völlig ernst zu bleiben), „dass zwei von vier möglichen Erklärungen Ihrer geschätzten Aufmerksamkeit entgangen sind, also volle fünfzig Prozent!“ Er zwinkerte seinem Vorgesetzten triumphierend zu.
„Möglichkeit drei: Elga Ashburton, die Anonyma aus dem Lande hinter dem eisernen Vorhang, hat bei Marie-Anne (Marihuana: Fachjargon) selbst kräftig mitgemischt und sich kürzlich aus triftigen Gründen abgesetzt. In diesem Fall wäre Benhams Story — vermutlich! — blooming nonsense, zu einem Zweck in Umlauf gesetzt, den wir noch eruieren müssten. Gegen diese Darstellungen spricht“, schränkte er seine Überlegungen ehrlich selbst sofort ein, „dass Benham postwendend seine Desavouierung durch Miss Peacock befürchten musste ...“
„... oder auch nicht!“, meinte Taggart gedankenvoll. „Dann nämlich nicht, wenn die tüchtige Miss Peacock in alles eingeweiht und von ihrem famosen Verlobten entsprechend präpariert war. Dass sie mir etwas völlig anderes erzählt hat, will gar nichts besagen“, fuhr er geringschätzig fort, „denn die durch Benhams Freitod völlig veränderten Verhältnisse mögen sie geradezu dazu eingeladen haben, um 180 Grad einzudrehen und flugs ihr Mäntelchen nach dem Wind zu hängen. Aber zunächst ist diese Hypothese für meinen Geschmack etwas zu sehr mit Wenn, Aber und Fragezeichen behaftet. Kommen wir lieber zu Möglichkeit vier, Chris.“
„Zu Befehl!“, sagte der Sergeant schmunzelnd. „Möglichkeit vier: Ein aktiver Offizier, der Dienststellung und Kuriertätigkeit schamlos dazu missbraucht, fortgesetzt schwere Verbrechen zu begehen — vielleicht Rauschgiftschmuggel — dürfte eine seltene Ausnahmeerscheinung sein und sich auch vor jedem andern lukrativen Verbrechen nicht scheuen. Captain Benham steckte also vielleicht mit Mrs. Elga unter einer Decke und hat ihr entweder bei ihrer Flucht geholfen oder sie gegen ihren Willen entführt. Zutreffendenfalls wäre seine Story frei erfunden, in der Absicht, eine faustdicke Fehlspur zu legen, die von der eigenen Person wegführte. Er mag den Verdacht nicht völlig grundlos auf den Besitzer von Dunster Castle gelenkt haben. Diese Erkenntnis zwingt uns, Mister Hammond Waynal unter die Lupe zu nehmen, ganz gleich, ob sich Mrs. Ashburton nun de facto am Abend des Dreiundzwanzigsten in der Umgebung von Dunster Castle aufgehalten hat, oder nicht.“
„Waynal nehmen wir uns gemeinsam vor“, versprach Taggart. „Vorher möchte ich allerdings Miss Craigie in Epsom aufsuchen. Wie steht es übrigens mit dem inoffiziellen Ermittlungsauftrag, den ich Ihnen ...?“
„Marschiert, Sir, marschiert!“, unterbrach ihn der Sergeant stolz und streichelte selbstgefällig sein Kinn. „War gestern Abend mit Claire Egham im Kino im 'Palladium'; 'Die Bande kam vom Uranus' haben sie gegeben; hab' jetzt noch Magenkrämpfe davon ...“
„Erstens“, murmelte Taggart verweisend, „nimmt ein Gentleman bei der Beschreibung einer Dame nicht seine Hände zu Hilfe, zweitens: Ausspreche Anerkennung für schnelle Kontaktaufnahme! und drittens: Wer ist Claire Egham?“
„Teils Mrs. Ashburtons dirigierendes Hausmädchen ...“
„Dirigierendes Hausmädchen finde ich köstlich!“
„... teils ihre Zofe. Ergebnis der ersten Runde Hulbert kontra Egham: Elga Ashburton hat nach den ersten drei oder vier Monaten ihrer Ehe damit begonnen, pünktlich an jedem Fünfzehnten einen dicken Brief ohne Absenderangabe nach Worcester zu schicken. An eine Postlageranschrift, die ich auch noch herauszubringen hoffe. Was die Spesen betrifft ...“
„So stehe ich dafür voll und ganz gerade!“, versprach der Inspector lächelnd und griff zum Telefonhörer, weil es geklingelt hatte. Aus seinem Gesprächsbeitrag wurde Hulbert nicht recht schlau. Nachdem Taggart mit den Worten: „All right, Masters, weitermachen!“ das Gespräch beendet und aufgelegt hatte, sagte er verdrossen:
„Wie ich mir's gedacht hatte! Masters berichtet, dass die Peacock bis zur Stunde ihr Zimmer in Ealing nicht verlassen hat. Um vier Uhr dreißig konnte endlich auch die Telefonüberwachung einsetzen; um acht Uhr siebzehn hat sie sich bei ihrer Dienststelle krank gemeldet; um neun Uhr sechsundzwanzig stoppte der Dienstwagen Major Coolgate's vor ihrem Haus und ein Zivilist mittleren Alters — vermutlich der Major höchstpersönlich — begab sich zu ihr.
