Читать книгу Rondaria - Melanie Weber-Tilse, Alisha Mc Shaw - Страница 9

Der Zirkel

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»Aber wir haben in der Hand, was die Zukunft bringen könnte.«

Palina

Schon eine Weile stand sie am Fenster und blickte hinunter in den Hof, auf dem geschäftiges Treiben herrschte. Während Noyan sich auf die Suche nach Aleyna gemacht hatte, war sie in den Hort zurückgekehrt. Das Treffen mit dem inneren Zirkel stand bevor. Sie hätte viel lieber zuerst mit Chiron gesprochen, aber die Berichterstattung besaß oberste Priorität. So hatte sie sofort Befehl erteilt, dass der Zirkel sich im großen Ratssaal zusammenfinden sollte.

Ihrem Reich ging es schlecht. Zu viele Freunde, schlimmer noch, Familie, hatte sie sterben sehen. Schon der Blick aus dem Fenster offenbarte bei genauerem Hinsehen das Ausmaß der Krankheit. Wo früher Auren in den verschiedensten Rottönen zu sehen gewesen waren, mischten sich immer mehr Grautöne unter. Diese fahle Aura bildete das erste erkennbare Anzeichen dafür, dass der Betroffene krank war. Bis heute Morgen hatten sie alle der Tatsache, nichts tun zu können, vollkommen hilflos gegenübergestanden.

Doch jetzt regte sich leise Hoffnung in ihr. Die Entdeckung, dass dieser Mischling die Aura besaß, die sie im Traum gesehen hatte, war kaum zu glauben. Palina schüttelte ihr Fell aus, zwang ihre Gedanken in eine andere Richtung. Sie durfte nicht zulassen, dass die aufkeimende Hoffnung den logischen Verstand ausschaltete. Eigentlich ging es jetzt erst richtig los. Blieb nur zu hoffen, dass es Noyan gelingen würde, das Mädchen dazu zu überreden, nach Rondaria zu kommen.

Es würde wesentlich komplizierter werden, wenn Aleyna ihn nicht begleitete. Das Überleben eines ganzen Volkes hing davon ab. Notfalls würde sie drastischere Maßnahmen ergreifen. Das war vielleicht unfair Aleyna gegenüber, aber wenn es nötig sein sollte, würde sie es tun. Nicht nur der Zirkel bot Möglichkeiten, ihre eigene Position öffnete noch viel mehr davon.

Der Zirkel. Palina löste ihren Blick vom Fenster und blickte in den Saal, in dem jeden Moment die Mitglieder desselben erscheinen würden. Sie richtete ihr Augenmerk auf den Dreh- und Angelpunkt des großen Raumes - dem Platz, an dem bei Audienzen eigentlich das Alphatier mit den engsten Vertrauten saß. Seit dem Verschwinden ihres Gefährten war sie diejenige, zu dem das Volk mit all seinen großen und kleinen Problemen kam. Obwohl sie sich längst daran gewöhnt haben sollte, tat sie es nicht.

Bis heute hatte sie sich nicht dazu durchringen können, sich auf den Platz zu setzen, der seit jeher dem Herrscher vorbehalten war. Das Volk erkannte sie als solche an, sah in ihr diejenige, die das letzte Alphatier als seine Gefährtin ausgewählt hatte. Dennoch sah sie es als Affront gegen Daeron, sich auf diesen Platz zu setzen. Chiron hatte mehrfach versucht, sie davon zu überzeugen, dass es ihr verdammtes Anrecht war, dort zu sitzen, aber mit den Jahren hatte auch er sich daran gewöhnt, dass sie stets den Platz zur Rechten einnahm.

Es blieb keine Gelegenheit mehr, noch weiter darüber zu grübeln. Die breiten Vorhänge vor den Türen des Saales wehten auseinander und die restlichen drei Mitglieder des Zirkels traten ein. Noyan und sie mit eingeschlossen gab es zurzeit nur fünf Mitglieder, alle anderen waren bereits an der Krankheit gestorben. Palina hielt sich zwar aus den Angelegenheiten des Zirkels heraus, seitdem sie ihren verschwundenen Ehemann als Herrscherin vertrat, doch seinen Rat suchte sie noch immer. Ob sie sich auch daran halten würde, stand auf einem anderen Blatt. Palina straffte die Schultern, hob den Kopf an und bemühte sich darum, selbstsicherer auszusehen, als sie sich fühlte.

