Читать книгу Spurensucher - Ana Marna - Страница 12
Eine gelungene Ablenkung
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Jackson, Mississippi
Die zurückliegenden Tage und Wochen gestalteten sich anstrengend, aber durchaus abwechslungsreich. Alle paar Tage tauchte ein Riese in Ravens Wohnung auf und beanspruchte einige ihrer Stunden für sich. Und niemand hielt sich mehr zurück.
Immerhin kamen sie selten zu zweit, doch auch so war es jedes Mal anstrengend genug. Zu Ravens Erleichterung kam kein neues Gesicht dazu. Und von sechs Männern im Bett beglückt zu werden, daran musste sie sich erst einmal gewöhnen.
Es fiel ihr überraschend leicht. Prüde war sie nie gewesen und One-Night-Stands hatte sie schon etliche genossen. Eine feste Beziehung hatte sich nie ergeben und vermisst hatte sie es nie. Aber gleich sechs ... Nun, während ihrer Straßenarbeit hatte sie schon eine Menge ungewöhnliche Lebensweisen kennengelernt, die auf die üblichen Konventionen keine Rücksicht nahmen. Und Vielweiberei war in manchen Kulturen ja immer noch verbreitet. Warum also auch nicht Vielmännerei? Das war zwar anstrengend, aber auch abwechslungsreicher. Auf jeden Fall nicht langweilig.
Ein paar Mal versuchte sie einige Tage Auszeit zu nehmen, indem sie neue Trainingsmöglichkeiten und Kletterparks testete. Doch das klappte nicht annähernd.
Meistens wurde sie trotzdem aufgespürt und dann wurde es umso anstrengender, da die Männer anscheinend ihren Spaß daran hatten, sie sportlich an ihre Grenzen zu bringen. Die Kerle waren harte Trainingspartner und ihr haushoch überlegen. Aber sie beschwerte sich nicht. Ihre eigene Fitness steigerte sich spürbar und das gefiel ihr.
„Ihr seid echt wie Kletten“, beschwerte sie sich trotzdem bei Liam.
Sie lagen in ihrem Wohnzimmer auf dem Teppich und versuchten beide, die Oberhand zu gewinnen. Als Raven schließlich auf ihm saß, war klar, dass er nachgegeben hatte, aber das war nicht wichtig.
„Du bist halt unwiderstehlich“, lächelte er und umfasste mit festem Griff ihre Hüften. „Ich hab‘ übrigens wieder einen Job für dich.“
Sie verzog das Gesicht.
„Ich habe bereits ’nen Job. Der reicht mir!“
Er schob sie langsam tiefer, bis sie aufkeuchte.
„Sieh es als Nebentätigkeit an!“
„Aber ...“
„Morgen Abend. Wir brauchen ein wenig Ablenkung, und eine junge hübsche Frau ist wie geschaffen dafür.“
Raven stöhnte leise. Nicht nur aus Verzweiflung. Er richtete sich auf und bewegte langsam ihre Hüften, bis sie keuchend auf ihm zusammensackte.
Sie mochte Liam. Von den sechs Männern war er derjenige, der am sanftesten mit ihr umging, was nicht hieß, dass sie keinen Respekt vor ihm hatte. So vorsichtig wie er sie behandelte, so ruppig konnte er zu den anderen Männern sein.
Inzwischen hatte sie mitbekommen, dass er der Gruppenleiter war und in der Hackordnung ganz oben rangierte. Kian stand offenbar an zweiter Stelle, Roland an letzter. Reece und die beiden anderen, Finn und Scott, lagen irgendwo dazwischen.
Liam schob sich herum, so dass sie wieder unten lag.
„Reece holt dich ab“, brummte er, während er sich weiter in ihr bewegte. „Zieh irgendwas Hübsches an. Ein Kleid oder sowas.“
„Ich besitze kein Kleid. Also musst du dir jemand anderen suchen.“
Sie schlang die Arme um den breiten Hals und zog seinen Kopf nach unten, bis er zwischen ihren Brüsten lag. Er stieß ein unwilliges Brummen aus und rieb das Gesicht an ihr.
