Читать книгу Die Magie der Mandalas - Alicia Sérieux - Страница 8
Happy Birthday, Leah!
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„Mach keine große Sache daraus. Ich werde heute Abend den Termin bei Rahul machen und basta!“ begehrte ich auf, nachdem mich meine Schwester für meine Pläne an meinem Geburtstag ausgiebig beschimpft hatte. „Das ist doch nicht normal! Wenigstens einmal im Jahr kannst du dich doch mal wie ein normaler Mensch verhalten!“ zeterte sie. „Ich BIN ein normaler Mensch! Es ist mein Tag und den werde ich doch wohl verbringen können wie ich will!“ zischte ich in den Hörer und zog die dritte Jeans aus meinem Kleiderschrank, um sie zu begutachten. „Immer nur Arbeit! Arbeit, Arbeit und nochmal Arbeit! Das kann doch nicht gesund sein!“ rief sie verärgert. „Jetzt mach mal einen Punkt! Zufälliger Weise mag ich meine Arbeit und ich mag Rahuls Gesellschaft. Er ist ein interessanter Gesprächspartner,“ erklärte ich genervt und holte zwei verschiedene Blusen aus meinem Schrank, um sie zu den Jeans zu legen. Schweigen. Der Kommentar meiner Schwester blieb aus. „Hallo?“ fragte ich um zu testen, ob sie etwa schon aufgelegt hatte. „Hab ich da gerade richtig gehört? Du magst seine Gesellschaft?“ hakte meine Schwester mit ungläubiger Stimme nach. „Unter anderem, ja. Es ist ein interessanter Job und davon abgesehen meine Chance auf eine Festanstellung bei der Times,“ erklärte ich und betrachtete mein Gesicht kritisch in meinem Schlafzimmerspiegel. Die Augenbrauen mussten auf jeden Fall noch in Form gebracht werden. Vielleicht würde ich mir auch mal eine Gesichtsmaske gönnen. Ich nahm die Augenbrauenpinzette aus meinem Kosmetiktäschchen und war mir nicht ganz schlüssig, wie ich anfangen sollte diesen Wildwuchs in Form zu bekommen. Nach einer kurzen Denkpause fragte meine Schwester vorsichtig: „Leah, ist das etwa ein Date heute Abend?“ Erschrocken ließ ich die Pinzette auf den Boden fallen, mit der ich gerade meine Augenbrauen traktieren wollte und entgegnete empört: „Jetzt sei nicht albern! Natürlich ist das kein Date!“ „Es hört sich aber ganz danach an,“ meinte Laura und ich konnte ihr Grinsen förmlich vor mir sehen. „Ich muss jetzt auflegen. Ich melde mich morgen bei dir,“ würgte ich sie ab. „Viel Spaß“ hörte ich sie noch sagen, bevor ich auflegte. Genervt warf ich das Telefon auf mein Bett. So ein Blödsinn! Wie kam sie nur darauf, dass das ein Date sein könnte? Das war absurd! Rahul und ich? Ein Date? Lächerlich! Ich schob diesen ungeheuerlichen Gedanken schnell zur Seite und fand endlich die geeignete Kombination für mein Outfit. Dunkelblaue, enge Jeans und eine braune Blusen-Tunika, die mir fast bis zu den Knien reichte, jedoch figurbetont war. Dazu würde ich meine Stiefel anziehen und auch mein neuer Mantel würde perfekt dazu passen. Zufrieden nickte ich meinem Outfit zu und ging ins Badezimmer, um mir ein Bad einzulassen. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass schon drei Uhr nachmittags war. Bis auf meine Schwester und meine Eltern hatte mich noch niemand angerufen, um mir zu gratulieren. Mein Bruder würde sich später melden, ganz angepasst an die spanischen Zeitverhältnisse. Als ich nun endlich in der Badewanne lag und den Lavendelduft meines Badezusatzes genoss, dachte ich über die Worte meiner Schwester nach. Sah das wirklich wie ein Date aus? Von der Seite her hatte ich es noch gar nicht betrachtet. Aber was wusste sie schon? Ajit würde dort sein und seine Bodyguards ebenfalls. Es war nichts dabei. Es war ein Termin wie jeder andere. Wobei ich zugeben