Читать книгу Der Tod ist mein Freund - André Schaberick - Страница 8

Ich kann fliegen

Оглавление

Der Himmel zeigte sich heute in wunderschönen, verspielten Farbverläufen. Es waren Mischungen aus tiefblau, orange, rot und diversen Brauntönen. Nahezu alle warmen Farben waren vertreten. Unterstrichen wurde das Farbenspiel durch die bizarren Gebilde der Wolken. Es schien, als hätten sich Künstler an ihm ausgetobt.

Ein Schwarm großer Vögel zog vorbei und bildete eine Wolke, die von Sekunde zu Sekunde ihre Form veränderte. Sie kreischten und schrien wild durcheinander, wechselten die Richtung, verdichteten sich, lösten sich wieder voneinander und flogen die schönsten Formationen. Vermutlich hatten sie großen Spaß beim Fliegen. Man konnte es ihnen förmlich ansehen.

Doch leider stellte sich gerade heraus, dass es nicht der Spaß war, der sie antrieb. Sie bildeten diese scheinbar schönen Formationen aus purer Angst. Die Manöver dienten lediglich dem Selbstschutz und der Verwirrung ihrer Angreifer.

Ein ziemlich großes Tier folgte ihnen. Es konnte ebenso gut fliegen, wie seine potenzielle Beute, die es verfolgte. Es war kein Vogel, es sah eher aus, wie ein Drache. Es hatte einen langen Schwanz, lange Fangzähne, spitze, lange Krallen und konnte unglaublich gut in der Luft manövrieren. Es schnappte schreiend nach den Vögeln, konnte aber keinen erwischen. Sie waren einfach zu flink. Das Drachentier flog Saltos, überschlug sich in der Luft, rollte sich zusammen, dass es dünn wie ein Pfeil wurde, um im selben Moment die Flügel wieder aufzuspannen und eine scharfe Kurve zu fliegen. So wurde es unberechenbar. Doch alle Flugkünste nützten ihm nichts, wenn es sich mit den wesentlich kleineren und wendigeren Vögeln messen wollte. Sie waren nahezu unerreichbar. Völlig erschöpft landete das große Tier auf dem Fußboden, torkelte ein paar unkontrollierte Schritte und fiel schließlich erschöpft um. Die Kraft hatte es komplett verlassen.

Neugierig ging Samuel auf das Tier zu. Er hoffte, dass es nicht vor Erschöpfung einen Herzschlag bekommen hatte, denn es bewegte sich nicht mehr. Vorsichtig stupste er es mit der Fußspitze am Schwanz an. Es war ziemlich groß, er schätzte seine Länge auf fünf große Schritte. Es hätte ihn ganz schnell mit dem Schwanz erschlagen können, aber in seinem schlechten Zustand machte Samuel sich keine wirklichen Sorgen. Selbst ein etwas heftigerer Schubs gegen dessen Hintern lockte keine Reaktion hervor.

„Hey, du komisches Ding. Lebst du noch? Was ist los?“

Samuel näherte sich nun dem Kopfende. Dabei hielt er einen gebührenden Abstand ein, sodass es nicht doch nach ihm schnappen konnte. Aber es gab nur ein stöhnendes Geräusch von sich. Mehr tat sich nicht. Doch, es atmete schwer und spuckte schaumigen Speichel aus.

Am Kopf angekommen nahm er all seinen Mut zusammen und berührte es sanft mit seiner Hand. Er streichelte es über seine Hörner, oder wie man diese hornähnlichen Ausstülpungen auf dem Kopf auch immer nennen mochte. Es gab ein wohliges Grunzen von sich und schloss die Augen. Erst jetzt sah Samuel, dass es vier Augen hatte, zwei, die nach vorn gerichtet waren, und zwei am Hinterkopf. Eine seltsame Spezies lag dort vor ihm. Plötzlich tat es etwas, mit dem Samuel nie gerechnet hätte: Es reckte seinen Kopf in Richtung seiner Hand, so, als wollte es gestreichelt werden.

