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Cap. 5

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Die Irrlehrer behaupten freilich, daß sie nur um deßwillen ihre Meinung aufrecht halten, damit sie den Schein vermeiden, Gott als wandelbar hinzustellen, sofern er nämlich denjenigen Verzeihung gewähre, denen er doch vorher gezürnt habe. Aber wie? sollen wir die ewigen Gottessprüche zurückweisen und den Meinungen dieser Menschen folgen? Gott ist doch nicht nach fremden Meinungen, sondern nach seinen eigenen Worten zu beurtheilen. Welches sprechendere Zeugniß seines Erbarmens können wir anführen, als daß er selbst beim Propheten Osee denen, welchen er in seinem Zorne Strafe androhte, alsbald wieder versöhnt Verzeihung ankündigt? Zuerst sagt er: „Was soll ich dir thun, Ephraim? was soll ich dir thun, Juda? da eure Liebe ist wie Morgengewölk und wie der Thau, der frühe davon geht.“ Dann aber sagt er später: „Wie könnte ich dich hingeben, Ephraim, dich preisgeben Israel? ich könnte dich hingeben, wie Adama und Seboim.“ Mitten in seinem Zorne hält er inne, wie überwältigt von väterlichem Erbarmen, und erwägt, wie er den Irrenden zur Buße führen möchte. Wie sehr Juda auch schuldig ist, geht Gott doch mit sich selbst zu Rathe. Er sagt: „Ich könnte dich hingeben, wie Adama und Seboim,“ wie jene Städte, welche, Sodoma benachbart, auch gleiches Schicksal, gleichen Untergang erlitten; aber er fügt alsbald hinzu: „Umgewandt hat in mir sich mein Herz, mit eins ist erregt mein Mitleiden. Nicht werde ich ausführen meines Zornes Gluth.“

Scheint es nicht, als ob der Herr Jesus uns sündigen Menschen nur deßhalb zürnt, um uns durch die Furcht vor seinem Zorne zu bekehren? So ist denn sein Unwille nicht die Ausführung seiner Rache, sondern vielmehr die Vorbereitung der Verzeihung: denn so hat er gesagt: „Wenn du umkehrest und in Reueschmerz seufzest, wirst du gerettet werden.“ Er erwartet unser Seufzen hier in der Zeit, damit er es in der Ewigkeit uns erlassen, er erwartet unsere Thränenströme, damit er seine Milde über uns ergießen kann. So hat er im Mitleid mit den Thränen jener verwittweten Mutter im Evangelium den Sohn derselben wieder erweckt. Er erwartet unsere Umkehr, damit er selbst sich wieder zur Gnade wende. In uns würde die Gnade dauernd bleiben, wenn kein Sündenfall sich in unsere Seele einschliche; da wir aber durch unsere Sünden ihn beleidigen, zeigt er sich unwillig, damit wir gedemüthigt werden. Wir werden aber gedemüthigt, damit wir mehr der Erbarmung als der Strafe würdig erscheinen.

Auch das Wort des Propheten Jeremias möge zur Belehrung dienen: „Nicht auf ewig verwirft der Herr; denn wenn er auch betrübet hat, so erbarmt er sich doch nach der Menge seiner Erbarmungen; nicht mit Lust demüthigt und verwirft er die Menschenkinder.“ Aus dem, was auf diese Worte folgt, dürfen wir dann schließen, daß gerade deßhalb der Herr „alle Gefangenen des Landes unter seine Füße erniedrigt“, damit wir seinem Strafurtheile entgehen. Wahrlich nicht freudig und mit Lust erniedrigt er den Sünder bis zur Erde, da er ja von der Erde aufrichtet den Schwachen und aus dem Staube erhebt den Armen. Nicht mit Lust erniedrigt derjenige, der sich die Verzeihung vorbehält.