„... und was meine Wenigkeit betrifft“, fuhr er seufzend fort, „so ist jetzt der Besuch in Epsom fällig. Erfolg gleich null, das kann ich Ihnen jetzt schon sagen, aber die Routinetour muss geritten werden, wenn der Mast auch bricht.“
„Typische Verquickung von Surf- und Segelsport!“, stellte der Sergeant grinsend fest. „Ich werde mir inzwischen ausdenken, was Mrs. Ashburton alles passiert sein kann ...“
„... womit Sie bis zur Erreichung des Pensionsalters zu tun haben werden“, meinte der Inspector, und erhob sich. „Well, ich fahre. Werde gegen sechzehn Uhr zurück sein, schätze ich. Halten Sie solange die Stellung, Chris, und schreiben Sie jede wichtige Meldung auf.“
*
Gegen halb zwölf stoppte der schwarze Cisitalia nach einer Fahrt, während der die Protektoren aller vier Reifen etliche Millimeter Gummi verloren hatten, vor einem grün gestrichenen Gartenzaun, hinter dem eine wild wuchernde Hortensienhecke eine viktorianische Villa, ein wahres Monstrum an Scheußlichkeit, teilweise den profanen Blicken zufälliger Passanten verbarg. Taggart öffnete die Gittertür, schlenderte über einen mit Kies üppig bestreuten Weg zum Haus und nahm die drei Marmorstufen in einem Satz, die zum Eingang führten. Auf sein Klingeln öffnete eine dicke, gemütlich wirkende Frau mittleren Alters und taxierte seine äußere Erscheinung wohlwollend ab. „Guten Tag, Sir, womit kann ich Ihnen dienen?“, sagte sie. Beim Sprechen tanzten die Sommersprossen auf ihrer etwas zu breit geratenen Nase Samba.
Der Inspector nannte Namen und Dienstgrad und fügte hinzu, er wünsche Miss Craigie zu sprechen. Miss Helen Craigie.“
„Sicher“, murmelte das Mädchen, „wir haben ja nur eine! — Wenn Sie bitte eintreten wollten, Sir!“
Taggart wurde in eine mit bizarrem Geschmack eingerichtete Halle geführt und zum Platznehmen aufgefordert. Während das Hausmädchen ihn anmelden ging, besah er sich mit gemischten Gefühlen das Vestibül, dessen Boden von einem geradezu monströsen Teppich von einmalig türkisblauer Farbe bedeckt war. Billige, teilweise beschädigte Schleiflackmöbel passten dazu wie die Faust aufs Auge, aber die Wände waren mit kostbaren Seidentapeten beklebt, und die Bilder, die dort hingen, nötigten dem Inspector einen geistigen Salto mortale ab. Kernstück war ein früher Matisse, den Taggart für echt hielt. Rechts daneben hing die abstrakte Komposition eines unbekannten Meisters des zwanzigsten Jahrhunderts, und zwischen beiden Gemälden eine gute Kopie des Dürer'schen Hasen, dem man freilich bei dieser Umgebung neurotische Angstzustände nicht hätte verargen mögen. Gegenüber hatten drolligerweise ein Manet und ein Monet — beides Kopien — wie Zwillinge nebeneinander Platz gefunden, und die vier weiteren Gemälde, die augenscheinlich alle vom gleichen Pinsel stammten, konnte der kunstverständige Inspector bei bestem Willen nicht klassifizieren, da sie alle so aussahen, als habe sie Gainsborough begonnen, Tizian fortgeführt und Picasso vollendet. Ein dezenter Mensch wie Raymond Taggart konnte da nur gequält die Augen schließen und an etwas Schönes denken —
„Miss Craigie lässt bitten, Sir!“, sagte die Stimme der Sommersprossigen mit mildem Vorwurf.
