Читать книгу Im Zentrum der Lust | Roman - Alissa Stone - Страница 6
ОглавлениеKapitel 4
Jeff hatte die Handmanschetten hinter meinem Rücken verschlossen, umfasste meinen Oberarm und schob mich durch den langen Gang, vorbei an Türen aus grauem Stahl. Er machte an einer der Türen halt und zückte seinen Schlüsselbund. Ich bemerkte ein Ziehen in der Magengrube, als die Schlüssel schepperten und er einen davon ins Schloss steckte.
Er öffnete die Tür und ich zuckte zusammen. Denn mit dem, was ich zu sehen bekam, hatte ich nicht gerechnet. Ich starrte in ein großes möbliertes Zimmer, in dessen Mitte eine junge Frau stand. Ihre schwarzen schulterlangen Haare verdeckten das nach unten geneigte Gesicht. Ihre Arme verbarg sie hinter dem Rücken. Wie ich, war sie nackt und trug lediglich dieses Halsband mit Ring an der Vorderseite. Sie stand breitbeinig da und bewegte sich nicht.
Jeff, der noch hinter mir stand, löste die Verbindung meiner Manschetten. Dann drückte mich seine Hand durch den Türrahmen. Die Tür fiel zu und der Schlüssel drehte sich im Schoss. Ich sah mich um, aber Jeff war nicht mehr da. Ich war allein im Raum, mit dieser Frau, die nun den Kopf hob und mir mit großen braunen Augen ins Gesicht blickte.
Einige Sekunden sahen wir uns wortlos an. Ich war baff und wusste nicht, was ich sagen sollte, deshalb wartete ich, bis sie es tat.
Sie war kleiner als ich und wirkte noch recht jung. Spontan hätte ich sie auf Anfang zwanzig geschätzt. Ihre Haut war makellos und die kleinen Brüste passten zum knabenhaften Körper.
»Hi«, begrüßte sie mich, nahm ihre Arme vom Rücken und strich sich eine Ponyfranse aus dem Gesicht. »Ich bin Mila.«
Es war mir unangenehm, wie wir einander gegenüberstanden und uns ansahen. Beide nackt und mit den gleichen Bändern versehen, als wären wir im selben Kampftrupp. Vielleicht waren wir das auch. Vielleicht wurde sie auf die gleiche Weise wie ich hierher verschleppt, und es lag ihr nicht weniger wie mir daran, sich hier wieder rauszukämpfen.
»Hi, ich bin Lydia«, sagte ich und schaffte es endlich, den Blick zu lösen. Ich ließ ihn durch den Raum schweifen, ohne den Kopf zu bewegen. An der linken Wand standen zwei Betten aus Metall, mit dünnen Matratzen und brauen Decken, die fein säuberlich zusammengelegt das untere Drittel der Liegefläche bedeckten. Daneben war eine Schiebetür. Rechts von mir stand ein Tisch aus Eichenholz mit zwei Stühlen aus demselben Material, dahinter ein Regal, in dem sich mehrere Bücher stapelten. Und hinter Mila bot ein riesiges Souterrainfenster denselben Ausblick, den ich von Jeffs Zimmer aus hatte. Die entfernte Stadt wirkte blass und war zum Teil von Baumwipfeln verdeckt. Es sah aus, als würde es draußen nieseln. Der Himmel war von einem hellgrauen Wolkenmeer bedeckt. Auch die Auslegware hier drinnen war grau, steingrau. Sie fühlte sich weich an und ließ den Raum beinahe wohnlich wirken.
»Wo bin ich hier?«, fragte ich.
»Du bist im Zentrum der Lust«, sagte sie mit gesetzter Stimme und fing mich mit laszivem Blick ein. »Dieses Haus ist ein Ort der Sklaven. Wir sind hier, um zu dienen und Lust zu bereiten.«
Oh mein Gott! Ein Schauer durchfuhr meine Adern. Mein Blick irrte durch den Raum, fiel immer wieder zurück auf Mila. Mir war schlecht.
»Hier bleib ich nicht!« Ich gab mir einen Ruck, drehte mich um und rüttelte am Türknauf.
»Du kommst hier nicht raus. Erst wenn dich jemand holt, um sich mit dir zu vergnügen.« Ihre Stimme klang gelangweilt und hatte einen herablassenden Unterton. Ohne den Türknauf loszulassen, drehte ich mich zu ihr und lehnte mich an das kalte Metall.
Sie ging zu dem hinteren Bett neben der Schiebetür und legte sich hin. Dann schlug sie die Beine angewinkelt übereinander und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Ihren Blick richtete sie zur Decke, um geradewegs in eine nicht existierende Weite zu starren.