musste, dass unsere Treffen sehr freundschaftlich und irgendwie vertrauter geworden waren. Es waren weniger Interviews als lange Gespräche. Aber war das nicht der Weg, auf dem ich an meine Informationen kam? Gewiss. Aber ich musste mir eingestehen, dass ich die Gespräche und Rahuls Gesellschaft genoss. Es war schön, sich mit einem anderen Menschen zu unterhalten der einen zu verstehen schien. Zumindest hatte ich den Eindruck und an diesem Abend würde es wieder solche netten Gespräche geben. Oh mein Gott! Freute ich mich etwa auf ihn? Erschrocken setzte ich mich auf und starrte gegen die weiß geflieste Badezimmerwand. Ich musste zugeben, dass der Gedanke an Rahul nicht unangenehm war. Ich mochte seine unbeschwerte Art, sein aufrichtiges Lächeln und die Art und Weise, wie seine wachsamen Augen funkelten wenn er über seine Arbeit sprach. „Blödsinn!“ sagte ich zu mir selbst und lehnte mich wieder zurück. Ich freute mich nicht auf ihn, sondern auf das Interview. So wie es jede Journalistin tat, die ihren Beruf liebte. Also kein Grund zur Panik. Ich war es einfach nicht mehr gewohnt, zwischenmenschlichen Kontakt zu haben. Das war alles. Es war alles ganz harmlos.
Die Zeit bis zu dem Termin verstrich ungewöhnlich langsam. Ich war tatsächlich viel zu früh fertig. Meine Kleiderwahl stellte sich als ausgezeichnet heraus. Mein Haar band ich locker im Nacken zusammen, sodass mir einige Strähnen locker ins Gesicht fielen und entschied mich für die großen, silbernen Ohrringe, die mir mein Bruder vor einiger Zeit aus Spanien geschickt hatte. Sogar ein wenig in den Schminktopf hatte ich gegriffen. Zumindest hatte ich es geschafft, mit etwas Kajal und Wimperntusche meine Augen zu betonen. Immerhin hatte ich heute Geburtstag und wenn ich schon arbeitete, dann wollte ich wenigstens gut dabei aussehen. Gut gelaunt zog ich meinen Mantel an, schnappte meine Tasche und verließ meine Wohnung. Meine Nachbarin, die alte Hexe, streckte gerade ihren Kopf aus ihrer Wohnung und musterte mich überrascht. „Sie gehen aus?“ fragte sie überrascht. „Nein, tue ich nicht,“ antwortete ich genervt und beeilte mich, die Treppen so schnell wie möglich hinter mir zu lassen um ihr die Möglichkeit zu nehmen, mich mit weiteren Fragen zu löchern. Dieses penetrante Weib! Wenigstens war ich so früh dran, dass ich mich nicht beeilen musste um meine Bahn rechtzeitig zu erwischen. Doch als ich ins Freie trat, stand da Rahuls Wagen und einer seiner Bodyguards winkte mir zu. Was hatte das denn wieder zu bedeuten? Verwirrt dreinschauend ging ich zu dem Auto mit den verdunkelten Scheiben und fragte den ungeduldig dreinschauenden Bodyguard: „Was machen Sie denn hier?“ Der Bodyguard rang sich sogar ein Lächeln ab und hielt mir die Tür auf. „Mister Advani lässt Sie abholen.“ Ich dachte kurz an den letzten Abend, ob er mir das angekündigt hatte. Doch ich konnte mich nicht daran erinnern. „Oh.. naja… danke!“ bedankte ich mich verwundert und stieg ein. Ich sah zu, wie er um den Wagen herum ging und dann einstieg. Bevor er den Motor startete sagte er plötzlich: „Happy Birthday, Miss Johnson.