Читать книгу Rondaria - Melanie Weber-Tilse, Alisha Mc Shaw - Страница 10

Aufbruch

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»Weil du uns retten kannst!«

Noyan

Schoßhund.

Dieses Wort hatte ihn die ganze Nacht nicht zur Ruhe kommen lassen, hallte immer wieder in seinem Kopf nach. Er konnte verstehen, wie überrumpelt sie von all den Dingen war, die er ihr offenbart hatte. Zugegeben, ziemlich plump. Aber sie das in ihm sah, verletzte ihn mehr, als er zugeben wollte. In seinen Augen war ihre Sicht der Dinge falsch.

Seit Stunden saß er nun auf dem Friedhof. Nachdem er ihr Haus so fluchtartig verlassen hatte, war er hierher gekommen und starrte seitdem nachdenklich auf das Grab ihrer Eltern. Ein einfacher, grauer Stein, der nach oben rund zulief und in einem gemeißelten Kreuz endete. Zu dem schon etwas verwitterten Namen ihrer Mutter hatte Aleyna den ihres Vaters hinzufügen lassen. Maria & Taledon stand in der Mitte des Steines mit zierlichen, golden eingefassten Lettern, mehr nicht.

Zwei Kisten mit Blumen und ein kleiner Engel mit der Inschrift Nur vorangegangen standen an der Seite bereit, um verarbeitet zu werden, wenn der Friedhofsgärtner die frisch zugeschüttete Grabstätte mit Gras bedeckt hatte. Aleyna würde sich hier einen schönen Ort schaffen, um für Erinnerungen zu verweilen.

Noyans eigentliche Aufgabe war bereits erfüllt - er hatte die Aura des Wandlers überprüft. Sie war nur noch schwach vorhanden, aber was er sehen konnte, reichte ihm. Wo verblassendes, sterbendes Rot sein sollte, waren nur graue Überreste gewesen. Aleynas Vater war definitiv an der Krankheit gestorben. Noyan schnaubte bitter und sein Nackenfell richtete sich auf. Er wusste, was andere sahen, wenn sie seine Aura betrachteten. Eben jenes Grau, auf das er seit Stunden herabblickte. Die Seuche machte vor niemandem Halt. Auch vor ihm nicht.

Den einen traf es früher, den anderen später. Seine Mutter war tot, und seine Schwester war ebenfalls gestorben. Aber konnte man das wirklich noch sterben nennen? In seinen Augen war es ein qualvolles Dahinsiechen, ein stückweises Zerfallen von Wesen, die am Ende nur noch ein Schatten ihrer Selbst waren.

So weit würde er es nicht kommen lassen. Er konnte jeden in Rondaria verstehen, der seinem Leben selbstbestimmt ein Ende gemacht hatte.

Schon seit langer Zeit war ihm bewusst, dass er krank war. Noch gab es keine weiteren Auswirkungen, aber die Blicke der anderen Wandler, des Zirkels und nicht zuletzt der von Palina reichten ihm.

Er spürte Aleynas Anwesenheit, noch bevor er sie hören konnte.

Mit leisen Schritten trat sie hinter ihn und blieb in der schwindenden Dunkelheit stehen. »Ich glaube, mein Vater war auf eine neue Art glücklich, auch nachdem sie gestorben war«, sagte sie leise. »Wir haben am Waldrand gelebt und waren viel draußen. Er liebte den Wald, und ich tat es auch. Es veränderte sich erst, als wir umzogen.«

Langsam drehte sich Noyan zu ihr um, musterte sie schweigend. Sie trug ein schlichtes schwarzes Kleid und klammerte sich an einem Seesack fest, als sei er ihr einziger Halt.

»Eines Tages packte er unsere Sachen. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, was geschah, aber wir ließen alles hinter uns, was wir kannten. Den Wald, unsere Freunde, die Vergangenheit. Er kaufte das Haus, in dem ich heute lebe und verlegte ihre letzte Ruhestätte hierher. Er war nie wieder mit mir im Wald.« Aleyna ging an ihm vorbei und kniete sich vor dem Grab auf den Boden. Sanft berührte sie den Stein, ihre Traurigkeit wehte zu ihm herüber und wieder wallte das Verlangen in ihm auf, sie vor all dem zu schützen.

