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Jacquelines neuester Coup

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Tief in unsere dicken Mäntel gehüllt, machten wir uns durch die eiskalte Pariser Nacht auf den Weg nach Saint-Germain. Wir waren gerade im Restaurant angekommen und schüttelten die Schneeflocken von uns ab, als uns die gut gelaunte, kristallklare Stimme von Emmanuelles Mutter Jacqueline an die Ohren drang: „Les voilà!“

Beim Näherkommen bemerkte ich einen Herrn, ein gutes Stück älter als sie, der ihr am Tisch gegenübersaß. Wahrscheinlich ihr neuer Verehrer, dachte ich. Jacqueline pflegte nie jemanden aufgrund seines Alters, sondern allenfalls aufgrund seines sozialen Status zu diskriminieren. Der Mann trug einen dunklen Anzug, hatte helle Haut und hielt sich auffällig gerade. Er schien damit der Klasse zu entsprechen, der sich auch Jacqueline zugehörig fühlte. Als wir vor dem Tisch standen, erhob sich Jacqueline und begrüßte mich mit zwei dicken Schmatzern auf die Wangen. Anschließend versuchte sie ungeschickt, die Spuren wegzuwischen, die ihr Lippenstift hinterlassen hatte, wies mir einen Platz an der Wandseite des für vier Personen ausgelegten Separees zu und setzte sich neben mich. Ihr Seidenschal, ihre lange Perlenkette, ihr üppiges Dekolleté – sie schien sich in keiner Weise verändert zu haben. Bloß ein wenig zugenommen hatte sie, aber das konnte nur eine Frau erkennen, denn durch die Wahl ihrer Kleidung war es ihr meisterhaft gelungen, die zusätzlichen Pfunde zu kaschieren.

„Es geht doch nichts über alte Freundschaften“, sagte sie, indem sie Emmanuelle und mich anschaute. Dann zitierte sie den Kellner herbei und ließ ihn Champagner servieren. Mit theatralischer Geste ihr eigenes Glas hebend und mit uns anstoßend, sprach sie: „Auf die Freundschaft, die Geschwisterlichkeit und die Liebe. Sie sind immer die Gewinner.“

Während wir das erste Glas tranken, fragte sie mich nach dem Befinden meiner Mutter, ob ich mit meiner Arbeit zufrieden sei, ob ich eine neue Beziehung hätte, wann ich aus Istanbul zurückzukehren gedächte, in welchem Hotel ich absteigen wolle, wann genau mein Flug gehe und noch so einige Dinge, die mir inzwischen entfallen sind, und als ihr Wissensdurst gestillt war, ließ sie den Kellner nachschenken. Dann bemerkte sie, dass wir beide die Einzigen am Tisch waren, die sich unterhielten. Oder vielleicht war mein Verhör auch einfach beendet, sodass wir zu ihrem Leben übergehen konnten, das es wert war, mit ungleich größerer Ausführlichkeit besprochen zu werden.

Als wir ein weiteres Mal anstießen, nickte sie, fast entschuldigend, Emmanuelle und dem Mann zu, die uns gegenübersaßen. Dann sagte sie, an mich gewandt: „Ich wollte euch schon lange miteinander bekannt machen.“ Und zu ihm: „Derin ist wie eine zweite Tochter für mich, ich hatte dir ja von ihr erzählt.“ Wieder zu mir: „Meine liebe Derin, es war mir eine Herzensangelegenheit, dass ihr noch miteinander sprecht, bevor du nach Istanbul gehst. Das ist Doktor Vahan Marian. Wie du gehört er sozusagen zur Familie.“ Nach diesen Worten stand sie abrupt auf, griff nach Emmanuelles Hand, sagte: „Komm, Chérie, wir lassen die beiden allein, sie haben sicher einiges zu besprechen“, und war im nächsten Augenblick mit ihrer Tochter durch die Tür entschwunden.

Während ich in einer Mischung aus Überraschung, Wut und Scham auf meinem Platz kleben blieb, kam der Kellner und füllte unsere Champagnergläser nach. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, und stammelte etwas wie: „Danke, für mich nicht, ich muss los, mein Flug geht bald.“ Worüber sollte ich mit einem Mann sprechen, der so alt wie mein Großvater war und den ich noch nie zuvor gesehen hatte?

Ohne ihm direkt ins Gesicht zu schauen, wünschte ich ihm noch einen schönen Abend und versuchte den Tisch etwas von mir wegzuschieben, um mich aus meiner beengten Lage zu befreien – als sich plötzlich eine Hand auf meine legte. Es war die alte Hand Doktor Vahan Marians. „Gehen Sie jetzt nicht“, sagte er. Oder vielleicht sagte er auch nichts, schaute mich bloß an und ich fasste von mir aus den Entschluss, zu bleiben.

Sticht in meine Seele

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