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Auf ein Neues

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Der Tag neigte sich langsam seinem Ende zu. Das Licht der untergehenden Herbstsonne fiel durch das Fenster meiner kleinen Wohnung und ich blinzelte ihr müde entgegen. Mein Genick knackte beunruhigend laut als ich mich genüsslich streckte. Seit gut einer Stunde versuchte ich mir den Lebenslauf von Rahul Advani einzuprägen. 1978 in New Delhi geboren, in England zur Schule gegangen (was sein fast akzentfreies Englisch erklärte), danach war er nach Mumbai gegangen und hatte dort seine Schauspielkarriere gestartet. Es klang wie aus einem Film. Viel zu perfekt. Viel zu reibungslos. Da steckte bestimmt mehr dahinter. Ich würde die interessanten Fakten aus ihm herauskitzeln müssen. Offensichtlich gab er sie nicht freiwillig Preis. Doch wer tat das schon? In der Mappe, die mir Charles gegeben hatte, lag auch noch ein Foto von Rahul. Ich betrachtete es eingehend. Er war nicht unattraktiv wenn man ihn so betrachtete. Das tiefschwarze Haar, die leicht gebräunte Haut und die schön geschwungenen Lippen. Professionell lächelte er in die Kamera. Seine honigfarbenen Augen schienen vor Charme nur so zu sprühen. Doch der Rahul Advani, den ich kennen gelernt hatte, hatte nichts mit diesem fröhlichen und sympathischen Mann auf dem Bild gemeinsam. Er war kühl und distanziert gewesen. Doch ich durfte mich nicht wundern. Ich hatte es nicht besser verdient. Aber für einen Schauspieler, der mit der Eroberung der weiblichen Fanherzen sein Geld verdiente, war er mir gegenüber überraschend uncharmant gewesen. Wenn man es genau betrachtete, war er kein Brad Pit oder Johnny Depp. Interessant, aber nicht unbedingt ein klassischer Schönling. Ich konnte nicht wirklich nachvollziehen, warum sich die indische Filmindustrie sowie der europäische Markt um ihn zu schlagen schienen. Aber das war auch nicht meine Aufgabe. Ich musste nur diese Story schreiben. Meine Meinung zählte nicht. Ich legte das Foto zur Seite und bemerkte die DVDs meiner Schwester, die noch immer an ihrem Platz auf dem Wohnzimmertisch lagen. Ich nahm sie und warf einen Blick auf deren Cover. Anscheinend waren es keine Filme, in denen Rahul Advani mitspielte. Aber es war ein Anfang. Früher oder später würde ich mir ja so einen Streifen ansehen müssen. Sonst würden die Gesprächsthemen mit Rahul schnell ausgehen. Ich ging in meine Küche, machte mir ein Sandwich aus allen essbaren Resten, die mein Kühlschrank hergab, zog mir meine bequeme, ausgeleierte Jogginghose an und machte es mir auf meiner Couch bequem. „Film ab!“ sagte ich und drückte auf Play. Schon die erste halbe Stunde überforderte mich. Alles war so schrecklich bunt und es wurde nur gesungen und getanzt. Und natürlich stand eine bewegende und tragische Liebesgeschichte im Zentrum des Geschehens. Ein Geschichte, die auf ein Happy End zusteuerte. Ich spürte die altbekannte Beklemmung in meiner Brust aufsteigen. Ich konnte solche Filme nicht ertragen. Nicht mehr. Energisch schaltete ich den Fernseher aus. Es musste auch so gehen. Ohne dass ich mir diese Filme antun musste. Aber was konnte ich jetzt noch tun? Ich sah auf meine Uhr. Es war gerade mal sieben Uhr abends. Ich erhob mich von meiner Couch, schlurfte zum Fenster und sah gelangweilt auf die Straße hinab. Eine Clique von Mädchen überquerte gerade fröhlich lachend die Straße, um zu dem kleinen Pub auf der anderen Seite zu gelangen. Vor dem Pub