Читать книгу Der Tod ist mein Freund - André Schaberick - Страница 6
Virus
ОглавлениеSamuel wurde mit einer lebensbedrohlichen Virenerkrankung ins Krankenhaus eingeliefert. Er war gerade neunzehn Jahre alt geworden und hatte zur Belohnung für sein gutes Abitur von seinen Eltern einen Urlaub geschenkt bekommen.
Kurz nach dem Urlaub ging es ihm plötzlich sehr schlecht. Übelkeit, Kraftlosigkeit, ständiges Erbrechen, Appetitlosigkeit und Durchfall quälten ihn von morgens bis abends, doch Samuel überspielte seine Gebrechen.
„Mit derartigen Symptomen ist nicht zu spaßen!“
Seine Mutter sah sich das nicht länger an und beschloss, umgehend mit ihm zum Arzt zu gehen.
„Zieh dich an, wir fahren sofort los.“
„Aber wir haben doch gar keinen Termin, wir müssen bestimmt endlos lange warten.“
„Glaub mir, wir werden einen Termin bekommen, und zwar umgehend. Du bist ein Notfall. Es fehlt nur noch, dass du Blut erbrichst, dann müssen wir den Notarzt rufen.
„Ich habe gerade Blut erbrochen.“
„Samuel, warum sagst du nichts? Du sitzt wie ein Häufchen Elend auf deinem Bett, kannst dich nicht mehr richtig bewegen, und zur Krönung erbrichst du Blut, wovon du mir nichts sagst. Ich rufe jetzt den Notarzt.“
„So schlimm ist es jetzt auch nicht.“
Aber diese Worte verklangen in den Ohren seiner Mutter, die bereits ihr Smartphone gezückt hatte. Nachdem sie die Nummer des Notrufs eingegeben hatte, dauerte es nur ein paar Sekunden, bis ein netter Herr sie nach diversen Daten fragte. Bereitwillig gab sie Auskunft.
Zwei Minuten später hörten sie bereits die Sirene des Krankenwagens näher kommen.
Samuels Mutter war vor die Haustür getreten, um die Sanitäter zu empfangen und ihnen den Weg zu Samuel zu zeigen. Den Krankenwagen hatten sie direkt vor der Haustür abgestellt. Das Blaulicht ließen sie eingeschaltet, die Heckklappen waren geöffnet.
„Guten Tag, ich bin froh, dass Sie so schnell gekommen sind. Mein Sohn hat Blut erbrochen, und es geht ihm fürchterlich schlecht. Er wollte nicht, dass ich Sie rufe, aber ich hielt es für besser. Kurz nach dem Anruf brach er zusammen.“
„Guten Tag. Zeigen Sie uns bitte den Weg zu ihm.“
Mit allerlei Utensilien bewaffnet folgten die beiden Herren Samuels Mutter. Sie führte sie in sein Zimmer, wo Samuel auf seinem Bett lag und stöhnte. Sie begrüßten ihn, gaben ihm aber bewusst nicht die Hand. Sie konnten nicht wissen, ob sie sich an ihm infizieren könnten, deshalb war ihre erste Handlung das Anziehen von Schutzhandschuhen. Anschließend zogen sie einen Atemschutz vor Mund und Nase.
„Nun berichten Sie mal, was genau ist geschehen?“
„Vor kurzem war ich im Urlaub in Brasilien. Nachdem ich zurückkam, war mir ständig übel. Ich musste mich andauernd übergeben. Dann wurde ich immer schwächer und konnte mich nur noch im Bett aufhalten. Ich hatte gedacht, ich hätte mir eine Magen-Darm-Infektion eingefangen, also warteten wir ein paar Tage, doch es wurde immer schlimmer. Mein Kreislauf brach zusammen, und dann musste ich Blut spucken.“
Die beiden Sanitäter sahen sich an und dachten beide dasselbe.
„Wir rufen den Notarzt. Er ist gleich hier. Wir werden Ihnen über den Tropf etwas geben, das den Kreislauf stabilisiert und das Mineraliendepot in Ihrem Körper wieder auffüllt.“
Einer der beiden Herren nahm sein Smartphone und rief den Notarzt an. In seiner Sprache teilte er ihm mit, was er hier vorgefunden hat. Samuel verstand kein Wort seiner medizinischen Worte.
