Читать книгу Elly - Unverbindlich - Alva Furisto - Страница 9
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ОглавлениеDie Sonne stand hoch am Himmel, und die Hitze war bereits durch die Ziegelsteinmauern der Kirche nahe des Clearfield Campus vorgedrungen. Die wenigen Holzbänke vor dem Altar waren leer, einzig aus der Mitte des Beichtstuhls klang ein Rascheln, als Frank die Tür öffnete, die ihm den Platz des Sünders zuwies.
»Vergib mir, denn ich habe gesündigt.« Die Stimme, die vom Platz des Priesters durch das Gitter des Beichtstuhls drang, klang bedrückt.
Aber Frank freute sich, dass der angehende Priester ihn zuverlässig wie immer um diese Zeit erwartete. Bereits seit einem Jahr trafen sie sich an diesem Ort, um neugierigen Blicken und Fragen zu entgehen. Besonders der alte Professor, der neben der Universitätskirche wohnte, schien nicht begreifen zu können, warum Frank nichts von Religion wissen wollte. Der Mann, sein Beichtvater nannte ihn Pater Miles, nutzte jede Gelegenheit, Frank in ein Gespräch zu verwickeln und ihn zum nächsten Gottesdienst einzuladen.
»Gott, der unser Herz erleuchtet, schenke dir die wahre Erkenntnis deiner Sünden und Seine Barmherzigkeit«, erwiderte Frank vom Platz des Sünders und verschränkte die Arme. Manchmal, wenn er seinen Beichtvater besuchte, tauschten sie die Rollen, und er übernahm als Sünder den Part seines Beichtvaters. Frank sah an sich hinab und betrachtete das Namensschild an seinem Uniformhemd: Officer Meyer. Bei dem Gedanken, welche Geheimnisse ihm bei der Arbeit hin und wieder gebeichtet wurden, grinste er. Vielleicht kam der Rollentausch gar nicht von ungefähr. War er nicht so etwas wie der Priester der Straße? Hörbar und ungeniert kaute er auf einem Kaugummi.
»Auf der Erde gibt es Feindschaft, Hass, Lüge, Unrecht, Gewalt und Krieg. Es sind Menschen wie du und ich, die sich hassen statt zu lieben«, fuhr der Priester fort.
»Jeder von uns trägt mit an der Schuld, welche die Menschheit täglich auf sich lädt.« Jetzt lachte Frank anzüglich. »Was hast du verbockt, du Mistkerl?«
»Herr, wir tragen die Schuld der ganzen Welt vor dich hin. Wir wollen es oft nicht wahrhaben, doch heute bekennen wir vor dir, dass wir an der trostlosen Lage der Menschheit mitschuldig sind. Ich habe ein Mädchen begehrt.« Der Priester stieß den Atem aus, als habe er gerade unter Folter einen Mord gestanden.
Das Platzen von Franks Kaugummiblase tönte durch den Beichtstuhl, dann sog er vernehmlich die Luft ein. »Kann das wahr sein? Wird der kleine Jacob etwa erwachsen?«, fragte er.
»Blöder Penner«, zischte es vom Platz des Priesters und er räusperte sich gleich daraufhin, als wolle er sich für seine Wortwahl entschuldigen.
»Wir haben nicht die Möglichkeit, fremde Schuld zu verhindern. Auch diese fremde Schuld tragen wir vor dich hin, oh Herr. Denn wir haben kein Recht, uns von der Schuld unserer Mitmenschen zu distanzieren.« Frank legte eine Pause ein und kaute erneut hörbar auf seinem Kaugummi. Dann knisterte er mit dem Kaugummipapier in seiner Hand, bevor er es in die Tasche seines Uniformhemdes steckte. Nach einem tiefen Seufzer fuhr er fort: »Du hast dir diesen bekloppten Beruf ausgesucht. Schon vergessen?«
»Hm. Wir lassen uns zu wenig erschüttern durch die Schuld. Wir leiden nicht genug darunter, besonders, wenn wir sie nicht selbst auf uns geladen haben. Wir lassen den Mitmenschen mit seiner Schuld allein und glauben, wir könnten auf diese Weise aus dem Teufelskreis des Bösen ausbrechen.« Der Priester presste die Worte zwischen seinen Lippen hervor. Sein Gewand raschelte, als er seine Sitzposition veränderte. »Ich habe ihr einen Brief geschrieben. Wenn sie darauf nicht antwortet, dann …« Atemlos unterbrach er sich.
Wieder ließ Frank eine Kaugummiblase platzen, gefolgt von einem Prusten. »Einen Brief? Wie alt bist du?«, fragte er belustigt.
»Das war für mich der einzige Weg. Ich bin eben nicht so wie du.«
»Tja, dann habe ich vielleicht Glück. Ich war auch nicht untätig«, brüstete Frank sich. Als er sich aufrichtete, knirschte das Leder seines Gürtels, und der Handschellenschlüssel, der daran hing, klimperte. Die Dienstwaffe hatte er entgegen der Vorschriften im Handschuhfach gelassen. Eine Waffe in die Kirche mitzunehmen, gehörte sich in seinen Augen nicht, auch wenn er sich längst vom Glauben abgewandt hatte.
»Herr, wir bekennen unsere Schuld«, antwortete der Priester. Es klang neugierig, mehr wie eine Frage als wie ein Bekenntnis.
»Wir haben uns zu schnell mit eigener und fremder Schuld abgefunden, anstatt mit der Liebe von vorn anzufangen«, verkündete Frank spöttisch. Er kannte all die Verse und Phrasen auswendig. Sein strenggläubiger Vater hatte sie ihm als Kind eingeprügelt.
»Ich will wissen, was du getan hast, du Idiot«, zischte es vom Platz des Priesters.
»Du kennst mich. Ich bin energischer als du. Ich hab der Frau meinen Finger unter den String gesteckt. Ein Wahnsinnskörper. Ich hätte gern alles davon gesehen.« Frank ließ ein animalisches Knurren entweichen, wohl wissend, dass sein Gegenüber bei seiner knappen Schilderung bereits rote Ohren bekam.
Der Priester holte tief Luft. »Herr, wir bekennen unsere Schuld. Gib uns die Kraft der Vergebung.«
Frank stand auf und verließ die Kirche, um weiter Streife zu fahren. Er brannte darauf, die dunkelhaarige Schönheit aus diesem Klub in Williamsport so schnell wie möglich wiederzusehen. Zwar war er nicht auf etwas Langfristiges aus, doch er ärgerte sich, dass er die Gelegenheit hatte verstreichen lassen, wenigstens Namen und Telefonnummer der jungen Frau zu bekommen.
Als er neben seinem Streifenwagen stand, schaute Frank noch einmal zur Kirche hinüber.
Im Grunde hasste er diesen Ort und besuchte ihn nur, um seinem Beichtvater nahe zu sein. Jedes Mal, wenn er hier war, wurden Erinnerungen wach. Erinnerungen an seine Kindheit, die durchzogen war von körperlicher Gewalt und seelischem Schmerz, und das alles im Namen der heiligen Mutter Kirche. Diese Jahre waren so verkorkst gewesen, dass er sich auch heute nicht in der Lage sah, für jemand anderen zu sorgen als für sich selbst.