»Ich glaube, das hier war sein einziges Zugeständnis an die alte Zeit. Meine Mutter liegt am Waldrand, so verband er die beiden großen Lieben seines Lebens.« Ihr entwich ein tiefes Seufzen. »Ich kann mich an fast gar nichts mehr erinnern, vielleicht habe ich es schon zu lange verdrängt. Die Sache mit den sprechenden Tieren ...«, sie brach ab und drehte ihren Kopf zu ihm. »Es tut mir leid, was ich gesagt habe. Der Tod meines Vaters war schlimm für mich. Dann kamst du daher mit all deinen seltsamen Geschichten. Ich weiß, das rechtfertigt meine Worte nicht, aber vielleicht macht es das einfacher, mir zu verzeihen.«

Noyan erhob sich und trat an ihre Seite. Langsam ließ er sich neben ihr nieder und legte seinen Kopf auf die Pfoten. »Nein, ich sollte mich bei dir entschuldigen, Aleyna. Dein Vater ist gerade gestorben und ich komme hierher, präsentiere dir eine vollkommen neue Welt und erwarte, dass du dich auch noch freust«, murmelte er zerknirscht.

»Meine alte Welt zerbricht gerade. Mein Vater war ein Tier und ich, ... ich soll ebenfalls eines sein. Das ist einfach etwas viel auf einmal, verstehst du?«

Obwohl es ihn ziemlich kalt war und er sicher frösteln würde, löste Noyan den Wolf und verwandelte sich in seinen Menschen. Sanft griff er nach ihren Schultern und drehte sie so, dass sie ihn ansehen musste. Ihre Augen glänzten feucht und sie hielt den Seesack wie einen Schutzschild vor sich.

»Falsch«, sagte er sanft und hob ihren Kopf zu sich an. »Er war kein Tier, sondern ein Gestaltwandler. Das ist ein großer Unterschied. Aber vorrangig war er einfach nur dein Vater, okay?« Er sah ihren zweifelnden Blick und lächelte. »Vielleicht verstehst du es wirklich besser, wenn du es siehst.« Er ließ sie los und machte einen Schritt nach hinten.

»Was sehen?«, fragte sie, während sie scheinbar krampfhaft versuchte, nicht auf seinen nackten Körper zu starren. Mit zusammengekniffenen Augen hielt sie ihm den Seesack entgegen. »Nimm das!«, nuschelte sie.

Noyan starrte den Sack einen Moment verdutzt an, dann begriff er. Aleyna hatte ihm seine Kleidung mitgebracht! Ein Grinsen legte sich auf sein Gesicht, aber er griff nach dem Beutel. »Komm mit mir nach Rondaria«, sagte er leise, während er die Dinge herausfischte, die sie ihm schon in ihrem Haus gegeben hatte und schlüpfte hinein. Sogar an die Schuhe aus dem Flur hatte sie gedacht. »Lass mich dir die Welt zeigen, in der dein Vater einst gelebt hat. Ob du willst oder nicht, es ist auch deine Welt.«

Sie schüttelte den Kopf und erhob sich. »Nein, Noyan. Das hier«, sie machte eine übergreifende Handbewegung, »ist meine Welt!«

Ihre Worte trafen ihn tief, aber er versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie verletzt er war. »Weißt du, warum ich eigentlich hergekommen bin?«

»Du solltest irgendwas bei meinem Vater überprüfen, war es nicht so?« Sie warf einen Blick auf das zugeschüttete Grab und vermied es wieder, ihn anzusehen. »Und, was hast du rausgefunden?«

»Dass mein Volk über kurz oder lang genauso elendig zugrunde gehen wird wie dein Vater«, antwortete er leise und sah, wie sie zusammenzuckte.