saßen einige Leute und genossen ihren Feierabend. Freunde, Liebespaare… alle schienen sie glücklich zu sein in der jeweiligen Gesellschaft, in der sie sich befanden. Wieder einmal fühlte ich mich wie der unsichtbare Beobachter, der darauf hoffte, vom Glück der anderen ein wenig angestrahlt zu werden. Wenn ich arbeitete hatte ich keine Zeit, mich einsam zu fühlen. Doch in diesen Momenten war es offensichtlich: ich war allein. Ich fühlte mich einsam. Freunde hatte ich noch nie viele gehabt und die wenigen die ich hatte, waren ebenfalls mit James befreundet. Meinem Ex-Mann. Was er jetzt wohl gerade tat? Ob es ihm gut ging? Ich hatte ihn seit unserer Scheidung nicht mehr gesehen. Insgeheim hatte ich gehofft, dass wir uns im Guten trennen könnten. Doch das war eine Wunschvorstellung geblieben. Er hatte mich keines Blickes mehr gewürdigt und das hatte mir sehr wehgetan. Wie oft sehnte ich mich zurück zu den glücklichen Zeiten, in denen alles immer so klar gewesen war. Das war jetzt vorbei. Jetzt saß ich in meiner kleinen Wohnung in Camden und beobachtete fremde Menschen, wie sie ihr Leben lebten. Weil ich kein eigenes Leben mehr hatte. Keine Freunde. Keinen Partner. Niemanden, der abends auf mich wartete oder mich morgens verabschiedete. Ich war allein. Alles was ich hatte, war mein Job. Natürlich hätte ich meine Schwester anrufen können, doch sie hatte ihr eigenes Leben und in dieses Leben hatte ich schon viel zu lange hineingefunkt. Ich war froh, dass Charles so ein lieber und geduldiger Ehemann war. Dass er seine Frau so viele Abende zu mir hatte gehen lassen, wenn ich ein weinendes Wrack gewesen war. Dass er mich sogar eine Zeit lang in seinem Haus aufgenommen hatte. Mir das kleine Zimmer unter dem Dach überlassen hatte, das früher einmal sein Hobbyzimmer gewesen war. Nein, ich würde sie an diesem Abend nicht anrufen. Es hatte gereicht, meine eigene Ehe kaputt zu machen. Und doch… wie sehr wünschte ich mir in diesem Moment, kein offensichtlich hoffnungsloser Fall zu sein der in seiner Einsamkeit und seinem Selbstmitleid zu ertrinken drohte. Ich hätte auch eine dieser glücklich lachenden Frauen in dem Pub sein können. Doch das war ich nicht. Ich war eine verkorkste, chaotische, hoffnungslos verlorene Frau, deren einzige Chance auf ein besseres Leben diese Reportage war. Die Chance, die sie sich fast durch ihr eigenes Unvermögen zerstört hatte. Vielleicht würde auch eine gute Therapie helfen. Doch das musste warten. Ich löste mich von dem Anblick des Pubs und kehrte zurück zu meiner Couch. Dort nahm ich den Laptop auf meinen Schoß und checkte meine Mails. Ich hob erstaunt eine Augenbraue, denn ich hatte tatsächlich eine neue Nachricht im Posteingang. Von Ajit, Rahuls Agent. Darin stand:

„Sehr geehrte Miss Johnson, wir bitten Sie morgen früh in das Hotel Hilton zu kommen, Zimmer 315. Mister Advani möchte die Reportage so schnell wie möglich beginnen, jedoch in einem privateren Umfeld als das der Redaktion. Ihren Vorgesetzten, Mister Harris, haben wir bereits über dieser Planänderung in Kenntnis gesetzt. Bitte seien Sie pünktlich um neun Uhr vor Ort. Vielen Dank.“

Ich las die Email abermals durch. Charles war in Kopie gesetzt worden, also schien es zu stimmen. Nun gut, wo das Interview stattfinden würde, war mir egal. Ich kannte das Hilton und wusste, dass es sich in der Nähe der Tower Bridge befand. Eine schöne Lage. Ich beschloss, an diesem Abend früh ins Bett zu gehen. Ab jetzt durfte nichts mehr schief gehen.