Taggart fuhr auf und blickte sich verwirrt um. Heavens — der Hase schien ihm zuzublinzeln.
Taggart riss die Augen weit auf und sagte entschuldigend:
„Ich muss rein eingeschlafen sein, die vergangene Nacht war aber auch reichlich lang.“
Das Hausmädchen grinste dünn; Taggart war wieder einmal missverstanden worden.
Er wurde zu einem in der ersten Etage gelegenen, luxuriös eingerichteten Raum geführt, der wahrscheinlich früher einmal als Maleratelier gedient hatte. An der linken Mansardenwand hatte man zwei riesige Drehflügelfenster mit dunklen Jalousien nachträglich eingebaut, an der gegenüberliegenden hingen Aquarelle und Ölgemälde, die die Hand eines begabten Dilettanten verrieten. Den Boden bedeckten echte Teppiche, und vor dem blinden Kamin lag zusätzlich ein braunes Bärenfell. Die Schmalseiten des Raumes bestanden aus Einbauschränken.
Bei Taggarts Eintritt erhob sich eine schwer zu beschreibende Frau in schwarzer Stretchhose und feuerrotem Pullover von ihrem Platz am Kamin. Sie mochte vierzig sein, aber das Alter spielte bei ihr keine Rolle und wurde nur durch weißgraue Strähnen in ihrem glänzend schwarzen Haar diskret betont. Betont wurde auch die schlanke, wundervoll proportionierte Figur durch den Hausdress. Sie kam dem Inspector halb entgegen, reichte ihm unbefangen die Hand und sagte:
„Mr. Taggart — wie? Ich bin Helen Craigie. Nehmen Sie Platz und entschuldigen Sie bitte die Unordnung. Sicher kommen Sie wegen der armen Elga. Aber eigentlich habe ich schon Inspector Strush alles gesagt, was ich sagen konnte. Hat man denn von der Ärmsten immer noch nichts gehört?“
Ihre dunkle Stimme passte gut zu ihrer ganzen Erscheinung. Auf der Bühne hätte sie keine schlechte Figur gemacht.
Sie wirkte wie eine Schauspielerin, aber es war nichts Unnatürliches, Gekünsteltes an ihr.
Jäh änderte sich ihr Gesichtsausdruck; er wurde argwöhnisch — was vermutlich durch die verblüffte Miene, die der Inspector sekundenlang nicht hatte unterdrücken können — ausgelöst worden war.
Taggart setzte sich ihr gegenüber, setzte sein Pokergesicht wieder auf und sagte behutsam:
„Miss Craigie, ich bedaure, dass ich Sie stören und bitten muss, auch mir alles zu erzählen — noch einmal. Inspector Strush wurde inzwischen anderweitig eingesetzt, und ich bin eben dabei, mich in den Fall einzuarbeiten ... Rauchen Sie?“ Er hielt ihr sein Zigarettenetui entgegen, machte eine ungeschickte Bewegung, sodass es ihm aus der Hand glitt und zu Boden gefallen wäre, wenn Miss Craigie nicht schnell zugegriffen und es aufgefangen hätte.
