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Eine Blutschuld

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Portland, Oregon

Das Anwesen von James Taylor war riesig und bestand aus mehreren Gebäuden, die von einem hochgerüsteten Sicherheitszaun geschützt wurden. Das Gelände dahinter war weitläufig und von wenig Grün geziert. Alles wirkte funktional und übersichtlich. Wer hier hinein wollte, hatte keine Chance, unbemerkt zu bleiben.

Connor blickte über das Grundstück und versuchte seine unterschwellige Wut in den Griff zu bekommen.

Sie hatten nicht lange gebraucht, um das Domizil von James Taylor ausfindig zu machen, als sie vor einigen Tagen in Portland eintrafen. Er wohnte außerhalb der Stadt und wickelte von hier seine Geschäfte ab.

James Taylor hatte es nicht nötig, selbst auf der Bildfläche zu erscheinen. Dafür schickte er andere. Fußvolk. Und das führte dazu, dass er sich nur sehr selten dazu herabließ, sein Anwesen zu verlassen.

Wenn man an ihn herankommen wollte, musste man ihn herauslocken. Und dazu benötigte man einen Köder.

Und was war ein geeignetes Lockmittel für einen der führenden Drogenbosse in Oregon?

Nun, wohl ein unliebsamer Konkurrent, so viel hatten sie herausgefunden. Freaky, der begnadete Computerfachmann der Minnesota-Ranger, hatte lange gesucht und so ziemlich alles über James Taylor ausgegraben, was möglich war. Und das war durchaus interessant.

Dieser Mann hatte klein angefangen. Als Straßendealer einer unbedeutenden Gang. Doch sein Weg nach oben war von Anfang an zielstrebig und geradlinig. Und zimperlich war er nie gewesen.

Der Spruch „und Leichen pflasterten seinen Weg“ traf auf James Taylor durchaus zu. Mittlerweile war er in Portland und der weiteren Umgebung der führende Drogenboss und immer noch bestrebt, seinen Machtbereich auszudehnen. Konkurrierende Dealer waren ihm ein Dorn im Auge. Es kursierten die Gerüchte, dass er diejenigen, die nicht freiwillig zu ihm überwechselten, persönlich hinrichtete oder zumindest dabei zugegen war.

Nun, einen Köder hatten sie inzwischen.

Clay Joyner war von den verbliebenen Drogenbossen der Mächtigste und konnte sich James Taylors Mörderbanden bisher entziehen. Vermutlich hatte er seine Spitzel überall, da er schon lange in diesem Geschäft tätig war. Deutlich länger jedenfalls als Taylor.

Er stand also auf der Abschussliste ganz oben, so viel hatte Freaky herausbekommen.

Von einem Wegwerfhandy aus hatte Connor eines der Führungsmitglieder erreicht und kundgetan, dass er Clay Joyner in seiner Gewalt hatte und bereit war, ihn gegen ein gewisses Entgelt an James Taylor zu übergeben.

Die anfängliche Skepsis seines Gesprächspartners war sofort gewichen, als Connor das Handy an Joyners Mund gehalten hatte, der auch prompt wüste Beschimpfungen gegen Taylor ausstieß.

Kurz danach wurde Connor von James Taylor persönlich angerufen.

Und dieser hatte es überaus eilig, den Deal abzuwickeln.

Connor hob ein Fernglas und spähte hindurch. Seit mehreren Stunden lag er hier auf der Lauer und ließ das Anwesen nicht aus den Augen. Es war lange ruhig geblieben, doch jetzt kam Bewegung auf.

James Taylor trat aus dem Haupthaus, an seiner Seite vier breitgebaute Gestalten, und eine schwarze Limousine fuhr vor.

Connor griff zum Funkgerät.

„Zielperson und vier Gorillas. Schwarze Limousine, sieht gepanzert aus.“

„Bleib dran!“

Er zog sich vorsichtig zurück. Dann rannte er bis zu einem Seitenweg, wo sein Wagen parkte. Kurze Zeit später folgte er der Limousine, die sich zügig die Straße entlang bewegte, bis in ein abgelegenes Tal.

Unterwegs hielt sie an einer Kreuzung. Connor fuhr locker daran vorbei, bis Taylors Wagen außer Sicht war. Dann parkte er in einer Nebenstraße, wo er von der Straße aus nicht gesehen werden konnte.

Als die Limousine kurze Zeit später vorbeirauschte, wartete er kurz und folgte. Diesmal achtete er darauf, nicht gesehen zu werden, was nicht sehr schwer war, da er das Ziel kannte.