Er tat dem Tier den Gefallen. Samuel ließ seine Hand vorsichtig über dessen Nase wandern und beobachtete genau, wie es reagierte. Schließlich wäre es auch möglich gewesen, dass es ihm die Hand abbeißen und ihn gerade austricksen wollte.

„Was bist du für ein seltsames Geschöpf? Bist du ein Drache?“

Das Streicheln schien dem Tier zu gefallen. Dann streichelte er es am Hals. Dieser war ziemlich lang, da hatte er einiges zu tun. Er setzte nun auch seine zweite Hand ein. Mit den beiden Augen am Hinterkopf beobachtete es ihn ständig, aber es schien nicht misstrauisch zu sein. Samuel war auf diese Weise noch nie von einem Tier beobachtet worden. Es war ein seltsames Gefühl.

„Das gefällt dir, stimmt`s? Du bist wie eine Katze, schnurrst, genießt das Kraulen, aber vorsichtig sollte man trotzdem sein.“

Plötzlich ereilte Samuel ein gewaltiger Schreck, denn das Tier drehte sich auf seinen Rücken, spreizte die Vorder-beine und räkelte sich auf dem Boden. Bei einer Katze hätte er sofort gewusst, was sie wollte, aber bei einem Tier, das wie ein Drache aussah, war er sich nicht sicher. Das wohlige Grunzen, das das Tier von sich gab, nahm ihm schließlich die Furcht. Er machte sich jetzt über den Hals, die Brust und den Bauch her. Und je mehr Fläche er streichelte, desto entspannter schien das Tier zu werden.

Samuel hörte eine Stimme, glaubte aber nicht, dass sie von dem Tier kam. Es konnte doch nicht sprechen.

„Schschschtreiiiichel michchchch“, hörte er, doch zweifelte er sofort an seiner Wahrnehmung und schüttelte seinen Kopf.

„Hast du mit mir gesprochen?“

Samuel musste über seine eigenen Worte lachen. Warum redete er mit einem Tier? Es konnte ihn doch gar nicht verstehen.

„Jaaaaaa“, knurrte es langgezogen. Und nun war sich Samuel sicher, dass es tatsächlich in seiner Sprache reden konnte. Wie war das möglich?

„Ich bin überrascht, du kannst tatsächlich sprechen? Und das auch noch so, dass ich dich verstehe?“

„Das kann ich. Vor langer Zeit ist schon einmal ein Mensch bei uns zu Besuch gewesen. Von ihm habe ich deine Sprache gelernt. Ich habe ihn gefressen, dadurch habe ich sie mir angeeignet.“

Verschreckt riss Samuel die Augen auf und hörte sofort mit dem Streicheln auf. Hastig sprang er einen Schritt nach hinten.

„Was?!“

„Ha ha, das war nur Unsinn. Ich habe es gelernt, ohne ihn zu fressen, keine Sorge.“

„Puh, wie beruhigend.“

„So reagiert jeder, den ich damit erschrecke. Du kannst aber gern weiterstreicheln.“

Samuel fehlten die Worte. Schon immer hatte er sich gewünscht, mit einem Tier reden zu können, und nun ging sein Wunsch in Erfüllung. Jedes Kind träumt davon, mit Tieren reden zu können. In der Fantasie funktioniert es, aber tatsächlich hat es noch kein Mensch geschafft.

„Das bedeutet, du kannst auch logisch denken. Und du hast Gefühle, so wie wir Menschen?“

„Es bedeutet, dass ihr Menschen auch Gefühle habt, so, wie wir Tiere. Und ich bin kein einfaches Tier. Ich bin ein Tori. Toris sind in der Welt der Menschen völlig unbekannt. Ich bin kein Vogel, kein Tier und auch kein Drache. Drachen sind Fantasiewesen der Menschen. So etwas gibt es nicht. Mich hingegen gibt es, wie du gerade siehst.“

„Ein Tori? Das klingt interessant. Der Begriff ist mir völlig fremd. Sind Toris Säugetiere, oder legst du Eier? Was frisst du? Entschuldigung, ich meine, was isst du? Tut mir leid, fressen tun nur die Tiere.“

