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1. Elænas und Tiere
ОглавлениеEinige Monate zuvor:
Sherina seufzte. Die Sonne schien zwischen den Bäumen hervor und wärmte ihren Kopf. Der Wald versprühte seinen Duft nach Nadeln, Harz und frischer Erde. Tiere huschten umher und suchten nach Nahrung. Doch das alles wurde von der Sonne angetrieben. Die gute liebe Sonne. Sherina sah auf, als sie ein Geräusch hinter sich hörte. Mareilli kam zu ihr und kniete sich neben sie.
"Und?", fragte sie. "Was machen die Pflanzen?"
Sherina beugte sich zu dem Farn, den sie inspiziert hatte, und nickte zufrieden. "Es ist alles klar mit ihnen."
Mareilli seufzte erleichtert auf. "Dann hast du Zeit?"
"Vielleicht… wofür denn?"
"Die Füchse haben Nachwuchs", erwiderte Mareilli nur und Sherina nickte sofort. "Dafür hätte ich auch Zeit, wenn es den Pflanzen schlecht ginge!"
Natürlich war das nicht ernst gemeint, denn wenn sie nur einen Fehler bei der Inspizierung der Pflanzen machte, könnte sie ihre ganze Zukunft damit vernichten.
Als Heranwachsende des Elfenvolkes hatten sie die Aufgabe, sich um die Pflanzen zu kümmern, die ihnen zugeteilt wurden. Taten sie dies nicht, konnte das schlimme Konsequenzen haben. Man würde ihnen nicht mehr vertrauen, und das konnte ihre ganze Zukunft und berufliche Laufbahn zerstören. Aus diesem Grund waren sie alle sehr achtsam, was die Pflanzen anging.
"Dallis meint, dass wir die Füchse nicht stören sollen, aber sie kümmert es bestimmt nicht, wenn wir sie nur beobachten, oder?", fragte Mareilli. Sherina nickte. "Wir können sie auch vorher fragen…"
"Das ist aber dann deine Aufgabe", gab Mareilli zurück und Sherina nickte. Sie hatte die seltsame Gabe, dass sie verstehen konnte, was die Tiere wollten, und dass die Tiere sie ebenfalls verstanden. Dallis, ihr Onkel, meinte, dass dies eine sehr seltene Gabe war und Sherina sie mit Dankbarkeit tragen sollte. In ihrem kleinen Walddorf waren nicht viele Elfen, die seltene Gaben hatten.
Bei den Elfen kam es manchmal vor, dass ein Baby von der Göttin Ïkręneta gesegnet wurden. Ïkręneta war die Göttin der Gaben. Diese Kinder entwickelten im Alter ihre Gaben. Es gab viele verschiedene Gaben. Einige waren durchaus nützlich, andere eher nicht. Aber alleine so eine Gabe tragen zu dürfen, war eine große Ehre. Schließlich konnte man sie ausbauen und noch nützlich machen. Einige Gaben konnte man von alleine und für andere trainierte man jahrelang ohne Unterlass. In der Beziehung hatte Sherina Glück gehabt. Sie hatte nie irgendwelche Tiersprachen auswendig lernen müssen. Die Tiere verstanden sie einfach so.
Sie erreichten den Fuchsbau und kauerten sich in ein Gebüsch. Von dort hatten sie einen guten Blick auf den Bau.
Sie waren sehr leise und bewegten sich keinen Zentimeter. Das lernte man bei ihnen schon in der Schule, die Æle hieß. Dort lernte man viele Sachen, die die Menschen auch lernten (Lesen, Schreiben, Rechnen...) und zusätzlich noch Elfengeschichte (Ïkate), Schleichen (Ýokate), Kämpfen mit Schwert (Læ da Schwat) und kämpfen mit Bogen (Læ da Boga).
Sie waren also mucksmäuschenstill, als die kleinen Füchse mit ihrer Mama herauskamen. Die kleinen Füchse tollten herum und jagten ihre Schwänze. Es waren drei von ihnen und die Mama Füchsin betrachtete sie stolz.
Sherina winkte Mareilli zu und sie schlichen wieder weg.
"Wir sollten sie nicht zu lange beobachten", sagte Sherina und Mareilli stimmte ihr zu. "Wir wollen schließlich auch nicht, dass uns fremde Leute die ganze Zeit beobachten."
