Читать книгу Elly - Unverbindlich - Alva Furisto - Страница 7

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Der Wecker riss Elly um sechs Uhr aus einem Traum voller Gewalt und Angst. Schweißgebadet taumelte sie unter die Dusche und war dankbar, dass die Nacht ein Ende gefunden hatte. Erst unter dem warmen Wasserstrahl merkte sie, dass ihr Kopf dröhnte. Ihr pochender Schädel war allerdings nicht das Ergebnis der Albträume, sondern ihres nächtlichen Streifzugs samt mehrerer Cocktails. Schwach erinnerte sie sich, dass sie erst gegen drei Uhr in ihr Bett gefallen war. Sie hatte das Lächeln ihres Studenten einfach nicht aus dem Kopf bekommen.

Die Albträume hatten ihre Ursache in der Vergangenheit. Seit zwei Jahren wurde sie Nacht für Nacht von jenem grässlichen Erlebnis heimgesucht, das als Krönung ihres sozialen Abstiegs alles in ihrem Leben verändert hatte.

Die Erinnerung an den Namen ihres Peinigers auf der Polizeiakte flammte in ihr auf: Roger Sykes. Schmerz durchflutete ihren Körper, und sie bekam eine solche Angst, als sei sie wieder in seiner Gewalt und müsse seine Demütigungen ertragen. Auf einmal lagen die Fesseln, die sie daran hinderten, sich zur Wehr zu setzen, um ihre Hände, während er sich immer und immer wieder an ihr verging.

Unbändiger Zorn stieg in ihr auf, als sie sich aus den Federn schälte. Doch plötzlich lösten sich die Fesseln um ihre Handgelenke. Sie war frei! Aber dann spürte Elly den Griff eines Messers in ihrer Hand. Die Klinge glänzte silbern im künstlichen Licht des Badezimmers. Wie war sie hierhergekommen? Der Fußboden war voller Blut. Was hatte sie nur getan?

»Nein!«, entwich ihr ein Schrei. Roger hatte das getan! Nicht sie! Elly schlug mit der flachen Hand auf die Fliesen. Schließlich gelang es ihr, die grausamen Bilder zurückzudrängen.

Trotz aller Versuche ihrer Therapeutin May und einiger anderer Psychologen, bei denen sie nach dem Vorfall in Behandlung gewesen war: Ihre Erinnerungen an jenen Tag, an dem Roger Sykes sie vergewaltigt hatte, waren bruchstückhaft und verworren geblieben. Wie ein Dolch durchstieß der Schmerz ihr Herz, wenn Elly versuchte, sich an ein Detail von damals zu entsinnen.

Es war einfach zu viel. Sie ertrug die Erinnerungen nicht. Deshalb hatte Elly sich geschworen, sie gemeinsam mit Roger für immer aus ihrem Gedächtnis zu verbannen. Sie schloss die Augen, atmete tief ein und schob die Bilder mitsamt ihrem Schmerz zurück in den Käfig des Vergessens.

Seit jenem Tag war sie festen Beziehungen, aber auch unverbindlichen Begegnungen mit Männern nicht nur aus dem Weg gegangen, sondern hatte für die meisten Männer nur noch Verachtung empfunden. Sie wunderte sich selbst über ihre Reaktion auf den Studenten, der sie in der Bar so eindeutig angemacht hatte. Noch vor wenigen Wochen hätte eine solche Situation Ekel in ihr ausgelöst.

Bei ihm war es anders. Wieder hatte Elly das Bild vor Augen, wie er sich den Radiergummi seines Bleistifts in den Mund steckte. Sie fuhr sich mit der Zunge über ihre feuchten Lippen. Jetzt erinnerte sie sich auch an seinen herben Duft in der Bar: ein eigenwilliges Rasierwasser, das sein markantes Aussehen unterstrich. Und wie er sie angeblickt hatte, aus diesen unergründlichen grauen Augen. Elly ließ ihre Finger zwischen ihre Schenkel gleiten und wünschte sich nichts mehr, als dass es seine Hand wäre, die sie jetzt liebkoste.