“ „Äh.. d.. danke,“ stotterte ich und spürte, wie ich rot wurde. Es war mir mehr als unangenehm und ich fühlte mich überrumpelt. Den Rest der Fahrt verbrachten wir schweigend. Aus irgendeinem Grund war ich plötzlich aufgeregt. Was hatte das Ganze zu bedeuten? Als wir am Hotel ankamen, hielt er mir die Tür auf und ich stieg aus. „Den Weg kennen Sie ja. Ich muss das Auto noch parken,“ brummte der riesige Mann und ließ mich stehen. Ich nickte bloß und betrat das Hotel. Zielstrebig ging ich auf den Fahrstuhl zu. Wieder standen einige Fans in der Empfangshalle und betrachteten mich aufmerksam. Ich fühlte mich unwohl denn ich mochte es nicht, angestarrt zu werden. Zum Glück ließ der Fahrstuhl nicht lange auf sich warten. Der Weg zu Rahuls Zimmer kam mir viel länger vor, als ich es in Erinnerung hatte. Als ich endlich vor der Tür stand, atmete ich kurz durch und ärgerte mich über meine eigene Nervosität. Wie blöd war ich eigentlich? Er wollte nur nett sein und mir die U-Bahn ersparen. Das war es aber auch schon. Jetzt wurde gearbeitet. Gleich würde mir Ajit die Tür öffnen und alles würde wie immer sein. Vorsichtig klopfte ich an. Kurz darauf öffnete sich die Tür. Rahul hatte mir selbst geöffnet und begrüßte mich mit einem breiten Lächeln. „Hallo Leah! Ich hoffe, der Große war freundlich zu dir,“ scherzte er. „Ja, war er. Aber das wäre wirklich nicht nötig gewesen,“ erwiderte ich verlegen. „Ich bitte dich! Komm doch rein,“ sagte er gut gelaunt und trat zur Seite. Er trug eine dunkle Jeans und ein weißes Hemd, das locker über dem Hosenbund hing. Als ich eintrat und ihm etwas näher als normal kam, nahm ich den Geruch von Sandelholz war. Es schien sein Parfüm oder Aftershave zu sein. Für einen kurzen Moment war ich abgelenkt und bemerkte erst die Veränderung in dem Hotelzimmer, als ich bereits meinen Mantel abgelegt hatte. Der große Tisch, an dem wir unser erstes Interview geführt hatten, war mit bunten Blumen dekoriert und ein verführerischer Duft erfüllte den Raum. Es roch nach exotischen Gewürzen und ich sah an den vielen kleinen Schüsseln, dass er wohl etwas zu Essen hatte kommen lassen. „Erwartest du noch weiteren Besuch?“ fragte ich verwirrt und dachte schon, ich hätte unseren Termin irgendwie verwechselt. Er lächelte, nahm meinen Mantel um ihn an die Gardarobe zu hängen und antwortete: „Nein, keinen weiteren Besuch.“ Ich sah mit fragenden Blick von ihm zu dem Essen und dann wider zurück zu ihm. „Schau nicht so. Du hast heute Geburtstag und ich wollte dir wenigstens eine kleine Freude machen,“ erklärte er und trat näher zu mir. Fassungslos sah ich ihn an. Was sollte ich sagen? Damit hatte ich nicht gerechnet. Wieder schenkte er mir ein verschmitztes Lächeln, ging zum Tisch, schob einen Stuhl zu recht und sagte: „Möchtest du dich nicht setzen?“ Ich bemerkte, wie dämlich mein Verhalten war und setzte mich langsam in Bewegung. Auf dem Tisch sah ich viele verschiedene Soßen und frisch gebackenes Brot. Es dampfte noch. „Das wäre doch nicht nötig gewesen, Rahul“ sagte ich peinlich berührt, während ich mich hinsetzte. Er ging zu dem Stuhl mir gegenüber, setzte sich und entgegnete: „Ich habe ohnehin noch nichts gegessen. Also können wir das auch gleich zusammen tun, meinst du nicht?“ Seine fröhliche Art steckte mich allmählich an und ich konnte mich eines Lächelns nicht erwehren. So etwas Nettes hätte ich nicht erwartet. Mein Blick fiel auf die Kochnische, die schräg hinter ihm lag. Dort erkannte ich einige Töpfe, die in der Spüle lagen. Benutze Messer und Kochlöffel. Er hatte doch nicht etwa… „Hast du das selbst gekocht?“ fragte ich ungläubig. Er folgte meinem Blick und sah kurz in Richtung der Kochecke. Dann winkte er ab, wandte sich mir wieder zu und entgegnete: „Das sind doch bloß ein paar Chutneys. Keine große Sache.“ Es war mir unangenehm, dass er sich so viel Mühe gemacht hatte. Immerhin war das ein geschäftliches Treffen. Ein Interview. Nichts weiter. Oder? „Jetzt mach nicht so ein betroffenes Gesicht. Iss!