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Vom Hinfallen und Aufstehen

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Die nächsten Tage verliefen wie gewohnt. Als hätte es diesen seltsamen Abend nie gegeben. Oder war er nur mir allein so seltsam vorgekommen? Ich genoss die Zeit mit Rahul und seine fröhliche und unbekümmerte Art schien mich ein immer mehr anzustecken. Er war witzig und interessant. Kein Gespräch war wie das andere und immer wieder erfuhr ich Dinge über ihn, die mich überraschten. Jeden Abend saß ich an meinem Laptop und schrieb, bis mir die Finger schmerzten. Es lief wie am Schnürchen. Ich fühlte mich gut und vergaß den kleinen Rückfall am Abend meines Geburtstages. Alles würde gut werden. Ich würde meine Festanstellung bekommen. Das fühlte ich. Als jedoch der Termin näher rückte, an dem ich Rahul zu dieser Veranstaltung begleiten sollte, meldeten sich meine Selbstzweifel wieder zurück. Noch schlimmer: ich hatte nichts Passendes zum Anziehen! Also tat ich etwas, das ich nur in äußersten Notfällen tat: ich bat meine Schwester, mit mir shoppen zu gehen. „Ich fasse es nicht, dass es schon so lange her ist seit wir das das letzte Mal gemacht haben,“ sagte Laura vergnügt und hängte sich bei mir unter während wir an den Schaufenstern vorbeigingen. Alles war weihnachtlich geschmückt und die vielen Lichter tauchten die Fußgängerzone in ein festliches Licht. Mir ging das Herz auf bei diesem Anblick. Ich liebte Weihnachten und freute mich schon auf Heilig Abend. Der war genau einen Tag nach dem Empfang und bis dahin hatte ich noch genau zwei Tage, um das passende Outfit zu finden. „Glaubst du, dass es irgendwo etwas halbwegs Annehmbares zum Anziehen für mich gibt?“ fragte ich und betrachtete skeptisch mein Spiegelbild in einem Schaufenster. Sie folgte meinem Blick, knuffte mir in die Seite und antwortete: „Jetzt stell dich nicht so an! Natürlich finden wir was Schönes für dich! Du bist doch eine hübsche Frau. Ich wünschte, du würdest endlich wieder ein bisschen mehr an dich selbst glauben! Seit deiner Scheidung scheinst du ein verzerrtes Bild von dir selbst zu haben.“ Genau gesagt hatte ich gar kein Bild mehr von mir. Ich war so lange mit meinem Exmann zusammen gewesen, dass ich gar nicht mehr wusste, wer ich eigentlich war. Mein ganzes Leben hatte ich um ihn herum aufgebaut. Zu lange hatte ich mich in diese Ehe eingefügt wie ein Puzzleteil, das mit Gewalt in eine Stelle gepresst wurde, in die es gar nicht hinein passte. An der es kein richtiges Bild ergab. Jetzt waren meine Ecken ausgefranst und nicht mehr definierbar. Ich ging nicht darauf ein und fragte stattdessen: „Soll ich irgendetwas mitbringen an Heilig Abend?“ Laura dachte kurz nach und sagte dann: „Nein, ich hab schon für alles gesorgt. Einen Begleiter könntest du vielleicht mitbringen.“ Ihr schelmisches Grinsen brachte mich auf die Palme. „Ja klar! Meinen unsichtbaren Freund bring ich mit,“ murrte ich und ließ mich von ihr in ein Geschäft ziehen. Nachdem sie mir einige Kleider ausgesucht und mich in die Umkleidekabine geschoben hatte, hörte ich sie von draußen fragen: „Was wäre so schlimm daran?“ „Lass mich in Ruhe mit dem Thema,“ fuhr ich sie an zog etwas zu grob den Reißverschluss des weinroten Kleides zu, das ich gerade anprobierte. Als ich hinaustrat musterte mich meine Schwester kurz und rümpfte ihre Nase. Ich nickte und ging, ohne mich selbst im Spiegel zu betrachten, zurück in meine Umkleidekabine. Dieses Kleid hatte mir sowieso von Anfang an nicht gefallen. „Warum fragst du nicht Rahul, ob er mit uns Weihnachten feiern möchte?