Der Wegweiser zu der Kiesgrube, die als Treffpunkt ausgemacht war, war kaum zu sehen. Connor bremste kurz ab und fuhr seinen Wagen erst in die Seitenstraße. Gleich darauf bog er in einen schmalen Forstweg ein, auf dem er länger verblieb, bis er das Auto wendete und dann parkte. Den Schlüssel ließ er stecken und joggte los.

Er erreichte die Kiesgrube nach wenigen Minuten und ließ sich auf allen vieren nieder. Vorsichtig spähte er in die Grube. Sie war etwa dreißig Meter tief und hatte einen Durchmesser von geschätzten dreihundert Metern.

Die Limousine stand mittig und nur einer der Bodyguards lehnte mit verschränkten Armen dagegen.

„Der Schisser hat sich noch nicht rausgetraut“, knurrte eine tiefe Stimme an Connors Ohr. Er nickte nur. Seine Nase hatte ihm schon verraten, dass Luke in der Nähe war.

„Wo steckt Linus?“

„Auf der anderen Seite.“

„Und wie geht es unserem Gast?“

Der Riese grinste breit.

„Er wirkt etwas nervös, seit ich ihm erzählt habe, wie unser Plan aussieht.“

„Na, dann sollten wir ihn mal erlösen.“

Sie verließen ihren Beobachtungsposten und gingen einige Meter in den Wald zurück. Hier lag Clay Joyner, verschnürt wie ein Geschenkpaket und mit hochrotem Kopf. In seinen Augen stand mittlerweile die nackte Panik.

„Ich habe gehört, Luke hat dir schon gesagt, wie es weitergeht“, meinte Connor mitleidlos. „Vorfreude ist ja bekanntlich die schönste Freude.“

Er löste die Fußfesseln und zerrte den Dealer unsanft auf die Füße.

„Nun, dann wollen wir mal. Taylor wartet schon ganz ungeduldig.“

Ein gurgelndes Geräusch drang durch den Knebel und Joyner stemmte sich verzweifelt gegen seinen Griff. Sofort erhielt er einen unsanften Schlag auf den Hinterkopf.

„Zappel nicht rum, Drecksack. Jeder erntet irgendwann das, was er sät“, knurrte Luke und stieß ihn vorwärts.

Sie trieben den Dealer vor sich her, über einen Seitenpfad hinunter in die Grube.

Kaum kamen sie in Sichtweite, da verlor der Bodyguard seine Lässigkeit und richtete sich auf.

Sie näherten sich dem Wagen bis auf etwa zwanzig Meter. Dann stoppten sie und Connor trat seinem Gefangenen in die Kniekehle, so dass dieser mit einem Stöhnen auf die Knie fiel.

Inzwischen dämmerte es und es konnte nicht mehr lange dauern, bis es dunkel wurde.

Tatsächlich öffnete sich die Wagentür und zwei weitere Männer kletterten nach draußen. Aufmerksam sahen sie sich um.

„Schickt ihn her!“, befahl einer. Connor hob die Hände und grinste schräg.

„Sorry, aber wie wäre es, wenn ihr erst zeigt, was wir dafür erhalten?“

„Ihr seid allein?“

Connor grinste breit. „Nicht ganz. Dämlich sind wir nicht. Ich habe schon gehört, dass euer Boss nicht immer hält, was er verspricht. Wo steckt er eigentlich? Hat er sich nicht her getraut? Würde zu ihm passen.“

Der Mann wechselte ein paar Worte in Richtung Wagen. Dann schob sich auch James Taylor nach draußen und baute sich mit finsterer Miene zwischen seinen Männern auf.

„Es ist nicht wirklich schlau, seine Geschäftspartner zu verärgern.“ Taylor klang kalt und berechnend.

Connor zuckte mit den Schultern und deutete auf Joyner.

„Ich habe meinen Teil erfüllt. Was ist mit dir?“

Innerlich brannte er vor Wut, und konnte sich nur schwer zügeln. Taylor war ihnen so nahe und doch noch unerreichbar. Drei Leibwächter und eine gepanzerte Limousine standen zu seinem Schutz bereit. Selbst Luke wäre nicht schnell genug an dem Drogenboss heran.

Taylor gab einem seiner Männer einen Wink, der sofort einen Koffer aus dem Wagen hob und hochhielt.

„Ich will es sehen“, verlangte Connor. Taylor nickte und sein Mann trug den Koffer einige Meter vor. Connor ging ihm langsam entgegen.

Jetzt befand er sich nur noch wenige Meter von dem Wagen entfernt.

Er ließ sich die Aufregung nicht anmerken, sondern richtete seinen Blick auf den Inhalt des Koffers. Tatsächlich war der mit dicken Geldbündeln gefüllt.