Langsam drehte sie sich wieder zu ihm.

Hinter ihr ging die Sonne gerade über den Baumwipfeln auf. Ihre Strahlen verwandelten Aleynas rötliche Haare in flüssiges Gold. »Sag mir warum«, flüsterte sie. »Warum sollte ich mich in eurer Welt mit der Krankheit meines Vaters quälen lassen, wenn sie mich doch hier schon verfolgt?«

»Weil du uns retten kannst!«

Sie starrte ihn fassungslos an und ihm fiel auf, dass sie zitterte. Er ging langsam auf sie zu. »Wenn du diesmal bereit bist, mir wirklich zuzuhören, erzähle ich dir alles von Anfang an und ganz in Ruhe, okay?«

Aleyna zögerte einen Moment und nickte entschlossen. Sie deutete auf die schmale Holzbank, die einige Meter entfernt stand. Nachdem sie Platz genommen hatten, versuchte er, seine Gedanken zu ordnen. Noyan hatte keine Ahnung, wie sie auf all das, was er ihr berichten wollte, reagieren würde.

»Vor gut fünfzehn Jahren verschwand unser letztes Alphatier, Daeron. Palina, seine Gefährtin, übernahm mit dem Einverständnis des inneren Zirkels seine Position, um das Volk nicht zusätzlich zu verunsichern. Normalerweise ist es beim Tod des Alphatieres nämlich so, das bald darauf ein neues geboren wird. Das passierte nach Daerons Verschwinden aber nicht.« Aleyna lauschte schweigend, lediglich bei Erwähnung Palinas hatte sie das Gesicht verzogen. Es wurde ihm immer deutlicher bewusst, dass sie die Königin nicht sonderlich mochte.

»Nachdem etwa zwei Jahre vergangen waren, traten die ersten Symptome der Krankheit auf, an der auch dein Vater litt. Dazu sollte ich vielleicht erwähnen, dass wir nach unserer ersten Wandlung die Aura unseres Gegenübers sehen können. Es ist eine Art Schimmer, der um die gesamte Gestalt liegt. Gestaltwandler haben eine rote Aura in verschiedenen Tönungen. Menschen dagegen sind gelb. Daraus ergibt sich, dass Mischlinge beider Rassen orangefarben sind. So, wie deine Aura es sein müsste.«

»Aber sie ist es nicht?«

Er nickte. »Genau. Deine Aura ist Violett. Und wir haben keine Ahnung, wieso.«

Aleyna zuckte mit den Schultern. »Ich wusste bis vor Kurzem nicht mal, dass ich überhaupt eine Aura besitze«, entgegnete sie trocken. »Aber was hat das alles damit zu tun, dass ich euch retten kann?« Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn abwartend an.

»Es gibt auch Gestaltwandler mit besonderen Fähigkeiten. Diese sind sehr selten und werden seit Jahrhunderten vom Zirkel gesucht, damit sie sich ihm anschließen - und dann werden diese Fähigkeiten gefördert und ausgebildet. Palina gehört wie ich zu diesem Zirkel. Sie besitzt seherische Fähigkeiten. Kurze Zeit bevor klar wurde, dass die Krankheit unter uns weilt, hatte sie einen Traum, der damit zu tun hat.«

»Und was kam in dem Traum vor?«

»Du.«

»Ich?«

»Ja.«

»Das ist doch verrückt!« Aleyna schüttelte ungläubig den Kopf.

Noyan musste wider Willen schmunzeln. »Nein, so verrückt ist es gar nicht. Wir haben noch nicht alle Dinge aus dem Traum entschlüsseln können, weil wir nicht wissen, wo wir ansetzen sollen. Aber im Großen und Ganzen geht es dabei um die Rettung durch ein Wesen mit besonderer Aura. Deiner Aura.«

Sie schnaubte. »So faszinierend ich diese Geschichte auch finde, Noyan«, Aleyna erhob sich und sah zum Grab ihres Vaters, »ich bin, deinen Worten zufolge, ein Mischling. Wenn schon euer toller Zirkel kein Mittel gegen diese Krankheit findet, wie soll dann bitte ich euch helfen können? Ich, ein Mischling? Ich konnte doch nicht einmal meinem Vater hel...« Sie brach irritiert ab, machte einen Schritt auf das Grab zu und musterte die Umgebung.