Die zwei Mädchen machten sich auf den Weg zurück ins Dorf, wo ihr Vorgesetzter und gleichzeitig Ïkatelehrer Izlabi wartete. Er sah ihnen ernst entgegen. Als die Mädchen bei ihm angekommen waren, sagte Mareilli: "Buchen sind in Ordnung."
"Farn ist in Ordnung", sagte Sherina.
"Und warum seid ihr dann so spät?", fragte Izlabi. Sherina wusste nicht, was sie sagen sollte. Izlabi hatte braune kurze Haare, meerblaue Augen und war ein muskulöser Typ. An seinen Händen zeigten sich Schwielen von jahrelanger harter Arbeit. Er war nicht der Typ, mit dem man sich anlegen wollte.
Mareilli sah auf ihre Füße und murmelte etwas.
"Wie bitte?", fragte Izlabi nach. Sein strenger Blick durchbohrte die Mädchen.
"Wir haben uns die Fuchsbabys angeschaut", sagte Sherina mit hoch erhobenem Kinn. "Wir wollten wissen, ob Frau Füchsin ihre Geburt gut überstanden hat und wie viele Kinder es sind."
"So, das wolltet ihr wissen?"
Sie nickten beide.
"Dann solltet ihr wissen, dass sie alles gut überstanden haben und dass es drei Kinder sind! Und, dass ihr nicht dafür verantwortlich seid, dass es den Tieren gut geht!", herrschte Izlabi sie an.
Sie zuckten zurück. Mareilli nickte eilig, doch Sherina sagte: "Es ist aber nun mal so, dass die Tiere viel spannender sind als langweilige Farne!"
"Es ist wichtig, dass es allen Lebewesen des Waldes gut geht", erwiderte Izlabi. "Nur dann kann das System der Natur gut funktionieren."
"Pflanzen sind langweilig", beharrte Sherina und ignorierte auch Mareillis warnende Blicke. "Sie stehen nur da und tun den ganzen Tag nichts."
"Sherina", sagte Izlabi nun streng. Er hob warnend seine Hand und meinte: "Hör zu, eines Tages wirst du verstehen, dass jedes Lebewesen wichtig ist, damit alles funktioniert. Jede Pflanze, jedes Tier und jeder Elf."
"Pah", machte Sherina. Mareilli hatte schon einen Rückzieher gemacht, doch Sherina war hitzköpfig und manchmal ungemein frech, wie ihr Großvater es so schön ausdrückte.
"Du wirst es spätestens bei den Ėlænas lernen."
Die Ėlænas waren junge heranwachsende Elfen wie Sherina und Mareilli. Sie wurden jedes Jahr ausgewählt. Aus dem ganzen Land suchten die Erwachsenen junge Elfen aus, die entweder eine besondere Gabe besaßen oder auf Empfehlung der Lehrer ausgewählt wurden.
Genommen zu werden, war eine sehr große Ehre, und die Ėlænas, die ausgewählt wurden, bekamen die einzigartige Möglichkeit, der königlichen Armee beizutreten und dort große Karriere zu machen. Als Krieger!
Sherina träumte seit Jahren davon, ausgewählt zu werden.
"Wer sagte denn, dass ich genommen werde?", fragte sie nun Izlabi.
"Niemand, aber sie hoffen es alle, da sie dann Ruhe haben", sagte der und ging davon.
Wenn man einmal erwählt war, konnte man entscheiden, ob man gehen wollte. Wenn man ging, wurde man in die große Elfenstadt Katheri gebracht, wo man mit vier weiteren Ėlænas in eine Gruppe kam. Diese Gruppe lebte und lernte zusammen für die Wettstreite und Prüfungen, die entscheidend für das Weiterführen der Ausbildung waren. Zwischen den jahresabschließenden Wettstreiten hatte man Unterricht und lernte nicht nur den Umgang mit eigenen Waffen, sondern auch taktische Dinge sowie Sprachen und geschichtliche, wichtige Ereignisse. Nach fünf Jahren der Ausbildung gab es eine Feier, auf der man als Ėlæna anerkannt und zu einem richtigen Krieger des Königs gemacht wurde, vorausgesetzt, man schaffte alle Prüfungen und flog nicht schon vorher heraus.