Taggart nahm es mit höflichem Dank zurück. „Wie dumm von mir“, fuhr er fort, „Ihnen das Etui zu präsentieren, wo es doch leer ist.“ Er steckte es seelenruhig wieder ein und brachte dafür eine Packung Pall Mall zum Vorschein, aus der sich sein reizvolles Visavis, ohne sich zu zieren, bediente. Nachdem er Miss Craigie und sich selbst Feuer gegeben hatte, rauchten beide stumm einige Züge. Dann erst nahm Helen Craigie das Wort:
„Strush sieht man den Polizeibeamten auf zehn Meilen gegen den Wind an“, meinte sie lächelnd, „aber Sie, Mr. Taggart, wirken ganz anders! Ich kenne Philip Ashburton eine halbe Ewigkeit, viel länger als seine Frau — aber Sie brauchen deswegen nicht gleich zu denken, dass ich je ein Verhältnis mit ihm hatte!“
Derart respektlose Gedanken seien ihm nie gekommen, warf der Inspector trocken ein.
„Umso besser!“ Blitzschnell glitt ihre Zungenspitze über die vollen Lippen. „Elga ist reizend. Sie wurde ohne Weiteres in unsere Freundschaft mit einbezogen, als Philip sie geheiratet hatte. An dem bewussten 21. August — es war Sonntag — rief mich Elga gegen zehn an und fragte, ob sie den Nachmittag und den Abend bei mir verbringen dürfe. Philip habe dienstlich im Kriegsministerium zu tun und werde vermutlich den ganzen Tag und die halbe Nacht wegbleiben. Ich sagte mit Freuden zu. Wir plauderten noch ein wenig und dann legte Elga auf, nachdem sie noch gesagt hatte, sie werde gegen halb drei bei mir aufkreuzen. Wer nicht kam, war Elga. Offengestanden war ich gleich ein wenig unruhig, denn es war nicht Elgas Art, ihren Besuch anzukündigen und dann nicht zu kommen, ohne wenigstens abzusagen. Ich rief verschiedentlich bei ihr zu Hause an, erhielt aber gar keine Verbindung, weil das Hausmädchen Ausgang hatte, wie sich später herausstellte. Am Abend kamen unangesagt Gäste. Wir blieben bis nach Mitternacht zusammen und dann versuchte ich es noch einmal mit einem Anruf. Philip meldete sich und fragte sofort, ob Elga bei mir sei; sie habe beim Frühstück davon gesprochen, dass sie den Tag bei mir in Epsom verbringen werde. Da hatten wir die Bescherung! — Alles andere wissen Sie. Elga war und blieb unauffindbar — wurde am Abend des 23. August noch einmal in der Nähe von Dunster Castle gesehen ...“
„Ja, natürlich“, fiel ihr Taggart ins Wort. „Das ist der Stand der Dinge — und dabei ist es geblieben. Zu dumm, dass ich jetzt erst mit dem Fall in Berührung komme! Auf diese Weise müssen gewisse Dinge von Neuem aufgerollt werden.“ Er lächelte sein Visavis strahlend an, und dieses Lächeln fand bei Helen Craigie günstige Resonanz. „Eine Gewissensfrage, Miss Chraigie: Welche Theorie haben Sie sich über Elgas Verschwinden gebildet?“
Miss Craigies bezauberndes Gesicht war ernst und finster geworden. Mit einer energischen Bewegung drückte sie ihre Zigarette im Aschenbecher aus und legte die gefalteten Hände in den Schoß. Sekunden Bruchteile lang schloss sie gedankenvoll die Augen, ehe sie den Kopf hob und ernst sagt:
„Wenn auch Captain Benhams Erlebnis eine andere Deutung nahelegt, so möchte ich doch klar und unmissverständlich aussprechen, dass Elga einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist. Dass sie Philip freiwillig verlassen hat, kommt keinesfalls infrage.“
„Meinen Sie?“, wandte der Inspector, scheinbar ungläubig, ein. „Bedenken Sie den Altersunterschied.“