Er folgte ihrem Blick. »Was ist los?«

Aleyna starrte noch einen Moment lang auf den Grabstein, seufzte leise und sah wieder zu ihm. »Ich dachte nur ...« Sie kehrte zu der Bank zurück und nahm Platz, nachdem sie noch einen letzten Blick in Richtung Wald geworfen hatte. »Also, nochmal von vorn. Was hat es mit diesem Traum auf sich, und welche Rolle spiele ich darin genau?«

»Wie ich bereits sagte, Palina besitzt die Fähigkeit, Weissagungen zu träumen. In diesen tauchen Dinge auf, die in der Zukunft liegen. In deinem Fall ist es so, dass sie nicht dich als Person gesehen hat, sondern nur einen verschwommenen Schatten und die Farbe deiner Aura. Wir können fast nie alle Elemente eines Traumes deuten, doch in diesem war von einer Krankheit die Rede. Aber gleichzeitig wies diese Weissagung auch darauf hin, dass jenes Wesen mit der violetten Aura die Rettung sein würde.«

Aleyna schüttelte den Kopf. »Ich verstehe das alles einfach nicht, Noyan. Ich meine, Menschen, die sich in Tiere verwandeln können. Klingt an sich schon unglaublich, aber ich habe es mit eigenen Augen gesehen und kann es akzeptieren. Auch, dass ich offenbar ein Mischling beider Rassen bin, klingt irgendwie nachvollziehbar. Aber die Sache mit der Aura und der Rettung - das ist mir zu hoch. Vor nicht einmal achtundvierzig Stunden war ich nur ein ganz normales Mädchen, das seinen Vater beerdigen musste, und jetzt soll ich ein ganzes Volk retten können? Eines, das ich nicht kenne und von dessen Existenz ich bis vor kurzem nicht einmal wusste?«

»Manchmal passieren eben Dinge, die zu unwahrscheinlich klingen, um wahr sein zu können. Ich könnte dir eine weitere Geschichte erzählen, die fast genauso unglaublich ist.« Er sah ihr in die Augen und als sie nickte, schloss er für einen Moment die seinen. Er war nicht sicher, ob er das Richtige tat, aber in diesem Moment fühlte es sich so an.

Also holte er tief Luft und begann zu sprechen. »In meinem Heimatdorf Fenwyr gab es einen jungen Wandler, der eine besondere Fähigkeit besaß. Er konnte mit dem bloßen Willen sein Gegenüber beeinflussen. So etwas nennt sich Mediator. Der Bursche war einer der Ersten, der Verluste durch die Krankheit erlitten hatte. Er sah seine gesamte Familie sterben, während er selbst offenbar verschont wurde. Der Wandler beschloss, seine Fähigkeit redlich auszunutzen. Wenn er also Hunger hatte, manipulierte er jemanden so, dass er etwas zu Essen bekam. Das funktionierte auch mit vielen anderen Dingen. Schlafplätze, etwas zu trinken, in der Menschenwelt war es Kleidung, sogar Geld. Die Liste ist endlos. Er nutzte diese Fähigkeit regelmäßig, wie ein richtiger Halunke eben. Eines Tages, als er mal wieder auf einem seiner Beutezüge war, begegnete ihm jemand, der ihn durchschaute.«

