Читать книгу Der Lehrer ist kein Handwerker - Almut Widdershoven - Страница 5
Kapitel 3: Unsere neue Küche
ОглавлениеObgleich unser Haus uns bereits wochenlange Arbeit beschert hatte, handelte es sich immer noch formal um ein Zweifamilienhaus. Wann immer wir von einer Haushälfte in die andere wollten, mussten wir das Gebäude verlassen und außen herum durch den Garten zur anderen Eingangstür gehen. Heute wissen wir, wie wahnsinnig laut, rücksichtslos und schlecht erzogen die eigenen Kinder sein können, und würden es vermutlich bei einem Zweifamilienhaus belassen. Damals hingen wir aber noch der Überzeugung an, dass eine Familie zusammen in einem Haus und ohne Trennwand leben sollte.
Um aus unserem Zweifamilienhaus also ein Einfamilienhaus werden zu lassen, benötigten wir eine Tür. Wie man mit Hilfe einer Tür aus einem Zweifamilienhaus ein Einfamilienhaus machen kann? Im gleichen Maße, wie man mit Hilfe einer Mauer aus einem Land zwei machen kann, lässt sich dieser Zustand revidieren, indem man in dieser Mauer anschließend mindestens eine Tür einbaut. In unserem Fall zwischen dem ehemaligen Esszimmer der einen Haushälfte und dem ehemaligen Wohnzimmer der anderen Haushälfte. Hierzu hatten wir eine gebrauchte Tür für einen Euro bei Ebay ersteigert und ich hatte sie bereits aus der Pfalz mit unserem Polo abgeholt. Die private Verkäuferin machte sich sichtbar Sorgen, nachdem sie das Einladen mit verfolgt hatte. Die Tür ragte hinten jedoch nicht raus, ich hatte es geschafft, sie vollständig in den Wagen zu bekommen. Allerdings saß ich auf dem Fahrersitz unter der Tür und konnte nur geduckt fahren und auf dem Beifahrersitz hatte ich ja auch noch unseren kleinen Sohn (sechs Monate alt) in seiner Babyschale liegen. Hatte aber alles gut geklappt, man ist ja IKEA-Einkäufe gewohnt, da transportiert man den Kram ja auch nicht anders nach Hause.
Verlegen der Küche. Dies ist die alte.
Den Einbau der Tür übernahm mein Vater und absolvierte ihn souverän an einem Nachmittag. Die Blitzgeschwindigkeit rief meine Bewunderung hervor. Mein Vater erklärte mir hierzu, er würde sich bei allem, was er im Haus handwerklich erledigen müsse, zu allererst fragen: »Wie bekomme ich das möglichst schnell erledigt?« und nicht etwa: »Wie wird es möglichst perfekt?« – und auch nicht: »Welches wird wohl das auf dem gesamten Markt verfügbare allerbeste Spezialwerkzeug für diesen Einsatz sein?«, sondern: »Was halte ich gerade zufällig in der Hand« beziehungsweise: »Ich hab da noch was im Keller, das könnte gehen« und »Zweikomponentenkleber geht immer.«
Da ich dank des Babys mit freier Zeiteinteilung gesegnet war und nicht zu einer Arbeit fahren musste, oblag ein Großteil der Renovierungsarbeiten mir. Zumindest dachte ich damals noch, dass die freie Zeit der Grund wäre. Die Wände gestrichen hatte ich bereits, sogar die Decken. Und auch die alte Wandverkleidung in der ehemaligen Küche entfernt. Und eine neue Rigipswand darübergesetzt und tapeziert. Ich war sehr stolz auf mich.
Nun stand nur noch die Verlegung der Küche an. Wir waren zwar keine Elektriker, erwarteten hier aber keinerlei Schwierigkeiten. Schließlich wollten wir die Küche schlicht um ein Zimmer verlegen. Es ging uns bei der Erteilung des Auftrages an einen Handwerksbetrieb für Haustechnik deshalb nur um die Verlängerung beziehungsweise Verlegung der Strom– und Wasseranschlüsse. Wir wussten, dass unter dem betroffenen Raum ein Wartungsschacht verlief. Es würde für Fachleute leicht sein, die entsprechenden Kabel dort zu verlegen. Die ersten Handwerker im Haus! Der verantwortliche blonde Geselle, unter uns kurzum »Blondi« genannt, verkündete jedoch, dass sie nur die Wasserzu- und -ableitungen legen könnten, der Rest solle lieber von einer Elektrofirma gemacht werden. Da es sich um eine wesentliche Veränderung handle, müsse etwas mehr gemacht werden, als nur ein Kabel zu verlegen. Und die Wasserzu- und -ableitungen könnten sie auch nicht aus dem Wartungsschacht hochführen, da dort noch keine lägen, sondern müssten sie aus der bisherigen Küche rüberziehen. Dazu müssten sie aber die Wand aufstemmen, was das Ganze sehr aufwändig werden lassen würde.