»Palina, du hast nach uns rufen lassen?«, ertönte die Stimme von Romonix, dem Ältesten des Zirkels und somit Anführer der Gruppe. Dicht hinter dem imposanten Adler erschienen Tigerdame Shae und der Gorilla Ashron. Palina nickte und lud ihre Vertrauten mit einem Kopfnicken ein, sich zu ihr zu gesellen. Sie ließ sich auf ihrem gewohnten Platz nieder, während Romonix zu einer Stange flog, die speziell für seine Bedürfnisse geschaffen war. Nachdem auch Shae und Ashron saßen, blickten alle drei sie neugierig an.

Als Herrscherin und Mitglied des Zirkels hatte sie jederzeit das Recht, selbigen zu Rate zu ziehen, aber dass sie ihn zu sich rufen ließ, war eher ungewöhnlich. Deshalb war allen Beteiligten klar, dass etwas Besonderes vorgefallen sein musste. Palina beschloss, die Ereignisse nicht unnötig hinauszuzögern. »Noyan und ich haben die violette Aura gefunden«, verkündete sie. Alle Anwesenden zogen hörbar die Luft ein. Sie blickte zu Romonix, der sie aufmerksam ansah.

»Das ist der positive Teil der Neuigkeiten, oder?«, fragte er.

Palina nickte und berichtete in knappen Worten, was sich am Vormittag ereignet hatte. »Wir wissen weder, warum Noyan sie nicht beeinflussen konnte, noch, warum sie diese besondere Aura besitzt«, endete sie schließlich.

Romonix räusperte sich. »Und Du glaubst, es war eine gute Idee, Noyan damit zu beauftragen, sie herzubringen?« Er glitt von seiner Stange herunter und stakste auf Palina zu.

»Ja. Das Mädchen kann mich nicht besonders leiden, fürchte ich. Sie trauert um ihren Vater, und ich denke, meine Wortwahl ihr gegenüber war etwas ungeschickt. Noyan hingegen scheint einen Draht zu ihr zu haben.«

Romonix nickte und musterte Palina nachdenklich. »Sieben Tage werden hier in Rondaria nicht viel ändern. Wir wissen, dass die Krankheit nicht so schnell voranschreitet, und es kann sich nur vorteilhaft auswirken, wenn das Mädchen freiwillig zu uns kommt. Was aber, Königin, gedenkst du zu tun, wenn er sie nicht mitbringt?«

Chiron

Ungeduldig hatte er in seinen privaten Räumen auf Palinas Rückkehr gewartet. Er war nicht besonders erfreut darüber gewesen, dass sie Noyan ihm vorgezogen hatte, um sie auf die Erde zu begleiten. Daher ärgerte es ihn umso mehr, dass sie auch jetzt nicht zu ihm gekommen war, sondern zunächst den Zirkel zusammengerufen hatte. Du gehörst nun mal nicht zu diesem elitären Kreis! Verbittert verzog er sein Maul.

Es dauerte jedoch nicht lange, bis er die finsteren Gedanken wieder abgeschüttelt hatte, immerhin war er der Befehlshaber der königlichen Garde. Im Grunde genommen war er froh, nicht die Bürde eines Zirkel-Mitglieds tragen zu müssen. Seine Aufgabe war es, die Wandler zu trainieren, die für den Schutz des königlichen Hortes zuständig waren und dies brachte ihm genug Respekt ein.

Es war ein offenes Geheimnis, das er seit Jahren das Bett der Königin teilte und bereits das verschaffte ihm eine Menge Ansehen. Auch wenn sich Palina nicht dazu durchringen konnte, ihn als ihren offiziellen Gefährten anzuerkennen, war er dennoch seit langer Zeit an ihrer Seite. Mehr hatte er nie gewollt, und das Erreichen dieses Ziels war steinig gewesen.

Er verzog die Lefzen zu einem Grinsen und als die zierliche Leopardin endlich in seinem Zimmer erschien, hatte sich sein anfänglicher Unmut gelegt und er sah ihr abwartend entgegen. Mit großen Schritten eilte sie auf ihn zu und schmiegte ihren Kopf gegen seine Brust. Ihr Atem ging heftig, sie schien aufgeregt zu sein. Sachte schob er sie mit dem Körper in Richtung seines Lagers und bedeutete ihr, sich darauf niederzulassen. Noch immer dicht an sie gedrängt verharrte er und betrachtete sie, darum bemüht, seine Neugier im Zaum zu halten, bis sie sich etwas beruhigt hatte.

»Verzeih, ich musste dem Zirkel Bericht erstatten«, schnurrte sie. Sein Ohr zuckte kurz und er forderte sie mit einer Geste auf, zu erzählen. »Wir haben die Aura gefunden!«, verkündete sie.

