Читать книгу Elly - Unverbindlich - Alva Furisto - Страница 10
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ОглавлениеVöllig außer Atem spurtete Elly die Steinstufen hinunter in den Garten, der an die Universität angrenzte und zu der nahe gelegenen Kirche gehörte. Die Stunden bei May waren wie im Flug vergangen. In Rekordzeit war Elly zurückgefahren, was sie ein Stück ihres rostigen Auspuffs gekostet hatte, der nun irgendwo auf der Interstate verrottete.
Bevor sie um die Ecke bog, legte sie ihre langen, dunklen Locken zurecht und richtete sich gerade auf. Sie trug noch immer das braune Sommerkleid, das eine Handbreit über ihren Knien endete. Doch die Hitze des Tages hatte sich noch nicht gelegt, auch wenn die Dämmerung gerade anbrach. Sicher war es da einer Frau erlaubt, spärlicher bekleidet zu einem ungezwungenen Treffen an der Universität zu erscheinen. Der Einblick in ihr Dekolleté, den das Kleid bot, war ihrer Ansicht nach nicht der Rede wert. Auf ihren halbhohen Absätzen bog Elly grazil um die Ecke, bemüht, sich die Eile nicht anmerken zu lassen.
Studenten und Dozenten standen in Gruppen unter den alten Eichen. Zu allem Überfluss knisterte in einiger Entfernung zu den Bäumen ein Lagerfeuer, vermutlich war für später ein Barbecue geplant. In den Ästen baumelten bunte Lampions, und aus ein paar Lautsprechern, die auf der Wiese verteilt waren, schepperten alte Songs. Elly kannte die Gesichter der anderen, ausnahmslos männlichen Dozenten lediglich flüchtig. Dagegen waren ihr die Gesichter ihrer Studenten vertraut, wenn sie auch nach den wenigen Tagen noch immer nicht alle Namen wusste. Sie war etwas ratlos, wohin sie sich gesellen sollte. Sie fühlte sich eher zu ihren Schülern hingezogen, da diese kaum jünger als sie selbst waren. Ihren frechen Annäherungsversuchen glaubte Elly gelassener standhalten zu können als den prüfenden Blicken der älteren Dozenten.
Pater Miles trat aus einem Grüppchen auf sie zu. »Miss Garden, schön, dass Sie hier sind. Kommen Sie! Ich stelle Ihnen ein paar Kollegen vor.«
Elly folgte ihrem Mentor zu einer Gruppe Dozenten, die sie erfreut willkommen hießen. Pater Miles stellte sie einander vor. Nur ein Kollege hielt sich zurück und musterte sie sonderbar. Ihn kannte Elly bereits von ihrem Vorstellungsgespräch. Er hieß Simon Davids und war der Personalchef des nichtkirchlichen Teils der Universität. Davids hatte feiste Lippen und stechende Augen, aus denen er sie immer wieder argwöhnisch betrachtete.
In diesem Moment wurde das Barbecue eröffnet. Ein Dozent nach dem anderen entfernte sich aus der ungezwungenen Plauderei und begab sich auf die Suche nach etwas Essbarem. Nur Davids blieb mit Elly zurück. Er ließ seinen Blick umherschweifen und trat wie zufällig näher neben sie. »Ihr Aufzug ist unpassend, Miss Garden. Hier sind junge Männer anwesend, die noch auf der Suche nach ihrer Identität sind. Die meisten kaum drei Jahre jünger als Sie. Achten Sie gefälligst darauf.«
Sein barscher Ton ließ Elly erstarren. Dennoch wollte sie es nicht einfach auf sich beruhen lassen. »Es ist Sommer. Die meisten der Studenten tragen kurze Hosen. Dieses Kleid …« Sie verstummte, als Davids noch dichter vor sie hintrat und sie ermahnend ansah.
»Dieses Kleid betont Ihre Rundungen auf unverschämte Art und Weise. Ich kann das sehen, also sehen es die anderen auch. Wagen Sie es nicht, gegen meine Regeln zu verstoßen! Pater Miles ist hier nicht die letzte Instanz. Ich kenne Ihre Personalakte. Sie sind mir ein Dorn im Auge.«
Mit diesen Worten ließ er sie stehen. Ellys Hände zitterten, kalter Schweiß bildete sich auf ihrem Körper. Für einen Sekundenbruchteil flammte Zorn in ihr auf. In Gedanken umklammerte ihre Hand ein Messer. Blut breitete sich aus. Sie blinzelte und erwischte sich dabei, dass sie sich Roger Sykes herbeisehnte, der Davids eiskalt und bestialisch hinrichten würde. War das normal, sich den Menschen herbeizusehnen, der einen vergewaltigt und gedemütigt hatte? Elly schloss kurz die Augen und atmete tief ein und aus, bis die Bilder des Grauens zusammen mit der absonderlichen Sehnsucht nach Roger verschwunden waren. Als sie sich zum Gehen wandte, spürte sie, dass jemand hinter sie trat.