Über Monate hinweg hatte sie dieses Gefühl vermisst und an keinen Mann denken können, ohne dass ihr die Erinnerungen an ihren Peiniger einen Strich durch die Rechnung machten.

Keuchend genoss sie die lustvollen Zuckungen ihres Körpers unter dem heißen Wasserstrahl. Immer noch stand ihr der junge Student vor Augen. Sein Anblick hatte ihr diese Erlösung gebracht. Nach langer Zeit war ihre Lust auf Sex wieder erwacht. Früher war ihr Verlangen danach fast unstillbar gewesen. Zum Teufel noch mal, sie musste sofort aufhören, an diesen Studenten zu denken. Es musste doch möglich sein, einen anderen Mann kennenzulernen, der diese Gefühle in ihr hervorrief. Elly glaubte fest daran, dass der Grund für ihre Einsamkeit und ihre emotionale Taubheit in ihrer gestörten Beziehung zu Männern lag. Wahrscheinlich hatte das alles schon mit ihrem Dad begonnen.

Aber wenn sie jemanden fände, für den sie ihre Scheu nach all den Jahren überwinden könnte – in den sie sich verlieben konnte, würde sich vielleicht alles zum Guten wenden.

Doch sie konnte nicht weiter in Fantasien über diesen jungen Studenten schwelgen, denn sie ahnte, dass der junge Mann nicht sicher war, was er wollte. Wieso sonst lief er am Tag in seinem Umhang herum und strebte das Priesterseminar an, während er sich am Abend in einer entfernten Bar als Macho gab?

In hochgeschlossener weißer Bluse und einem für das Wetter viel zu warmen schwarzen Kostüm hetzte Elly über den langen Flur vorüber an den roten Ziegelsteinwänden des Clearfield Campus. Die Studenten waren bereits ausnahmslos in den Hörsälen verschwunden. Sie streckte die Hand nach dem Türknopf aus und erstarrte in ihrer Bewegung, als sie hinter sich eine Stimme hörte: »Miss Garden?«

Nervös fuhr sie herum und entdeckte das rundliche Gesicht von Pater Miles. Der ältere Herr mit schwarzer Soutane und kurzem grauen Haar stand vor ihr. Elly kannte ihn seit vielen Jahren, denn der Pater war ein Bekannter ihrer Eltern gewesen. Er lehrte schon lange an dieser Universität, war Professor für Kirchenrecht und kümmerte sich auch um die Personalangelegenheiten des kirchlichen Teils dieser Einrichtung. Eine Machtposition, die es ihm ermöglicht hatte, Elly zu helfen, als sie ihn vor ein paar Monaten wegen einer Anstellung anschrieb. Trotz ihres eher nüchternen Verhältnisses wollte Elly ihn auf keinen Fall enttäuschen.

Sie bemühte sich, ihre Müdigkeit gemeinsam mit ihrer Nervosität unter Kontrolle zu bringen, bevor sie ihn ansah.

»Guten Morgen, Pater.« Trotz seines freundlichen Lächelns bemerkte sie seinen argwöhnischen Blick.

»Ist alles in Ordnung mit Ihnen? Sie sehen müde aus«, sagte er.

Elly schüttelte erschrocken den Kopf. Anscheinend merkte er ihr die Ausschweifungen der letzten Nacht an. »Ich fühle mich wunderbar, Pater. Danke. Ich habe lediglich schlecht geschlafen. Die Hitze setzt mir zu.«

Pater Miles neigte wohlwollend den Kopf. »Ich wollte Ihnen mitteilen, dass bisher alles zu meiner Zufriedenheit verläuft. Die Meinung Ihrer Studenten ist ausnahmslos positiv. Sie sind ein Gewinn für unsere Universität.« Elly schluckte laut und setzte ein Lächeln auf.

»Danke, Pater. Dann will ich mal meine Studenten nicht warten lassen, damit das auch so bleibt.« Sie griff erneut nach dem Türknauf.