Mareilli und Sherina hatten sich oft ausgemalt, wie sie zusammen die unmöglichsten Aufgaben lösten und vom König (Blœr) zu Kriegern ernannt wurden.
Der Blœr hieß Heraldo und war schon sehr alt. Manche Leute behaupteten, dass er so alt war, dass er die Entstehung der Erde miterlebt hatte.
Sherina wusste, dass dies nur Dorfklatsch war, und trotzdem konnte sie es nicht ganz verwerfen.
"Denkst du, dass du zu den Ėlænas kommst?", fragte Mareilli und Sherina zuckte mit den Schultern.
"Kann gut sein, oder? Ich meine, ich kann mit Tieren sprechen…"
"Hm", machte Mareilli. "Du hast es gut…"
"Warum?", fragte Sherina überrascht. Sie machten sich langsam auf den Weg nach Hause. Die Häuser bestanden eigentlich aus den uralten und unheimlich großen Bäumen des Mihaliwaldes. Sie waren so uralt, dass es ihnen nichts ausmachte, wenn Elfen in ihnen wohnten. Das Schöne an so einen Baum war, dass man keine Mauern oder etwas in der Art ziehen musste, sondern ihn nur leicht aushöhlen. Man konnte mehrere Stockwerke machen oder bei einem bleiben, wie es einem beliebte. Hauptsache, man überstrapazierte den Baum nicht.
"Sherina!", rief plötzlich jemand. Sherina sah sich um und entdeckte Mohra, die auf sie zueilte. Mohra war ebenfalls eine Heranwachsende; sie besaß die Gabe, in andere Köpfe einzudringen und ihre Gedanken zu lesen. Sherina und Mareilli hatten inzwischen gelernt, ihren Geist gegen Mohra zu verschließen, da die Elfe auch nicht ihre beste Freundin war.
Sie kam zu ihnen und warf ihr langes, helles Haar zurück. "Hast du dich um die Farne im östlichen Wald gekümmert?", fragte sie Sherina.
Die nickte nur genervt. "Ja", sagte sie.
Sie und Mohra waren für die Farne des Waldes um sie herum verantwortlich.
"Sicher?"
"Verdammt, ja! Und jetzt verschwinde, klar?", fluchte Sherina.
Mohra zog die Brauen hoch. "Achja? Ich hab vielleicht Nachrichten, die dich interessieren könnten."
"Los, sag!"
"In zwei Tagen kommen die Ausbilder der Ėlænas! Und ihr wisst, was das heißt."
"Dass erneut ausgewählt wird", murmelte Sherina mehr für sich. Auf einmal tauchten all ihre Kindheitsträume wieder auf. Wie sie ferne Länder sah, zu einer starken und mutigen Kriegerin ausgebildet wurde und in epischen Schlachten stand und ein gebogenes Schwert erhob.
Sie sah wunderschöne Prinzen, die um ihre Hand anhielten, und sich selbst, wie sie einen besonders hübschen auswählte. Und sie sah Mareilli, die mit ihr in die Schlachten zog und eine wunderschöne, gefährliche Kampfmaschine war. Es waren kindische Wunschträume, und sie waren noch auf ihre Kindheit zurückzuführen, jedoch hatten sie sich so sehr in ihr Gehirn eingenistet, dass sie an nichts anderes denken konnte, wenn sie Ėlænas hörte.
"Glaubt ihr, dass ihr Chancen habt, bei ihnen zu landen?", fragte Mohra mit gerümpfter Nase.
"Ja!", antwortete Sherina geradeheraus und zog Mareilli mit sich, während sie weiterging.
Mohra blieb weiter hinten stehen und lachte.
"Wahnsinn", murmelte Sherina begeistert zu Mareilli. "Ėlænas! Wir werden zu den Ėlænas gehören!"
"Hm…", machte Mareilli nur. Sie schien abwesend, und Sherina weckte sie nicht aus ihren Gedanken. Sie überlegte selbst, was alles möglich wäre, wenn man bei den Ėlænas war.
Sie kamen zuerst an Mareillis Haus. Gedankenverloren verabschiedeten sie sich beide, und Sherina ging weiter durch ihr kleines Dorf. Sie wohnten hier schon seit Ewigkeiten. Ihr Großvater hatte ihr einmal erzählt, dass Sherinas Familie schon seit der Gründung des Dorfes hier lebte und sich um Pflanzen und Tiere kümmerte.