“ fragte sie plötzlich, als wäre es die normalste Sache der Welt. Ich steckte meinen Kopf durch den Vorhang, um sie böse anfunkeln zu können und entgegnete: „Bist du irre? Das werde ich ganz bestimmt nicht tun!“ Provokant verschränkte sie ihre Arme vor der Brust und fragte: „Und warum nicht?“ Fassungslos über ihren Starrsinn entgegnete ich: „Wo soll ich anfangen? Ach ja, zum einen ist er Hindu und die feiern bestimmt kein Weihnachten. Dann ist er so etwas wie mein Geschäftspartner und, ach ja, er hat bestimmt besseres zu tun als mit mir unterm Weihnachtsbaum zu sitzen!“ „Das weißt du doch gar nicht, solange du ihn nicht fragst,“ beharrte sie. „Hör mir jetzt gut zu, kleine Schwester. Denn ich sage es nicht noch einmal: Schlag.Es.Dir.Aus.Dem.Kopf! Ich werde ihn nicht fragen und damit basta!“ Sie funkelte mich zornig an, griff dann nach einem schwarzen Etuikleid, reichte es mir und sagte: „Da! Probier das an. Das kaschiert bestimmt hervorragend deinen überdimensionalen Dickschädel!“ Ich nahm es ihr aus der Hand und zog mich, wütend schnaubend, in die Umkleidekabine zurück. Wie es der Zufall wollte war es genau das Kleid, für das ich mich am Ende entschied. Es passte einfach perfekt! Es war schlicht und doch elegant. Zusätzlich machte Schwarz ja bekanntlich eine schöne Figur. Passende Schuhe fand ich zum Glück auch noch und kam am Ende des Tages mit reicher Ausbeute und höllischen Kopfschmerzen zu Hause an. Natürlich hatte meine Schwester nicht locker gelassen und immer wieder das Thema Heilig Abend angeschnitten. Aber das war indiskutabel. Er hatte wohl kaum ein Interesse daran, Heilig Abend mit mir und meiner Familie zu verbringen. Meine Eltern würden da sein. Allein die Vorstellung kam mir völlig absurd vor. Ich würde ihn erst gar nicht in die Verlegenheit bringen, sich dieser Peinlichkeit auszusetzen. Davon abgesehen hatte ich jetzt erst einmal die Veranstaltung der Anwaltskanzlei vor mir. Sie fand in einem großen Festsaal im Zentrum Londons statt. Am Tag des großen Ereignisses entschied ich mit für einen klassischen Dutt. Dazu würde ich meine Brillantohrringe anziehen, die ich von meiner Großmutter geschenkt bekommen hatte. Diese trug ich nur zu ganz besonderen Anlässen. Die Schuhe drückten schon vom Weg von meiner Wohnung zum Wagen, in dem Rahul auf mich wartete. Aber da musste ich durch. Ich hatte erwartet, dass Ajit vor dem Wagen warten würde. Doch dem war nicht so. Rahul stand da. In einem maßgeschneiderten, schwarzen Smoking. Sein Haar trug er nach hinten gekämmt was ihm ein smartes Erscheinungsbild verlieh. Er musterte mich und sagte: „Du siehst wirklich umwerfend aus.“ Der lange, schwarze Mantel, den ich mir von meiner Schwester geliehen hatte, war offen und er konnte einen Blick auf mein Kleid werfen. Peinlich berührt murmelte ich ein „Danke“ und ließ mir von ihm die Tür aufhalten. Im Wagen saß ich zwischen ihm und Ajit, der die ganze Zeit telefonierte. Wir saßen so nah beieinander, dass sich Rahuls und mein Knie berührten. Ich konnte die Wärme seiner Haut durch den kostbaren Stoff seines Smokings spüren. Nervös fummelte ich an meiner kleinen, schwarzen Handtasche herum. Warum war ich nur so aufgeregt? Wir sahen uns kurz an und er schenkte mir ein Lächeln. Auch ich konnte nun nicht ernst bleiben und schmunzelte verlegen. Nach einer kurzen und peinlichen Schweigepause sagte er plötzlich: „Ich weiß jetzt übrigens, warum ich ausgerechnet auf dieser Veranstaltung eingeladen wurde.