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Kapitel 4: Nebenbei mitlaufen
ОглавлениеFrank bekam (keine Selbstverständlichkeit) eine Genehmigung für die benötigten Sonder-Abendeinsätze von seinem Chef und die Sache war geritzt. Am Schluss würden wir ein offizielles Abnahmeprotokoll erhalten, das uns den dann ordnungsgemäßen Zustand der Elektroinstallation bescheinige.
Doch Frank benötigte eine zweite sachkundige Person. Sachkundig waren wir definitiv nicht. Also brachten wir Frank und Jens zusammen. Jens und Frank trafen über Monate hinweg immer abends bei uns ein, wobei Frank oft zu spät kam, weil er ein sehr hilfsbereiter Mensch ist, der ständig diesem und jenem zu helfen hat. Jens hingegen war ohne Frank kaum in der Lage, sich einmal um sich selbst zu drehen. Sie begannen mit einem neuen Sicherungskasten und rollten dann von dort ausgehend meterweise neue Kabelstränge durch die Eingeweide unseres Hauses. Sie dengelten eine Erdung ins Erdreich. Sie tauschten auch direkt die Telefonkabel aus und machten sie DSL-fähig (»Braucht ihr jetzt noch nicht, aber früher als ihr denkt«, womit sie Recht behielten). Im Fertigbauteil verständigten wir uns darauf, dass auch hier eine Oberputzinstallation für uns akzeptabel wäre. Auf diese Weise vermieden wir das Aufreißen der Wände. Selbst die Lämpchen der mit dem Heizöltank verbundenen »Alarmanlage«, welche bei plötzlichem Druckverlust Sirenentöne von sich geben soll und vermutlich schon seit zwanzig Jahren außer Betrieb war, brachte Frank wieder zum Leuchten. So eine tolle Warnanlage hatten meine Eltern bei ihrem Heizöltank nicht. »Ganz ehrlich«, dämpfte Frank meine Begeisterung, »wenn das Heizöl auslaufen sollte, riecht man das sowieso sofort.«
Als es darum ging, wer von beiden durch den Wartungsschacht unter der Küche kriechen müsste, taten sie sich mit der Entscheidung nicht leicht. Denn Frank war klein, drahtig, sportlich und hatte keine Angst vor Ungeziefer oder Dunkelheit. Jens hingegen war groß, unathletisch und hatte Angst vor Dunkelheit und Ratten. Es war dann Jens, der rein musste, weil er eine Wette um irgendeine Elektrofrage falsch beantwortet hatte.
Als es an die Anschlussbuchsen in der Küchenzeile ging, ließ Frank den Jens allein machen. Ich hingegen holte mir derweil heftige Blasen, weil ich die Aussparungen in den Wandkacheln für die Steckdose mit einem Hand-Fliesenschneider und mit Zangen anlegen musste. Diese per Hand passgenau zugeschnittenen beziehungsweise -gebrochenen Fliesen sollten dann, so meine Vorstellung, genau um die von Jens angelegte Steckdosenleiste herum angebracht werden. Das kann man sich ungefähr so vorstellen, als hätte man vor, eine Steckerleiste mit Fliesen zu umzingeln. Da nun aber die Steckerleiste eine andere Höhe und Breite hat als eine Fliese, geht das nicht ohne Zuschneiden beziehungsweise -brechen. Leider bestehen Fliesen nicht aus Papier. Deshalb lassen sie sich nicht einfach mit einer Schere oder einem Messer schneiden. Sie werden mit einem Fliesenschneider vorgeritzt und anschließend mit einer stabilen Zange entlang der Ritzung gebrochen. Da es eine sehr knifflige Arbeit ist, ist man dazu verleitet, auf nicht optimal sitzende Handschuhe der Maße »one size fits all« zu verzichten. Zudem misslingt mindestens die Hälfte der Fliesen und sie brechen beim letzten Zentimeter (immer beim letzten Zentimeter) an der falschen Stelle, woraufhin man diese Fliese nur noch wegwerfen und mit der nächsten einen neuen Versuch starten kann. Das Zuschneiden dauerte gefühlte Ewigkeiten. Schon nach kürzester Zeit hatte ich Rötungen und Blasen auf meinen Handinnenseiten. Auch Jens mühte sich redlich an dem Ausbohren der Löcher in der Wand für die Steckerleiste.