Mit zusammengezogenen Augenbrauen versuchte er, Palinas Worten einen Sinn abzugewinnen. Offensichtlich schien sie davon auszugehen, dass ihre Aussage ihn in Freudentaumel ausbrechen lassen müsste, denn sie sah ihn erwartungsvoll an. »Ähm, ja ...?«, hakte er nach, als sie keinen Ansatz zeigte, weiterzusprechen.

»Mein Traum? Die Aura?« Ihre Pfote tippte ungeduldig auf den Boden, aber noch immer begriff er nicht. »Oh Chiron!«, seufzte sie. »Das ist das Wichtigste, das wir seit langem erleben, und du stehst auf dem Schlauch? Obwohl ... Noyan musste auch zweimal hinsehen, um zu verstehen, wovon ich spreche.« Sie kicherte.

Allein durch die Erwähnung des Wolfs regte sich erneut sein Unmut. »Bei der Göttin, sag mir doch einfach in klaren Worten, was du meinst!«, brummte er und richtete sich auf.

Palina schnaufte frustriert, wurde dann aber ernst. »Wir haben das Wesen aus meinem Traum gefunden!«

Er hielt inne und starrte Palina an. Es dauerte einen Moment, bis er die komplette Tragweite ihrer Aussage begriff. »Du meinst den Traum?«

Sie nickte, erhob sich hastig und begann unruhig im Zimmer auf und ab zu laufen. »Ich war nicht mehr so aufgeregt, seit Daeron und ich ...« Sie brach abrupt ab und senkte den Blick.

Chiron wusste sofort, was sie hatte sagen wollen. So aufgeregt war sie nicht mehr gewesen, seitdem sie vor vielen Jahren die Verbindung mit dem Alphatier eingegangen war. Er unterdrückte den Impuls zu knurren und presste seine Pfote ins Strohlager. Würde der Schatten Daerons ihn ewig verfolgen? Seit dem Verschwinden ihres Mannes waren fünfzehn Jahre vergangen und er fand, dass dies wirklich genug Zeit war, um darüber hinweg zu sein. Aber Palina teilte seine Ansicht nicht und er würde sich hüten, es gerade jetzt anzusprechen. So überging er ihre Worte mit einem Brummen und folgte ihr. »Ihr habt also das Wesen mit der violetten Aura gefunden. Warum drängt sich mir der Verdacht auf, dass das noch nicht alles war?« Sie hob den Kopf und sah ihn an. Ihre Augen glänzten verdächtig, und er wusste, dass sie nur mit Mühe Tränen zurückhielt.

»Sie ist ein Mischling«, flüsterte sie.

Abermals hielt er mitten in der Bewegung inne und starrte sie an. »Du meinst ...«, stammelte er und Palina nickte.

»Ja. Ihr Vater ist einer von uns, ihre Mutter ein Mensch. Und sie hat keine Ahnung, wer oder was sie ist.« Angesichts dieser Offenbarung wusste er zunächst nicht, wie er reagieren sollte. Daher legte er den Kopf in den Nacken und fing an, zu lachen.

Ein lautes Knurren ertönte. Palina stand mit gesträubtem Fell vor ihm und bleckte die Zähne. »Sehe ich aus, als fände ich das witzig?«, fauchte sie ihn an.

Schlagartig wurde er ernst, zog den Kopf zwischen die Schultern und streckte seine Pfoten von sich. »Nein«, murmelte er. Die Leopardin legte das Fell wieder an und setzte sich auf die Hinterpfoten. Noch immer musterte sie ihn finster. »Ich nehme an, du hast einen Plan?« Seine Stimme klang sachlich, was sie mit einem zufriedenen Grollen quittierte.

»Noyan wird sich darum kümmern.« Sie drehte ihren Kopf und leckte sich über das Fell. Unvermittelt hielt sie inne. »Das rate ich ihm jedenfalls. Ich habe ihm eine Woche Zeit gegeben. Scheitert er ...«

»Eine Woche? So viel? Warum kann ich mich nicht darum kümmern? Du weißt, ich habe sie in null Komma nichts nach Rondaria geholt. Das entbehrt jeglicher Logik, Palina!« Ein Anflug brennender Wut machte sich in ihm breit. Ständig war dieser Wolf in ihrer Nähe, scharwenzelte um sie herum, durfte sie auf den Reisen zur Erde begleiten, während er dazu verdammt war, hierzubleiben und das Volk zu beschützen. »Warum muss es dieser vermaledeite Wolf sein?«

Ihre braunen Augen richteten sich auf ihn, diesmal allerdings funkelten sie belustigt. »Du bist so süß, wenn du eifersüchtig bist.« Sie erhob sich und kam auf ihn zu. Schnurrend rieb sie ihren Kopf an ihm. Sein Körper reagierte sofort auf ihre Nähe und er beruhigte sich. Ihm entwich ein zufriedenes Brummen. Sie war hier, bei ihm und nicht bei Noyan. Das musste reichen.