„Es gibt niemand anderen. Aber du hast ja noch einen Tag Zeit und kannst eins kaufen!“
„Liam!“ Sie versuchte, ihn weg zu stemmen. „Ich trage keine Kleider. Das sieht bescheuert aus und ich kann mich darin überhaupt nicht richtig bewegen.“
Er hob den Kopf und grinste sie an.
„Okay, dann gehen wir zwei morgen früh shoppen. Das will ich sehen!“
Ihr Protest prallte an ihm ab und schien ihn nur zu amüsieren. Schließlich gab sie entnervt auf. Nur mit Grausen dachte sie an den morgigen Tag.
Kleider waren das Allerletzte!
*
Er machte seine Drohung tatsächlich wahr. Nach dem Frühstück schleifte er sie in das nächstbeste Bekleidungsgeschäft und zwang sie dazu, ein Kleid nach dem anderen anzuprobieren, bis er sie mit einem zufriedenen Ausdruck betrachtete.
Raven war eher skeptisch. Das grüne Kleid, das sie trug, war enganliegend, sehr gewagt ausgeschnitten und wirkte in ihren Augen eher nuttig. Liam aber war zufrieden.
„Hervorragend“, entschied er. „Das passt!“
Als sie das Geschäft verließen, war zumindest Ravens Laune auf dem Tiefpunkt.
„Verrat mir wenigstens, was ich tun soll“, forderte sie.
„Ablenken.“
„Na super, und wobei?“
„Wir schnappen uns eine Zielperson und du lenkst derweil alle ab.“
„Und wie bitte schön soll ich das tun? Und wo überhaupt?“
„Im Sweet Dating House.“
„Wo?“
Er wiederholte seine Aussage, was Raven nicht wirklich weiterbrachte.
„Und was ist das für ein Haus?“
„Ein Puff.“
„Ich soll in einen Puff? Seid ihr noch ganz dicht?“
Ravens Stimme schraubte sich empört in die Höhe.
Liam schubste sie in seinen Wagen. Als er sich auf den Fahrersitz schob, grinste er sie an.
„Süße, du sollst da nicht arbeiten, sondern sie ablenken, damit wir ungestört unseren Job erledigen können.“
Er startete den Wagen und fuhr los.
Nach fünf Minuten meinte Raven: „Stopp. Halt sofort an!“
Er gehorchte tatsächlich und fuhr den Wagen an die Seite.
Raven hielt ihm die Hand hin.
„Geld“, verlangte sie. Er starrte erst auf ihre Handfläche, dann in ihr Gesicht.
„Was?“
„Ich soll in einen Puff, dafür brauche ich Knete.“
Nach kurzem Zögern zog er tatsächlich ein Portemonnaie hervor und drückte ihr fünfzig Dollar in die Hand.
„Reicht das?“, knurrte er säuerlich.
„Vielleicht, warte hier!“
Sie stieg aus und sah zu ihren Hunden.
„Ihr wartet auch.“
Dann drehte sie sich um und ging auf einen kleinen Supermarkt zu.
Zwanzig Minuten später kletterte sie mit einer Tüte in der Hand wieder auf den Beifahrersitz und klatschte das Restgeld auf die Armatur.
„Okay. Wann gehts los?“
„Reece holt dich um achtzehn Uhr ab“, brummte Liam und fuhr los. Sein Blick ruhte kurz auf der Tüte, aber er konnte weder sehen noch riechen, was Raven eingekauft hatte. Er nahm es hin. In wenigen Stunden würde er es sowieso erfahren.
*
Am Abend stand Raven in ihrem neuen grünen Kleid zwischen den Männern und versuchte, die anzüglichen Bemerkungen zu ignorieren. Alle hatten sie fassungslos angesehen, als sie sie zu Gesicht bekamen.
Zum ersten Mal sahen sie Raven geschminkt. Und zwar intensiv. Außerdem waren ihre schwarzen Haare streng nach oben zu einem Dutt gesteckt.
Noch ungewohnter waren die hochhackigen Schuhe.
Doch die Männer fingen sich schnell und bekundeten sofort auf die ihnen übliche direkte Art Interesse. Nachdem Raven zum hundertsten Mal Hände weggestoßen hatte, die sich unter ihren Rock schieben wollten, fauchte sie Liam wütend an.
„Sag ihnen, dass sie das lassen sollen, oder ihr seht mich nie wieder!“
Er grinste nur und nickte den Männern zu.