»Du hast es schon versucht?«, fragte ich.
»Nein«, antwortete Mila mit gedehnter Stimme und verharrte mit dem Blick noch immer an der Decke.
»Woher willst du es dann wissen?«
Fassungslos starrte ich sie an, wie sie müde lächelnd dalag, vollkommen entspannt und im Einklang mit den Gegebenheiten. Das Gegenteil von mir.
Sie wendete den Blick auf mich, verdrehte dabei sichtlich genervt die Augen und schnaubte laut aus. »Weil es schon so einige versucht haben. Deshalb.«
»Einige?«
»Hast du mal gesehen, wie viele Türen es hier gibt? Wir sind nicht die Einzigen hier.«
Mir drehte sich der Magen um. Ich war in ein organisiertes Verbrechen geraten. Hier wurden Frauen eingefangen, um sie gefügig zu machen. Wie konnte Mila nur so locker mit der Situation umgehen? Wir mussten hier warten, bis sich jemand an uns verging! Wer weiß, was die alles mit uns machen wollten.
»Ich werde hier nicht bleiben! Ich will das alles nicht«, sagte ich. Ich wollte hier raus, ich wollte, dass Jeff kam. Ich musste mit ihm reden. Wieder drehte ich mich zur Tür, rüttelte noch einmal am Knauf. Schlug mit der flachen Hand ans Türblatt.
»Lasst mich hier raus!«, rief ich und hämmerte in meiner Verzweiflung gegen die Tür, die wie eine Wand vor mir stand. Hitze stieg in mir auf, spornte mich an, noch lauter zu schreien. Meine Fäuste schlugen gegen den blanken Stahl. Immer und immer wieder. Ich rüttelte am Türknauf, zog daran, bis sich meine Panik in ein lautes Schluchzen wandelte und ich weinend zusammensackte. Warum war ich nur so dumm gewesen und war auf Jeff reingefallen?
»Wenn du dich wieder beruhigt hast, werde ich tun, was ich tun muss und dir sagen, was Sache ist. Es bringt dir übrigens gar nichts, wenn du hier rumschreist. Reiß dich am Riemen, du tust ja gerade so, als müsstest du sterben.« Mila stand mit den Händen in die Hüften gestemmt vor mir. Dass sie aufgestanden war, hatte ich gar nicht mitbekommen. In ihren Augen war ich wohl ein jämmerliches Wrack, das den Sinn der Sache nicht verstand. Um genau zu sein, ich verstand es wirklich nicht und wie ein Wrack fühlte ich mich auch. Doch das schien ihr egal zu sein.
Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht, riss mich zusammen und raffte mich auf. Schließlich wollte ich erfahren, was hier mit mir passieren würde und ob sich nicht doch ein Schlupfloch fand. Zumindest hielt meine Hoffnung daran fest.
»Es gibt strikte Regeln, an die du dich zu halten hast. Regel Nummer Eins: Halte Ordnung. Unsere Zelle muss immer aufgeräumt und sauber sein. Nach dem Aufstehen machst du als Erstes dein Bett.« Sie deutete auf eines der zwei Metallbetten. »Hier schläfst du.«
»Unsere Zelle?« Die Worte hallten in meinem Kopf nach wie Echo.
»Nenn es von mir aus Schlafgemach oder was auch immer. Jedenfalls wirst du es mit mir teilen müssen«, sagte sie und zog dabei die Brauen nach oben. »Ich werde dir jetzt das Bad zeigen.«
Warum war sie so ruppig? Ich hatte ihr doch nichts getan!
Sie drehte sich um und mir fiel sofort das tätowierte Dreieck zwischen den Schulterblättern auf. Es setzte sich aus drei ineinanderliegenden Kettengliedern zusammen und war so groß wie ein Armreif. Doch was mich noch mehr entsetzte: Über ihren Rücken zogen sich gelb-violette Striemen, durchkreuzt von rot gefärbten Linien.
»Werden wir geschlagen?«
Mila sah mich an, als hätte ich ihr eine überflüssige Frage gestellt. »Man wird dich nicht mit Samthandschuhen anfassen. Wenn du nicht folgsam bist, lässt sich eine Züchtigung nicht vermeiden.« Ihr frivoles Schmunzeln hätte sie sich schenken können. Wenn das stimmte, was sie sagte, dann war Jeff wirklich noch zärtlich gewesen, als er mich an der Brustwarze zur Wand gezogen hatte. Ich war entsetzt.