„Fressen tun nur die Tiere, ja, so sagen es die Menschen. Sie meinen, sie wären besser, als die Tiere. Aber die Tiere waren viel früher auf dieser Erde. Sie haben auch Gefühle, die Menschen erkennen es bloß oft nicht.“

„Was isst du denn gern?“

„Da ich fliegen kann, fange ich mir, was ich in der Luft erwische. Etwas aus der Luft zu fangen macht mir am meisten Freude. Langsame Landwesen zu fangen ist langweilig. Ich möchte sie jagen. Und wenn ich keins erwische, esse ich auch Pflanzen. Sie laufen nicht davon. Manche beißen zurück, da muss man schon mal aufpassen.“

„Die Pflanzen beißen zurück? Ich kenne keine beißenden Pflanzen.“

„Du wirst sie kennenlernen, wenn sie dich beißen.“

„Du machst mir Angst. Wie sehen sie aus?“

„Groß und gewaltig, mit einem weißen Kopf, der lange Zähne hat.“

Samuel hatte ein wenig das Gefühl, das Tori würde ihn auf den Arm nehmen. Er sah es ein wenig misstrauisch an und zeigte, dass er dem Tori nicht glaubte.“

„Du glaubst mir nicht?“

„Doch, doch, wie kommst du darauf? Ich glaube dir fast alles.“

„Gut, so ist es gut.“

Das Tori hatte Samuel längst durchschaut und wusste, dass er es nicht glaubte.

„Ich bin der beste Flieger der Welt. Ich kann auch segeln. Ich konnte einst so schnell fliegen, wie der schnellste Vogel der Welt. Aber ich bin schon alt. Ich kann heute leider nicht mehr ganz so schnell fliegen. Und nun kann ich nur noch die ganz langsamen Vögel fangen.“

„Das tut mir leid. Und nun fängst du Pflanzen?“

„Nein, ich fange sie nicht. Ich esse sie aus der Not heraus.“

„Du bist ein kleiner Schauspieler, erst sagst du, du wärest der beste Flieger der Welt, und nun mache ich mir Gedanken, wie ich dich wieder aufpäppele.“

Das Tori machte eine Pause, um durchzuatmen. Anschließend sprach es in einem sehr bedrückten, unterwürfigen Ton weiter.

„Ich muss sterben, weil ich nichts mehr zu essen fangen kann.“

Das Tori knickte plötzlich ein, es hatte keine Kraft mehr, um auf allen Vieren zu stehen. Es schlug mit seinem Kinn auf dem Boden auf.

„Herrje, du armer Kerl, ich muss dir etwas zu essen besorgen. Doch was kann ich dir geben? Ich habe nichts. Was kann ich suchen? Gibt es Pflanzen, die du gern isst?“

„Am liebsten esse ich Fleisch, aber das wirst du mir nicht besorgen können. Such nach Pflanzen mit rot und grün gestreiften Blättern. Sie müssen aber quer gestreift sein. Die gräbst du aus. Sie haben Wurzeln, die süß schmecken. Bring mir so eine Pflanze. Die kann ich essen.“

„Isst du auch andere Pflanzen?“

„In der Not, wenn ich genügend Hunger habe, esse ich auch andere Pflanzen, ja.“

Dir wird nichts Anderes übrig bleiben, als Pflanzen zu essen. Ich kann doch keine Lebewesen aus dieser Welt töten und sie dir zu essen bringen. Das bringe ich nicht übers Herz. Pflanzen werde ich dir bringen.

Samuel kamen die kleinen Kerle in den Sinn. Er hatte ihnen geholfen, er hatte sie verteidigt und eine Gefahr von ihnen abgewendet. Nun brauchte er ihre Hilfe. Sie konnten ihm sicherlich dabei behilflich sein, Nahrung für das Tori zu finden. Möglicherweise würden sie ihm sogar etwas für das Tori zu essen bringen.