Ein paar Minuten später stand bereits der Notarzt vor der Tür. Samuels Mutter hatte ihn eintreffen gesehen und ihn hereingebeten.
„Vielen Dank, dass sie so schnell gekommen sind. Ich glaube, mit dem eigenen Auto hätte ich ihn nicht ins Krankenhaus fahren können. Ich hatte zu viel Angst, es könne ihm etwas passieren.“
„Alles in Ordnung, Sie haben völlig korrekt gehandelt. Meine beiden Kollegen haben die Erstversorgung durchgeführt, und ich werde ihn mir mal etwas genauer ansehen.“
Der Notarzt ging zielstrebig auf Samuel zu, der mittlerweile im Pyjama auf seinem Bett lag. Er war kreidebleich und hatte kalten Schweiß auf der Stirn stehen. Aber die Infusion, die er gerade bekam, sorgte dafür, dass er sich etwas besser fühlte.
Der Notarzt und die Sanitäter tauschten eine Menge medizinischer Fachworte aus, die außer ihnen niemand verstand. Anschließend untersuchte der Arzt den Patienten. Nach kurzer Zeit hatte er sich ein Bild von Samuels Gesundheitszustand gemacht.
„Samuel muss sofort mit dem RTW ins Krankenhaus gebracht werden. Sein Zustand ist sehr kritisch. Jede Minute, die wir warten, könnte gefährlich für ihn sein.“
„RTW? Was hat er denn?“ Samuels Mutter Petra machte sich große Sorgen. Sie hielt die Hand vor ihren Mund und wurde plötzlich leichenblass.
„Wir wissen es nicht genau, aber es sieht nach einer schweren Virusinfektion aus. Allerdings wissen wir nicht, um welches Virus es sich handeln könnte. All dies können wir nur mit einer umfangreichen Analyse in unseren Labors herausfinden.“
„Packen Sie bitte einen oder zwei Pyjamas, Zahnbürste und so weiter ein. Ihr Sohn wird sicherlich ein paar Tage im Krankenhaus verbringen müssen.“
Petra eilte sofort in den Keller, holte eine Reisetasche und stopfte hektisch Pyjamas, Unterhosen, T-Shirts, Zahnbürste und sonstige Utensilien in die Tasche.
„Wir können abfahren, ich habe erst mal alles. Alles, was fehlt, kann ich immer noch später holen.“
Die beiden Sanitäter holten eine Bahre, stellten sie neben Samuels Bett und hoben ihn hinauf. Er wurde an den Beinen und an seinem Oberkörper fixiert, damit er nicht aus Versehen herunterfiel.
Samuel zitterte, er hatte gerade einen Fieberschub. Seine Temperatur raste in Richtung vierzig Grad.
Mit Blaulicht und Sirene eilten sie zum Krankenhaus. Petra fuhr mit ihrem Auto hinterher, konnte aber gar nicht so schnell folgen, da sie Rotlichtsignale im Gegensatz zu den Sanitätern beachten musste. Sie fuhren zur Universitätsklinik. Dort angekommen brachten sie ihn in die Abteilung für Tropenkrankheiten.
Als Samuel ins Krankenbett umgebettet war, ging es ihm schon wieder ein wenig besser. Er konnte dem Pflegepersonal sogar schon wieder dabei helfen. Er musste sich nicht komplett tragen lassen. Dennoch war es ihm unangenehm, sich bewegen zu lassen, obwohl er den Eindruck hatte, dies allein tun zu können.
Nachdem er diverse Proben seiner Körperflüssigkeiten und Ausscheidungen abgegeben hatte, lag er allein im Krankenzimmer. Neben ihm piepten diverse Geräte, die mit Kabeln und Saugnäpfen an seinem Körper befestigt waren. Von oben tropfte es aus einem durchsichtigen Beutel in einen kleinen Trichter. Es sah aus, wie der Benzinfilter an seinem Motorrad. Natürlich war dies kein Filter, sondern ein Ventil mit Stellrädchen.