»Fang jetzt nur nicht wieder an zu heulen, Schätzchen.«
Ihre kaltschnäuzige Art widerstrebte mir. Was war sie nur für ein herzloser Mensch.
»Ich bin nicht dein Schätzchen, okay?« Sie sollte wissen, dass sie nichts Besseres war als ich.
Mila drehte sich zu mir, schnaubte kurz und zuckte dabei mit dem rechten Mundwinkel. Machte sie sich etwa lustig über mich? Das konnte ja heiter werden.
Ich atmete tief durch und folgte ihr durch die Schiebetür, die ins Bad führte. Es war groß genug, um sich zu zweit nicht in die Quere zu kommen und wie alle anderen Räume war es angenehm warm. Der Boden und die Wände waren mit braun-beigen Mosaiksteinen gefliest und ein bodentiefes Fenster warf auch hier die Sicht auf wogende Baumwipfel und den grau melierten Himmel. Daneben hing jeweils ein Waschtisch mit beleuchtetem Spiegel. Ich drehte mich wieder zu Mila und sah an ihrer Schamlippe einen Piercing-Ring aufblitzen. Es war der gleiche, den ich hatte.
»Es ist wichtig, dass du immer sauber bist. Ich dusche zweimal am Tag, manchmal auch öfter. Achte darauf, dass alles glatt ist. Hier findest du Rasierzeug und alles, was du sonst noch brauchst.« Sie deutete auf eine Ablage hinter der gläsernen Duschwand. Neben einem Rasierer standen dort transparente Flaschen mit milchigem Inhalt und zwei runde Schwämme hingen an einer Halterung. Mein Blick fiel auf mehrere Ringe und Haken, die in Boden, Decke und Wänden eingelassen waren. Ich sah auf die Ringe meiner Manschetten und fragte mich, ob man mich zwingen würde zu duschen, wenn ich mich widersetzen sollte. Die Vorstellung, man könnte mich dort anketten und meinen wehrlosen Körper von oben bis unten einseifen, fand ich bizarr, aber auch irgendwie erregend. Ich schüttelte den Kopf, um den Gedanken loszuwerden, denn ich wollte keinen Gefallen an dem finden, was mir zugestoßen war.
»Manche möchten, dass du deine Haare während einer Session zusammenbindest, du solltest deshalb immer ein Haargummi bei dir haben.« Sie reichte mir ein schwarzes Gummi, das sie aus einer Kommode gefischt hatte. »Am besten trägst du es am Handgelenk, über der Manschette, dort stört es nicht.«
Bei allem, was Mila mir erklärte, klang sie sehr routiniert, als hätte sie es schon ein paar Mal gemacht. Ihre abgebrühte und distanzierte Art gefiel mir nicht, doch am Schlimmsten fand ich die Kälte in ihrem Tonfall. Dass mich diese Situation unvorbereitet getroffen hatte, schien ihr schlichtweg egal zu sein.
»Wem müssen wir dienen? Und ... wie?«, fragte ich. Auch wenn ich nicht vorhatte, irgendjemandem irgendwann zu dienen.
»Das kommt darauf an, wer dich bucht. Jeder Gast hat seine Vorlieben.«
»Jeder Gast? Sind wir in einem SM-Bordell?«
Mila schüttelte entrüstet den Kopf. »Ein Bordell? Ha! Dieser Ort ist eine der besten Schulen. Du lernst hier, wie sich eine Sklavin zu verhalten hat. Du wirst Grenzen überschreiten, von denen du gar nicht wusstest, dass es sie gibt. Es ist eine Ehre, hier sein zu dürfen.«
»Ich bin nicht freiwillig hier!«, protestierte ich. Meine Grenze war schon lange überschritten und geehrt fühlte ich mich bei Weitem nicht.
»Ich weiß!« Ihr Blick traf mich wie ein spitzer Pfeil, bevor sie ihn abwendete und sich zur Tür drehte. »Nachdem du dich so aufgeführt hast, war mir klar, dass du einer dieser Neulinge bist.«
Der Hohn triefte aus ihrer Stimme.
Mit aufgewühlten Gefühlen stapfte ich ihr hinterher. Sie wirkte auf mich so unnahbar, gehässig und anteilslos. Ich überlegte, wie ich ihr zumindest ein Stück Verständnis abringen konnte. Nicht weil ich sie mochte, sondern weil es noch so viele Fragen gab, die ich an sie hatte stellen wollen und bislang musste ich jede meiner Fragen sorgsam abwägen, was auf Dauer mühsam werden würde.