»Dieses Arschloch«, flüsterte eine Stimme. Erstaunt fuhr Elly herum, und ihr Blick traf kühle graue Augen, in denen der Zorn loderte. Student Meyer setzte ein Lächeln auf, als habe er nichts Schlimmes gesagt. »Haben Sie meinen Text gelesen?«
Elly sog den herben Duft seines Rasierwassers ein und blinzelte einen Augenblick, als würde er sie blenden. Dann fasste sie sich. »Nein. Entschuldigen Sie. Ich bin noch nicht dazu gekommen.«
Meyer trug sein dunkles Gewand und wirkte durch und durch harmlos, ganz anders als letzte Nacht in der Bar.
»Kein Problem. Das hat Zeit.« Sein Blick folgte Simon Davids. Dann sah er Elly direkt in die Augen. Ihr wurde es warm und kalt zugleich. »Halten Sie sich von Davids fern!«, sagte Meyer. »Er ist kein guter Mensch. Wenn es nach ihm ginge, wären Sie nicht hier. Nein, ich glaube, wenn es nach ihm ginge, wären wir alle Eunuchen.«
Ihr Versuch, mit einem souveränen Lächeln zu kontern, misslang. Davids’ unsympathische Art und seine offene Feindseligkeit und Meyer, der jetzt wieder so dicht vor ihr stand und so freundlich schien, all das war zu viel für Ellys Nervenkostüm. Für derartige Gefühlsachterbahnen war sie noch nicht wieder gewappnet.
»Entschuldigen Sie.« Bemüht, Haltung zu bewahren, schritt Elly über den Rasen. Zwischenzeitlich war es dunkel geworden. Im Widerschein des entfernten Lagerfeuers bog sie um die Ecke und erreichte den Treppenabsatz hinauf zum Parkplatz, der lediglich von einer einzigen schwachen Gartenlaterne auf dem Rasen beleuchtet wurde. Erst da verlor sie die Beherrschung. Wohl wissend, dass sie außer Sichtweite war, stürmte sie die Stufen hinauf. Von den parkenden Autos drangen Stimmen zu ihr hinüber. Ihren Wagen würde sie also nicht ungesehen erreichen. Verzweifelt suchte sie vor der Parkplatzbeleuchtung Schutz im Schatten eines Baumes und lehnte sich keuchend daran. Tränen stiegen ihr in die Augen, und nur mit Mühe unterdrückte sie ein lautes Schluchzen. Doch ihre Verzweiflung holte sie ein. Hemmungslos weinend vergrub Elly ihr Gesicht in ihren Händen und drehte sich zum Stamm herum.
Warme Finger strichen behutsam über ihren Rücken und den dünnen Stoff des Sommerkleides. Elly sah verstört auf und griff erleichtert das Taschentuch, das Meyer ihr hinhielt. Sie drehte das Gesicht weg und wischte sich die Spuren ihres Ärgers und ihrer Tränen ab, bevor sie sich ihm wieder zuwandte.
»Danke.«
Mehr als ein raues Flüstern brachte sie nicht zustande. Zaghaft hob er seine Hand und strich sanft wie eine Feder über ihre noch feuchte Wange. Seine Berührung löste ein Kribbeln in ihrem Körper aus, das ihr durch Mark und Bein ging. Er musterte sie besorgt. »Bitte! Lassen Sie sich nicht von Davids unter Druck setzen.«
Elly schüttelte den Kopf. »Werde ich nicht. Es geht gleich wieder.«
Vom Weg, der vom Ende der Treppe zum Parkplatz führte, waren ein paar Stimmen zu hören. Meyer kam noch näher und schob sie am Oberarm weiter zurück, um mit ihr völlig im Schutze des Baumes zu verschwinden. Sein Blick schien in Richtung Parkplatz zu wandern. Nur schemenhaft konnte sie seine Miene erkennen, ehe er sich ihr wieder zuwandte und ihn die Finsternis endgültig verschlang. Nur einige Zentimeter trennten sie. Elly spürte die Hitze seines Körpers. Ihr schneller Atem vermischte sich mit seinem. Meyer ergriff ihre Hand und legte sie an seine Wange. Mit zitternden Fingern tastete Elly über seine Haut. Als ihre Fingerkuppen seine Lippen berührten, atmete er hörbar ein.
»Meyer, du Idiot! Wo treibst du dich wieder rum? Wir wollen fahren! Wenn du nicht zu Fuß laufen willst, dann lass dich blicken!«
Er zuckte zusammen, als der Ruf seines Kommilitonen zu ihnen drang. Elly wollte ihre Hand zurückziehen, doch Meyer ergriff sie und küsste zärtlich ihre zitternden Fingerkuppen. »Ich muss weg.«
Sie hatte keine Chance, noch etwas zu sagen. Zu schnell war er in Richtung Parkplatz verschwunden. Elly lehnte atemlos am Baum. Ihre Gefühle standen kopf. Seine Berührungen hatten das nicht verbessert.
Im Gegenteil. Er hatte sie in Brand gesetzt.