“ riss er mich aus meinen Gedanken und reichte mir den Teller mit dem frischen Fladenbrot. „Danke,“ sagte ich und nahm ein Stück. „Na also. Guten Appetit,“ sagte er und schenkte mir wieder sein fröhliches Lächeln. Ich hatte so etwas noch nie zuvor gegessen. Das Brot wurde in die vielen verschiedenen Soßen gestippt und dann mit der Hand gegessen. Eine Soße schmeckte süß und irgendwie nach Mango, eine andere wiederum war eher salzig und scharf. Es war auf jeden Fall ein neues Geschmackserlebnis. Und ein angenehmes dazu. „Schmeckt es dir?“ fragte Rahul und schenkte mir ein Glas Wein ein. „Ja, das ist großartig! Du bist ein guter Koch,“ lobte ich ihn. Er schmunzelte, erhob sein Weinglas und sagte: „Auf deinen Geburtstag. Mögen alle deine Wünsche in Erfüllung gehen.“ Ich erhob ebenfalls mein Glas und stieß mit ihm an. Der Wein war sehr süß, doch ich mochte ihn. Ich hatte noch nie zuvor einen Mann getroffen, der solche Weine ebenfalls mochte. „Zu Hause in Mumbai koche ich oft für Priya. Das entspannt mich irgendwie,“ erklärte er. „Deine Schwester hat Glück. Meine Schwester kocht auch viel besser als ich. Ich würde mich wohl nur von Tiefkühlpizza ernähren, wenn ich nicht ab und an bei ihr zum Essen eingeladen wäre,“ erklärte ich und nahm noch einen Schluck von dem Wein. Er schmunzelte und entgegnete: „Es gibt nichts schöneres, als in netter Gesellschaft zu essen. In Indien sind die großen Familienfeste meiner Eltern mit dem gemeinsamen Essen berühmt berüchtigt.“ „Das muss schön sein,“ sagte ich und versuchte mir diese Szene vorzustellen. Wie wohl seine Eltern und seine Schwester so waren? „Das ist es wirklich. Priya und ich verpassen kein einziges Fest. Egal wie beschäftigt ich bin,“ erzählte er und reichte mir noch mehr Brot. Ich winkte ab und sagte: „Danke, aber ich platze gleich.“ Er lachte und entgegnete: „Meine Mutter würde daran verzweifeln, wie wenig zu isst.“ Auch ich musste lachen. Manche Dinge waren anscheinend überall auf der Welt gleich. Nachdem auch er aufgegessen hatte, fragte er: „Sollen wir mit dem Film anfangen?“ Ich sah auf meine Armbanduhr und antwortete: „Ja, warum nicht.“ Wir standen beide auf und gingen zu dem großen Sofa, das vor dem überdimensionalen Flachbildfernseher stand. „Dass es noch so früh ist, ist sogar gut. Immerhin geht der Film fast drei Stunden,“ erklärte er und nahm die Fernbedienung, um den Fernseher einzuschalten. Hatte ich richtig gehört? Drei Stunden? „Okay,“ sagte ich bloß und setzte mich. Nachdem er es geschafft hatte, dieses Wundewerk der Technik zum Laufen zu bringen, setzte er sich neben mich. Etwas näher, als ich es erwartet hatte. Wieder roch ich sein Parfüm und sah auf seine gepflegten Hände, die die Fernbedienung hielten. „Fertig?“ fragte er. Ich fühlte mich ertappt und sah schnell zu dem großen Bildschirm. „Ja, es kann losgehen,“ antwortete ich. Daraufhin begann der Film, in dem er die Hauptrolle spielte. Aufmerksam verfolgte ich die Handlung. Er spielte den tragischen Helden, der einer hoffnungslosen Liebe nachjagte. Natürlich. Immer wieder wurde gesungen und getanzt. Die vielen Farben waren eine richtige Reizüberflutung. Doch aus irgendeinem Grund fesselte mich die Geschichte. Es war seltsam, ihn in diesem Film zu sehen. Aber er machte seine Sache gut. Soweit ich das beurteilen konnte. In einer Szene brachte er seine große Liebe mit in sein zu Hause. Dort angekommen begrüßte das Paar die Mutter und diese malte der jungen Frau einen roten Punkt auf die Stirn. „Was ist das?