Trotz der schlechten Wettervorhersage war der Morgen des darauf folgenden Tages sonnig. Ein kräftiger Wind wehte dennoch und ich zog den Reißverschluss meine Lederjacke zu, als ich bereits vor dem Hilton stand und mir das Gebäude in Ruhe ansah. Es war wirklich ein imposanter Bau und der Ausblick der oberen Zimmer auf die Themse und die Tower Bridge musste überwältigend sein. Ich war nervös. Wie er sich mir gegenüber wohl verhalten würde nach meinem gestrigen Fauxpas? Ich hoffte inständig, dass er es abgehakt hatte. Immerhin hatte er sich ja dazu entschlossen die Reportage trotz unseres missglückten, ersten Aufeinandertreffens mit mir zu machen. Ich atmete einmal tief durch und ging durch die Drehtür in die Empfangshalle des Hotels. Im Innern des Gebäudes wandte ich mich zielstrebig der Rezeption zu. Ich wollte mich anmelden lassen, nicht einfach so hereinplatzen. Die stark geschminkte, aber hübsche junge Frau hinter dem großen, glänzenden Rezeptionstresen begrüßte mich mit einem professionellen Lächeln, das allerdings ihre Augen nicht erreiche. „Hallo. Ich bin Leah Johnson und habe einen Termin mit Mister Advani, Zimmer 315. Können Sie ihm bitte sagen, dass ich hier bin?“ bat ich höflich und lächelte sie freundlich an. „Tut mir leid, aber wir haben die strikte Anweisung, keine Fans nach oben zu lassen. Das habe ich den Damen dort auch schon gesagt,“ erwiderte die Frau mit einem honigsüßen Lächeln und sah zu einem Punkt hinter mir. Ich wandte mich um und folgte ihrem Blick. In der Lobby standen mindestens zwanzig Frauen mit Blumen und Fangeschenken in den Händen. Wie Raubtiere beobachteten sie den Fahrstuhl, hoffend, dass ihr Idol jeden Moment heraustreten würde. „Oh, nein. Nein, nein. Ich bin kein Fan. Ich komme von der London Times. Ich bin für ein Interview mit Mister Advani verabredet,“ versuchte ich die Situation richtig zu stellen und fühlte mich peinlich berührt. Wie konnte sie nur glauben, dass ich eine dieser Verrückten war? „Dürfte ich dann bitte Ihren Presseausweis sehen?“ fragte die Dame höflich. „Natürlich,“ antwortete ich verwirrt, da ich bisher noch nie in eine Situation gekommen war, in der ich meinen Ausweis hatte zeigen müssen. Nach kurzem Wühlen in meiner viel zu großen Handtasche fand ich den Presseausweis. „Hier, bitte,“ sagte ich stolz und legte ihn auf den Tresen. Sie nahm den Ausweis, betrachtete ihn eingehend, nickte dann und sagte, während sie ihn mir zurückgab: „Einen Moment bitte.“ Ich nickte ebenfalls und steckte den Ausweis wieder ein. Sie nahm den Hörer und wählte. Kurz darauf schien sie jemanden in der Leitung zu haben, sprach aber so leise, dass ich sie nicht verstehen konnte. Diese Frau war ein Ausbund an Diskretion. Sie lächelte, nickte, verabschiedete sich und legte auf. Dann sah sie wieder zu mir und sagte noch immer lächelnd: „Mister Advani erwartet Sie bereits. Nehmen Sie den Fahrstuhl in den dritten Stock und gehen Sie dann nach rechts.