Als Frank das gemeinsame Ergebnis von Jens' gebohrten Löchern und meinen zurechtgeschnittenen Fliesen sah, zog er Jens beiseite und fing an zu tuscheln. Doch ich konnte das, was besprochen wurde, sehr wohl hören. Jens hatte schief gebohrt. Und da durchflutete mich ziemliche Wut, denn es bedeutete für mich, mit Händen voller Blasen nochmal von vorn beginnen zu müssen. Jens hatte Mist gebaut, war allein nicht mal in der Lage, drei Löcher für Steckdosen an der richtigen Stelle anzubringen. Sie befanden sich im falschen Abstand zueinander. Jens musste also alles nochmal neu machen. Und ich, da meine Aussparungen in den Kacheln sich auf Jens' Steckdosenlöcher bezogen, ebenfalls. Wäre ein schöner Moment gewesen, um einen wütenden Urschrei loszulassen und dann mit dem Fliesenschneider und der Zange auf Jens einzuschlagen. Allerdings wissen guterzogene Mädchen natürlich, dass sie nicht Lauschen sollen, wenn andere Leute miteinander flüstern. Urschreie ausstoßen und Leute verhauen wegen dem, was sie da erlauscht haben, geht natürlich auch nicht.
Nun war Frank mein Gefluche und die Blasenbildung an der Hand nicht entgangen. Er trat auf mich zu und sagte: »Wenn man das so macht, dass man die Steckdose in den Fliesen versenkt, so wie du das vorhast, dann lassen sie sich später schlecht reinigen.« Ich entgegnete, dass mich das nicht interessiere. Er bat, ich solle ihm vertrauen, es würde mich im Laufe der nächsten fünfzig Jahre in dieser Küche sehr wohl irgendwann interessieren. Aber dann müsse ich ja die ganzen bereits zugeschnittenen Kacheln wegwerfen. Denn diese hätten ja dann zu groß bemessene Aussparungen. Werden die Stecker darauf montiert, statt darin versenkt zu werden, reichen deutlich kleinere Aussparungen, die nur groß genug für das Innenleben der Steckdose sein müssen. Also alles neu vermessen und neu brechen. Frank sagte »Du schaffst das schon. Wenn die Steckdosen auf den Fliesen montiert werden, statt in den Fliesen vollständig versenkt zu werden, sieht es sehr viel besser aus, wirklich.« Er klang überzeugend, obwohl ich wusste, dass dieses nur deshalb notwendig geworden war, weil Jens es nicht einmal geschafft hatte, drei Löcher in ordentlicher Reihe zu bohren.
Fliesen - ein Kinderspiel, wenn man sich gern dreckig macht.
Das Anbringen der Fliesen an der Wand übernahm ich natürlich selbst. Man kann es sich als Laie leicht machen, wenn man sich für ein Modell von Fliesen entscheidet, die bereits zu mehreren mit Montierband aneinander befestigt sind und zudem über einen geschwungenen Rand verfügen. Bei einem geschwungenen Rand fällt es nämlich nicht auf, wenn sie nicht ganz gerade geklebt werden.
Nachdem ich den ersten Satz Fliesen völlig problemlos angebracht hatte, beschloss ich, den Rest in einem Durchgang zu erledigen und direkt die gesamte Fläche mit Fliesenkleber zu versehen. Schnell wurde mir jedoch klar, dass dieser außerordentlich schnell trocknet und man mehr als zwei Hände braucht, um in der begrenzten Zeit die gesamte Fläche einzufliesen. Also schnell Michael zu Hilfe gerufen. Der war nicht übermäßig begeistert, sah dann aber bei mir, wie einfach es war, und brachte seinerseits auch eine Lage Fliesen an. Dabei bekleckerte er jedoch seine Hand mit etwas Fliesenkleber. Sofort ließ er alles stehen und liegen, verschwand zwecks Beseitigung dieses Malheurs für mehrere Minuten ins Badezimmer und kam mit der gewonnenen Erkenntnis zurück: »Das ist nichts für mich.« Schon klar, wenn ich einen Handwerker zum Manne hätte haben wollen, hätte ich keinen Lehrer heiraten dürfen.