“ „Ach ja? Weshalb denn?“ fragte ich nach und hoffte verzweifelt, dass nun ein ungezwungenes Gespräch zustande kommen würde. „Diese Kanzlei ist interessiert daran, mich in England zu vertreten,“ erklärte er. Ich nickte und fragte: „Wie heißt diese Kanzlei eigentlich?“ Er dachte kurz nach, griff dann in die Innentasche seines Jacketts und warf einen Blick auf die Einladung. „Bernstein & Smith,“ las er vor. Ich glaubte, der Blitz würde mich treffen. Meine Hände wurden taub und in meinen Ohren rauschte es. Das durfte nicht wahr sein! Die Kanzlei, die sich um Rahul bemühte, war die Kanzlei, in der mein Exmann arbeitete! „Ist dir nicht gut?“ fragte Rahul und sah mich mit besorgtem Blick an. Ich räusperte mich kurz und sagte dann: „Doch… doch… es ist nur etwas warm hier drin.“ Sofort drehte sein Bodyguard die Heizung herab. Er schien wirklich alles mitzubekommen. Aber die Heizung war nicht Schuld an meinen Hitzewallungen. Diese Nacht hatte das Potenzial, zu meinem leibhaftigen Albtraum zu werden. Den Rest der Fahrt verbrachten wir schweigend. Immer wieder schickte ich Stoßgebete zum Himmel, dass uns ein Reifen platzen würde oder irgendetwas dergleichen geschah, das uns von diesem Empfang fernhielt. Doch nichts geschah. Natürlich nicht. Als wir vor dem Gebäude hielten, in dem die Veranstaltung stattfand, stieg ich mit weichen Knien aus dem Wagen. Rahul bedachte mich noch immer mit seinem aufmerksamen Blick, sprach mich aber nicht auf mein stilles Verhalten an. Reiß dich zusammen! Du schaffst das! ermahnte ich mich selbst und ging neben Rahul auf den Eingang zu. Dort zeigte er dem Sicherheitspersonal seine Einladung und wir wurden sofort eingelassen. Ich musste zugeben, dass sich Bernstein & Smith richtig ins Zeug gelegt hatte. Der riesige Festsaal war weihnachtlich geschmückt und ein überdimensionales Buffet erstreckte sich am hinteren Ende des Raumes. Hungrige Gäste scharten sich dort bereits um das opulente Mahl. Mir war jeglicher Appetit vergangen. Nervös sah ich mich um. Ich konnte James, meinen Exmann, nirgends entdecken. Natürlich war das kein Wunder, da der Saal voll von Menschen war. Aber selbst wenn er hier war, war die Wahrscheinlichkeit vielleicht gar nicht so groß, dass wir uns über den Weg liefen. Wir gaben unsere Mäntel ab und blieben am Rande des Geschehens stehen. Doch allein blieben wir nicht lange. Kaum hatten die Teilhaber Rahul entdeckt, stürmten sie schon auf ihn zu, um ihn für ihre Kanzlei zu gewinnen. Zum Glück hatte ich James nie zu solchen Veranstaltungen begleitet und konnte unerkannt durch die Menge schlüpfen, um mir ein Glas Champagner zu holen. Rahul war beschäftigt und würde mich für ein paar Minuten entbehren können. Mit einem gut gefüllten Glas drehte ich eine kleine Runde durch den Saal. Aufmerksam ließ ich meinen Blick durch die Menge schweifen. Nein, James konnte ich nicht sehen. Wahrscheinlich war er wieder mal im Ausland unterwegs wie schon so oft in der Vergangenheit. Hatte ich tatsächlich einmal Glück und wurde von diesem mehr als unangenehmen Aufeinandertreffen verschont? Ohne es zu merken hatte ich mein Glas bereits geleert und griff nach dem Nächsten. Meine Nervosität schien sich etwas zu legen. Kurz darauf kam Rahul zu mir, nahm sich ebenfalls ein Glas Champagner und seufzte: „Die sind ja wie die Geier. Das wird noch ein langer Abend.