»Heute Abend treffen sich alle Dozenten und Studenten im Garten des Campus zu einem netten Beisammensein. Der Termin ist kurzfristig anberaumt, aber Sie kommen doch sicher?«

Elly nickte, und Pater Miles schien sich zu freuen. »Dann sehen wir uns heute Abend. Weiterhin viel Erfolg!«

Elly sah dem Pater für einen Augenblick nachdenklich hinterher. In ihrer Kindheit war er bei ihren verstorbenen Eltern ein und aus gegangen. Damals war er noch ein gewöhnlicher Priester gewesen. Elly musste lächeln. Auch wenn er sie schon so lange kannte, wahrte der Pater immer eine förmliche Distanz zu ihr. Er war schwer einzuschätzen. Sie wusste nie, was sie von ihm halten sollte. Obwohl er um ihre Vergangenheit wusste, hatte er ihr diese Stelle verschafft. Sogar in der Bar, in der sie zu ihren dunkelsten Zeiten einmal gearbeitet hatte, war er einmal aufgetaucht, um sie nach Hause zu holen. Trotzdem konnte sie ihr Misstrauen ihm gegenüber nie ganz abschütteln. Für den Moment erlaubte sie sich jedoch kurz aufzuatmen. Vielleicht hatte sie dieses Mal einfach Glück. Vielleicht hatte sie sich nicht in ihm getäuscht und er war ihr einfach nur wohlgesonnen.

Sie betrat den Hörsaal, und die Blicke aller jungen Männer ruhten umgehend auf ihr. Die Gespräche verstummten. Elly legte die Tasche auf das Rednerpult und verkündete ein wenig überzeugendes »Guten Morgen« in die Runde. Dann fiel ihr Blick auf ihn. Er sah aus wie das blühende Leben, frisch und unglaublich jung. Seine Finger spielten beiläufig mit dem Bleistift, als er kurz zu ihr aufschaute. Er zeigte keine Reaktion, die in irgendeiner Weise darauf hindeutete, dass sie sich am Abend zuvor ganz anders begegnet waren. Im Grunde war Elly erleichtert darüber und konzentrierte sich, von leichtem Kopfschmerz geplagt, auf ihren Vortrag. Nach drei Stunden war sie für den Tag erlöst. Der Hörsaal leerte sich, während sie ihre Unterlagen zurück in die Aktentasche steckte.

»Entschuldigen Sie, Miss Garden?«

Elly zuckte zusammen, als sie seine warme Stimme vernahm, und blinzelte ihn verwirrt an. Seine grauen Augen musterten sie kühl, aber bewundernd.

»Ja, bitte, Mister …?«

»Meyer.«

Sie ergriff die Hand, die er ihr entgegenstreckte, und Meyer erwiderte die Geste mit einem warmen, festen Händedruck. Bei dem Gedanken daran, dass einer seiner Finger am Abend zuvor auf ihrem nackten Rücken gelegen hatte, wurde Elly ganz heiß. Doch noch bevor sie sich davon ablenken lassen konnte, schob er ein paar Blätter Papier vor sie auf das Pult. »Würden Sie sich das einmal ansehen und mir sagen, was Sie davon halten?«

Ellys Blick fiel auf das Papier. »Natürlich, gern. Um was …?« Als sie aufblickte, war er bereits verschwunden. Sie schüttelte den Kopf. Die Begegnungen mit ihm verwirrten sie zunehmend. Bei dem Gedanken daran, sich nun wie sonst bis zum Abend in ihrer Wohnung zu verkriechen, war ihr klar, dass sie an nichts anderes würde denken können als an ihn. Ihr fielen seine Worte ein. »Eines Tages werden Sie in die Bar kommen und nach mir Ausschau halten«, hatte er gesagt. Auf keinen Fall würde das geschehen. Da konnte er lange warten. Bis zum Abend hatte sie noch einige Stunden Zeit. Elly beschloss, die freie Zeit zu nutzen und die zweistündige Fahrt nach Berwick auf sich zu nehmen, um den einzigen Menschen zu besuchen, den sie als Freundin empfand: ihre ehemalige Therapeutin May. May würde sie sicher ablenken oder aber gleich dafür sorgen, dass Elly sich den Studenten wieder aus dem Kopf schlug.

Elly - Unverbindlich

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