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Nach Jahren

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„Und bleib ganz ruhig bei der Beerdigung. Nimm am besten ein Beruhigungsmittel mit.“ Ich hörte, wie meine Mutter am anderen Ende der Leitung innehielt und tief einatmete. „Jeder trauert auf seine Weise, mein Kind“, sagte sie dann und wollte gerade etwas hinzufügen, als es an meiner Tür klingelte. Wer konnte das sein, um diese Uhrzeit? Immerhin war damit der Redefluss meiner Mutter unterbrochen. Ehe ich auflegen und das Paar Stiefel, das ich in der Hand hielt, im Koffer verstauen konnte, klingelte es noch zweimal. Ich ging hin und fragte laut: „Wer ist da?“

„Ich“, kam es zurück. Ich traute meinen Ohren nicht. Es war Emmanuelle!

Als ich die Tür öffnete, stand mir Emmanuelle gegenüber, wie ich sie kannte. Nervös von einem Fuß auf den anderen tretend, die blondierten Haare, die allmählich wieder rauswuchsen, leicht zerzaust, blickte sie mir unsicher in die Augen. Auf ihrem dunkelblauen Trenchcoat lagen Schneeflocken, die noch keine Zeit gehabt hatten, zu schmelzen. Ich schien ein großes Fragezeichen im Gesicht zu haben, jedenfalls setzte sie, noch etwas außer Atem, zu einer Erklärung an. Sie wäre eigentlich gar nicht gekommen, wenn ihre Mutter nicht darauf bestanden hätte. Es sei natürlich nicht so, dass sie nicht gewollt hätte, sie habe sogar sehr gewollt, habe aber befürchtet, dass ich es nicht wolle.

„Na, immerhin hast du in all den Jahren, in denen wir uns aus dem Weg gegangen sind, damit angefangen, erst zu denken und dann zu handeln“, sagte ich.

Sie hätte es eben, fuhr sie fort, einfach nicht ausgehalten, mich vor meiner Abreise nicht noch einmal zu sehen. Außerdem habe sie ein schlechtes Gewissen. Sie habe das Gefühl, als wäre ihr loses Mundwerk schuld daran, dass diese Aufgabe an mir hängen geblieben sei. Dabei wisse sie doch, wie heikel die ganze Sache für mich sei. Bei diesen Worten senkte sie schuldbewusst ein wenig den Kopf.

„Woher hast du meine Adresse?“, fragte ich, vielleicht etwas zu schroff.

„Von Marie Caroline“, sagte sie.

Von unserer Redakteurin also, die sich allerdings niemals in das Privatleben ihrer Mitarbeiter einmischte und auch denen, die ihr davon erzählen wollten, selten Gehör schenkte.

„Sie war eine Kommilitonin meiner Mutter.“ Emmanuelle kicherte leise. „Das ist bei denen ein bisschen wie bei uns: Wenn meine Mutter nur hartnäckig genug ist, dann …“

Während dieses Gesprächs zwischen Tür und Angel öffnete sich plötzlich die Wohnungstür meiner Nachbarin Anne Charlotte, einer mürrischen, einsamen alten Frau, die uns gebot, gefälligst etwas leiser zu sein. Was Emmanuelle offenbar als willkommene Gelegenheit auffasste, um bei mir einzutreten.

„Lass uns noch ein letztes Glas zusammen trinken gehen“, schlug sie vor. Ich lehnte dankend ab, sagte, dass ich noch zu viel zu tun habe und morgen in aller Frühe zum Flughafen müsse. Gleichzeitig freute ich mich, dass sie mich anscheinend noch immer mochte, und merkte, dass ich ihr chaotisches Wesen und ihre Verlegenheit mir gegenüber vermisst hatte.

Sie schaute mich eine Weile an, dann sagte sie: „Weißt du, was? Meine Mutter hat Marie Caroline von sich aus nach deiner Adresse gefragt. Sie will dich nämlich auch noch mal sehen. Und wenn wir jetzt nicht gehen, dann kommt sie hierher, das kannst du dir ja vorstellen. Ob du sie dann allerdings vor dem Morgengrauen wieder loswirst, sei dahingestellt.“

Während sie das sagte, begann sie zu kichern. Im Grunde genommen hatte ich gar nichts dagegen, auszugehen und mich etwas abzulenken. Außerdem war jetzt, wo Emmanuelle und ich den gleichen Arbeitgeber hatten, vielleicht die Zeit gekommen, das Eis zwischen uns zu brechen. Vielleicht könnte ich auch, wenn ich mir die neuesten Eskapaden ihrer Mutter anhörte, meine eigenen Sorgen ein wenig vergessen. Und weil ich nicht einmal den ersten Schritt hatte machen müssen, sagte ich zu, ohne mich länger zu zieren.

Sticht in meine Seele

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