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Ich kenn dich doch gar nicht!

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Mir ist einmal Arroganz in einer gut nachvollziehbaren Form begegnet. Die deutsche Zweigstelle meiner Beratungsfirma verlagerte ihren Standort ins Ausland, das heißt: Wir verkleinerten das deutsche Büro und brauchten die große Telekommunikationslösung nicht mehr. Die meisten Telekommunikationsanbieter arbeiten aber mit Zweijahresverträgen. Auch wir hatten so einen Vertrag, der nun obsolet war. Als wir vorzeitig kündigen wollten, erklärte man uns lapidar: »Gerne lösen wir Ihren Zweijahresvertrag vorzeitig auf. Die Gebühren für die Restlaufzeit in Höhe von X Euro werden Ihnen jedoch vertragsgemäß in Rechnung gestellt. Mit freundlichen Grüßen …«

Wir waren erst einmal verblüfft. Das war ganz schön unfreundlich. Wir hielten mit unserer Verwunderung nicht hinter dem Berg – schließlich hatten wir innerhalb der Firma noch mehrere Dutzend Mobilverträge über diesem Anbieter laufen, außerdem zahlten wir auch für die Internetanbindung einen schönen Batzen Geld – und das alles seit Jahren. Und wer weiß, was wir in der Zukunft noch alles brauchen würden. Alles, was wir wollten, war doch eigentlich trivial: Wir verlegten ein Büro und wollten unsere Infrastruktur den neuen Bedingungen anpassen. Sollte uns da ein Telekommunikationsanbieter nicht sachkundig begleiten und uns mit einer passenden Lösung unterstützen?

Stattdessen wollte uns das Unternehmen irgendwie für unsere Veränderungswünsche bestrafen. Was folgte: eine unfreundliche Korrespondenz in beide Richtungen. Und am Ende blieben wir sowohl auf der Rechnung als auch auf unserem Ärger sitzen. Vertrag ist Vertrag, hörten wir.

Ja, Vertrag ist Vertrag. Aber dieses Unternehmen brachte es tatsächlich fertig, wegen weniger hundert Euro halsstarrig auf viele tausend Euro künftigen Umsatzes zu verzichten. Sie verwandelten einen zufriedenen Kunden in einen Gegner. Sie verjagten uns zur Konkurrenz.

Dabei geht es mir übrigens überhaupt nicht um das Thema Service oder Kundenorientierung. Mein Thema ist Management beziehungsweise Organisation beziehungsweise Entscheidungsfähigkeit. Worauf es mir bei diesem Beispiel ankommt, ist deshalb die Tatsache, dass der Telekommunikationsanbieter uns nicht »ganzheitlich« betrachtete. Dann hätte man nämlich bemerkt, dass wir als Geschäftskunden ohnehin lukrativ genug waren. Die Entscheidung war offensichtlich eine schlechte. Sie folgte den starren Regeln einer starren pyramidalen John-Wayne-Organisation. Einer ganz oben hatte einmal kühl entschieden. Und das wurde nun unten an der Basis mit aller Folgsamkeit umgesetzt. Im Ergebnis ist das: Arroganz.

Wenn ein Unternehmen aber kein monopolistischer Staatsbetrieb ist, sondern im globalen Wettbewerb steht, kann es mit einer arroganten Haltung gegenüber dem Markt über kurz oder lang nur verlieren.

Typischerweise äußert sich die Arroganz der John-Wayne-Unternehmen nicht nur gegenüber den Kunden, sondern auch in fast jedem anderen Bereich.

Ein Beispiel ist die Haltung gegenüber den Mitarbeitern. Wie Manager über sie reden, verrät, wie sie über sie denken: Human Resources. Humankapital. Personal. Stellen. Positionen. Einheiten. Headcount. Dass es sich um Menschen handelt, interessiert das Management und das Personalwesen offensichtlich nicht.