„Bleib hier liegen und spar deine Kräfte. Ich werde sofort losziehen und Essen für dich besorgen. Vertrau mir, ich komme zurück und helfe dir.“

„Danke, dass du das für mich tust. Ich stehe schon jetzt tief in deiner Schuld.“

Samuel konnte sich noch an den Weg zu den kleinen Kerlen erinnern, deren Namen er noch immer nicht wusste. Aber das war jetzt nicht wichtig. Sie mussten hier irgendwo in der Nähe sein. Leider waren sie nicht so leicht zu entdecken, denn die meiste Zeit wuselten sie versteckt zwischen den Pflanzen herum, die größer als sie selbst waren. Die Pflanzen waren ein sehr guter Schutz, um nicht entdeckt zu werden. Also verließ sich Samuel auf seine guten Ohren. Er ging ein paar Schritte, dann lauschte er und wiederholte dies so oft, bis er sie schließlich hörte - an derselben Stelle, wo er sie schon einmal angetroffen hatte.

„Hallo, meine Freunde, wie froh bin ich, euch hier zu treffen.“

„Hallo Samuel, schön, dich zu sehen.“

Einer der kleinen Männlein erinnerte sich sofort an seinen Namen.

„Ich komme direkt auf den Punkt: Ich brauche eure Hilfe. Vor einer Weile habe ich ein Tori gefunden. Es liegt halb verhungert auf dem Boden und kann sich nicht mehr selbst ernähren. Es kann keine Beute fangen, weil ihm die Kraft ausgegangen ist. Es muss sterben, wenn ich ihm nicht helfe. Oder ihr?“

„Ein Tori, das ist ungewöhnlich. Du hast ein Tori gefunden? Bist du sicher?“

„Ja, dort hinten, nicht weit von hier entfernt. Vielleicht hundert oder zweihundert Schritte in Richtung Sonne liegt es auf dem Boden. Bitte helft mir. Es darf nicht sterben.“

„Wir haben noch nie einem Tori geholfen. Toris sind uns viel zu gefährlich. Wenn wir nicht ständig vor ihnen auf der Hut sind, sind wir ihre Beute. Wir haben Angst vor ihnen, und sie gehören nicht zu unseren Freunden. Aber du hast uns zweimal geholfen und unser Leben gerettet, also werden wir auch dir helfen. Freunde helfen sich gegenseitig. Ich werde nun unserem Oberhaupt berichten, was du beobachtet hast. Warte bitte einen Moment, ich bin gleich wieder bei dir. Danke, mein Freund.“

Sofort lief das kleine Männlein los und verschwand unter den dichten Blättern. Tatsächlich dauerte es nicht allzu lang, und schon kam es wieder zurück.

„Wir werden dir helfen. Wir geben dir Pflanzen, die das Tori essen darf. Es darf nicht alles essen, einige Pflanzen sind giftig, einige können beißen.“

„Ja, von den beißenden Pflanzen hatte das Tori mir auch schon erzählt. Sie sollen weiße, große Köpfe haben, und sie haben angeblich lange Zähne.“

„Das ist richtig. Wenn du große, weiße Köpfe an den Pflanzen siehst, dann nimm dich in Acht! Sie schnappen nach dir, und das ziemlich schnell. Es sind fleischfressende Pflanzen. Sehr böse Lebewesen!“

Nun erschien auch das Oberhaupt und sprach zu Samuel.

„Mein großer Freund Samuel, mir wurde berichtet, was dir widerfahren ist. Du möchtest ein Tori retten. Du weißt, dass dies ein großes Opfer für uns bedeutet, aber wer uns hilft, dem helfen wir auch. Du hast uns gerettet, und wir stehen tief in deiner Schuld. Das Geringste, was wir tun können, ist, dir Essen für das Tori zu bringen.“

Dann wandte er sich um und sprach zu seinesgleichen.

„Soranier von Talodar, tragt Pflanzen für das Tori zusammen. Wir müssen verhindern, dass das Tori, das Samuel entdeckt hat, stirbt. Besorgt Wurzeln der rot und grün gestreiften Rübe, die schmeckt den Toris am besten.“

Aufmerksam lauschten die kleinen Männchen ihrem Oberhaupt. Und sofort, nachdem er sie aufgefordert hatte, Rüben zu sammeln, begannen sie, sich in alle Richtungen zu verteilen. Samuel konnte die Männchen nicht unter den Blättern sehen, aber immer wieder sah er, dass plötzlich Blätter verschwanden. Er nahm an, dass sie in Windeseile die Rüben ausgruben und die Blätter abschnitten. Anders konnte er sich nicht erklären, warum hier und dort Blätter nach unten verschwanden.