Es gibt Menschen, die sind für schmutzige Arbeiten einfach nicht zu gebrauchen. Es gibt begnadete Handwerker. Und dann gibt es noch jene, die überhaupt keine Ahnung haben von dem, was sie gerade machen, es aber trotzdem versuchen. So eine bin ich.
Nach mehr als hundert Stunden und zwei Monaten Arbeit waren wir dann so weit, dass Frank, Jens und Michael unsere Küche einbauen konnten. Ich verkürzte ihnen die Zeit, indem ich ihnen aus Douglas Adams vorlas, der bekannte, seitdem er ein Haus habe, seien die Handwerker im Haus. Manchmal fragten ihn Freunde, was diese Männer da eigentlich machten, aber er traue sich nicht mehr, sie zu fragen. Zuerst sei der Maurer erschienen, habe ein fröhliches Maurerliedchen gepfiffen und eine Mauer errichtet. Dann der Tapezierer, der ein fröhliches Tapeziererliedchen gepfiffen und tapeziert habe. Dann der Maler, der ein fröhliches Malerliedchen gepfiffen und die Wand gestrichen habe. Und dann Frank. Frank sei der Elektriker. Frank pfeife kein fröhliches Liedchen. Er reiße alles wieder ab, was die Übrigen errichtet hätten. Diese Schilderung gefiel »unserem« Frank sehr gut.
Die Elektrikercombo in Aktion
Manche der Bemühungen »unseres« Franks waren leider nicht dauerhaft erfolgreich. So hatte er es zwar geschafft, sich durch das Kabelgewirr unserer Türklingeln zu kämpfen und sie zu synchronisieren. So dass also, egal auf welchen Knopf gedrückt würde, alle Klingeln im Haus ansprangen. Das hielt zwei Wochen vor, dann schickten die neuen Nachbarn im Vorderhaus ihrerseits einen Elektriker los, um ihre Türklingeln in Funktion zu setzen, der wurde aus dem Kabelsalat nicht schlau, kappte eine unserer Leitungen, und schon war alles wieder hinüber.
Drei Wochen nachdem unsere Elektriker mit ihrer Arbeit fertig waren und drei Monate nachdem die erste Vermessung erfolgt war, kam dann doch noch ein Brief von der Elektrikerfirma, die uns einen Kostenvoranschlag binnen einer Woche versprochen hatte. Er enthielt die dreistellige Rechnung über die erfolgte Vermessung. Kein Messprotokoll, kein Kostenvoranschlag.
Ich rief im Büro der Firma an. Die Sekretärin wusste sofort, wer ich war, nämlich »die mit dem brandgefährlichen Haus«. Ich erklärte ihr, dass ich es sehr mutig von ihnen fände, eine Rechnung zu schreiben, obwohl bislang weder Kostenvoranschlag noch Messprotokoll erstellt worden seien. Erst zierten sie sich, aber dann bekamen wir zumindest das Messprotokoll zugesendet und eine Liste von Dingen, die getan werden müssten. Ohne Summennennung. Frank sah sich die vierseitige Liste durch, meinte, da wäre aber noch längst nicht alles drauf. Er hätte sich aber auch gewundert, wenn die in der Lage gewesen wären, vorab Kosten zu nennen, das hätte er ja auch nicht gekonnt, zu viele Unwägbarkeiten. Das sei so ein Auftrag ohne Boden, den könne man nur nebenbei mitlaufen lassen. Trotzdem: Diese Firma bekam von uns nie wieder einen Auftrag. Erst Panik verbreiten und sich dann nicht mehr melden, was ist das denn für eine Art?