“ „Du schaffst das schon,“ sagte ich schmunzelnd und leerte das halbe Glas Champagner in einem Zug. Rahul bedachte mich mit einem irgendwie besorgten Blick und fragte mit gedämpfter Stimme: „Bist du dir sicher, dass alles in Ordnung ist?“ „Mhm,“ murmelte ich bloß und griff nach dem nächsten Glas. „Okay,“ entgegnete er mit skeptischem Unterton und nahm ebenfalls einen Schluck von seinem Champagner. Aus den Augenwinkeln betrachtete ich ihn, während er seinen Blick durch die Menge schweifen ließ. Der Smoking saß wirklich perfekt und man konnte sehen, wie gut er in Form war. Sein tiefschwarzes Haar schimmerte und mein Blick fiel auf seine gepflegten Hände, in denen er sein Glas hielt. Lange, schlanke Finger. Als er sein Glas zu seinen schönen Lippen führte, sah ich verlegen zur Seite. Doch plötzlich wurde meine Aufmerksamkeit auf etwas anderes gelenkt, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Hinter Rahul sah ich einen der Teilhaber, wie er einem anderen Mann in einem edlen, grauen Anzug die Hand reichte. Und ich kannte diesen Mann. „James. Verdammt,“ flüsterte ich. „Wie bitte?“ fragte Rahul, den ich anscheinend aus seinen eigenen Gedanken gerissen hatte. Schnell leerte ich mein drittes Glas, stellte es einer vorbei gehenden Bedienung auf das Tablett, packte Rahul an seiner Smokingjacke und zog ihn mit mir hinter einen der großen Pfeiler. Mit dem Rücken lehnte ich gegen den kühlen Stein des Pfeilers und lugte über meine Schulter dahinter hervor in James Richtung. Er schien mich nicht gesehen zu haben. Noch nicht. „Was um Himmels Willen hast du denn?“ hörte ich Rahul fragen. „Psst!“ ermahnte ich ihn, ohne ihn anzusehen. Erst als James aus meinem Blickfeld verschwunden war, lehnte ich meinen Kopf an den kühlen Stein des Pfeilers. Für einen kurzen Moment schloss ich die Augen. „Leah, was soll das?“ fragte Rahul ungeduldig. Ich dachte über eine plausible Erklärung für mein Verhalten nach, die ihm alles glaubhaft erklären konnte. Doch als ich meine Augen öffnete und ich ansah bemerkte ich, wie nah er bei mir stand. Ich hatte ihn in meiner Panik so dich an mich gezogen, dass ich wieder seinen Duft wahrnahm. Seine honigbraunen Augen sahen mich verständnislos an und mir wurde klar, dass ich mich wie eine Verrückte aufführte. Erschrocken stelle ich fest, dass ich ihn noch immer an seiner Smokingjacke festhielt. Schnell ließ ich los und murmelte: „Tut mir leid. Es ist alles ein wenig… kompliziert.“ Ich erwartete einen Ansturm von Fragen, wie es wohl jeder andere Mann getan hätte. Doch stattdessen fragte er plötzlich: „Willst du tanzen?“ Irritiert sah ich zu ihm auf und fragte ungläubig: „Tanzen?“ Er schmunzelte und antwortete: „Ja, tanzen. Dich amüsieren. Los, komm!“ Noch bevor ich protestieren konnte, zog er mich auf die Tanzfläche. Schnell sah ich mich um. Keine Spur von James. Dann legte Rahul meine Linke Hand auf seine Schulter, nahm meine Rechte in seine und wir begannen uns zum Takt der Musik zu bewegen. Sie spielten ein langsames Lied, was ich viel zu spät bemerkt hatte. Sonst hätte ich mich nie von ihm auf die Tanzfläche entführen lassen. Seine Hand, die meine umschlossen hielt, war warm und seine Berührung fühlte sich angenehm an. Er umschloss meine Hand nicht zu fest, aber auch nicht zu halbherzig. So wie es wohl sein sollte, vermutete ich. Der Stoff seines Anzuges fühlte sich sehr kostbar an. Der Geruch seines Parfüms war nun so intensiv, dass ich nicht mehr über meine Angst nachdenken konnte. Es war, als könnte mir in diesem Moment nichts passieren. Zögernd sah ich von meiner Hand zu ihm auf, um in sein Gesicht sehen zu können. Der Blick seiner braunen Augen traf mich und ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg. Wie peinlich! Ich benahm mich wie ein verklemmter Teenager. Er schmunzelte und sagte: „Ist doch gar nicht so schlimm, oder?