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Leadership happens on the top

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John Wayne – das ist der Schauspieler des 20. Jahrhunderts, der für mich den Typus des einsamen Helden am eindrücklichsten verkörpert hat. What a man!

Ein solcher Mann ist eine Führungsfigur. Er steht immer im Feuer, es gibt immer einen Kampf zu bestehen. Und das heißt: Es gibt immer einen finsteren Gegner, der besiegt werden muss. Und warum besiegt der Held den Schurken immer? Weil er härter ist, weil er zäher ist, weil er der bessere Mann ist. Auch wenn er mal einen Kratzer abbekommt oder eine Faust an den Kinnwinkel: Er ist unverwundbar. Sein Wille ist stärker, er bleibt immer aufrecht, hält immer durch, egal wie schwer die Prüfung ist. Und wenn es eine Entscheidung zu treffen gilt, wenn es hart auf hart kommt, wird er eiskalt. Emotionen? Spielen keine Rolle, denn die würden ihn nur behindern. Und noch etwas: Ein John-Wayne-Held ist immer einsam. Vor allem dann, wenn es ums Ganze geht. Entscheidungen macht er mit sich selbst aus. Denn am Ende ist es ja doch er, der durchs Feuer gehen muss.

Wenn Sie einen solchen Helden treffen wollen – von der Sorte, wie sie von John Wayne, Clint Eastwood, Al Pacino, Russell Crowe, Gerard Butler oder Kiefer Sutherland in Hollywood-Filmen verkörpert werden –, wenn Sie so einen nicht nur im Kino, sondern im realen Leben treffen wollen, dann benötigen Sie einfach nur Zugang zu den Chefetagen großer Unternehmen oder internationaler Konzerne. Dort bestreiten sie noch heute ihre Entscheidungskämpfe, besiegen ihre Gegner, treffen einsam und eiskalt ihre Entscheidungen und geben den Mitarbeitern unter sich gönnerhaft einen Klaps.

Irgendwie hat es dieser Heldentypus aus dem letzten Jahrhundert geschafft, noch immer im Sattel zu bleiben.

Das was ihn dort hält, ist die starre hierarchische Pyramidenorganisation, in der jedem Chef eine Gruppe von Untergebenen zugeordnet ist, von denen jeder wiederum Chef einer weiteren Gruppe von Untergebenen ist – über mehrere Ebenen hinweg bis nach unten an die Basis der Pyramide. Dort arbeiten die Geringsten. Die einfachen Sachbearbeiter, Verkäufer, Sekretärinnen und Servicekräfte.

Bezeichnenderweise sind es in der Pyramidenorganisation genau diese Menschen, also die ganz »unten«, die den meisten Kundenkontakt haben und die sich jeden Tag höchstpersönlich im Markt bewegen und mit der Welt da draußen kommunizieren. Je weiter oben einer in der Hierarchie sitzt, desto weniger hat er mit der Außenwelt zu tun.

Dafür steigt seine Macht und die ihm entgegengebrachte Wertschätzung.

Das Pyramidion, also die Spitze, die obersten Steine, waren bei der größten Pyramide der Welt, dem vor rund 4.600 Jahren in Gizeh errichteten Grabmal des Pharaos Cheops die wertvollsten Steine. Während die Basis mit billigem Kalkstein ausgeführt war, wurde an der Spitze harter Basalt und Granit verwendet. Manche Pyramidenspitzen wurden außerdem mit einem Überzug aus Elektron versehen, einer Legierung aus Silber und Gold. – Ganz klar: Oben ist wertvoll, mächtig. Unten ist billig, ohnmächtig. Die pyramidale Ordnung ist uns ganz selbstverständlich: Natürlich entscheidet immer der Chef!

So funktioniert Führung und Management des 20. Jahrhunderts. Eine strenge Hierarchie bestimmt alles. Oben wird gedacht, unten wird umgesetzt, was oben gedacht wurde. Alle Macht geht von der Spitze aus. Oben werden Planungen erstellt und Ziele vorgegeben. Von dort aus ergehen sowohl sämtliche Anweisungen als auch die Kontrolle, ob selbige auch ausgeführt werden. Ein striktes Command and Control. Und wenn die Pyramide auf moderne Weise wie ein gut geschmiertes Räderwerk funktionieren soll, dann wird mit klaren, fixen, quantifizierten, messbaren Zielvorgaben von oben nach unten geführt: Management by objectives.

Die Basis der Pyramide stellt die Peripherie des Unternehmens dar. Wer hier arbeitet, muss sich unterordnen. Eigenständiges Denken ist unerwünscht, sonst macht ja jeder was er will und das Chaos bricht aus.