“ fragte ich, ohne meinen Blick von der Szene zu wenden. „Das ist das Bindi. Wenn man zu einer indischen Familie kommt, bekommt man es von der Hausherrin oder Hausherrn mit dem Finger auf die Stirn getupft. Das soll dem Besucher Segen bringen und Glück,“ erklärte er. „Darf das nur die Hausherrin?“ fragte ich nach. „Nein, jeder darf das. Oft machen das auch Ehefrauen bei ihren Männern oder umgekehrt. Es geht darum zu zeigen, dass einem das Wohl des anderen am Herzen liegt,“ antwortete er. „Ein schöner Brauch,“ sagte ich, denn die Erklärung und diese rührende Szene in seinem Film bewegten etwas in mir. Diese ganze Gefühlsduselei wurde zum Ende des Films hin immer schlimmer. Erschrocken stellte ich fest, dass ich einen Kloß im Hals hatte. Vor allem in der Szene, als der Held seiner Angebeteten sein Herz ausschüttete und ihr ewige Liebe schwor. Ich wusste es besser. Ewige Liebe gab es wohl nur in diesen Filmen. Doch etwas fehlte. „Auf den finalen Kuss warte ich vergeblich, nicht wahr?“ fragte ich mit einem bitteren Lächeln auf den Lippen und nahm noch einen Schluck Wein. Er lachte leise und antwortete: „Ganz genau. Den wirst du in meinen Filmen nie finden.“ Ich sah ihn erstaunt an und fragte: „Wirklich? Gar keine Küsse?“ Er schüttelte seinen Kopf und bestätigte: „Keine Küsse.“ Mein Blick streifte seine schön geschwungenen Lippen. Wie schade für seine Schauspielkollegin. Plötzlich merkte ich, dass ich rot wurde und sah schnell wieder zu dem Fernseher. Den Rest des Filmes sahen wir uns schweigend an. Immer wieder spürte ich seinen Blick auf mir. Doch ich widerstand dem Drang, ihn anzusehen. Ich musste zugeben, dass er seine Rolle sehr gut spielte. Die sehnsüchtigen Blicke, die Verzweiflung darin. Er spielte diese Rolle perfekt. Nachdem der Film letztendlich in einem Happy End gegipfelt hatte, schaltete er den Fernseher aus und fragte: „Und?“ Ich sah nachdenklich auf meine Hände und sagte nach einer kurzen Pause: „Ich muss zugeben, dass mir der Film wirklich gefallen hat. Trotz des Happy Ends.“ Als er nichts darauf entgegnete, sah ich zu ihm und bemerkte seinen skeptischen Blick. „Wie meinst du das? Trotz des Happy Ends?“ fragte er nach. „Naja, es gibt nun mal nicht immer ein Happy End. Aber das ist okay. Es ist ja nur ein Film,“ lenkte ich ein. Er musterte mich kurz, aber eindringlich und fragte dann: „Was ist dir denn passiert, dass du nicht an Happy Ends glaubst?“ Das war zu viel. Mit dieser Frage kam er mir zu nah. Viel zu nah. Ich sah auf meine Uhr und sagte: „Oh, schon so spät? Ich sollte gehen.“ Bevor er reagieren konnte, stand ich auf und wollte meine Handtasche holen. Doch er folgte mir und versperrte mir den Weg, als ich meinen Mantel holen wollte. Ich stieß fast mit ihm zusammen und war ihm jetzt so nahe, dass ich wieder seinen Geruch wahrnehmen konnte. Dieses Parfüm! Schnell brachte ich wieder mehr Abstand zwischen uns. „Habe ich etwas falsches gesagt?“ fragte er mit besorgtem Gesichtsausdruck. Nervös strich ich mir eine Haarsträhne aus meinem Gesicht und antwortete fahrig: „Nein, alles okay. Ich muss morgen nur früh raus.“ „Bist du dir sicher?“ hakte er nach und suchte meinen Blick. Doch ich wich ihm aus und antwortete: „Ja. Sicher.“ Daraufhin griff er hinter sich und nahm meinen Mantel von der Gardarobe. Galant half er mir hinein. „Eine Frage habe ich noch, bevor du gehst,“ sagte er, als ich schon meine Hand auf den Türgriff gelegt hatte. Ich hielt inne und sah mich zu ihm um. Seine honigbraunen Augen sahen mich noch immer besorgt an. Also rang ich mir ein Lächeln ab und fragte: „Welche denn?