“ Ich räusperte mich verlegen und entgegnete: „Wenn du das Tanzen meinst muss ich dir sagen, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass ich dir in den nächsten Sekunden auf die Füße treten werde.“ Sein Grinsen wurde noch breiter und er konterte: „Ich halte so einiges aus.“ Ich konnte nicht anders, als sein Lächeln zu erwidern. „Sagst du mir jetzt, was mit dir los ist?“ fragte er mich leise. Schnell senkte ich meinen Blick und antwortete: „Es ist zu albern. Können wir nicht einfach weitertanzen?“ Als ich keine Antwort von ihm erhielt, sah ich wieder zu ihm auf und begegnete seinem schiefen Lächeln. Ich merkte, dass ich ihm mit meiner Hand sanft über seine Schulter strich. Warum ich das tat, wusste ich nicht. Ich war in diesem Moment aus irgendeinem Grund einfach dankbar, dass er bei mir war. Dass ich nicht alleine war in meinem Elend. Ich spürte seine Hand, die auf meiner Taille lag. Die Wärme seiner Haut drang durch den schwarzen Stoff meines Kleides und schien das innere Zittern, dass ich immer verspürte wenn ich Angst hatte, zu verdrängen. Noch nie zuvor hatte ich mich so gefühlt. Die losen Enden meiner beschädigten Seele, die sonst unkontrolliert im Wind zu flattern schienen, fanden plötzlich eine Art Halt. Solange ich in seine Augen sah, konnte ich mich festhalten. Doch an was hielt ich mich da bloß fest? Ohne darüber nachzudenken trat ich näher an ihn heran und spürte, wie seine Hand von meiner Taille auf meinen Rücken glitt. Ohne ein Wort zu sagen, reagierte er auf das, was ich tat. Aber was tat ich da bloß? Ich wagte nicht, meinen Blick von seinem zu lösen. Aus Angst, dass dieser seltsame Zauber gebrochen werden würde, sobald ich seinen Blick los ließ. Noch immer sah er mir tief in meine Augen. Oh, er hatte diesen Schau-mir-in-die-Augen-Kleines-Blick perfektioniert. Natürlich hatte er das. Er war ja immerhin ein Schauspieler. Aber dieser Moment fühlte sich echt an. Echter als alles, was ich in den letzten Monaten und vielleicht sogar Jahren erlebt hatte. Was geschah bloß mit mir? Mein Blick fiel auf seine schön geschwungenen Lippen. Wie sie sich wohl anfühlten? Plötzlich wurde ich unsanft von hinten angerempelt. „Oh, verzeihen Sie bitte!“ entschuldigte sich ein älteres Pärchen, das wohl nicht auf seine Umgebung geachtet hatte, während es tanzte. Ich schien wie aus einem Traum gerissen zu werden. Erschrocken starrte ich Rahul an. Was war bloß in mich gefahren? Schnell ließ ich ihn los und wich zurück. „Leah..“ sagte er in einem fast entschuldigenden Ton. „Ich… ich… entschuldige mich bitte für einen Moment,“ stotterte ich und stürmte von der Tanzfläche, noch bevor er reagieren konnte. Mir war heiß und schwindelig. Der viele Champagner schien sich bemerkbar zu machen. Ich blieb an der Bar stehen und bestellte mir ein Glas Wasser. Was war da bloß gerade passiert? Was sollte das? Als mein Getränk vor mir stand, nahm ich einen der Eiswürfel heraus und ließ ihn über mein Handgelenk gleiten. Die Kälte tat gut. Dann nahm ich einen beherzten Schluck. „Leah?