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Kapitel 4

Beim Frühstück am nächsten Morgen sinnierte ich darüber, wie ich meine Suche fortsetzen wollte. Ich konnte doch nicht jede anglikanische Kirche in Soweto abklappern und die Pastoren mit meinem Anliegen behelligen, was zwangsläufig zu weiteren Einladungen zur Teilnahme am Gottesdienst führen würde.

Erst bei meinem dritten Kaffee ging mir auf, dass ich diese Einladung zu meinen Gunsten nutzen konnte. Anhand seiner Reaktion auf Gerdas Foto war ich zwar sicher, dass der Pastor überzeugt war, Gerda noch nie gesehen zu haben. Aber woher wusste ich denn, dass er tatsächlich ein einwandfreies Gedächtnis für Gesichter vorzuweisen hatte, wie er selbst behauptete? Und wie konnte ich sicher sein, dass er mir die Wahrheit sagte? Auch die Gottesfürchtigen waren nicht über jeden Zweifel erhaben. Genau das sollte meine Aufgabe für den nächsten Sonntag sein: Ich würde am anglikanischen Gottesdienst teilnehmen und darauf hoffen, dass mir Gerda bereits am ersten Sonntag in die Arme laufen würde. Das war zwar mehr als unwahrscheinlich, doch immerhin würde mir der Besuch des Gottesdienstes die Gelegenheit geben, mit den anderen Kirchgängern zu reden und ihnen Gerdas Foto zu zeigen.

An diesem Tag unternahm ich nichts weiter, als mich nach weiteren Wohngemeinschaften umzusehen und abends zu der Inserentin zu fahren, bei der ich mich am Abend zuvor noch gemeldet hatte. Lena van Schoor wohnte in einer waldigen, hügeligen Wohngegend Johannesburgs in einem kleinen Wohnkomplex bestehend aus vier Häusern. Ich nannte dem Pförtner meinen Namen und sagte ihm, wen ich besuchen wollte. Er rief daraufhin Lena an, welche unsere Verabredung wohl bestätigte, denn ich wurde sofort eingelassen. Ich fuhr mit dem Auto zum Haus Nummer vier. Lena stand schon in der Türe. Ich wusste auf Anhieb, dass ich die kleine, zierliche, etwas blasse Frau mit den dunklen Haaren mögen würde.

Sie bot mir sogleich Tee und Kekse an, wir setzten uns an den Küchentisch und unterhielten uns eine Weile. Obwohl mir bewusst war, dass dies eine Art Bewerbungsgespräch war, das ich zu bestehen hatte, fühlte ich mich dabei nicht unwohl. Lena strahlte eine Wärme aus, die mich an Andrea erinnerte; es war die Gutherzigkeit einer Frau, die mit sich selbst zufrieden war und sich auch für andere Menschen nur das Beste wünschte.

Lena war Ärztin. Sie hatte also vermutlich ein hohes Arbeitspensum und würde nicht oft zu Hause sein. Das war natürlich ideal für mich – zumindest in der ersten Zeit wollte ich nicht, dass wir uns zu nahekommen und sie den wahren Grund herausfinden würde, weshalb ich mich in Johannesburg aufhielt.

„Ich bin noch auf der Suche nach einem Job“, erklärte ich offen, „Ich habe aber genügend Geld auf der Seite, um die ersten sechs Monatsmieten zu zahlen. Eine Garantie in Form eines Kontoauszuges könnte ich dir hierfür hinterlegen.“ Ich verschwieg, dass mein Visum nur drei Monate gültig war und ich dieses nur einmal um dieselbe Zeit verlängern konnte. Fand ich bis dann keinen Job, würde ich das Land verlassen müssen.

Lena winkte ab. „Um ehrlich zu sein“, sagte sie, „es sind schon einige Leute das Zimmer anschauen gekommen, und von denen bist du die Erste, die ich ernsthaft als Mitbewohnerin in Betracht ziehen kann. Und um noch mal ganz ehrlich zu sein: Ich habe keine Lust, noch mehr Zeit und Energie in eine Mitbewohnersuche zu investieren. Was mich angeht, kannst du so bald wie möglich einziehen. Dieses Haus ist für mich alleine zu teuer. Das habe ich halt davon, dass ich unbedingt in dieser netten Gegend in der Nähe meines Arbeitsortes wohnen wollte. Den Betrag für die Miete kennst du ja aus dem Inserat. Er beinhaltet alle Nebenkosten und die Kosten für die Haushaltshilfe; ausgenommen ist der Gärtner, doch den kleinen Garten betrachte ich als meine eigene Angelegenheit.“

Mit diesem Arrangement konnte ich mich abfinden, und daher sagte ich sofort zu. Lena schien sich aufrichtig zu freuen.