Ihr Opa hatte ein sehr großes Herz für Elfen, Tiere, Pflanzen und allen anderen Lebewesen, sogar für die Menschen, die in weiter Ferne lebten. Sherina hatte nicht viel für Menschen übrig. Alles, was sie über sie gehört hatte, war negativ gewesen, wie hätte sie also positiv über sie denken können?
Nach dem, was Sherina wusste, waren Menschen Lebewesen, die den Elfen zwar ähnelten, aber keine besonderen Gaben hatten oder Magie beherrschten. Sie waren grausam und brachten sich bei jeder Kleinigkeit selber um. Sie aßen Tiere und hielten sich für eine überlegene Rasse. Sie traten ihre Artgenossen, wenn sie auf dem Boden lagen, und vor allem achteten sie nicht die Natur und holzten ganze Wälder ab, um sich ihre Häuser zu bauen.
Sherina kam zu Hause an und klopfte.
"Jaha, ich komme!", rief ihre Mutter und öffnete die Tür. Sie hatte sich eins der riesigen Blätter des Eichenbaumes, in dem sie wohnten, umgebunden. Das Blatt diente als Schürze. Sherina schnüffelte in der Luft. "Du hast gekocht?"
"Und du hast dich um Farne gekümmert?", erwiderte ihre Mum und sie nickte. "Und es hat unheimlich viel Spaß gemacht", sagte sie ironisch.
"Ach komm, du weißt genau, wie wichtig es ist", meinte ihre Mum. Sherina ging in den Flur und stöhnte auf. "Oh, fang du nicht auch noch damit an."
Ihre Mutter schloss die Tür und sah sie musternd an. "Was heißt denn, auch noch?"
Sherina seufzte. Mütter! Die mussten immer ausgerechnet das heraushören, was den Kindern Schwierigkeiten bringen würde.
"Nichts", antwortete Sherina.
"Nichts? Sicher? Ich kann auch nachfragen, Schatz."
Sherina ging langsam in die Küche und setzte sich an den Tisch. "Na gut, Izlabi hat das auch schon gesagt, nachdem wir zu spät gekommen sind, weil wir uns die Fuchsbabys angeschaut haben.“
"Futsbabys?", fragte Herito. Er war Sherinas kleiner Bruder, 2 Jahre alt und manchmal echt nervig. Er hatte unter dem Tisch gehockt und auf einer Beere herum gekaut. Nun sah er zu Sherina und fragte erneut. "Fütse?"
"Im Wald, da darfst du nicht alleine hin."
"Nist alleine?"
"Nein… was kochst du?", fügte sie an ihre Mutter gewandt hinzu.
"Beerenauflauf, den magst du doch so", antwortete sie.
"Oho, welch ein feierlicher Anlass? Was ist der Grund? Heiratet jemand?", fragte Sherina, da Beerenauflauf nicht nur aufwändig war und viel Zeit kostete. Nein, er war auch noch sehr teuer, da die vielen Beeren nur schwer zu beschaffen waren.
"Nein, Ėlænas-Auswahl", antwortete ihre Mutter Kahena knapp und lächelnd.
"Oh", machte Sherina nur und sah gedankenverloren an Kahena vorbei. Natürlich hatte sie alle möglichen Träume, doch nun fiel ihr ein, dass sie erst mal genommen werden musste.
"Denkst du, dass ich da eine Chance habe?", fragte sie ihre Mum und dachte dabei an Mohras Worte.
"Du verstehst die Tiere! Natürlich kannst du es schaffen, mein Schatz", antwortete Kahena.
"Was kann sie schaffen?", fragte plötzlich eine Stimme und Elise kam hinein.
Elise war Sherinas Schwestern und nur zwei Jahre jünger, also sechzehn.
"Ėlænas", antwortete Sherina. Sie hatte eine sehr gute Beziehung zu ihrer Schwester und die vertraute ihr auch blind. Elise ließ sich auf einen Stuhl fallen und sah Sherina mit großen Augen an. Sie bewunderte ihre große Schwester und blickte zu ihr auf.
"Das wäre wirklich… Wahnsinn... einfach genial!"