“ Er steckte seine Hände in seine Jeanstaschen und sagte: „Übernächste Woche ist eine Benefizveranstaltung einer großen Anwaltskanzlei. Aus irgendeinem Grund bin ich dazu eingeladen worden. Würdest du mich begleiten?“ Vor Verwunderung ließ ich den Türgriff wieder los und fragte irritiert: „Ich? Dich begleiten?“ Er räusperte sich verlegen und entgegnete: „Warum nicht? Du sollst mich doch überall hin begleiten für die Reportage. Das wäre doch eine gute Gelegenheit.“ Natürlich. Er hatte Recht. Hatte ich für einen kurzen Moment tatsächlich die Reportage vergessen? Nein, das war nicht möglich. Ich war einfach gerade nicht ich selbst. Und der süße Wein trug seinen Teil zu meiner Verwirrung bei. Doch ich nickte und antwortete: „Okay.“ Er wirkte plötzlich verunsichert. Als wüsste er nicht genau, wie er sich verhalten sollte. So kam es mir zumindest vor. Also ging ich einen Schritt auf ihn zu und blieb direkt vor ihm stehen. Gespannt sah er zu mir herab. Er war gut einen Kopf größer als ich. Es war nicht fair, ihn so stehen zu lassen. Er hatte sich solche Umstände gemacht und wusste natürlich nichts von meinem verkorksten Leben. Ich sah zu ihm auf und sagte: „Danke für den netten Abend. Und für das tolle Essen. Dein Crashkurs über den indischen Film war sehr interessant. Auch dafür, Danke.“ „Gern geschehen,“ antwortete er bloß und musste sich räuspern, da seine Stimme irgendwie rau klang. Ich schenkte ihm ein schiefes Lächeln und ging zur Tür. Mit einem großen Schritt war er bei mir und öffnete mir die Zimmertür. So viel Zuvorkommenheit verwirrte mich. Er warf seinem Bodyguard, der vor seiner Tür gewartet hatte, einen strengen Blick zu und sagte: „Bring sie bitte nach Hause.“ „Das ist wirklich nicht nötig,“ widersprach ich und sah entschuldigend zu seinem Leibwächter. „Ich bestehe darauf. Wir sehen uns morgen. Schlaf gut, Leah,“ entgegnete er und sein Tonfall ließ keine Widerrede mehr zu. Da ich müde, verwirrt und angetrunken war, widersprach ich auch nicht mehr und folgte dem Bodyguard zu dem dunklen Wagen, der mich nach Hause bringen sollte. Ich wollte nur noch in meine kleine Wohnung, in mein kleines Leben und mein warmes, kleines Bett. Die Welt machte mir wieder einmal Angst. Sie war so gemein und erinnerte mich immer wieder daran, was ich getan hatte. Dass ich offenbar unfähig war, glücklich zu sein. Ohne ein Wort des Abschieds stieg ich aus dem Wagen, als wir vor meinem Mietshaus hielten. Fluchtartig rannte ich die Treppen zu meiner Wohnung hinauf und fiel fast über das kleine Päckchen, das vor meiner Haustür lag. Ich nahm es hoch und ging in meine Wohnung. Was war das bloß? In braunem Paketpapier schien eine Art Buch eingepackt zu sein. Ich öffnete das Päckchen und eine Karte fiel mir entgegen. Sie war von meinem Bruder. In der Karte stand: Da du dich ja momentan mit dem mystischen Indien zu beschäftigen scheinst, fand ich dieses Geschenk mehr als passend. ? Happy Birthday Schwesterherz! Neugierig sah ich auf das Buch. „Mystische Mandalas – finden Sie ihr Gleichgewicht“ las ich laut en Titel, der in bunten Buchstaben aufgedruckt war. Mein Bruder hatte mir ein Malbuch geschenkt. Ein Malbuch mit Mandalas. Und eine nagelneue Packung Buntstifte. Als wäre ich nicht dreißig, sondern fünf Jahre alt geworden. Behutsam legte ich sein Geschenkt auf meinen kleinen Wohnzimmertisch und schlich in mein Schlafzimmer. Ohne mich abzuschminken oder meine Zähne zu putzen ließ ich mich in mein Bett fallen. Dieser Abend hatte mich geschafft. Ich wusste nicht warum. Aber ich fühlte mich fix und fertig. Und doch… das letzte, an das ich dachte bevor ich einschlief, war Rahuls fröhliches Lachen.