In unseren Coachings konfrontieren wir Führungskräfte und Mitarbeiter regelmäßig mit dem Menschen hinter der Arbeitskraft. Spannend! Bei der Übung Leading self darf jeder eine individuelle Lebenslinie zeichnen, die in verschiedene Kategorien aufgeteilt wird. So ergeben sich Erkenntnisse, die sich auf die jeweilige Persönlichkeit beziehen. Die anderen erhalten dabei beispielsweise einen Einblick, wo der Einzelne seine Stärken und Schwächen sieht, was er/sie im Leben erreichen will oder worin er den Sinn seines Daseins sieht.

Das Resultat ist beachtlich: Manche Führungskräfte kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus, dass sie seit zehn Jahren oder mehr mit Menschen zusammensitzen, über die sie wenig bis gar nichts wussten. Und glauben Sie mir: Wenn Sie als Führungskraft einen Mitarbeiter auch als Menschen kennen, treffen Sie andere Entscheidungen! Umgekehrt gilt natürlich dasselbe. Das ist so einfach – sobald beiden Parteien erst einmal bewusst ist, welche Werte einen gemeinsamen Nenner darstellen!

Es ist nunmal so: Niemand vertraut einer Arbeitskraft. Niemand vertraut einem Management. Niemand vertraut dem Personal oder dem Humankapital. Aber Menschen vertrauen Sie! Vertrauen ist der Anfang von allem. Doch das kann nur entstehen, wenn Menschen sich kennen.

Der Erfolg von Leading self ergibt sich meines Erachtens daraus, dass Menschen sich berührt fühlen, weil sie zum ersten Mal nicht nur als ausführende Organe, als Rädchen im Getriebe gesehen werden, sondern als beseelte Individuen. Es ist nicht nötig, sich gegenseitig die privatesten Geheimnisse zu entlocken, alleine schon einige Anhaltspunkte darüber, wer dein Gegenüber ist, schaffen Berührungspunkte, die sinnbehaftet sind, weil sie individuelle und gemeinsame Werte offenbaren.

Wie auch wollen Sie den Sinn eines Unternehmens und den Sinn eines Menschen zusammenbringen, wenn Sie vorher den Sinn des Menschen nicht kennen?

Gerade heute, wo es so schwer ist, gute Leute zu finden und auch zu halten: In Märkten, die sich stark verändern, verlieren Unternehmen ihre besten Mitarbeiter oftmals schon nach zwei Jahren. Da braucht es schon ein hohes Maß an Überzeugungskraft und Kreativität, um immer wieder neue Kräfte einzubauen. Unternehmen, die es schaffen, schnell Beziehungen aufzubauen und Vertrauen zu bilden, sind klar im Vorteil.

Ich kann mich an einen Praktikanten erinnern, der Spitzenarbeit geleistet hat. Er war ohne jede Übertreibung einfach top. Kurz vor Ende seines Praktikums fragte ich ihn, ob er nicht gerne bei uns bleiben würde.

Seine klare Antwort: »I don’t feel the urge to hire a boss.« (Etwa: »Mich drängt es nicht dazu, einen Chef einzustellen.«)

Das musste ich schlucken. Einerseits fand ich das furchtbar schade, andererseits freute ich mich für ihn. Inzwischen hat dieser ehemalige Praktikant mehrere Unternehmen gegründet und ist jetzt Angel Investor. Fantastisch!

Der Punkt ist: Viele junge Leute stellen sich die Beziehung zwischen Chef und Mitarbeitern völlig anders vor als die vorherige Generation. Anweisungen entgegenzunehmen und den reinen Befehlsempfänger zu spielen, haben sie nicht nötig. Gerade die Vertreter der jüngeren Generation wollen als Menschen gesehen und akzeptiert werden. Sie erwarten, dass Führungskräfte mit ihnen auf Augenhöhe kommunizieren. Sie sind viel empfänglicher für eine emotionale Verbindung zu ihren Chefs, als es ihre Kollegen zwanzig oder dreißig Jahre früher waren.

Eines können Sie mir glauben: John Wayne hat damit ein Problem!

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