„Ihr habt’s gehört. Reißt euch zusammen. Also gut. Wir gehen folgendermaßen vor.“
In kurzen Zügen erläuterte er seinen Plan. Raven, die immer noch nicht so richtig wusste, um was es überhaupt ging, trat ungeduldig von einem Fuß auf den andern.
Sie befanden sich in der Innenstadt von Jackson Mississippi hinter einem großen Gebäude. Die Männer waren ganz in Schwarz gekleidet.
Immerhin sah sie keine Waffen, was aber nicht viel heißen musste. Inzwischen wusste sie, dass diese Kerle Meister darin waren, selbst große Gerätschaften am Körper unterzubringen, ohne dass man sie wahrnehmen konnte.
Liam sah sie an.
„Du gehst in die Lobby und lenkst die Aufmerksamkeit auf dich.“
„Jaja, das weiß ich ja schon. Und wann soll ich loslegen?“
„Punkt einundzwanzig Uhr dreiundzwanzig.“
Raven blinzelte ihn irritiert an.
„Soll das jetzt ein Witz sein?“
„Nein, ist es nicht. Uhrenvergleich!“
Er scherzte tatsächlich nicht, das las sie in seinem Gesicht.
Raven verdrehte die Augen, stellte ihre Armbanduhr aber nach Liams Vorgaben und kam sich dabei vor, wie in einem schlechten Spionagefilm.
Dann griff sie nach der Tüte und pfiff Jazz an ihre Seite. Mit nur einem Hund fühlte sie sich zwar irgendwie unvollständig, doch sie hatte den ganzen Tag über ihre Strategie nachgedacht. Drei große Hunde in ein Bordell zu schleppen war sicherlich nicht klug. Einer war schon auffällig genug. Und Jazz war von ihren drei Freunden der am wenigsten Furcht einflößende.
Also hatte sie schweren Herzens Hades und Azok zu Hause gelassen.
Kaum war sie um die Ecke gebogen, da zog sie aus der Tüte eine Flasche und öffnete sie. Nach einer kurzen Geruchsprobe verzog sie das Gesicht. Dann kippte sie sich einen kleinen Schwapp in den Ausschnitt und verrieb ihn. Anschließend nahm sie einen Schluck in den Mund, spülte ihn hin und her und spuckte ihn auf den Bürgersteig.
Während sie in Richtung des Puffs ging, veränderte sich ihr Gang. Aus dem unsicheren Gestöckel wurde ein schwankendes. Als sie an einem Obdachlosen vorbeikam, drückte sie ihm die Flasche in die Hand und schwankte weiter. Zwischendurch blickte sie auf die Uhr und wurde etwas flotter. Dann erreichte sie ihr Ziel und holte tief Luft. Ein verstohlener Blick auf die Uhr, und los!
Sie öffnete die Tür und betrat eine große Eingangshalle. Alles wirkte nobel, weiträumig und teuer. Ihr Gesicht nahm einen entschlossenen Ausdruck an und sie steuerte auf den breiten Tresen zu, der mitten in der Vorhalle stand.
Der Raum war in ein diffuses rotes Licht getaucht, mit schweren Teppichen ausgelegt und irritierend vielen erotischen Bildern ausgestattet.
Hinter dem Tresen stand eine schlanke, überaus hübsche Frau, die ihr mit großen Augen entgegensah.
Es dauerte eine geschlagene Minute, bis Raven sich zu ihr hin geschwankt hatte. Die Stöckelschuhe auf den Teppichen trugen ihren Teil dazu bei. Dann beugte sie sich vor, so dass die junge Frau ihren Atem zu spüren bekam und lallte:
„Ich will zu meinem Mann. Und zwar jetzt. Sofort! Unverzüglich!“
Die Frau schluckte.
„Äh, es tut mir leid, aber ich fürchte, da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen.“
„Red‘ keinen Blödsinn! Charles ist hier. Das weiß ich genau.“
Raven richtete sich auf und hob den Kopf:
„Charles! Komm sofort zu mir. Ich weiß genau, dass du hier bist“, brüllte sie in ihrer größtmöglichen Lautstärke. Die junge Frau schob nervös ihre Hand unter den Tresen.