Er schwieg kurz, knetete seine Hände nervös. »Dieser Jemand sollte sein nächstes Opfer sein, aber so weit kam es nicht mehr, denn man durchschaute ihn. Und so wurde er festgenommen, ins königliche Gefangenenlager gebracht und eingesperrt. Drei Tage saß er in einem dunklen Verlies, hatte keinen Kontakt zu anderen. Er bekam lediglich Essen und Trinken. Am vierten Tag brachte man ihn vor ein Gericht. Der Junge glaubte, sein letztes Stündlein hätte geschlagen, aber was dann geschah, war nicht das Erwartete. Einer der ältesten Gestaltwandler Rondarias, der Adler Romonix, tauchte neben ihm auf. Er besaß die Fähigkeit, seine Aura zu verbergen, daher bemerkte der junge Wandler ihn vorher nicht.«

Wieder stockte er und für einen Moment glitt sein Blick ins Leere. »Romonix steckte den Jungen nicht erneut in ein Verlies, wie er befürchtet hatte, sondern machte ihm ein Angebot. Er zeigte ihm eine Alternative zu seinem bisherigen Lebenswandel auf.«

Bis hierher hatte Aleyna schweigend gelauscht, doch jetzt hob sie die Hand. »Du redest vom Zirkel, oder?«

Noyan lächelte. »Genau. Romonix bot dem Jungen an, dem Zirkel beizutreten. Dort würde man seine Fähigkeiten fördern und ihm die Möglichkeit geben, sein Leben in eine neue Richtung zu lenken.«

Aleyna musterte ihn aufmerksam. Ihm wurde klar, dass sie ihn längst durchschaut hatte und wusste, dass er von sich selbst erzählte. »Und was hat der Junge getan? Hat er die Chance ergriffen?«, fragte sie leise.

Noyan nickte. »Natürlich! Immerhin besaß er noch so viel Verstand, um zu begreifen, was ihm da angeboten wurde. Und er hat es bis heute nicht bereut.«

Sie seufzte. »Ich vermute, was du mir sagen willst, ist Folgendes: Man kann alles erreichen, wenn man nur ausreichend an sich glaubt? Ein Wesen zu retten ist vielleicht möglich, Noyan. Du aber bist davon überzeugt, dass ich ein ganzes Volk retten kann!«

»Wer nur ein einziges Leben rettet, rettet die ganze Welt, oder in unserem Fall eher Rondaria!« Die Stimme, die urplötzlich aus dem Wald drang, ließ beide zusammenzucken. »Was Noyan damit sagen möchte: Wer kämpft, kann verlieren. Wer aber nicht den Mut besitzt, überhaupt zu kämpfen, hat auf jeden Fall verloren!«

Aleyna

Sie starrte zum Waldrand. Aus dem Dunkel hinter dem Grab trat ein alter Mann ins Sonnenlicht und sie blinzelte. Schlohweiße Haare umrahmten sein Gesicht, er ging mit gebeugtem Rücken und kam langsam auf sie zu. So gebrechlich sein Körper wirkte, seine Augen aber musterten die Umgebung und sie selbst aufmerksam. Aleyna erholte sich langsam von ihrem Schrecken.

Bereits vor einigen Minuten hatte sie das Gefühl gehabt, beobachtet zu werden, aber da sich Noyan ganz normal verhalten hatte ... war sie davon ausgegangen, sich geirrt zu haben. Nun aber ergab das Ganze einen Sinn.

Noch während sie den Neuankömmling argwöhnisch betrachtete, kam ihr auf einmal etwas in den Sinn. Ein Name. Sein Name. »Guten Morgen, Romonix«, sagte sie und es ging ihr so leicht über die Lippen, als würden sie sich schon ewig kennen.

Ein Lächeln glitt über das Gesicht des alten Mannes. »Kluges Köpfchen!«, sagte er und kam noch ein wenig näher.