Wenn er nun überhaupt nicht mit Lust den Sünder demüthigt, um wie viel mehr trifft das bei demjenigen zu, der gleichfalls nicht mit voller Herzenshingabe gesündigt hat! Wenn er von den Juden sagte: „Dieses Volk ehret mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist weit von mir entfernt,“ dann sagt er vielleicht von manchen Gefallenen: „ Sie haben mit den Lippen mich verleugnet, aber im Herzen sind sie mit mir vereint. Die Qual hat diese Armen überwältigt, keineswegs hat Treulosigkeit sie verführt.“ Und doch verweigern Manche diesen die Verzeihung, während ihr Verfolger selbst für ihren treuen Glauben Zeugniß abgelegt hat, indem er durch Marter und Qualen ihn zu brechen versuchte. Sie haben einmal den Herrn verleugnet, aber seitdem bekennen sie ihn tagtäglich; einmal haben sie ihn verleugnet im Worte, aber seitdem bekennen sie ihn mit ihren Seufzern und Klagerufen, mit ihren Thränen und mit Worten, die freiwillig dem Herzen entströmen, die nicht erzwungen sind. Sie sind freilich auf kurze Zeit der Versuchung des Teufels erlegen: aber bald nachher hat der Teufel wieder von ihnen weichen müssen, da er sie als sein Eigenthum nicht erwerben konnte. Er hat vor ihren Thränen, ihrer Buße weichen müssen; er hatte sich in sie hineingeschlichen, da sie ihm nicht gehörten, er hat sie wieder verloren, nachdem sie sein gewesen.

Verhält sich das nicht genau so, als wenn ein Eroberer die Bewohner einer bezwungenen Stadt gefangen hinwegführt? Sie werden gefangen hinweggeführt, aber gegen ihren Willen. Gezwungen wandern sie dem fremden Lande zu, aber ihr Herz zieht nicht mit, es eilt zur Heimat zurück und sinnt auf Mittel, dorthin den Weg wieder zu finden. Und wenn sie nun heimkehren, wer kann dann rathen, sie nicht wieder aufzunehmen? Ihre Ehre mag in etwas gemindert sein, aber ihr Eifer ist nur um so größer und hingebender, Alles zu vermeiden, was der Feind gegen sie ausbeuten könnte. Während du dem Bewaffneten, der noch kämpfen konnte, verzeihest, willst du dem nicht verzeihen, in dem einzig der Glaube kämpfte.

Und wenn wir die Meinung des Teufels selbst über diese Gefallenen erforschen wollten, scheint es nicht, als müßte er sagen: „Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist weit von mir entfernt. Wie kann es mit mir halten, während es von Christus nicht gewichen ist? Die scheinen zu Unrecht mich zu ehren, welche die Lehre Jesu befolgen: ich aber glaubte, daß sie meine Lehre verkündigten“? Sie verurtheilen in der That nur noch mehr und schärfer, wovon sie sich nach trauriger Erfahrung abgewandt haben. Wenn Jesus sie bei ihrer Rückkehr wieder aufnimmt, so wird er in ihnen nur um so mehr verherrlicht. Alle Engel jubeln; denn es ist im Himmel mehr Freude über einen Sünder, der Buße thut, als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen. „Ueber mich“, muß der Teufel bekennen, „wird so im Himmel, wie auf Erden triumphirt. Nichts geht doch Christus verloren, da diejenigen, welche in den Thränen ihrer Martern zu mir kamen, sehnsuchtsvoll zur Kirche zurückeilen. Durch ihr Beispiel laufe ich obendrein noch Gefahr, auch die zu verlieren, welche sich mir verschrieben haben, und welche nun zu der Einsicht gekommen sind, daß hier, wo die Menschen mit Belohnung der Gegenwart verlockt werden, doch eigentlich Nichts ist; daß dort aber gar viel sein muß, wo Seufzen, Thränen, Fasten und Abtödtungen meinen Ueppigkeitsmahlen vorgezogen werden.“

Essentielle Werke des Heiligen Ambrosius von Mailand, Band 2

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