So hatte ich also eine Bleibe gefunden. Und plötzlich überlegte ich ernsthaft, mir hier einen Job zu suchen, wie ich Lena gegenüber behauptet hatte. Ich richtete mich auf einmal auf einen länger als geplanten Aufenthalt in Südafrika ein, und mir wurde bewusst, dass dies unabhängig von Gerda geschah – ich hätte sie morgen finden können und wäre trotzdem noch länger hiergeblieben. Etwas in mir sagte: Es war richtig so. Ich hatte alles aufgegeben und war zurückgekehrt an den Ort, an dem ich einst gescheitert war. Nun wollte ich erreichen, was ich das letzte Mal nicht geschafft hatte: mir hier etwas aufbauen.

Gerda muss fortgehen, alles hinter sich lassen.

Sie denkt an ihre letzte Arbeitgeberin, die so gut zu ihr war, die sich dafür einsetzte, dass sie weitermachte mit ihrer Ausbildung, die sie finanziell und moralisch unterstützte. Sie verlieh ihrem Leben neuen Schwung und zum ersten Mal in ihrem Leben war Gerda überzeugt gewesen: Sie kann all ihre Ziele erreichen.

Wenig ist übrig geblieben von diesen Ambitionen.

Noch immer hofft Gerda, dass sie sie irgendwann einmal wiedersehen wird, diese traurige, seltsame Frau, für die sie über ein Jahr arbeitete und dass sie, Gerda, bei ihr nicht ganz in Vergessenheit geraten ist. Doch sie will sich keine falschen Hoffnungen machen. Sie sind wie gute Freundinnen gewesen, doch eben nur „wie“. Letztendlich ist sie vermutlich nur ein Zeitvertreib für die gelangweilte Madam gewesen, die eine Aufgabe benötigte, damit sie sich besser fühlte. So wie sie, Gerda, sich besser fühlte, als sie der Sache im Waisenheim nachging.

Sie verdrängt diese Erinnerungen. Sie hat nichts erreicht mit ihren Nachforschungen, und sie wird diese Frau aus Übersee nicht wiedersehen; auch das Geld, das sie von ihr erhielt, ist schon lange aufgebraucht. Von dieser guten Zeit ist nichts übriggeblieben.

Sie packt weiter ihre Tasche. Sie freut sich nicht auf die Zeit bei ihrer Familie auf dem Land. Sie hat sich zu sehr an das Leben in der Großstadt gewöhnt, und der Gedanke, unter dem Dach ihres Vaters und ihrer Stiefmutter wohnen zu müssen, erfüllt sie mit Grauen. Aber sie hat keine Wahl: Weil die Familie ihres Vaters nichts von ihrem Leben hier wusste und niemand hier die Familie ihres Vaters kennt, ist sie der ideale Unterschlupf.

Sie verlässt ihr Haus im Morgengrauen, die sicherste Zeit. Die richtigen Trunkenbolde sind auf dem Weg nach Hause, die ersten Pendler auf dem Weg zur Arbeit, von keiner Gruppe fühlt sie sich bedroht. Diese Leute werden zu betrunken oder zu müde sein, um sie bewusst wahrzunehmen. Und falls doch, wird man sie für eine der frühen Pendlerinnen halten. Sie hat ihre Arbeitskleider gewählt, damit man sie für eine Putzfrau hält, die auf dem Weg zu ihrer Madam ist.

Um fünf Uhr morgens sitzt sie bereits im Minibustaxi auf dem noch fast leeren Highway.

Meine wichtigste Aufgabe – neben der Suche nach Gerda – war es nun also, einen Job zu finden. Ohne Beziehungen würde dies schwierig werden, und daher beschloss ich, mich als Erstes an Andrea zu wenden. Ich rief sie noch am selben Abend an und erklärte ihr, dass ich entschieden hatte, länger in Südafrika zu bleiben, bereits ein Zimmer gefunden hatte und nun einen Job brauchte, um mich über Wasser zu halten.

Andreas Begeisterung war nicht gespielt. Sie gratulierte mir zu meiner Entscheidung und sagte, dass sie mir auf jeden Fall helfen würde. Andrea hatte viele Kontakte; sie würde eine riesige Hilfe sein.

Ich erklärte ihr, dass ich keine zu hohen Ansprüche an einen Job hatte und mich mit fast allem zufriedengeben würde, das auch nur im Entferntesten mit meinen Qualifikationen zu tun hatte und ein Einkommen generierte.

Am frühen Morgen des nächsten Tages schon rief Andrea zurück und gab mir drei Adressen, wo ich mich bewerben konnte für eine Stelle im HR. Die Arbeit in der Personalabteilung einer Schweizer Großbank war meine erste und zugleich letzte Stelle gewesen nach meinem Soziologie- und Psychologiestudium, welches ich mit dem Irrglauben begonnen hatte, ich würde einmal mit meiner dort erworbenen Menschenkenntnis etwas bewegen. Die Stelle hatte mir nicht gefallen; in der Konsequenz war es eine einfache Entscheidung gewesen, sie an den Nagel zu hängen, um einem Mann ins Ausland zu folgen, der eine steile Karriere vor sich hatte.

Ich notierte mir die Namen und Telefonnummern der Firmen und nahm mir vor, noch am nächsten Tag anzurufen. Doch zunächst wollte ich mir weiter Gedanken machen, wie ich Gerda finden konnte für den Fall, dass ich am Sonntag in der Kirche nicht erfolgreich sein würde.