Er lag nicht auf der Intensivstation, das war schon mal ganz gut, so konnte er wenigstens Besuch empfangen. Einem Neunzehnjährigen wie ihm wurde es sehr schnell langweilig, wenn nichts um ihn herum passierte.
Seine Mutter hatte ihm die wichtigsten Dinge gebracht, sie hatte sich eine Weile mit ihm unterhalten und dann festgestellt, dass sie momentan nicht viel für ihn tun konnte. Samuel hatte ihr angeboten, dass sie doch nach Hause fahren sollte, und das hatte sie dann auch getan.
Aus Langeweile nahm er sein Smartphone und öffnete eine grüne App, mit deren Hilfe er mit seinem besten Freund Frank kommunizieren konnte.
hi ich liege im Krankenhaus total boring
was machst du da
hab heute Morgen Blut gekotzt
ach du Scheiße wieso das denn
vermutlich ein Virus die wissen es noch nicht genau
sag Bescheid wenn du was brauchst
total öde hier mir fällt die Decke auf den Kopf
soll ich vorbei kommen? Wir können was quatschen
gute Idee wann
jetzt?
ich hab viel Zeit würde mich freuen
alles klar ich mache mich auf den Weg wo bist du
Uniklinik Köln
ach je die ist doch riesengroß wo finde ich dich
das heißt Institut für medizinische Mikrobiologie
Immunologie und Hygiene Goldenfelsstr. 19-21
okay Zimmer?
312 du kannst aber auch an der Rezeption fragen
klar mache ich also bis später
danke bis später
Die Zeit, die Samuel auf Frank warten musste, zog sich wie Kaugummi. Immer wieder blickte er auf die Anzeigen der Geräte, sich ändernde Zahlen und Diagramme. Sie waren allesamt langweilig. Bunt, aber nichtssagend.
Doch dann klopfte es an der Tür. Sie öffnete sich, ohne dass er herein sagen musste.
„Alter, was machst du für Sachen?“
„Frag nicht, ich habe mir heute Morgen die Seele rausgekotzt!“
„Darf ich dir überhaupt die Hand geben?“
„Lass mal sein. Ich weiß noch nicht, was ich habe. Und ich will nicht, dass du das auch bekommst.“
„Warum? Gönnst du es mir nicht? Wäre doch lustig, wenn ich auch hier ins Zimmer käme. Gibt bestimmt ein paar geile Schwestern hier.“
„Glaub’ mir, Alter, ist besser so. Du willst bestimmt kein Blut kotzen.“
„Ach du Scheiße, nein! Da habe ich kein‘ Bock drauf.“
„Siehst du, also behalte dein Pfötchen lieber bei dir.“
„Wo hast du das her? Hast du dir was aus dem
Urlaub mitgebracht?“
„Vermutlich. Mitbringsel aus Brasilien. Das hat man dann davon. Weiß der Teufel, was es da alles kostenlos gibt.“
Frank musste lachen.
„Hast du mit einer kranken Brasilianerin, die Viren in ihrer hmhm hatte?“ Dabei zeigte er mit dem Finger in Richtung seiner Genitalien.
„Nee, hab ich nicht. Dann wüsste ich wenigstens, woher es ist.“
„Von einem Mann?“
„Idiot! Nein! Ich bin doch nicht schwul!“
„War nur’n Gag, Alter. Bist du denn bald wieder gesund?“
„Kann ich dir nicht sagen. Wir müssen erst mal rausfinden, was sich da bei mir eingeschlichen hat.“
„Wenn du Langeweile hast… da hab ich was für dich. Alter, beste Sorte, ist voll geil. Hab‘ ich dir aus Amsterdam mitgebracht. Ganz frisch. Aber lass es niemanden wissen, sonst wollen die alle was haben.“
„Was ist es denn?“
„Riech mal an der Tüte.“
„Voll krass, Kekse. Selbst gemacht?“
„Klar, was denkst du denn? Meinem besten Kumpel
bringe ich doch keine gekauften Kekse mit. Und es ist ein besonderes Gewürz drin. Wenn du etwas Spaß
haben willst, musst du nur einen davon essen.“
„Ist da... ? Nee! Echt? Das ist ja Hammer!“
„Ja, Alter, genau das ist da drin. Der Hammer.“
„Nice, wo hast du das her?“
„Sag ich doch, frisch aus Amsterdam. Und schon in deinen Keksen. Riecht man kaum. Nimm dir einen! Geht auf mein Nacken.“
„Tatsächlich, man kann es kaum riechen. Danke, ich küss‘ dein Auge.“
Sofort steckte sich Samuel einen davon in den Mund, zerkaute ihn, ließ das THC auf seiner Zunge wirken und schluckte herunter.