Sherina nickte. "Frage ist, ob ich es wirklich zu ihnen schaffe…"
"Ich denke schon", sagte Elise, "du kannst mit Tieren spreche, bist nicht schlecht in der Schule und auch total nett. Das ist doch der perfekte Mix, oder?"
"Ja, ist es, und die kleine Sherina wird es schaffen und unsrer Familie endlich wieder etwas Ehre bringen!", sagte Bolar, der gerade herein kam. Bolar war der Opa und nun fehlte nur noch ihr Vater. Thim war oft und lange arbeiten und kam meistens erst spät heim, weshalb sie oft ohne ihn aßen. So auch an diesem Tag.
Hungrig schob sich Sherina den Beerenauflauf in den Mund, weshalb Kahena sagte: "Na, jetzt schling doch nicht so."
Bolar jedoch meinte: "Jetzt lass das Mädchen doch schlingen, sie wird das doch wohl dürfen."
Kahena schüttelte nur den Kopf. "Sherina, schling nicht so."
Nun gab sich Sherina Mühe, nicht zu schlingen, sondern ganz brav zu essen. Dafür schlang nun Bolar. Kahena schüttelte nur den Kopf und schwieg.
Bolar zwinkerte Sherina zu, und das Elfenmädchen grinste. Er war schon ein lustiger Zeitgenosse.
Plötzlich hörten sie Rufe von der Straße aus. Elise, die am nächsten am Fenster saß, warf einen Blick hinaus und wurde plötzlich ganz aufgeregt. "Die Ėlænas!"
"Was?" Sherina stürzte zum Fenster und tatsächlich: Über den Bäumen flog ein Drache, der die Fahne des Blœr trug.
"Verdammte - ", stieß sie aus und rannte zur Haustür. "Ich bin bald zurück!", rief sie noch und rannte nach draußen. Der Beerenauflauf war vergessen.
Es eilten sehr viele Elfen auf die Straße. Sowohl Elfen in ihrem Alter als auch jüngere und ältere. Alle folgten mit ihren Blicken dem Drachen, der die Vertreter des Blœrs bringen würde.
Der Drache würde auf dem größten Baum des Dorfes landen. Man nannte diesen Baum den Gohanne. Er war das Verwaltungsgebäude, wo nicht nur ihr Bürgermeister lebte und arbeitete, dort waren auch Gästezimmer für höheren Besuch und Gefängnisse für Streitmacher.
Der Drache landete dort, alle Umstehenden hörten das Knacken der Äste und das Rascheln der Blätter. Sherina sah sich um und entdeckte Mareilli. Sie winkte sie zu sich und flüsterte ihr zu: "Das ist es, das ist unser Schicksal, Mareilli."
Mareilli schwieg und sah auf den Baum, um den eine Treppe gewunden war. Ihr Blick war ängstlich und unentschlossen. Sherina jedoch war sich ihrer Sache sehr sicher.
Die Treppe betrat nun ihr Bürgermeister Benaschi.
Die Menge unten wartete sehr lange. Tatsächlich eine halbe Stunde, bis man sie wieder herunterkommen sah. Sherina hatte die ganze Zeit nach oben gestarrt, während Mareilli angespannt hin- und hergelaufen war.
Benaschi hatte einen Elf und eine Elfe dabei, die sich ernst und streng umblickten.
Die Elfe hatte kurze blonde Haare und strahlend blaue Augen. Ihre Haut war braun gebrannt und sah sehr weich aus. An ihrer Hüfte hatte sie einen herrlich verzierten Gürtel mit einem ovalgebogenen Schwert.
Der Elf hatte rückenlanges braunes Haar und ebenfalls blaue Augen, mit denen er alles genau musterte. Er trug einen Bogen über seiner Schulter und war ansonsten nur mit einem Messer bewaffnet. Er war ebenfalls braun gebrannt.
Man konnte gleich erkennen, dass sie aus dem Südreich der Elfen stammten, da ihre Augen mandelförmig waren und die äußeren Augenwinkel leicht heruntergezogen wurden.
Die Waldelfen, zu denen dieses Dorf gehörte, hatten meistens nicht so stark mandelförmige Augen und ihre äußeren Augenwinkel gingen nach oben, was ihnen ein leicht katzenartiges Aussehen verlieh.
Benaschi sah zwischen ihnen wie ein kleiner Junge aus. Der Bürgermeister war nicht sehr groß und hatte auch nicht ein besonderes Aussehen, was seine geringe Größe hätte ausgleichen können.