Nun hatte ich nicht umsonst einige Zeit lang das Fotoarchiv des Zentralverbandes Sanitär Heizung Klima betreut. Sie sollten sich keine Gedanken machen, eine »Vorwandinstallation« wäre für mich absolut akzeptabel und um die geeignete Verblendung würde ich mich selbst kümmern können. Problem gelöst, »Sanitäter« erleichtert. Alles ging dann auch recht flott vonstatten, es fehlten anschließend also nur noch die Starkstromanschlüsse für den Herd und einige Steckdosen.
Unterdessen ging bereits der Umzug über die Bühne. Pünktlich am Vorabend von Heiligabend zogen wir ein. Bis die Küche gekauft, eingebaut und vor allem angeschlossen war, würden wir uns mit Nahrung von der Frittenbude versorgen, und unser Nachwuchs bekam ja sowieso noch Muttermilch. Waren ja allenfalls ein paar Tage. Ein bis zwei Tage für die Elektriker, einen Tag für das Fliesen, ein bis zwei Tage für das Kaufen und den Einbau der Küchengeräte.
Die Elektrofirma, die wir mit der Kücheninstallation beauftragten, war der Marktführer in der Umgebung. Bei ihnen kam zunächst immer erst der Firmeninhaber, der den Fall begutachtete, anschließend einen Kostenvoranschlag erstellte und eine Liste mit zu bestellenden Materialien. Anschließend wurde der eigentliche Therapietermin vereinbart. Nachdem wir dem Chef erklärt hatten, wir wollten die Küche um einen Raum verlegen, erklärte er, das sei nicht so einfach, wie wir uns das vorstellen würden. Denn es sei vorgeschrieben, dass bei einer wesentlichen Veränderung in der Elektroinstallation, und dabei würde es sich hier handeln, die Gesamtanlage darauf geprüft werden müsse, ob sie dem aktuellen Stand der Technik entspreche. Und falls dies nicht der Fall sei, müsste sie entsprechend angepasst werden.
Er verlangte, unsere Sicherungskästen zu sehen. Es handelte sich um zwei, da das Haus ja in den letzten Jahren ein Zweifamilienhaus gewesen war. Als er sah, dass der eine Sicherungskasten in einem Holzkasten untergebracht war, machten sich erste Sorgenfalten in seinem Gesicht breit. Nach einem Blick in den Holzkasten wurden sie tiefer. Also das mit dem Holzkasten sei aus Brandschutzgründen nicht zulässig. Und das sei auch schon beim Bau des Hauses nicht der Stand der Technik gewesen. Bevor er etwas Genaueres sagen könne, müsse er zunächst einen Elektriker zum Durchmessen schicken. Der würde sich jedes Kabel ansehen. Dieser Elektriker kam dann auch einen Tag später. Das Durchmessen dauerte fast zwei Stunden. Dann kam er mit einem sehr ernsten Gesichtsausdruck zu uns. Er bat uns inständig, die Umzugskartons nicht weiter auszupacken. Das Haus sei brandgefährlich, die gesamte Elektrik nicht auf dem Stand der Technik. Er empfahl uns, zu Freunden oder Familienangehörigen überzusiedeln, solange die Probleme nicht behoben seien. Das Messprotokoll und den Kostenvoranschlag würden wir in den nächsten Tagen erhalten.
Mein Mann und ich wechselten einen kurzen Blick. Diese Handwerker! Auf was für komische Ideen die verfallen! Da steht ein Haus seit 1958 in der Gegend rum mit einem Sicherungskasten in einem Holzbehälter. Kaum ziehen wir ein, kann das natürlich nicht so bleiben, weil spätestens morgen das Haus deshalb abbrennen wird. Ganz eindeutig hatten wir den Eindruck, der Elektriker übertreibe. Das Einzige, was wir an seiner Schilderung wirklich dramatisch fanden, war die Vorstellung des nach dieser Offenbarung zu erwartenden hohen Kostenvoranschlages.
Das war ganz klar ein Fall für den Telefonjoker. Wieder einmal wandte ich mich an meinen ältesten Bruder. Dieser wühlte in seinem Adressverzeichnis und gab mir die Nummer eines Elektrikergesellen, Jens, der Sohn eines vertrauenswürdigen Arbeitskollegen. Uns ging es ja nur darum, die Kücheninstallation abzuschließen. Von der Auflage, dies müsse dazu genutzt werden, die Elektrik im gesamten Haus auszutauschen, hielten wir sowieso nichts.