Raven sah sie mit einem leicht dämlichen Grinsen an.
„Ich weiß, wie ich ihn finde. Jazz, such! Such Charles.“
Ein kaum sichtbarer Fingerwink reichte, um Jazz in den Korridor zu schicken, der sich rechts von ihnen auftat.
„Er hat eine Spur“, schrie sie beglückt und torkelte hinterher. „Charles! Es hat keinen Zweck sich zu verstecken. Ich werde dich finden!“
Sie kam gerade mal bis zur Treppe, als ein hochgewachsener Mann sie einholte und sich ihr in den Weg stellte.
„Madam“, lächelte er sie an, was allerdings ziemlich gezwungen wirkte. „Sie können hier nicht einfach durch das Haus laufen. Das ist Privatbesitz.“
„Scheiß drauf“, lallte sie. „Ich will meinen Charles zurück. Ich weiß genau, dass er sich hier mit einer Nutte vergnügen will. Dabei ist heute unser fünfter Hochzeitstag! Wissen Sie, was das heißt? Fünf Jahre opfere ich mich für ihn auf und dann rennt er ausgerechnet heute in einen Puff! Aus dem Weg. Jazz wird ihn finden.“
Sie torkelte auf ihn zu und als er nach ihr griff, stolperte sie unter ihm hindurch.
„Diese verdammten Schuhe“, schimpfte sie und richtete sich wieder auf, um zielstrebig und flott die Stufen hinauf zu torkeln. Der Mann folgte ihr fluchend, doch jedes Mal, wenn er nach ihr griff, stolperte oder schwankte sie zur Seite.
„Jazz, such diesen verdammten Kerl. Such Charles. Du Guter. Ja, such ihn!“
Ein weiterer Mann tauchte vor ihr auf. Groß und eindeutig Rausschmeißer Qualität.
Raven kicherte.
„Holla, lauter hübsche Männer. Und ich dachte, ich bin in einem Puff.“
Sie drehte sich mit Schwung herum und ihr Ellbogen wischte wie zufällig in den Magen des anderen Mannes, der gerade hinter ihr stehengeblieben war.
„Ups!“, lallte sie und torkelte so ungeschickt zurück, dass ihr Stöckelabsatz sich in das Schienbein des Zweiten bohrte. Sein Aufstöhnen ließ sie wieder herumfahren, weshalb sie seinem beherzten Zugriff entging.
„Oh, Jazz, du Guter, hast du ihn gefunden?“
Sie glitt mit einem Stolpern an ihm vorbei und eilte die Treppe weiter hinauf, wo Jazz hechelnd auf sie wartete. Die beiden Männer folgten ihr fluchend. Sie erwischten sie am obersten Treppenabsatz.
„Huch“, schrie Raven, als sich zwei Männerhände um ihre Taille legten.
Wieder knickte sie zur Seite, doch dieses Mal ließ er nicht los. Mit einem strahlenden Lächeln drehte sie den Kopf zu ihm hin.
„Danke“, flötete sie. „Sie haben mich vor einem Sturz bewahrt. Das ist wirklich sehr aufmerksam. – Sie - oh Mann, Sie sehen wirklich gut aus! Sind das echte Muskeln? Ha, davon könnte sich Charles ’ne Menge abschneiden. Dieses Weichei weiß ja noch nicht einmal wie eine Hantel aussieht!“
Sie drängte sich ihm so unwillkürlich entgegen, dass er mit einem Fluch nach hinten stolperte, ohne sie loszulassen. Gemeinsam fielen sie gegen den zweiten Mann und polterten mit lautem Getöse die Treppe hinunter.
Dort erschienen inzwischen zwei weitere Männer, die zunächst zurücksprangen, als die drei Gestalten unten ankamen. Raven schaffte es, sich beim Aufstehen mit dem Ellbogen in den Kronjuwelen des einen abzustützen und ihr Knie auf dem Kinn des anderen zu platzieren. Dann strebte sie schwankend wieder der Treppe entgegen.
„Jazz, hast du den verdammten Kerl gefunden?“, brüllte sie. Die beiden anderen Männer schafften es, sie von hinten an den Armen zu ergreifen und von der Treppe fortzuziehen.