"Guten Tag", sagte der Elf.
"Guten Tag", antwortete das Dorf im Chor.
"Wir sind wohl etwas früher angekommen, als wir dachten. Wir hatten angenommen, dass wir erst morgen euer Dorf erreichen würden. Deswegen werden wir die Auswahl auf morgen vorverschieben. Das lässt euch weniger Zeit, euch vorzubereiten, und macht uns die Auswahl leichter. So werden wir nicht danebengreifen und vielleicht die Falschen auswählen. Meine Kollegin Schorin wird euch erklären, wie das Ganze ablaufen wird."
Auf seine Rede folgte ein kleiner Applaus, doch als Schorin vortrat, wurde es wieder vollkommen still.
"Wir werden uns heute einen Überblick über die Heranwachsenden verschaffen. Nichts Schlimmes, wir werden nur nach schulischer Leistung und möglichen Gaben fragen. Morgen werden sich schließlich alle Dorfbewohner auf dem Marktplatz treffen, damit jeder mitbekommt, wen wir auswählen. Die anstrebenden Ėlænas werden einen Tag Zeit haben, um zu entscheiden, ob sie diese Reise antreten wollen. Habt ihr einmal zugestimmt, gibt es kein Zurück mehr, denn dann müsst ihr da durch, und ich warne euch, diese Prüfungen könnten auch euren letzten Nerv rauben, wenn ihr einen allzu schwachen Geist habt. Entscheidet also nicht zu vorschnell und überdenkt alles, was ihr tut."
Sie trat wieder einen Schritt zurück und die Menge applaudierte wieder.
"Wir wollen alle Heranwachsenden sehen, bitte. Und der Rest möge gehen", befahl der Elf.
Izlabi war in seinem Element. "Alle Heranwachsende, hierher bitte. Nein, nicht du. Ja hierher."
Mareilli und Sherina traten zu den anderen und sahen sich aufgeregt an. "Das ist es", murmelte Sherina, "jetzt müssen wir überzeugen."
"Ruhe, bitte!", brüllte Izlabi den tuschelnden Schülern zu. "RUHE!"
Schorin und der Elf warfen sich einen belustigten Blick zu.
Benaschi wandte sich zu den Schülern und sagte: "Seid nicht so aufgeregt, meine Kleinen. Schorin und Bahur sind ganz nett."
Schorin lächelte grimmig. "Ganz recht. Nun, Izlabi wird nun eure Namen vorlesen, und ihr tretet vor und stellt euch kurz vor. Mit Namen, Alter, Gabe und euren Hobbys. Nach schulischer Leistung fragen wir dann lieber eure Lehrer. Und was die Gabe angeht, versucht uns nicht zu betrügen, denn wir merken es schon, wenn ihr Gaben habt. Schließlich haben wir schon einige Jährchen Erfahrung…", sie schwieg.
Eine unausgesprochene Frage schwang in der Luft: Warum müssen wir dann die Gabe nennen?
Da jedoch niemand etwas sagte, begann Izlabi mit dem ersten Namen, der auf einer Liste stand.
Sherina hörte nicht zu. Sie überlegte, wie sie sich am besten vorstellen sollte. Schüchtern? Nein!
Es gab so viele Möglichkeiten: Selbstsicher, überlegen, überschwänglich, freundlich, ernst…
"Mareilli Gerista!"
Mareilli zuckte zusammen und trat leicht zitternd vor.
Sie sah die Elfen schüchtern an. Schorin nickte ihr zu und sie begann stotternd: "Also, ich… ich heiße Mareilli, bin neunzehn Jahre alt und habe keine Gabe…"
Sie blieb stehen, weil sie anscheinend wusste, dass sie etwas vergessen hatte, aber sie kam nicht darauf, was es wohl war.
"Hobbys?", fragte Bahur freundlich.
"Oh, ähm… also Sherina und ich sind - sind sehr oft im Wald und beobachten die Natur. Heute Morgen waren wir bei den Fuchsbabys und haben - ,oh!", sie verstummte, da ihr einfiel, dass sie dort eigentlich gar nicht hätten sein dürfen. Sherina sah Mohra gehässig lächeln.
"Soso, bei den Füchsen ward ihr? Während der Schulzeit?", fragte Bahur ernst.