Wie am Fließband brachten die kleinen Männlein Rüben und türmten sie vor Samuel zu einem Haufen auf. Als sie genügend Rüben für eine Mahlzeit zusammengetragen hatten, nähten sie mehrere Tücher zu einem Sack zusammen. Samuel war überrascht, wie schnell sie es bewerkstelligten.

„Nimm diesen Sack und fülle alle Rüben hinein. Du hast große Hände und bist viel schneller, als wir.“

Das Oberhaupt zeigte mit seiner kleinen Hand auf die Rüben und anschließend auf den Stoffsack, während er Samuel dies erklärte.

Samuel verbeugte sich tief vor den Männlein.

„Ganz herzlichen Dank. Das Tori wird sicher glücklich sein, dass ihr ihm so viel zu essen besorgt habt.“

Dann öffnete er den Sack und beförderte alle gesammelten Rüben hinein. Als er fertig war, war der Sack komplett gefüllt. Nicht eine einzige hätte noch hinein gepasst.

„Unglaublich, wie habt ihr vorher wissen können, wie viele Rüben hineinpassen?“

„Samuel, wir sind Soranier.“

Entweder war das Oberhaupt ziemlich von sich und seinem Volk eingenommen, oder die Soranier waren tatsächlich dafür bekannt, sehr gut rechnen und schätzen zu können.

„Noch mal vielen Dank. Ich gehe nun zu dem hungrigen Tori und werde es damit sättigen.“

Der Häuptling sagte nichts, verneigte sich lediglich und lächelte Samuel an. Dann nickte er ihm zu, was bedeutete, dass er losziehen sollte.

Samuel verschloss den Sack und ging los. Weit war es nicht.

„Tori! Was ist los mit dir?“

Er stupste es an, aber das Tori reagierte nicht. War es gestorben? Tränen schossen in Samuels Augen.

„Du darfst nicht tot sein. Wach auf! Wach verdammt noch mal auf. Ich habe dir etwas zu essen gebracht.“

Schnell lief er zum Kopf des Tori, konnte aber kein Atmen feststellen. Dann lief er zur Brust und legte sein Ohr darauf. Auch hier konnte er keine Lebenszeichen feststellen. Keine Bewegung durchs Atmen, und kein Herzschlag war zu hören.

„Du darfst nicht tot sein, tu mir das nicht an. Bitte wach auf! Tori! Ich wollte doch noch so viel mit dir besprechen!“

Samuel krallte sich in seine Haut und rüttelte und schüttelte es, doch er stellte noch immer keine Reaktion fest. Seine Haut war jedoch noch sehr warm. Es musste folglich noch leben. Verzweifelt schlug er mit der Faust auf den massiven Körper. Mehrmals schlug er zu, bis es sich plötzlich bewegte.

„Au, das tut doch weh. Schlag’ mich nicht!“

„Verdammt noch mal, du Mistkerl! Ich habe mir fast in die Hose gemacht vor Angst. Ich habe geglaubt, du seist tot. Mach das nie wieder.“

Samuel begann zu weinen. Dann umarmte er den Hals des Tori und streichelte ihm über seinen riesigen Kopf.

„Versprich mir, dass du mich nie wieder so erschreckst.“

„Menschen sind wirklich komische Tiere. Warum bin ich dir so viel wert, dass du weinst? Ich bin doch gar nicht tot. Ich lebe noch. Sieh doch! Ich war bloß eingeschlafen.“

„Und warum hast du nicht geatmet? Hast du absichtlich die Luft angehalten?“

„Natürlich nicht. Toris atmen nicht beim Schlafen.“

Das Tori breitete seine gewaltigen Flügel aus und flatterte damit in der Luft.

Heftiger Wind strich Samuel durchs Gesicht.