„Was soll das?“, keifte sie. „Ich muss doch Charles finden. Diesen untreuen, wabbeligen Mistkerl.“
„Madam, wir müssen Sie leider nach draußen bringen.“
Der Mann, der das sagte, wirkte etwas angewidert. Vermutlich lag das an ihrem Geruch.
„Sie können nicht einfach durch das Haus laufen. Und bitte seien Sie leiser. Sie stören unsere Gäste!“
„Mein Mann ist hier Gast“, schimpfte sie empört. „Ich gehe nicht ohne ihn. – Charles! Du Hurensohn!“
Ihr Gebrüll ließ die Männer zusammenzucken, während sie Raven zur Tür zerrten. Durch diese trat gerade ein Mann, der erschrocken zu ihr hinblickte.
„Zu Hilfe“, schrie Raven. „Helfen Sie mir, diese Kerle tun mir weh!“
Er sah erschrocken auf die Männer und öffnete den Mund.
„Also, das ist nicht gut“, begann er. „Warum bedrängen Sie die Dame so? Ist das hier so Sitte?“
„Nein“, knurrte einer der Rausschmeißer. „Wir entfernen nur einen Störenfried.“
„Das ist ja wohl die Höhe“, keifte Raven und trat mit ihrem Stöckelschuh fest auf seinen Fuß.
Er schrie vor Schmerz auf und Raven konnte sich tatsächlich losreißen.
„Außerdem gehe ich nicht ohne Jazz“, lallte sie. „Jazz, schnapp dir Charles Eier! Bring sie mir!“
Das wiederum schrie sie. Dabei schlug sie unkoordiniert auf den anderen Rausschmeißer ein, so dass er Schwierigkeiten hatte, ihre Hände festzuhalten.
Der Kunde trat schockiert zur Seite. Ein schneller Blick zum Empfang, dann drehte er sich um und verließ fluchtartig das Haus.
Lautes Gebell ließ die anderen Männer an der Treppe fluchend nach oben rennen.
„Jazz“, brüllte Raven. „Komm zu Frauchen.“
Ihr Pfiff war so laut, dass der Kopf ihres Gegners zurückzuckte. Nur wenige Sekunden später raste der schwarze große Hund die Treppe herunter. Die beiden Männer konnten gerade noch zur Seite springen und kamen wieder ins Straucheln. Beinahe taten sie Raven leid, als sie erneut die Stufen herunterkrachten. Diesmal war es Gott sei Dank nicht allzu tief. Aber mit Sicherheit besaßen sie einige schmerzhafte blaue Flecken mehr.
Jazz sprintete auf Raven zu, so dass der Rausschmeißer große Augen bekam und mit einem Fluch zurücksprang.
„Jazz“, schrie Raven überglücklich und breitete die Arme aus. „Du mein einzig treuer Freund.“
Jazz sprang sie an und warf sie um, so wie er es gelernt hatte. Raven rollte sich geschickt ab, blieb dann aber liegen, als täte ihr alles weh.
„Oh du dummer, dummer Hund“, jammerte sie. „Wie kannst du nur so unvorsichtig sein?“
Seine Zunge schleckte ihr übers Gesicht und verwischte die billige Schminke noch mehr.
„Hu“, machte Raven und versuchte sich aufzusetzen. Langsam näherten sich die Männer und sie sahen sehr entschlossen und wütend aus.
Zeit zu verschwinden.
Sie beachtete die Typen gar nicht, sondern umarmte den Hund.
„Du dummer Hund“, wiederholte sie mit weinerlicher Stimme. „Haben dich diese schrecklichen Männer erschreckt? Oder haben sie dir weh getan?“
Sie sah mit einem bösen Ausdruck zu den Männern hoch, die sie inzwischen umstellt hatten.
„Er ist ganz verstört, der Arme. Was haben Sie mit ihm gemacht?“
„Schnappen Sie sich ihren Mistköter und verschwinden Sie!“, raunzte einer sie an. „Und zwar sofort. Ansonsten rufen wir die Polizei und Sie erhalten eine Anzeige wegen Ruhestörung und Hausfriedensbruch.“
„Also – also das ist ja wohl die Höhe“, quietschte Raven und kam langsam und schwankend auf die Beine. „Ich werde hier angegriffen und soll dafür angezeigt werden? Also das werden wir ja noch sehen.“
Mit einem empörten Schnaufen drehte sie sich um, stolperte über den Teppichrand und torkelte gegen die Tür. Sie hielt sich dort fest und sah sich nach ihrem Hund um.