„Willst du’s zählen?“, fragte Taylors spöttische Stimme.

Connor grinste ihn breit an. „Ich denke, das ist nicht nötig. Falls es nicht stimmt, werde ich dafür sorgen, dass es jeder erfährt, den das interessieren könnte.“

Taylors Augen verengten sich, aber er nickte knapp.

„Dann bring mir jetzt Joyner!“

Luke packte Clay Joyner am Kragen und zerrte ihn unsanft auf die Beine. Dann kam er mit großen Schritten näher. Joyner stolperte hilflos neben ihm her.

Die Übergabe erfolgte ohne weitere Kommentare. Connor entging jedoch nicht, dass die Leibwächter sich etwas zur Seite bewegten.

Seine Sinne verrieten ihm, dass alle Anwesenden unter Adrenalin pur standen.

Irgendwas hatten diese Verbrecher vor, so viel stand fest.

Doch zunächst bewies James Taylor, dass die Gerüchte stimmten.

Er ließ Clay Joyner vor sich niederknien und zog eine Pistole aus seinem Jackett hervor. Ungerührt hielt er sie an die Stirn des Mannes.

„Ich schätze mal, auf die berühmten letzten Worte kannst du verzichten, Clay. Sinnvolles kam aus deinem Maul noch nie heraus.“

Der Schuss peitschte laut durch die Luft und Clay Joyner sank in sich zusammen.

Taylor beachtete ihn nicht weiter, sondern richtete seinen Blick wieder auf Connor und Luke.

„Euch ist natürlich klar, dass ich Zeugen nicht gebrauchen kann.“

Connor bleckte unwillkürlich die Zähne.

„Wenn du damit andeuten willst, dass du uns jetzt umlegen wirst, tja, damit haben wir tatsächlich gerechnet. Du bist nicht gerade als Ehrenmann bekannt.“

Taylor lachte verächtlich auf. Wie auf Befehl hielten auf einmal auch seine anderen Männer eine Waffe in den Händen.

„Wo steckt denn eure Verstärkung?“ Der Drogenboss zielte auf Connor. „Oder habt ihr nur geblufft?“

„Oh, keine Sorge“, meinte Connor ungerührt. „Ich nehme an, Linus hat dich bereits im Visier. Er ist ein hervorragender Sniper. Auch wenn er seinen Gegnern viel lieber die Kehle herausreißt.“

Taylor zuckte die Schultern. „Glaubst du wirklich, dass ich nur mit diesen Männern hier unterwegs bin? Dein Mann ist quasi schon tot.“

In diesem Moment scholl lautes Gebrüll von der anderen Seite der Grube zu ihnen herüber, das abrupt verstummte.

Taylors Kopf zuckte automatisch in die Richtung.

Connor und Luke nutzten die Gelegenheit sofort. Wie zwei Stahlfedern schnellten sie nach vorne.

Connor erwischte Taylor und landete mit ihm hart auf der Erde. Luke griff sich gleich zwei der Bodyguards. Einen schmetterte er mit einem Fausthieb zu Boden, den zweiten packte er und warf ihn dem dritten Mann entgegen, der bereits in seine Richtung zielte. Er schoss, bevor er von seinem Kollegen begraben wurde. Dieser zuckte und brüllte auf, während beide zu Boden krachten.

Luke sprang zur Limousine und riss die Fahrertür auf. Der Chauffeur zielte bereits mit seiner Waffe auf ihn und der Schuss brachte Luke kurz ins Schwanken. Sein Hemd färbte sich rot, doch unbeeindruckt zerrte er den Mann aus dem Wagen und umklammerte dessen Waffenhand. Brüllend vor Schmerz ließ dieser die Waffe fallen.

Connor gelang es derweil, den Drogenboss am Boden zu fixieren. Mit einem Knurren riss er ihm die Waffe aus der Hand und presste die Mündung in seinen Nacken.

„So schnell wendet sich das Blatt“, zischte er.

Die anderen Männer erstarrten, als sie ihren Boss hilflos daliegen sahen.

Luke zögerte nicht und griff nach der fremden Waffe am Boden. Dann schoss er ungerührt die beiden entfernter stehenden Bodyguards nieder, bevor er dem Chauffeur mit einer kurzen Bewegung seiner Hand das Genick brach.

Stille breitete sich in der Kiesgrube aus.

Nur das hektische Atmen von James Taylor war zu hören.

Eine Bewegung ließ Connor hochblicken. Vom Hang herab stiefelte eine große Gestalt auf sie zu. Sie hielt ein Gewehr geschultert und grinste ihnen zufrieden entgegen.