„Pah!“ Sie machte eine wegwerfende Geste mit der rechten Hand. „Wenn der Mann achtzehn Jahre älter ist als die Ehefrau, kann man meiner Meinung nach noch nicht von Altersunterschied sprechen. Philip Ashburton ist gesund und kräftig, ein Kerl wie ein Fisch im Wasser, und man darf sich von seiner Arroganz und seinem Standesdünkel nicht täuschen lassen. Als Mensch ist er ganz reizend. Sowohl seinen wenigen Freunden gegenüber als auch, in weit höherem Maße, zu seiner Frau.“
„Also gut“, gab Taggart seufzend zu und verdrehte drollig die Augen, „bleiben wir bei der Version 'Verbrechen'. Haben Sie Anhaltspunkte für Ihre Meinung?“
Prompt kam die Antwort: „Direkt nicht, Inspector, aber indirekt. Schließlich ist Elga Ungarnflüchtling; sie hat — vom Standpunkt der Machthaber in Ungarn aus gesehen — heimlich und gesetzwidrig ihr Land verlassen. Dann ist sie nach London gegangen und hat einen Offizier geheiratet, der eine Schlüsselstellung im Kriegsministerium einnimmt. Die Schlussfolgerungen liegen auf der Hand: London ist — wie jede andere westliche Hauptstadt — für fremde Geheimdienste aller Couleurs ein wahres Dorado. Zählen wir zwei und zwei zusammen, um zum Ergebnis zu kommen: Gewisse Leute ...“ — durch ihren Tonfall gab sie den beiden Worten Gewicht und Betonung — „... haben Elgas Weg von Budapest nach Wien und von dort nach London verfolgt und wissen über sie genau Bescheid. Sie sehen in Elga eine einmalige Möglichkeit, das Kriegsministerium anzubohren. Elga spielt nicht mit und wird dadurch für die Leute, die sich für sie interessieren, zu einer latenten Gefahr. Wie aber, frage ich Sie, schaltet man eine Person aus, die eine latente Gefahr ist, wenn man sich selbst durch keinerlei Skrupel oder moralische Erwägungen belastet fühlt?“ In ernster Frage ruhte der Blick ihrer Augen auf Taggarts Gesicht.
„Das ist eine schlüssige, hieb- und stichfeste Theorie“, gab der Inspector zu, „und ich nehme fast an, dass sie nicht nur auf gedanklichen Kombinationen basiert?“
„Wenn Sie damit meinen, dass mir Elga eine entsprechende Andeutung gemacht habe, liegen Sie schief“, kam schnell die Antwort. „Solange ich Elga kenne, hat sie sich stets unbeschwert, heiter und selbstsicher gegeben. Das will aber noch gar nicht besagen, dass sie ein sicherer und ungewöhnlich beherrschter Mensch ist. Gewisse Bezirke hat sie weder ihren Freunden noch — wie ich annehme — ihrem Ehemann zur Einsichtnahme freigegeben. Ich fürchte, das ist alles, was ich Ihnen sagen kann.“ Sie erhob sich, ging zum Schrank und entnahm ihm eine Zigarettenpackung. Taggart stand ebenfalls auf und gab ihr Feuer. Er fühlte sich verabschiedet.
„Können Sie mir wirklich nicht mehr mit auf den Weg geben, als Sie eben gesagt haben?“, fragte er eindringlich.
Helen Craigie schüttelte den Kopf. „Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich wusste, und ich habe Ihnen sogar meine Schlussfolgerungen mitgeteilt. Mehr kann ich nicht tun.“
Sie reichte ihm die Hand.
„Falls sich Elga bei Ihnen meldet, darf ich hoffen, dass ich es sofort erfahre?“, bemerkte Taggart.
„Das bedarf doch keiner Erwähnung, Inspector.“
„Ich danke Ihnen, Miss Craigie; Ihre Mitteilungen waren — alles in allem genommen — doch recht aufschlussreich. Sie sind eine gute Beobachterin. Ich darf mich doch gelegentlich wieder bei Ihnen melden?“
„Ich bitte darum, lieber Inspector.“
Sie klingelte. Das ältliche Hausmädchen erschien und begleitete Taggart zur Tür.
