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Die Trauerfeier
Оглавление„Woher kommst du, Abla?“ In der Türkei muss man sich als Frau daran gewöhnen, „Abla“ genannt zu werden, sobald man die dreißig überschritten hat. Außerdem wird damit signalisiert, dass man quasi zur Familie gehört und der Gesprächspartner keine unlauteren Absichten hegt. „Aus Paris“, sagte ich. Im Radio lief ein Beitrag über die Beerdigung, an der ich heute teilnehmen wollte. „Es ist schade um den armen Kerl“, sagte der Taxifahrer, während er mir mit einem Blick in den Rückspiegel zu verstehen gab, dass er mit mir ins Gespräch zu kommen versuchte. „Er hatte es keinen Deut besser als unsereiner. Ich habe seine Schuhe gesehen und es hat mir das Herz gebrochen.“ Ich wandte den Blick vom Ufer des Bosporus ab, um noch einmal auf dem Laptop meine Notizen durchzugehen. So stellte ich klar, dass ich unsere kurze Unterhaltung als beendet betrachtete.
Wir näherten uns Pangaltı, wo Hrant Dink ermordet worden war. Auf den Straßen war eine Menschenmenge, wie ich sie in der Größe noch nie gesehen hatte. Hunderttausende schoben sich langsam wie eine riesige Welle voran und versammelten sich vor dem Zeitungsgebäude, in dem er gearbeitet hatte.
„Weiter kommen wir nicht, Abla.“ Der Fahrer zeigte auf die Menschenmassen vor uns. Ich stieg aus und versuchte mich in Richtung Zeitung vorzukämpfen, wurde aber von der Menge einfach mitgetragen, mal hierhin, mal dorthin. Als der Leichenwagen vor dem Gebäude eintraf, erhob sich ein vielstimmiges Klagen und Seufzen. Dann ertönte, weit weg von mir, eine einzelne traurige Stimme. Ich schaute in die Richtung, aus der sie kam. Sie schallte vom Dach eines Busses herüber. Aus Agenturmeldungen und von Fotos, die ich im Vorfeld durchgegangen war, wusste ich, dass die Sprecherin Rakel Dink war, Hrant Dinks Frau. Die zahlreichen Menschen verstummten wie auf Befehl, und Rakel Dink begann den Abschiedsbrief vorzulesen, den sie ihrem Mann geschrieben hatte.