Es herrscht ein Höchstmaß an Abhängigkeit. Wer nicht spurt, hat über sich immer einen Chef, der die Macht hat, ihn rauszuwerfen. Die Zentrale behält den Überblick und sorgt dafür, dass alles irgendwie dem Unternehmenszweck dienlich ist.

Aber das heißt auch: Entscheidungen, und seien sie noch so unbedeutend, werden bereitwillig nach oben durchgereicht. Denn unten muss man sich absichern. Man will ja bloß keinen Fehler machen – auch wenn die Kundenanfrage, die eigentlich innerhalb von Minuten zu beantworten wäre, dann erst einmal wochenlang liegen bleibt.

Überhaupt die Bürokratie: Was nützen Heerscharen von Sachbearbeitern, wenn jeder Einzelfall doch wieder mit dem Chef abgesprochen werden muss? Oder eine andere Abteilung ist zuständig. Die befindet sich zwar auf demselben Flur, Kontakt besteht aber trotzdem höchstens per E-Mail oder über die Hauspost.

Projekte sind eigentlich eine moderne Form, temporären Herausforderungen auf flexible Weise zu begegnen. Doch strikt getrennte Abteilungen, wie sie in einer Pyramidenorganisation notwendig sind, sind der absolute Projektkiller. Ihre Existenz sabotiert interdisziplinäre Arbeit, weil sie horizontale Kommunikation innerhalb der Peripherie verhindert. Die vertikale Linie und das horizontale Projekt verhaken sich ineinander – wer hat hier wem etwas zu sagen?

In seinem Buch Die 12 neuen Gesetze der Führung analysiert mein geschätzter Kollege Niels Pfläging ausführlich, wie Management im 20. Jahrhundert funktioniert hat. Als »Management-Exorzist« plädiert er dafür, auf Planung und Vorgaben zu verzichten, Abteilungen abzuschaffen und das Pyramidenprinzip zugunsten einer dynamischeren Netzwerkstruktur aufzugeben.

Niels prangert an: Abhängigkeiten, Abteilungen, Management, Pflichterfüllung, Maximierungswahn, Machtstau, Vorgaben, Anreizsysteme, Planung, Bürokratie, Statusgehabe und Anweisungen. Stattdessen setzt er auf Sinnkopplung, Zellen, Leadership, Ergebniskultur, Passgenauigkeit, Intelligenzfluss, relative Ziele, Teilhabe, Vorbereitung, Konsequenz, Zweckdienlichkeit und Marktdynamik.

Und ich könnte hinzufügen: Statt Helden brauchen wir Menschen.

Solche modernen, ins 21. Jahrhundert passende Unternehmen existieren nicht nur, sie sind sogar oft außerordentlich erfolgreich. Niels weist das in seinen Büchern nach. Er analysiert darin erstaunliche Unternehmen, die so organisiert sind, dass es allem, was an Hochschulen in Sachen Management und Betriebswirtschaftslehre gepredigt wird, fundamental widerspricht. Eigentlich dürften sie laut Lehrmeinung gar nicht existieren können.

Aber dennoch: Niels ist ein Vordenker, ein Pionier. Die Unternehmen, über die er schreibt und spricht, sind Pionierunternehmen. Die Realität in der Wirtschaft sieht in der Breite noch völlig anders aus.

Wie das Pyramidenprinzip Unternehmen ausbremst und lähmt, habe ich vor einigen Jahren als Beraterin in einem großen IT-Konzern gesehen. Damals erlebte das Phänomen des Cloud Computings seine erste Blüte. Ein amerikanischer Anbieter von Web-Software für Unternehmen war dabei, den globalen Markt zu erobern. Die Idee dahinter: Du kaufst keine Software mehr, sondern mietest sie. Genutzt wird das Produkt über das Internet, direkt im Browser. Software as a service heißt das Zauberwort. Die Vorteile für den Kunden liegen auf der Hand – es entstehen keine Anschaffungsund Betriebskosten, da die gesamte IT-Infrastruktur beim Anbieter verbleibt, der auch die regulären Wartungsarbeiten übernimmt.

Nun war ein Projektleiter des Unternehmens, das mich als Beraterin gebucht hatte, zufällig auf dem Laufenden, was die aktuellen Entwicklungen im Bereich des Cloud Computings betraf. Er hatte die rapide Expansion des amerikanischen Wettbewerbers mitbekommen und ahnte, dass daraus eine Bedrohung des eigenen Geschäftsmodells erwachsen könnte.

»Wenn wir nicht mitziehen, werden die uns über kurz oder lang überholen!«

Er beschloss, die Entscheidungsträger auf die neue und unerwartete Online-Konkurrenz aufmerksam zu machen. Also versuchte er, an den Konzernvorstand heranzukommen. Wochenlang. Monatelang.