„Lass mir aber einen übrig, damit ich auch was zu lachen
hab.“
„Klar, Man. Den Rest können wir zusammen knabbern, wenn ich wieder raus bin aus dieser langweiligen Hütte.“
„Gras soll gut sein gegen Schmerzen. Wer weiß, vielleicht brauchst du es öfter, als du denkst. Schmerzen hat man schließlich ziemlich oft.“
Wieder klopfte es an der Tür, und sie öffnete sich erneut, ohne dass er herein gesagt hatte. Eine ganze Gruppe weiß gekleideter Ärzte und Ärztinnen kam herein. Während sie eintraten, diskutierten sie in ihrer medizinischen Sprache über irgendetwas.
Frank gab Samuel visuell und durch seine Mimik zu verstehen, dass er die Kekse ganz schnell in die Schublade verschwinden lassen sollte. Jedoch machte er es so unauffällig, dass die Ärzte es nicht merkten.
Ganz unauffällig zog er die Nachttischschublade auf, legte die Tüte hinein und schob sie wieder zu, ganz so, als wären es ganz normale Kekse.
„Guten Tag, Samuel.“
„Guten Tag.“
„Hallo.“
„Guten Tag.“
Alle stellten sich mit Namen vor, aber keinen davon konnte sich Samuel merken. Zu viele Details auf einmal. Er dachte noch an die Kekse und ihre belustigende Wirkung, die sie gleich haben würden. Hoffentlich musste er jetzt nicht lachen.
„Seien Sie bitte so nett und warten draußen, bis die Visite vorbei ist.“
Frank erkannte sofort, dass er im Moment fehl am Platze war.
„Selbstverständlich.“ Er erhob sich sofort und verließ den Raum.
„Vielen Dank. Sie können in ein paar Minuten wieder hereinkommen.“
„Ich wollte sowieso gerade gehen. Ciao Kumpel. Tschüss zusammen.“
„Ciao Frank. Und danke für deinen Besuch.“
Samuel wurde plötzlich ganz müde. Er spürte die Wirkung des THC, als hätte jemand einen Hammer vor seinen Kopf geschlagen. Nur schmerzte es nicht. Ihm wurde schwindelig, und die Welt begann sich zu drehen. Alles wurde plötzlich ganz leicht. Er spürte, wie die Ärzte seinen Puls fühlten, ihm den Blutdruck maßen und hörte, dass sie ihm Fragen stellten. Aber er konnte nicht darauf antworten. Der Übergang in den benebelten Zustand ging fließend, aber ziemlich schnell. Er schlief vor den Augen der Ärzte einfach ein. Schon befand er sich mitten im Reich der Träume.
„Seltsam, gerade hatte er noch mit seinem Freund gesprochen. Er muss unglaublich schwach sein. Ich hoffe, wir finden bald heraus, was ihm die Kräfte raubt.“
Die Ärztin öffnete sein rechtes Auge mit dem Finger, stellte aber fest, dass er völlig weggetreten war.
„Er schläft wie ein kleines Kind. Nichts kann ihn erschüttern.“
„Schlafen ist die beste Medizin. Wir werden schon herausfinden, was ihn quält. Hoffentlich ist es nichts Schlimmes.“
„Gut, wenn wir ihn nicht befragen können, lassen wir ihn schlafen. Gehen wir zum nächsten Patienten. Die Geräte zeigen nichts Ungewöhnliches. Alle seine Vitalwerte befinden sich im grünen Bereich. Ich denke, wir müssen uns keine Sorgen machen. Morgen geht es ihm bestimmt schon wieder besser. Vermutlich liegt er hier völlig umsonst.“
So schnell, wie sie gekommen waren, verließen die Ärzte auch wieder das Zimmer.