“ „Danke sehr,“ sagte ich und wandte mich von ihr ab, um zum Fahrstuhl zu gehen. Während ich auf ihn wartete, spürte ich die bohrende Blicke der Fans in meinem Hinterkopf. So unauffällig wie möglich drehte ich mich um sah mindestens zwanzig Augenpaare, die mich neidisch anstarrten. Schnell drehte ich mich wieder um und wippte ungeduldig hin und her. Das „BING“ des ankommenden Fahrstuhls war wie eine Befreiung und ich trat schnell ein, um den Knopf für den dritten Stock zu drücken. Als sich die Tür schloss, atmete ich durch. Wieder kroch die Nervosität in mir hoch. Aber ich durfte jetzt nicht die Nerven verlieren. Es würde schon alles klappen. Ich konnte das. Das war nicht mein erstes Interview. Schnell warf ich einen prüfenden Blick in den Spiegel des Fahrstuhls. Mein Haar hatte ich hochgesteckt und mich für ein wenig Mascara entschieden, der das Grün meiner Augen gut betonte. Unter meiner Lederjacke trug ich blaue Jeans und einen beigen Pullover. Ich hatte mich für meine braunen Sneaker entschieden, da ich ein gutes Stück zu Fuß hatte gehen müssen. Wieder ertönte das „BING“ des Fahrstuhls das mir sagte, dass ich im dritten Stock angekommen war. Langsam trat ich heraus und sah nach links, dann nach rechts. Ein paar Meter weiter flankierten zwei große Männer in schwarzen Anzügen eine Zimmertür und nahmen mich sofort ins Visier. Das musste Zimmer 315 sein und diese Männer seine Leibwächter. Ich schluckte und kramte sogleich meinen Ausweis hervor. Bevor mich diese Gorillas noch mit einem dieser irren Fans in der Lobby verwechselten. Die beiden bauten sich zur vollen Größe auf, als ich endlich vor ihnen stand. Doch ich hielt ihnen meinen Presseausweis unter die Nase und sagte grinsend: „Ich habe einen Termin mit Mister Advani. Wären Sie so freundlich?“ Ohne ein Wort, doch mit einem abschätzenden Blick, klopfte einer der beiden Riesen an die Tür und sagte etwas auf Hindi. Es verunsicherte mich nicht verstehen zu können, was dieser Mann sagte. Denn es klang ganz und gar nicht freundlich. Kurz darauf wurde die Tür geöffnet und Ajit stand dahinter. „Miss Leah! Kommen Sie doch herein!“ rief er etwas zu überschwänglich und trat zur Seite, sodass ich eintreten konnte. „Danke sehr, Ajit,“ bedankte ich mich und betrat das Zimmer. Mir blieb fast die Luft weg. Das war kein Zimmer, das war eine kleine Wohnung! Alles war in Weiß und beige gehalten und hohe Fenster gaben den Blick auf einen großen Balkon frei. Mit dem Rücken zu mir gewandt stand Rahul Advani vor den großen Fenstern und sah hinaus. Er drehte sich erst um, als ihn Ajit ansprach. An diesem Tag trug auch er Jeans, ein hellbraunes Hemd und eine Art Strickweste darüber. Auch er schien an diesem Tag bequeme Sneaker zu bevorzugen. Mein Puls schoss in die Höhe, als er mich mit einem schwer zu deutenden Blick musterte. Er ist immer noch sauer! Ich musste etwas tun. Irgendetwas, um seinen Groll auf mich aus der Welt zu schaffen. Entschlossen trat ich auf ihn zu, reichte ihm die Hand und sagte so selbstsicher wie nur möglich: „Hallo Mister Advani. Es freut mich, dass wir uns heute wiedersehen.“ Er zog eine seiner Augenbrauen in die Höhe und sah auf meine Hand. Mir wurde heiß. Hatte ich ihn etwa schon wieder beleidigt? Doch dann ergriff er sie und entgegnete höflich: „Die Freude ist ganz meinerseits.“ Ich spürte, wie die Erleichterung mich etwas ruhiger werden ließ. Das war zumindest ein Anfang. „Gut, ich lasse euch dann mal alleine. Rahul, ich bin im Nebenzimmer und erledige noch ein paar Anrufe. Wenn du mich brauchst, ruf mich einfach,“ sagte Ajit mit zufriedenem Tonfall. Rahul nickte bloß und sah seinem Agenten nach, bis er die Tür zum Nebenraum hinter sich geschlossen hatte. Dann sah er mich wieder an. Seine honigfarbenen Augen musterten mich abschätzend. Ich wich seinem Blick aus und sah mich nach einer passenden Sitzgelegenheit um, an der wir es uns bequem machen und mit unserem Interview beginnen konnten. Im Zimmer stand ein großer, gläserner Tisch. Dieser schien mir geeignet. „Sollen wir uns setzen?