“ sagte plötzlich eine bekannte Stimme hinter mir. Beinahe hätte ich mich verschluckt, konnte es aber gerade noch verhindern. Jetzt war es soweit. Ich konnte mich nicht mehr verstecken. Langsam drehte ich mich um und da stand er vor mir. James. Mein Exmann. Der Mann, der mich vor Gericht bei unserer Scheidung förmlich zerpflückt hatte. Und ich konnte es ihm nicht einmal übel nehmen. „Hallo James,“ begrüßte ich ihn und hielt mich an der Bar fest, um nicht zu schwanken. Er bedachte mich mit einem unergründlichen Blick und sagte nach einer kurzen und peinlichen Pause: „Ich hätte nicht erwartet, dich hier zu sehen.“ „Ich bin beruflich hier,“ erklärte ich und spürte wieder den Schwindel aufsteigen. Er nickte und entgegnete: „Ich hab schon gehört. Du schreibst jetzt für die Times.“ Verwundert über sein Wissen verschlug es mir die Sprache. Woher wusste er das? „Ist lange her,“ sagte er dann. Ich nickte bloß. Plötzlich trat eine Frau an seine Seite und legte ihm ihre Hand in einer vertrauten Geste auf seine Schulter. Sie war groß und langes, braunes Haar fiel ihr bis weit über die Schultern. Ihr eleganter und Figur betonender weißer Hosenanzug setzte ihre sportliche Figur perfekt in Szene. Sie hatte Ähnlichkeit mit mir… nur war sie die schönere und wohl etwas jüngere Ausgabe von mir selbst. Kein Gramm Fett. Alles war da, wo es hingehörte. Und da stand ich. Angetrunken. Schwitzend. Verzweifelt. „Schatz, willst du mich nicht vorstellen?“ fragte sie James, nachdem sie mich mit einem etwas abschätzenden Blick traktiert hatte. James schien aus seiner Schockstarre zu erwachen und antwortete der schönen Frau: „Entschuldige Maria. Das ist Leah.“ Ihr Blick blieb an mir haften. „Das ist also deine Ex?“ fragte sie fast überrascht und bedachte mich wieder mit diesem Blick. Ich schluckte. Alles schien sich zu drehen. „Ähm.. es war nett dich wieder zu sehen, aber ich muss dann los,“ stotterte ich. „Ach, ist das so? Das ist aber schade,“ entgegnete Maria, seine Begleiterin. Doch der Unterton in ihrer Stimme vermittelte mir das genaue Gegenteil ihres gespielten Bedauerns. James wollte noch etwas sagen. Doch schon ging ich einen Schritt zurück und wollte mich wie ein geprügelter Hund in eine Ecke verkriechen. Kaum hatte ich einen Schritt nach hinten getan, bereute ich es. Der Schwindel übermannte mich und ich verlor das Gleichgewicht. Erschrocken ruderte ich mit den Armen, verzweifelt nach Halt suchend, als ich nach hinten kippte. Doch anstatt unsanft auf dem Boden aufzuschlagen, fing mich plötzlich jemand auf. Starke Arme umschlossen mich und ich nahm den Geruch von Sandelholz wahr. „Rahul!“ sagte ich überrascht und sah über die Schulter zu ihm auf. Mit ernster Miene sah er zuerst mich an und musterte dann James mit einem Blick, der mir eine weitre Hitzewallung bescherte. Noch nie zuvor hatte ich ihn so abweisend erlebt. Vorsichtig richtete er mich wieder auf und fragte: „Ist alles in Ordnung?“ Beschämt sah ich zu James und den anderen, die meine Peinlichkeit mitbekommen hatten. Ein süffisantes Lächeln lag auf Marias Lippen. Tränen schossen in meine Augen. „Bring mich bitte weg von hier,“ flüsterte ich Rahul zu und kämpfte dagegen an, in Tränen auszubrechen. Er nickte und legte beschützend seinen Arm um mich. „Ist sie okay?“ hörte ich James fragen, als wir uns schon zum Gehen umgewandt hatten. Rahul hielt inne, wandte sich um und antwortete in kühlem Ton: „Offensichtlich ist sie das nicht. Sie entschuldigen uns.“ Daraufhin brachte mich Rahul fort von diesem schrecklichen Ort. Pure Dankbarkeit durchströmte mich, als er ein Taxi zu uns heranwinkte und dem Fahrer meine Adresse nannte.

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