»Was, wenn ich schwanger werde?«
»Das wirst du nicht. Wozu denkst du, war die Spritze?«
Spritze? Ich erinnerte mich an die Kompresse auf meiner Ellenbeuge.
»Man hat mir doch nur Blut abgenommen.«
»Das auch. Schließlich sollst du kein Risiko für die Gäste darstellen. Wer weiß, was du alles hier einschleppst.«
Mit abfälliger Miene ließ sie ihren Blick über meinen Körper schweifen. Wofür hielt sie mich?
»Und das Piercing? Ist das so eine Art Gütesiegel? Dass wir sauber sind?« Eigentlich wollte ich damit nur klarstellen, dass ich keine Parasiten eingeschleppt hatte.
Sie lachte kurz auf. Es war kein erheitertes Lachen, es klang spöttisch und anmaßend. »Womöglich bringt man dich eines Tages dazu, dass du stolz darauf bist, es tragen zu dürfen.«
»Bestimmt nicht! Man bringt mich zu gar nichts.«
»Du hast keine Wahl. Jeff weiß, was er tut. Und er weiß, worauf er sich mit dir eingelassen hat. Auch wenn ich nicht nachvollziehen kann, warum solche Leute wie du hier Unterschlupf finden. Aber das kann mir egal sein, es geht mich nichts an. Ich mache nur das, was man mir aufgetragen hat und weise dich hier ein. Dann hab ich hoffentlich meine Ruhe.«
Unterschlupf? Das hörte sich an, als wäre es ein Ort, der Geborgenheit schenkte. Es war ein Gefängnis, ein Irrenhaus, nichts weiter. Ich folgte ihr zurück ins Schlafzimmer.
»Macht dich diese Tätowierung auf deinem Rücken auch stolz?«, fragte ich, als ich sie neben dem Bett stehen sah. Mein Tonfall war bissig, aber ich konnte es mir nicht verkneifen. Mit verschränkten Armen und genervtem Blick sah sie mich an. Mein Gemüt war so erhitzt, dass es mir egal war, ob ich ihr auf die Nerven ging.
Einige Sekunden sah sie mich nur an. So, als müsste sie überlegen, ob sie mir eine Antwort geben wollte.
»Mein letzter Herr gehörte einer Vereinigung an, die mit diesem Symbol besonders gute Sklaven auszeichnet.« Sie straffte die Schultern und hob ihr Kinn.
Ich konnte nicht glauben, dass sie auch noch stolz darauf war. »Du warst damit einverstanden?«
»Mein Wille fügt sich dem meines Herrn. Was meinen Herrn glücklich macht, macht auch mich glücklich.«
Ich verkniff mir einen Kommentar, weil es nur in einen Zickenkrieg ausgeartet wäre, und auf dieses Niveau ließ ich mich nicht herab. Für mich war und blieb sie eine Irre. Sie ging an den Betten vorbei und ich studierte die Zeichen der Gewalt auf ihrem Rücken. Ich schwor mir: Nie im Leben würde ich mich so unterordnen.
Mila öffnete einen Wandschrank. Mein Blick fiel auf eine Auswahl an High Heels und Kleidungsstücke, die auf Bügeln hingen.
»Die ziehst du nur an, wenn Gäste es wünschen – ob sie dir gefallen oder nicht.« Der spitze Ton in ihrer Stimme war mir nicht entgangen. Ich tat aber so, als könnte sie mich damit nicht ärgern.
Skeptisch blätterte ich durch die Gewänder und stieß auf Dessous mit Spitzenbesatz, die meisten davon in Schwarz und Rot. Daneben hingen Kleider in verschiedenen Längen und Farben, merkwürdige Kostüme aus Leder, Lack und sogar Metall und Jute. Alle waren doppelt, in zwei unterschiedlichen Größen. Eine war die Größe 36. Sie kannten meine Kleidergröße? Ich atmete tief durch, um das flaue Gefühl im Magen zu beruhigen.
»Und was bedeuten die Nummern an den Bügeln?«, fragte ich, ohne dass es mich interessierte, es fiel mir nur auf. Denn ich fragte mich nur eines: Was wussten sie noch alles über mich?
Mila deutete auf einen Lautsprecher, der zwischen Schrank und Stahltür in der Wand eingebaut war.
»Du wirst über diese Sprechanlage informiert, welches der Kleidungsstücke du anzuziehen hast. Dabei geben sie dir die Nummer durch. Du solltest dir beim Anziehen nicht allzu viel Zeit lassen, denn meist dauert es nur wenige Minuten, bis der Gast dich erwartet.«
Sie schloss die Schranktür und ging zu der Stelle des Raumes, an der sie zu Beginn gestanden hatte.