“ fragte ich und wies auf den Tisch. „Wie Sie möchten,“ entgegnete er knapp und bedeutete mir mit einer galanten Handbewegung, vorzugehen. Ich ging zu dem Tisch und setzte mich. Rahul nahm mir gegenüber Platz. Mein Notizblock lag bereits auf dem Tisch, doch ich hatte keinen Kugelschreiber. Also nahm ich meine Handtasche und begann zu suchen. Ich wühlte und wühlte, wurde jedoch nicht fündig. Zwischendurch sah ich zu Rahul, der mich mit einer hochgezogenen Augenbraue beobachtete. Was für einen unprofessionellen Anblick ich abgeben musste! „Einen Moment noch. Tut mir leid,“ murmelte ich und merkte erleichtert, dass ich endlich den Kugelschreiber zwischen meinen Fingern spürte. „Na also!“ freute ich mich und ließ die Handtasche neben mich auf den Boden fallen. Auch das beobachtete er aufmerksam. Dann wandte er seinen Blick wieder von meiner Tasche ab und mir zu. „Ich hoffe, Sie hatten bisher einen schönen Aufenthalt in London,“ begann ich mit etwas Smalltalk. Er schien kurz darüber nachzudenken, dann sagte er: „Bisher kann ich mich nicht beklagen.“ Ich nickte und wartete, ob er noch etwas hinzufügen wollte. Doch das tat er nicht. Er sah mich einfach wieder mit diesem unergründlichen Blick an. Ein Blick, der mir nicht einmal andeutungsweise sagte, ob er mich leiden konnte oder nicht. Ich befürchtete, dass diese Geschichte nicht einfach werden würde. Aber unser Anfang war ja auch nicht gerade der beste gewesen. „Ich habe in der Lobby einige Ihrer Fans gesehen. Unter ihnen sind nur wenige indische Frauen. Was sagen Sie dazu, dass der indische Film auch in Europa Anklang findet?“ fragte ich. Endlich huschte ihm ein Lächeln über seine Lippen, und ich musste zugeben, dass dieses Lächeln wirklich einnehmend war. „Natürlich finde ich das fabelhaft. Ich freue mich über jeden Fan und nehme mir Zeit für Autogramme, soweit es mein Terminkalender zulässt,“ erklärte er. „Ich vermute jedoch, dass Sie in Indien um einiges mehr Aufsehen erregen als hier, nicht wahr?“ fragte ich weiter, glücklich darüber, endlich einen Zugang zu ihm gefunden zu haben. „Das könnte man so sagen, ja. Ich habe das Glück, das meine Filme äußerst beliebt sind. Im Moment zumindest,“ erklärte er. Ich nickte, machte mir eine kleine Notiz und sagte: „Sie sagen das so, als würden Sie bereits jetzt davon ausgehen, dass sich das ändern wird.“ Er schnaubte amüsiert, lehnte sich mit verschränkten Armen zurück und entgegnete: „Natürlich gehe ich davon aus. Die Filmindustrie ist schnelllebig, Miss Johnson. Nicht anders als in Hollywood. Es gibt immer neuere, jüngere und bessere Schauspieler. Sich auf den Lorbeeren ausruhen heißt so viel wie von der Bildfläche zu verschwinden. Es bedeutete Stillstand und Stillstand ist der Anfang vom Ende. Wenn sich ein Schauspieler nicht immer wieder neu erfindet, wird er langweilig und wenn er langweilig wird, tritt ein anderer an seine Stelle. So einfach ist das.“ Nach seinen einsilbigen Antworten war ich nicht auf so einen Redeschwall gefasst gewesen. Doch ich musste zugeben, dass mich sein fast perfektes Englisch beeindruckte. Ich räusperte mich und sagte dann: „Ich habe aus ihrem Lebenslauf entnommen, dass Sie in Mumbai leben. Können Sie sich dort überhaupt noch einigermaßen frei bewegen?“ Er schüttelte verständnislos den Kopf und entgegnete nun fast genervt: „Natürlich kann ich das nicht.