Seine Hände und sein Hemd waren blutverschmiert. Es war definitiv nicht sein Blut.

„Das hat Spaß gemacht“, lachte er und sah auf James Taylor hinunter.

„Und? Pisst er sich bereits in die Hosen?“

„Noch nicht“, knurrte Connor, „Aber das werden wir gleich ändern.“

Er zog Taylor auf die Knie und hockte sich dann vor ihm nieder.

James Taylor starrte ihn hasserfüllt an.

„Ihr macht einen Fehler, wenn ihr mich tötet“, zischte er. „Meine Männer werden ...“

„Deine Männer sind tot“, unterbrach Connor ihn ungerührt. „Und der Rest deiner Mannschaft geht uns am Arsch vorbei.“

„Was wollt ihr?“

„Tja, es wird dich vielleicht überraschen, aber wir wollen deinen Kopf.“

„Wer zahlt euch? Ich gebe das Doppelte.“

Connor lachte auf und schüttelte den Kopf.

„Noch eine Überraschung: Uns zahlt keiner. Aber du bezahlst eine Schuld. Eine Blutschuld, wenn man es genauer nimmt. Erinnerst du dich an einen kleinen Ganoven namens Rick Sutton?“

Man sah Taylor an, dass es in ihm arbeitete.

„Der Einbrecher. Er wollte nicht für mich arbeiten.“

„So war es wohl, und als Dankeschön hast du ihn einfach abknallen lassen. Dummerweise vor einer kleinen Zeugin, die du aber nicht erwischt hast. Sutton war ihr Mentor und Freund. Und jetzt stell dir vor: besagtes Mädchen ist seit einigen Monaten mein Mädchen. Und dass sie beinahe selbst vergewaltigt und getötet wurde, macht mich mächtig sauer. Von dem Kopfgeld, welches du auf sie ausgesetzt hast, will ich mal gar nicht anfangen. Also werde ich dafür sorgen, dass mein Mädchen sorgenfreier in die Zukunft blicken kann, ohne vor miesen Killern Angst haben zu müssen. Das verstehst du doch sicherlich?“

„Ich kann das Kopfgeld zurückziehen“, knirschte Taylor.

Connor schüttelte den Kopf.

„Wie vertrauenswürdig du bist, hast du uns ja heute deutlich demonstriert. Sorry. Normalerweise bin ich niemand, der scharf darauf ist, andere Leben auszulöschen. Aber bei dir mache ich eine Ausnahme.“

Er hob die Waffe und setzte sie Taylor auf die Stirn.

„Von letzten Worten hältst du ja nicht viel.“

Der Schuss warf Taylors Körper nach hinten.

Connor stand langsam auf und traf auf die Blicke seiner Partner.

Linus grinste schräg.

„Das sind ja ganz neue Seiten an dir, Streuner. Richtig melodramatisch. Die Kleine hat‘s dir wirklich angetan.“

Connor sparte sich eine Antwort. Die beiden Männer waren keine Freunde. Aber man konnte sich auf sie verlassen. Das war mehr, als so manche Freunde von sich behaupten konnten.

Er betrachtete Taylors Leiche und atmete tief durch. Dies war nicht der erste Tote, den er zu verantworten hatte, doch der Erste, den er bewusst und ohne Reue hingerichtet hatte. Eine Erfahrung, auf die er nicht stolz war. Aber jetzt konnte er zumindest Aurora erzählen, dass sie keine Angst mehr haben musste, gejagt zu werden. Diese Gefahr war gebannt, und das war alles, was zählte.

Linus schlug ihm auf die Schulter, was ihn ein wenig ins Wanken brachte.

„Na komm, Loverboy, lass uns ein paar Leichen einsammeln. Wir müssen hier noch ein wenig aufräumen.“

Sie packten alle Toten, insgesamt waren es zehn, in die Limousine und brachten eine Sprengladung an. Dann verteilten sie im Inneren des Wagens mehrere Liter Benzin.

Connor kehrte zu seinem Auto zurück, während Linus und Luke zu einem zweiten Wagen stiefelten.

Als er am Steuer saß, zog er den Fernzünder hervor und betrachtete ihn nachdenklich. Ein Kapitel war abgeschlossen. Jetzt konnte er sich dem Zweiten zuwenden. Und das würde zweifellos schwieriger sein.

Er startete den Wagen, dann drückte er auf den Fernzünder. Eine laute Explosion ließ den Boden erschüttern und sein Trommelfell schmerzen. Ungerührt trat er aufs Gas. Jetzt musste er erst einmal Bericht erstatten. Der Chief würde hoffentlich zufrieden sein.

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