"Also ja - aber eigentlich nein, weil wir dort erst hingegangen sind, nachdem wir unsere Pflanzen überprüft hatten…"
Schorin neigte den Kopf. "Danke, Mareilli, du kannst gehen."
Wer sich vorgestellt hatte, durfte nach Hause.
Mareilli machte einen kleinen Knicks und verschwand sehr schnell. Weitere wurden aufgerufen und endlich kam: "Sherina Kehan!"
Sie trat mit hoch erhobenem Kopf nach vorne und neigte ihn leicht in die Richtung der Elfen.
"Mein Name ist Sherina", begann sie und wurde von Bahur unterbrochen. "Du bist die, die in fremde Fuchsbauten guckt?"
"Nein, bin ich nicht!", erwiderte Sherina empört. "Erstens mögen mich die Füchse, und zweitens haben wir ihnen nur fünf Minuten beim Spielen zugeguckt. Dann sind wir wieder gegangen. Wenn wir bei ihnen hätten hineingucken wollen, hätte ich sie gefragt!"
Izlabi seufzte auf.
"Du hättest gefragt?", fragte Schorin.
"Ja! Meine Gabe ist das! Ich verstehe die Tiere und sie verstehen mich."
"Soso", sagte Bahur nur.
Schorin jedoch erinnerte sie an die anderen Punkte: "Sehr schön, jetzt verrate uns noch dein Alter und deine Hobbys, und dann darfst du weiter mit deinen Füchsen spielen!"
Die Schüler im Hintergrund kicherten und Sherina wurde rot. "Ich habe nicht mit ihnen ge -"
Izlabi räusperte sich und sah Sherina erst an. Sie seufzte und sagte: "Bin achtzehn und ansonsten sehr gerne im Wald unterwegs und… spiele mit Tieren!"
Bahur schmunzelte, doch Schorin blieb ernst. Sherina sah sie genauso ernst an. Dann drehte sie sich auf den Hacken um und ging mit energischen Schritten weg.
Blöde Kuh, dachte sie, die hat doch keine Ahnung!
Als sie zu Hause ankam, warteten alle auf sie und als sie sahen, dass sie so wütend war, befürchteten sie das Schlimmste.
"Alles klar?", fragte Elise. Sherina nickte. "Nur diese Schorin hat mich aufgeregt. Sie meinte, ich würde einfach mit den Tieren spielen!"
"Aber das stimmt doch", meinte Kahena.
"Ja, schon… aber so, wie sie das sagte, klang es falsch… als würde ich mich als überlegen ansehen und mit den Tieren machen, was ich will!"
Bolar nickte. "Das ist gemein."
"Ja, und jetzt lasst mich bitte alleine", äußerte sich Sherina und ging hinauf in ihr kleines Zimmer.
Es war ganz oben, fast an der Krone, und von dort hatte man einen herrlichen Ausblick. Aus dem Holz des Baumes war auch ein Bett geschnitzt worden, das mit
vielen Federn und aus Garn gesponnenen Decken gemütlich gemacht worden war. Dann hatte Sherina noch zwei Kisten in ihrem Zimmer. Eine mit Kleidungsstücken und eine kleinere mit einigen Habseligkeiten.
Von ihren Zimmerfenster aus konnte man auf einen Ast des Baumes klettern und von dort aus bis hinauf zur Krone der Eiche.
Dort kletterte Sherina nun hin und machte es sich dort gemütlich. Sie konnte das ganze Dorf überblicken und sah sogar den Drachen, der sich zusammengerollt hatte und nun schlief. Sherina zog sich eine Haarsträhne aus ihrem Zopf und begann, sie zu flechten. Viele der Elfen im Dorf hatten aufwändige Frisuren und verbrachten viel Zeit damit, sich die Haare zu machen. Sherina war da ganz anders. Sie machte sich immer einen Pferdeschwanz und das reichte dann aus. Ihre Haare waren sehr lang, reichten bis zur Hüfte, und sie konnte es nicht übers Herz bringen, sie abzuschneiden.