„Komm Jazz, mein Guter. Wir warten da draußen auf diesen miesen, miesen Ehebrecher. Und gleich morgen gehen wir zur Polizei und zeigen die da an!“
Sie stieß die Tür auf und schwankte nach draußen. Jazz folgte mit hängenden Ohren und gesenktem Kopf.
Die Männer starrten ihr hinterher.
„Mein Gott, was für ein abgetakeltes Miststück“, entfuhr es einem von ihnen. „In der Haut von ihrem Kerl will ich echt nicht stecken.“
Es kam kein Widerspruch. Alle waren erleichtert, dass Raven Nash und ihr Hund das Etablissement verlassen hatten.
*
Raven torkelte noch zwei Straßen weiter, dann normalisierte sich ihr Schritt. Sie blickte auf die Uhr. Ihre ganze Aktion hatte knapp zehn Minuten gedauert. Mehr war leider nicht drin gewesen. Hoffentlich reichte das Liam und seinen Männern.
Sie sammelten sie in einer Nebenstraße ein. Reece zog sie einfach zu sich in den Bus und Jazz sprang, ohne zu zögern, hinterher.
Im Wagen war es eng. Roland fuhr und neben ihm hockte Kian. Die anderen vier saßen hinten. Finn und Scott hatten einen Mann zwischen sich geklemmt, der die Hände auf den Rücken gebunden und einen Sack über dem Kopf hatte.
Mit einem unwohlen Gefühl betrachtete sie ihn. Er schien unverletzt, aber sein linkes Bein zitterte unkontrolliert. Vermutlich hatte er Angst und das konnte sie natürlich verstehen. Liam hatte ihr nur verraten, dass sie einen Kriminellen abgreifen sollten. Wer es war und wohin er gebracht wurde, erfuhr sie nicht. Vermutlich war es auch besser, dies nicht zu wissen.
Sie fuhren schweigend etwa eine halbe Stunde durch die Nacht. Als Roland den Wagen anhielt, öffnete Liam die Tür und sprang nach draußen. Der Gefangene wurde von Finn hochgezerrt und hinterher gestoßen.
Raven schielte neugierig nach draußen, doch alles, was sie sah, war rabenschwarze Nacht. Dafür hörte sie deutlich Rotorengeräusche. Offenbar wurde der Gefangene per Hubschrauber weiterverfrachtet.
Kurze Zeit später kletterten Liam und Finn herein und die Fahrt ging weiter.
Alle wirkten deutlich entspannter. Doch zu Ravens Überraschung versuchte niemand, sie zu begrabschen oder auf den Schoß zu ziehen.
„Du stinkst wie die Pest“, knurrte Reece ihr irgendwann ins Ohr.
Raven drehte den Kopf und grinste ihn an.
„Magst du mein Parfum nicht?“
„Das ist widerlich.“
„Gut zu wissen“, lächelte sie. „Dann weiß ich ja jetzt, was ich mir abends vor dem Schlafen gehen auflegen werde.“
Liam lachte auf.
„Glaubst du im Ernst, dass das funktioniert?“
„Einen Versuch ist es wert.“
„Dann stell dich auf Duschen mit Wurzelbürste ein“, knurrte Reece.
„Sowas besitze ich nicht.“ Raven lehnte sich zufrieden zurück. „Und du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich mich von einem von euch mit sowas abschrubben lasse? Im Leben nicht!“
Sie flachsten die ganze Fahrt miteinander, bis sie Raven schließlich vor ihrer Wohnung hinauswarfen. Niemand machte Anstalten, ihr nach oben zu folgen.
Sie brauchte einige Zeit, bis sie die Reste der widerlichen Schminke und den Geruch nach Fusel losgeworden war, doch dann sank sie zufrieden ins Bett.
Eine Nacht mit diesen Kerlen ohne Sex war ein Novum – und durchaus wiederholenswert. Sie musste sich dringend eine Strategie ausdenken, wie sie die Kerle zumindest zeitweise auf Abstand halten konnte.