Was glauben Sie, wie lange es dauerte, bis der Projektleiter endlich einen Termin bekam? So erschreckend es klingen mag: Er schaffte es überhaupt nicht!

Erst als ich als Beraterin auftauchte und naturgemäß auch mit dem Vorstand arbeitete, erhielt die Unternehmensspitze durch mich die kritische Information!

Also wurde ein großes Meeting mit allen Beteiligten einberaumt. Wollen wir doch mal sehen, was es mit diesem neumodischen Software as a service auf sich hat! Siegesgewiss ließ die Unternehmensführung zwei Gruppen gegegeneinander antreten. Eine Aufgabe aus dem Business-Alltag wurde gestellt. Die eine Gruppe sollte sie mit der wohlvertrauten hauseigenen Software lösen. Die andere sollte das Gleiche mit einem gemieteten Account des Wettbewerbers in der Cloud versuchen.

Zum Erstaunen aller, inklusive des Vorstandsvertreters, war die zweite Gruppe innerhalb von zwanzig Minuten fertig und konnte Ergebnisse präsentieren. Die eigene Software dagegen machte Zicken, musste immer wieder neu gestartet werden und stürzte schließlich ganz ab.

Ein Schock!

Eigentlich hatte sich ja nichts geändert. Natürlich hatte das Unternehmen auch bisher schon Kenntnis von den Schwächen ihrer eigenen Produkte gehabt. Und selbstverständlich kannte man alle Marktdaten des Wettbewerbers. Keinerlei Fakten hatten sich durch diesen Test geändert. Das einzige, was sich schlagartig gedreht hatte, war das Bewusstsein.

Die Folge: Innerhalb von Stunden erfasste den ganzen Konzern eine Art Sense of urgency, der von der Spitze ausging und das Unternehmen bis in seine Grundfesten erschütterte. Angst ging um. Prozesse wurden umstrukturiert, Telefone liefen heiß, Projekte wurden gecancelt oder aufgesetzt und ganze Führungsetagen wurden ausgetauscht. Der Laden war endlich aufgewacht – und versuchte nun mit allen Mitteln, den Vorsprung der überseeischen Konkurrenz wettzumachen.

Die Augen vor der Realität zu verschließen, nicht auf die Peripherie zu hören und wenn überhaupt, dann nur von oben nach unten zu kommunizieren, ist typisch für all die Pyramidenunternehmen mit ihren John Waynes an der Spitze.

Das Problem ist, dass du dir als John-Wayne-CEO im 21. Jahrhundert meistens erst dann über den bevorstehenden Absturz klar wirst, wenn es längst zu spät ist – so wie bei Kodak oder Loewe, die die Digitalfotografie und die Flachbildschirmtechnologie achselzuckend an sich abgleiten ließen, weil sie den Wettbewerb unterschätzten und sich selbst überschätzten. Es ist heute nicht mehr sehr intelligent, sich für unverwundbar zu halten, einsam zu entscheiden, kühl, rational und hierarchisch vorzugehen. Das ist die denkbar ungünstigste Haltung. Denn dafür ändern sich Marktbedingungen heute viel zu schnell. Die mit Elektron überzogene Machtzentrale sitzt heute noch immer hoch zu Ross, ist aber eigentlich blind, dumm, langsam und überfordert.

Vielleicht liegt hier der Hund begraben: in der Haltung. Im Denken.

Es fällt mir nicht ganz leicht, diese Haltungssache zu beschreiben. Aus meinem beruflichen Alltag als Management-Coach weiß ich, dass wir alle heute in einer Welt leben, die wir nicht mehr berechnen können. Ich muss gewissermaßen sportlich sein – wach, alert, und schnell mit meinen Entscheidungen. Lieber treffe ich sofort zehn Entscheidungen, von denen sich später drei als falsch erweisen, als dass ich eine Entscheidung auf den Hierarchieweg bringe, der so lange dauert, bis sich die Bedingungen schon wieder geändert haben.

Mit meiner Berufung als Ministerin in die tunesische Regierung ist mir noch deutlicher geworden, wie wenig kontrollierbar die Welt geworden ist. Ich glaube heute, die »normale«, gängige Haltung müsste sich ungefähr so beschreiben lassen: »Ich weiß nicht, ob es uns morgen noch gibt.«

Doch das ist eine sehr offene, allzu verwundbare Position. Für den Typus des John-Wayne-Managers ist das eine Position der Schwäche. Eine Haltung der Loser. Er ist schließlich abgebrüht. Der Held, der sich einsam auf den Weg macht und am Ende trotz aller Schwierigkeiten den Laden rettet.

Sagen wir’s laut und deutlich: Im Grunde ist das eine Form von Arroganz.

Und sie wirkt nicht nur innerhalb des Unternehmens – sondern auch nach außen.

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