Sherina hatte auch grüne Augen mit einem leicht blauen Stich. Elfen hatten generell grüne oder blaue Augen. Die Augenfarbe war bei ihnen oft sehr stark und kräftig. Nachdenklich ließ Sherina ihre Strähne los und überlegte. Wenn alle bei den Ėlænas so waren wie Schorin, wollte sie dort gar nicht mehr hin…
Doch dann sah sie wieder die Chancen, die sie bei den Ėlænas hätte. Theoretisch hatte man dort die Elite erreicht, und das war es schließlich, was sie wollte, oder? Konnte man dann nicht einmal von den unfreundlichen Lehrern absehen?
Sie schloss die Augen und genoss die Stille. Sie stellte sich vor, wie sie über ein Schlachtfeld ging und ihr Schwert schwang. Alleine wegen ihr war diese Schlacht schon gewonnen. Die restlichen Elfen jubelten ihr zu. "Sherina!", riefen sie alle, sogar Schorin. Die männlichen Elfen Sethon und Phil aus ihren Dorf sahen sie mit bewundernden Augen an und bettelten um einen Kuss. Da Sherina beide mochte und beide gut aussahen, konnte sie sich nicht entscheiden, und zum Schluss half Mareilli ihr aus, indem sie einfach einen der beiden küsste. Mohra hatte es nicht zu den Ėlænas geschafft und war nicht bei ihnen.
Sie feierten und tranken sehr viel Beerenwein. Mareilli tanzte gerade mit Sherina und sagte zu ihr: "Hör zu, du darfst mich nie alleine lassen, ja?"
Sherina nickte. "Wieso sollte ich das, wir sind Freunde für immer!"
Mareilli lächelte sie traurig an und Sherina lächelte zurück. Sie waren die besten Freundinnen aller Zeiten.
"Niemals darfst du mich alleine lassen", sagte Mareilli plötzlich, wie aus dem Nichts und schwoll an. Plötzlich ging ihr ganzer Körper in die Breite und Sherina stolperte zurück. Die anderen Elfen, die tanzten, schienen nichts zu bemerken. Nun war Mareilli schon so groß wie ein Pferd.
"Mareilli!", schrie Sherina erschrocken. Die große Mareilli lehnte sich drohend zu ihr herunter, und alles um sie herum wurde schwarz.
"Sherina!" "Sherina!" "Sherina!" "Sherina!" schrieen ganz viele Stimmen und sie schreckte auf.
"Verdammt", fluchte sie und erhob sich. Die Stimmen schrieen noch immer ihren Namen, und Sherina sah sich um. Sie hatte geträumt und befand sich noch immer auf dem Baum. Die Stimmen, die ihren Namen riefen, gehörten ihrer Familie und sie antwortete laut: "Ich komme!"
Mit Hochgeschwindigkeit kletterte sie den Baum hinunter und balancierte auf dem Ast wieder in ihr Zimmer.
Sie rannte die Treppe hinunter und stand schließlich im Wohnzimmer, wo Elise laut rief: "Ich hab sie."
Leiser fragte sie Sherina: "Warst du auf unsrem Baum?"
Sherina nickte und legte einen Finger an ihre Lippen. "Nichts sagen."
Ihre Eltern wussten nicht, dass man auf diese Weise hoch kam, und es sollte auch ein Geheimnis bleiben. Bolar wusste es aber und schwieg. Er würde niemals ein Geheimnis verraten.
"Paps ist auch da und hat dich gesucht", meinte Elise nur und ließ sich auf einen der drei weichen Sessel fallen.
Kahena und Thim kamen herein, und Thim nahm Sherina erst einmal in den Arm.
"Ėlænas!", sagte er, und in seiner Stimme schwang der Stolz.
Sherina schwieg nur. Sie dachte an ihren Traum und überlegte, ob er eine Bedeutung haben könnte. Bolar hatte ihr mal von prophetischen Träumen erzählt. Sollte sie ihn danach fragen, überlegte Sherina. Sie entschied sich jedoch dagegen. Es wurde Zeit, dass sie einmal etwas erwachsener handelte, und dazu gehörte sicher nicht, zu ihrem Opa zu rennen, wenn sie einen Albtraum hatte.
"Ich sagte doch, dass ihr euch keine Sorgen machen müsst", sagte Bolar, der auch hereinkam.
Sherina befreite sich aus dem Griff ihres Vaters und nickte. "Ich bin nur eingenickt, als ich mich entspannen wollte."
Bolar nickte. "Sherina wird immer wieder kommen."