*
Das Wetter war erstaunlich mild und wann. Die meisten Männer gingen ohne Hut — was für Südengland fast eine gesellschaftliche Revolution bedeutete — und die Damen trugen dünne Sommerkleider. In dem Cisitalia war es warm wie in einem Treibhaus. Fluchend stieg Taggart wieder aus, riss die Türen auf und kurbelte die Seitenscheiben hinunter, um den Sportwagen etwas durchzulüften. Er hatte das Gefühl, dass weniger das, was ihm Miss Craigie erzählt hatte, wichtig sei als vielmehr ihre Person selbst, aber er kam trotz eifrigen Nachdenkens nicht auf die richtige Lösung. Er hoffte allerdings, sie spätestens bis zum nächsten Morgen gefunden zu haben, denn er hatte entsprechend vorgesorgt ...
In einem ländlichen Inn machte er Station und bestellte sich ein Mittagessen. Die Zwischenzeit überbrückte er durch ein Telefongespräch mit Sergeant Hulbert.
Ob er bei Helen Craigie etwas Neues erfahren habe, wollte der Sergeant wissen.
„Ja und nein“, erwiderte Taggart geheimnisvoll.
„Morgen werden wir mehr wissen. Und wie ist es bei Ihnen?“
„Die Lage ist unverändert, Sir.“
„Von mir aus. Wunder haben wir schließlich nicht zu erwarten. Hören Sie, Chris, Sie müssen in meinem Auftrag etwas zu Super Heytesburys Belustigung tun. Ich brauche ein Flugzeug. Ich möchte Punkt siebzehn Uhr dreißig in Croydon nach Somerset starten. Ich will heute noch mit Waynal sprechen.“
„All right, Sir“, bestätigte Chris Hulbert sauer- süß den erhaltenen Auftrag. „Nehmen Sie bitte an meiner Beerdigung teil, falls der Superintendent explodiert.“
„Das sichere ich Ihnen zu“, erklärte Taggart.
Der Inspector kehrte kurz vor sechzehn Uhr zum Yard zurück und begab sich sofort zum Untersuchungslaboratorium, um dort einen Beamten namens Logan für seine Zwecke einzuspannen.
Unter Anwendung aller Vorsichtsmaßnahmen zog er sein Zigarettenetui aus dem Rock, das er inzwischen in ein sauberes Taschentuch gewickelt hatte, und enthüllte es.
„Printuntersuchung, Sir?“, fragte Logan uninteressiert.
Taggart klopfte ihm auf die Schulter. Er sagte bedeutungsvoll: „Sie sind um Ihre Kombinationsgabe direkt zu beneiden, mein Bester! Das Etui enthält Abdrücke zweier verschiedener Personen. Die eine bin ich. Der anderen bin ich heute begegnet. Ich hatte sofort den Eindruck, ihr Gesicht schon früher einmal gesehen zu haben, aber da hatte sie — die Person, meine ich — einen anderen Namen. Ich kann mich selbstverständlich auch täuschen. Auftrag für Sie: Fixieren Sie die Prints und geben Sie hernach der Kartei unter sehr, sehr dringend den Auftrag, eventuell vorhandene Unterlagen für mich herauszusuchen.''
„Okay“, quittierte Logan. Er hob schnüffelnd die Nase. „Mann oder Frau, Sir?“
„Das möchte ich nicht verraten, um Ihnen Ihre Unbefangenheit zu erhalten.“
„Hm — wie Sie meinen, Sir. Werde mein Möglichstes tun.“
Taggart hörte schon nicht mehr hin, sondern verließ den Raum und eilte über Gänge und Korridore zur Treppe, um zu seinem eigenen Büro hinaufzugehen, wo er Sergeant Hulbert antraf.
„Was meinte Super Heytesbury zu meinem Flugzeugwunsch?“, fragte der Inspector feixend.
„Er spuckt Gift und Galle“, wurde Taggart bedeutet. „Er hat wörtlich erklärt, Sie würden das Geld des Steuerzahlers in leichtfertiger Weise vergeuden.“
„Ja, ja, ich hatte eben schon immer eine leichtfertige Ader! Und wie steht es mit der Maschine?“
„Eine De Havilland, Sir. Der Pilot heißt Porter ...“
„Ah — ein zuverlässiger Mann. Ihm vertraue ich mich gerne an.“
„Die Maschine steht Punkt siebzehn Uhr in Croydon bereit.“