Hinter sich konnte sie Noyan überrascht keuchen hören. »Woher wusstest du ...?«

»Ich habe dir und deiner Geschichte zugehört.« Sie warf ihm einen Blick zu. »Du sagtest, dass der Adler plötzlich neben dir aufgetaucht ist und ebenfalls ein Mitglied des Zirkels ist. Und da du erneut nichts von seiner Anwesenheit bemerkt hast, habe ich einfach Eins und Eins zusammengezählt.«

»Ich bin in der Tat Romonix, meines Zeichens der Älteste von Rondaria. Es freut mich, dich kennenzulernen, Aleyna! Ich kannte deinen Vater zwar nicht, aber es tut mir ehrlich leid, dass auch er von der Seuche betroffen war.« Der Alte hielt ihr die Hand hin und nach kurzem Zögern ergriff sie diese. Sein Griff war fester, als sie es erwartet hatte angesichts seines hohen Alters. »Ich bin von deiner Auffassungsgabe beeindruckt.«

Er blickte an ihr vorbei zu Noyan, der die Arme vor der Brust verschränkt hatte und nicht recht zu wissen schien, was er von all dem halten sollte. »Deine Geschichte zu erzählen, war der richtige Ansatz, Noyan.«

Der junge Gestaltwandler schnaufte leise.

Romonix

»Und du bist hier, weil ...?« Der schnippische Unterton in der Stimme des Wolfes war kaum zu überhören. Er dachte, sie misstrauten ihm.

Romonix lachte. »Das war eine Entscheidung des Zirkels. Die Königin weiß davon nichts. Ich bin hier, um dich zu unterstützen.« Das Palina vorhatte, Chiron auf die Erde zu schicken, sollte Noyan scheitern, verschwieg er vorerst. Der Adler hatte mitbekommen, das Aleyna nicht besonders positiv auf die Königin reagiert hatte und noch dazu stand sein junger Schützling mit Chiron auf Kriegsfuß.

Der Wolf sah ihn zweifelnd an. Er schien zu spüren, dass er nicht die ganze Wahrheit sagte. Nachdem er ihn noch eine Weile prüfend gemustert hatte, nickte Noyan schließlich und sagte: »Und wie gedenkst du, das zu tun?« Jetzt richtete auch Aleyna ihre Aufmerksamkeit auf ihn. Ihrem Blick war anzusehen, dass sie gespannt war, was er entgegnen würde. Anstatt jedoch auf Noyans Frage zu antworten, wandte Romonix sich ihr zu.

»Unsere Welt mag nicht deine Heimat sein, aber sie war es für deinen Vater lange Zeit. Ich gehe davon aus, dass du eine Menge Fragen hast, und wir haben auf die meisten davon Antworten. Daher möchte ich dir ein Angebot machen.« Ihre Augenbraue hob sich, sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Gib uns die Gelegenheit, dir die Heimat deines Vaters zu zeigen. Komm für ein paar Tage mit nach Rondaria. Im Gegenzug beantworte ich dir deine Fragen, so gut ich kann.«

Aleynas Augen wurden groß, ihr Blick abweisend. Aber ehe sie etwas erwidern konnte, hob er die Hand. »Moment, ich bin noch nicht fertig. Ich bin davon überzeugt, dass du tief in deinem Inneren weißt, dass dir all die Jahre etwas gefehlt hat. In dir ruht ein Wesen, das nur darauf wartet, dass du es akzeptierst, und hervorholst.« Er drehte sich um, betrachtete das Grab ihres Vaters. »Ich glaube, Taledon hatte große Sehnsucht nach seinem alten Leben, auch wenn er nicht darüber gesprochen hat. Die Wahl der Grabstätte spricht in meinen Augen dafür. Irgendetwas muss sich ereignet haben, dass ihn dazu bewogen hat, trotz aller Liebe zu Rondaria die Brücken hinter sich abzubrechen.« Erneut wandte er sich um, seinen Blick fest auf Aleyna gerichtet.

»Und du glaubst, dass dieses Ereignis irgendetwas mit mir zu tun hat?«

Er nickte und konnte sehen, wie es in ihrem Inneren anfing zu arbeiten, wie sie das Für und Wider abwog. Noyan stand schweigend und mit versteinerter Miene da, doch Romonix war sicher, dass der junge Wolf ebenso gespannt auf ihre Antwort wartete wie er.

Nach einer gefühlten Ewigkeit holte sie schließlich tief Luft. »Also gut, ich komme mit!«

Rondaria

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