“ Die Frage war blöd gewesen. Das sah ich ein. Aber ich musste das Gespräch irgendwie am Laufen halten. Doch als ich ihm in seine stolzen, honigbraunen Augen sah wurde mir bewusst, dass das nicht möglich war. Nicht, solange mein Fehler des Vortages noch im Raum stand. Also legte ich den Kugelschreiber neben meinen Block, meine Hände darauf und sagte, während ich ihm direkt in die Augen sah: „Mister Advani. Bevor wir hier weitermachen, möchte ich mich bei Ihnen für meinen gestrigen Fauxpas entschuldigen. Es war nicht meine Absicht, Sie zu beleidigen. Ich war nicht vorbereitet, das gebe ich zu. Aber ich werde Ihnen von nun an keinen Grund mehr geben, an meiner Professionalität zu zweifeln. Ich hoffe, Sie nehmen meine Entschuldigung an.“ Er zog verwundert die Augenbrauen nach oben. Anscheinend hatte ich ihn tatsächlich sprachlos gemacht. Doch würde er meine Entschuldigung annehmen? Er war es bestimmt nicht gewohnt, dass man ihn mit jemandem verwechselte. Oder ihn gar nicht erst erkannte. Meine Handflächen wurden klamm, als er nichts sagte und mich nur nachdenklich musterte. Würde er es sich jetzt doch anders überlegen und mich vielleicht sogar hinauswerfen? Wie sollte ich das bloß Charles erklären? Ich versuchte den Kloß in meinem Hals hinunter zu schlucken. Doch er wollte nicht verschwinden. Nach einer gefühlten Ewigkeit entgegnete Rahul endlich: „Es beweist Größe, sein eigenes Unvermögen einzugestehen.“ Autsch! Das hatte gesessen. War das wirklich notwendig gewesen? Ich schluckte meinen aufkeimenden Ärger hinunter und wartete, ob er noch etwas zu sagen hatte. Wieder musterte er mich kurz und sagte dann jedoch: „Entschuldigung angenommen.“ Jetzt schenkte er mir sogar ein schiefes Lächeln, das ich erwiderte und dann sagte: „Gut, wo waren wir? Ach ja, Mumbai..“ „Hören Sie, das alles können Sie doch aus meinem Lebenslauf entnehmen, oder? Sie sollen mich doch begleiten und der Welt mitteilen, wie ich so bin und was ich so mache, nicht wahr?“ unterbrach er mich. Ich nickte und antwortete: „Ja, das war der Plan.“ „Gut, dann begleiten Sie mich heute Abend in die Stadt. Ich möchte in ein nettes, englisches Pub und ein Guiness trinken. Das habe ich seit meiner Studienzeit nicht mehr gemacht,“ sagte er munter und stand auf, ohne auf meine Antwort zu warten. Seine kühle und reservierte Art hatte er einfach abgelegt. „Aber.. geht das denn so einfach?“ fragte ich und fühlte mich total überrumpelt. „Natürlich geht das! Heute Abend um acht hole ich Sie ab. Dann reden wir weiter,“ entschied er, ohne mich zu fragen, ob es mir recht war. „Heute Abend? Also… ich…“ stammelte ich. „Oh, verzeihen Sie. Sie haben schon Pläne für heute Abend?“ fragte Rahul und man konnte in seinem Gesicht erkennen, dass es ihm jetzt anscheinend doch unangenehm war mich so überrumpelt zu haben. Aber was sollte ich sagen? Natürlich hatte ich nichts vor. Ich hatte nie etwas vor und war auch nie verabredet. Es sei denn, ein Termin für die Times stand auf dem Programm. Und das Treffen mit ihm war ja so ein Termin. Also schüttelte ich meinen Kopf und antwortete: „Nein.. nein, ich habe keine Pläne. Ist in Ordnung. Acht Uhr.“ Rahul lächelte vergnügt und sagte: „Super, dann schreiben Sie mir noch Ihre Adresse auf und wir sehen uns später.“ Ich nickte und kritzelte meine Adresse auf ein Stück Papier meines Blocks. Noch während ich schrieb war ich mir irgendwie nicht sicher, ob das so eine gute Idee war.

Die Magie der Mandalas

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