»Noyans Fähigkeiten sind bei ihr fehlgeschlagen«, erklärte Palina. »Ich weiß im Moment nicht, warum das so ist, aber wir werden es herausfinden. Er scheint die Kleine zu mögen. Ich bin sicher, dass es auf paar Tage mehr oder weniger jetzt auch nicht mehr ankommt. Wohingegen für das Mädchen«, sie legte ihre Pfote auf seine Brust, »diese Zeit entscheidend dafür sein könnte, ob sie freiwillig zu uns kommt oder nicht.« Sie seufzte. »Solange wir nicht wissen, warum sie diese Aura besitzt und was es damit auf sich hat müssen wir vorsichtig sein. Bedenke, der Traum ist noch immer nicht vollständig entschlüsselt. Ich habe dem Zirkel bereits mitgeteilt, was ich zu tun gedenke, sollte Noyan scheitern.«

Chiron spitzte die Ohren, jetzt kam der Teil, der für ihn interessant war, dessen war er sicher. »Und was wirst du tun?« Die Leopardin löste schnurrend ihre Gestalt und schmiegte sich, nunmehr in ihrer menschlichen Form, an ihn. Er reagierte sofort, und noch in der Verwandlung zog er seine nackte Gefährtin mit sich auf das Lager.

»Was ich tun werde? Ich werde dich zu ihr schicken!«

Der Zirkel

Shae lief unruhig auf und ab. »Das gefällt mir alles nicht!«, sagte die Tigerin, blieb stehen und sah zu Romonix. »Glaubst du, dass Noyan der Sache gewachsen ist? Es steht eine Menge auf dem Spiel!« Der Adler saß am Fenster und hielt seinen Blick auf den Boden gerichtet.

Hinter ihr schnaubte Ashron. »Ich glaube, das Noyan allemal besser geeignet ist als Chiron. So viel steht fest!« Der Gorilla trat an ihre Seite. »Noyan mag verglichen mit uns neu im Zirkel sein, aber mit Sicherheit wird er nicht Krieg und Tod schreien, wenn das Mädchen nicht spurt.«

Shae knurrte leise. »Unser Vagabund kann seine Fähigkeit nicht einsetzen, hast du Palina nicht zugehört?«

Romonix breitete die Flügel aus und flog hinab. »In einem gebe ich Ashron Recht. Mir ist lieber, das Noyan versucht, das Mädchen nach Rondaria zu bringen, als die gebotene Alternative. Palina will das Beste für das Volk, und Chiron wird tun, was immer sie von ihm verlangt, sei es auch noch so absurd. Dennoch glaube ich, dass wir ein Auge auf den Wolf haben sollten.« Er landete vor den beiden. »Es ist an uns, einen kühlen Kopf zu bewahren. Wir müssen das Ganze neutral betrachten.«

Während Ashron zufrieden nickte, entwich Shae ein weiterer Seufzer. »Romonix, ich wollte mitnichten sagen, dass Chiron die Sache in die Hand nehmen sollte. Seit Daerons Verschwinden sind viele Dinge in Rondaria nicht mehr so, wie sie sein sollten. Und dazu zählt in meinen Augen auch die Tatsache, dass wir nicht neutral sind!«

Romonix kniff ein Auge zu, sah Shae aber weiterhin stumm an. Die Tigerdame wertete sein Schweigen als Zeichen zum Weitersprechen. »Der Zirkel war immer die letzte Instanz. Wir trafen Entscheidungen, wenn kein anderer dazu fähig war. Mit dem Verschwinden unseres rechtmäßigen Königs haben wir das wichtigste Gut verloren. Die Neutralität!« Sie hob den Kopf an und blickte zu Ashron. Man sah dem Gorilla an, dass ihm Shaes Worte nicht passten. Wahrscheinlich umso mehr, weil er wusste, dass sie Recht hatte. »Es hat nie sein sollen, dass ein Mitglied des Zirkels gleichzeitig über das Volk herrscht.«

»Was hätte sein sollen, und was nicht liegt nicht in unserem Ermessen, Shae ...« Romonix räusperte sich. »Aber wir haben in der Hand, was die Zukunft bringen könnte. Und das sollten wir nicht aus den Augen verlieren. Wenigstens so weit sind wir uns doch einig?« Er sah von einem zum anderen. Beide nickten. »Gut. Dann sollten wir unsere Zeit sinnvoller nutzen. Lasst uns überlegen, was der innere Zirkel tun wird!«

Rondaria

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