»Sobald du hörst, dass jemand die Tür entriegelt, stellst du dich in die Mitte des Zimmers. Du öffnest deine Beine etwa schulterbreit und verschränkst die Arme auf dem Rücken. Unter keinen Umständen siehst du demjenigen, der den Raum betritt, ins Gesicht. Du siehst immer zu Boden«, sagte sie und stand genauso da, wie sie es mir gerade erklärt hatte. Mit geöffneten Beinen, verschränkten Armen und gesenktem Blick. Unterwürfig und bereit, benutzt zu werden.
»Ich kann das alles nicht und ich will es auch nicht!«, stieß ich hervor. Würde ich mich so hinstellen, bedeutete es doch, dass ich mit all dem einverstanden wäre.
Sie sah mich böse an. »Es interessiert hier keinen, ob du das willst oder nicht. Halte dich an das, was ich dir gesagt habe. Denn ich habe keinen Bock, wegen dir die Nacht im Korridor zu verbringen!«
»Du wirst dafür bestraft, wenn ich ...?«
Mila verdrehte die Augen. »Warum stellst du so viele Fragen?« Sie nahm einen tiefen Atemzug und stieß ihn mit einem genervten Seufzer wieder aus. »Sei einfach gehorsam und halte dich an diese Regeln, sonst riskierst du eine Strafe und ich auch.« Sie deutete mit dem Finger zuerst auf mich, dann auf sich selbst. Ihre Mimik war ernst, als sie zu ihrem Bett ging und die ohnehin schon ordentlich drapierte Decke noch einmal glatt strich. Ich konnte nicht nachvollziehen, warum sie so war.
»Kannst du nicht verstehen, dass es mir nicht egal ist, was gegen meinen Willen mit mir passiert?«, fragte ich.
»Ich finde es nur unsinnig, sich dagegen aufzulehnen«, sagte sie, ohne mich dabei anzusehen.
»Du findest es unsinnig, dass ich mich nicht selbst aufgeben will?«
»Ja, stimmt!« Ihr Blick traf mich scharf. »Ihr denkt ja immer, man sei schwach und dumm, ja sogar krank, wenn man sich unterwirft. Selbstbewusste Frauen, die mit beiden Beinen im Leben stehen, würden sich nie einem Mann ausliefern. Nicht wahr?«
Okay, sie war vielleicht nicht krank, aber sie hatte eine total verdrehte Lebenseinstellung.
»Ich sage nicht, dass du dumm bist oder krank. Aber ich weiß, dass ich nicht so bin wie du. Dafür hänge ich einfach zu sehr an meinem Leben und meiner Freiheit und ich ...«
Noch bevor ich meinen Satz zu Ende gesprochen hatte, entspannten sich Milas Gesichtszüge. Beinahe mitleidsvoll sah sie mich an und schüttelte betont langsam den Kopf.
»Sie haben dich nicht zufällig ausgewählt, Lydia.« Zum ersten Mal klang ihre Stimme weich.
Gebannt hielt ich ihrem Blick stand. Es war, als hätte man mich in eiskaltes Wasser geworfen. Ihre Worte hatten all meine Gedanken und zurechtgelegten Wortfetzen mit einem Mal beiseitegeschwemmt.
Ich spulte zurück zu dem Moment, als ich Jeff das erste Mal gesehen hatte. Wir hatten nur ein paar Worte gewechselt, belanglose Worte, wie ich dachte. Er kannte meinen Namen, er wusste, welche Kleidergröße ich trug, er wusste sogar, wie ich meinen Kaffee trank und wer weiß, was sonst noch alles.
Aber was wusste Mila?
»Wie meinst du das?«, fragte ich und hörte ein Klappern an der Tür.
Sofort sprang Mila auf, stellte sich in Position und neigte ihr Gesicht zu Boden. Mit einer ruckartigen Kopfbewegung und forschem Blick forderte sie mich auf, es ihr gleich zu tun.
Ich war wie gelähmt. Mein Herz pochte und jeder Muskel meines Körpers sträubte sich dagegen, mich so unterwürfig zu zeigen, wie sie es tat. Doch ich machte es.
Ich wollte, dass sie mir erzählte, was sie wusste und dazu musste ich mich wohl oder übel mit ihr gutstellen. Denn wenn sie wegen mir bestraft werden würde, konnte ich mir keine Antworten von ihr erhoffen. Ich musste ein Band zwischen Mila und mir knüpfen. Ein Band, das irgendwann so stark sein würde, dass ich darauf in die Freiheit balancieren konnte.