Der junge Mann kam dann auch, sagte, der Küchenanschluss sei kein Problem, er könne hierzu den Wartungsschacht nutzen, und bohrte ein großes Loch in unseren künftigen Küchenboden. Aber bereits, als ich sagte, oben auf Höhe der späteren Arbeitsplatte hätte ich gern auch noch einige Steckdosen, wurde er unruhig. Wie er überhaupt, je länger er im Verlaufe des Nachmittages da war und je öfter er sein Messgerät in diese oder jene Steckdose steckte, immer unruhiger wurde. Als ich ihm von dem Urteil des anderen Elektrikers erzählte, fing er fast mit seinen Füßen zu zappeln an, während sich auf seinem Gesicht so etwas wie Hilflosigkeit breitmachte. Ja sicherlich, er könne das überprüfen. Und dann fing er zu messen an. Als er sich verabschiedete, hatte ich das ungute Gefühl, er sei mit der Aufgabenstellung völlig überfordert.
Ich rief erneut meinen Bruder an. Der meinte, ja der sei ja auch gerade erst mit der Ausbildung fertig geworden und fachlich könne er ihn nicht beurteilen. Aber derjenige, der bei ihm im Haus die Installationen vorgenommen hätte, der sei wirklich gut. Mit Firma im Hintergrund. Obermonteur. Ich würde ihn auch kennen: Frank. Frank kam dann wenig später ebenfalls vorbei. Er hörte sich unsere Schilderung an, besah sich das Loch im Küchenboden und dann fing er an zu messen, denn das Messprotokoll des Marktführers war immer noch nicht bei uns angekommen und auch kein Kostenvoranschlag.
Frank begann seine Messungen mit großer Sorgfalt und Ernsthaftigkeit. Aber schon nach zwei Räumen begann sich so etwas wie Heiterkeit in ihm auszubreiten. Als er dann nach den Sicherungskästen fragte und diese in Augenschein nahm, war es um ihn geschehen. Der eine in einem Holzkasten, der andere schlug Funken. Das fand er offenbar amüsant und fing an zu lachen. Dann drehte er auch noch eine Runde durch unseren Heizungskeller und außen ums Haus. Anschließend gab er uns eine kurze Zusammenfassung der Ergebnisse. Es existierte keine Erdung. Vielleicht hatte es einst eine gegeben, die über die Blitzableiter außen am Haus gelaufen war, diese Blitzableiter waren aber alle gekappt und führten nicht mehr ins Erdreich. Der eine Sicherungskasten im Holzkasten war als solches schon gefährlich, aber er hatte auch nur zwei Sicherungen für ein halbes Haus, der andere schlug Funken, weil die Isolierungen nicht vorhanden waren. Es wäre sinnvoll, aus zwei Zählern einen zu machen und dann auch alle Sicherungen in einem Kasten, der dann den Vorschriften entspreche, zusammenzuführen.
Keine der Lampen, keine unserer Steckdosen besäße eine Erdung, auch die aus Metall nicht. Die Anlage sei schon seinerzeit nicht von Fachleuten angelegt worden. Im Fertigbauhausteil stimme an den Kabeln überhaupt nichts. Da müsste alles neu gemacht werden, womöglich unter Öffnung aller Wände. Im Massivhausteil gäbe es hingegen Kabelkanäle, die den Austausch erleichtern würden. Die Heizspiralen draußen auf der Terrasse und in den Bädern seien nicht sachgerecht angebracht und schon allein aufgrund ihres Alters auszutauschen oder zu entfernen. Die Steckdosen draußen seien nicht wassergeschützt. Das beträfe auch einige der Badezimmerlampen, welche nicht für Feuchträume geeignet seien.
Nein, wir müssten nicht ins Hotel übersiedeln, den Funkenflug habe er jetzt bereits notdürftig behoben, aber hier müsse schnell etwas geschehen. Das würde Wochen dauern. Er bräuchte auch eine zweite Person, das sei allein nicht zu schaffen. Wenn das Haus jetzt abbrennen würde, würde die Brandversicherung nicht bezahlen, weil die Technik nicht auf dem Stand der Zeit sei und es noch nie gewesen sei. Allerdings könnte man als Betrieb für Elektrotechnik solche Aufträge kaum im eng getakteten Alltagsgeschäft angehen, da Anfang und Ende nicht abzusehen seien. Hätte sich eigentlich das andere angefragte Unternehmen schon gemeldet? Nein? Das würde ihn nicht wundern.