Ich konnte doch nicht in Protea Glen herumlaufen, an Tankstellen und in Supermärkten Gerdas Foto zeigen – bei den Abertausenden von Einwohnern, die alleine in Gerdas Distrikt lebten, war die Chance, dass ich auf jemanden treffen würde, der sie kannte, sehr gering. Zudem würde ich das Aufsehen der Bewohner erregen, Misstrauen schüren, und das war das Letzte, was ich wollte. Nein, ich musste diskret bleiben. Von nun an musste ich wieder die Rolle der Detektivin einnehmen, und diese Angelegenheit professionell angehen.

Fred erwartete mich um zehn Uhr in der Lounge. Da ich nicht wusste, was wir als Nächstes tun sollten, lud ich ihn auf einen Kaffee ein.

„Fred“, sagte ich, nachdem wir es uns in einem Wimpyviii in der Nähe des Hotels bequem gemacht hatten, er einen Americano vor sich, ich einen Espresso vor mir, „du weißt, warum ich hier bin, warum ich dich eingestellt habe. Wenn du in meiner Situation wärst, was würdest du tun, um Gerda zu finden? Welche Möglichkeiten siehst du?“

Fred gab nicht sofort Antwort, sondern blickte angestrengt auf seinen Kaffee. Er schien sich die Frage sehr ernsthaft zu überlegen. „Madam“, meinte er schließlich, „zunächst einmal würde ich die Sache langsam angehen. Die beiden Leute, die du in der Kirche getroffen hast, haben sicher bereits angefangen über uns zu reden. Sie fragen sich bestimmt, warum eine Ausländerin solches Interesse an einem jungen Mädchen aus ihrer Gegend hat.“

„Aber ich habe doch mit gar niemandem gesprochen außer dem Pfarrer und seiner Assistentin“, wandte ich ein.

„Madam, das Wort Gottes verbreitet sich in der Regel schnell.“

Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen.

„Es muss natürlich nicht so sein. Trotzdem rate ich dir, die Leute nicht misstrauisch zu machen. Vielleicht habe ich Unrecht, doch mir scheint, hinter der Suche nach dieser Frau steckt mehr, als du zugeben möchtest. Falls dem so ist, sei auf der Hut! Sich mit den falschen Leuten anzulegen in einem fremden Land, scheint mir keine gute Idee. Und in diesem Land geschehen viele schlimme Dinge. Du gehst am Sonntag zu diesem Gottesdienst. Bis dahin würde ich nichts weiter unternehmen.“

Natürlich, Fred hatte Recht. Ich würde vor Sonntag nicht mehr nach Protea Glen fahren. Stattdessen beschloss ich nach dem Treffen mit meinem hilfreichen Begleiter, eine Liste mit allen Institutionen in Soweto zu erstellen, die sich um Waisenkinder kümmerten. Die Suche im Internet ergab eine beachtliche Anzahl von Waisenhäusern, Adoptionsstellen und anderen Einrichtungen. Ein genauer Blick jedoch verriet mir, dass nur wenige dieser Organisationen in Frage kamen. Es waren große, teils globale Organisationen mit Vertretungen in Südafrika. Gerda hatte nicht für ein großes und bekanntes Kinderhilfswerk gearbeitet.

Somit konzentrierte ich mich auf eine von der Regierung bereitgestellte Liste mit vielen kleineren Organisationen, die keine eigene Webseite besaßen, sondern lediglich mit Adresse und Telefonnummer aufgeführt waren. Von diesen markierte ich jene, die sich in Soweto befanden, wo Gerda gearbeitet hatte. Das waren immer noch mehrere Dutzend Institutionen.

Und nun? Sollte ich sie alle anrufen oder gar persönlich vorbeigehen? Es würde mir nichts anderes übrigbleiben. Ich konnte mich weder an den Namen jenes Heimes erinnern, in dem Gerda gearbeitet hatte, noch an den Namen jener, in denen ihre Freunde tätig gewesen waren.

Ich wählte die erste Nummer. Niemand ging ans Telefon. Ich wählte die zweite. Die Nummer existierte nicht mehr. Entmutigt wählte ich die dritte. Doch nach einem Klingeln schaltete ich mein Handy aus. Nein, das bringt doch nichts, sagte ich mir.

Ich hatte keinen Grund zur Annahme, dass die Dinge, die mir Gerda im Zusammenhang mit ihrer Freiwilligenarbeit erzählt hatte, von Bedeutung sein konnten und mir helfen würden, sie zu finden. Ich konnte nicht einfach all diese Organisationen anrufen und mich nach Gerda erkundigen. Das wäre verrückt, total verrückt.

Aber du bist verrückt. Die Tatsache, dass du überhaupt hier bist, in diesem Land, beweist doch schon, dass du verrückt bist, sagte eine innere Stimme.

Vielleicht. Aber immerhin war ich nicht verrückt genug, mein altes Leben wiederaufzunehmen. Alles war besser, als wieder Simons Frau zu sein.

Mabena

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