„Glaubst du mir jetzt, dass ich noch lebe?“

Erneut ergriff Samuel den Hals des Tori und umarmte ihn. Den ganzen Körper hätte er niemals umarmen können, hierfür war er einfach zu gewaltig.

„Ich sehe, du hast mir etwas zu essen mitgebracht. Das ist wirklich sehr nett von dir. Danke.“

Samuel schüttete den Sack aus und hoffte, das Tori würde die Rüben auflesen und essen. Aber es tat es nicht.

„Nimm, sie sind für dich.“

„Ich schaffe es nicht. Bitte hilf mir.“

Samuel ließ sich das nicht zweimal sagen und nahm eine Rübe in die Hand. Sie waren ungefähr so groß wie Schlangengurken. Er hielt sie ihm ans Maul. Oder musste man sagen, an den Mund? Es öffnete langsam den Mund und offenbarte seine gefährlichen Zähne. Dann streckte es seine lange Zunge heraus und angelte ungeschickt nach der Rübe. Es wollte die Rübe mit der Zunge greifen, doch es gelang ihm nicht. Samuel steckte sie ihm schließlich zwischen die Zähne.

Vorsichtig schloss das Tori seinen Mund und zerkaute genüsslich die kleine Rübe. Der süße Saft schmeckte ihm scheinbar gar nicht so schlecht. Schnell forderte es eine weitere Rübe. Und so ging das Spiel weiter, bis es den Inhalt des ganzen Sackes aufgegessen hatte.

Das Tori legte nun seinen Kopf auf den Boden und wartete, bis sein Körper den zuckerhaltigen Saft aufgenommen hatte. Sicher würde sehr schnell wieder Kraft in seine Muskeln strömen.

„Hmmmm, tut das gut. Danke, Samuel, dass du mich gerettet hast.“

Dann schloss es ganz langsam die Augen und schlief schließlich ein. Zufrieden atmete es tief ein und aus. Dabei gab es rasselnde Geräusche von sich, vermutlich schnarchte es. Nach ein paar Augenblicken versiegte tatsächlich die Atmung. Samuel genoss den Anblick und legte sich zwischen das Hinterbein und den Bauch, dorthin, wo es richtig warm war. Auch er schlief nach diesem abenteuerlichen Tag sofort ein. Gemeinsam schliefen sie so lang, wie es dauert, ein großes Brot zu backen.

Nachdem das große Brot gebacken war, wachten sie auf und freuten sich über das herrliche Wetter. Die Sonne stand schon ziemlich hoch am Himmel und spendete eine wohlige Wärme. Kleine, weiße Wolken wanderten langsam und gemütlich über den tiefblauen Himmel. Gänseblümchen winkten ihnen lächelnd zu.

„Samuel, mein Herz liegt nicht in meiner Brust.“

Samuel war etwas erstaunt, vor allem über die Tatsache, dass das Tori ihm dies offenbarte.

„Ich verstehe nicht ganz. Wo soll es denn sonst sein?“

„Du hattest dein Ohr auf meine Brust gelegt. Bei Menschen mag das funktionieren, aber bei Toris hilft es nicht. Toris haben ihr Herz woanders sitzen.“

„Woanders? Wo habt ihr Toris euer Herz denn sitzen?“

„Leg mal dein Ohr auf meinen Unterleib. Du wirst mein Herz dort schlagen hören.“

Ein wenig zurückhaltend und verlegen legte Samuel sein Ohr auf die Stelle, die das Tori ihm zeigte, und tatsächlich hörte Samuel den Dreiviertelklang des Tori-Herzschlags. Hm-tata-hm-tata machte es. Samuel war hochgradig erstaunt und zugleich begeistert.

„Es ist verrückt, es klingt, wie ein Walzer.“

„Wie ein Walzer? Was ist ein Walzer?“

„Ein Walzer ist eigentlich ein Tanz. Dein Herz klingt, wie ein Dreivierteltakt. Aber wie soll ich dir erklären, was ein Dreivierteltakt ist? Hast du ein wenig Erfahrung mit Musik?“

„Ja, mit Musik kenne ich mich aus. Es gibt Instrumente, die machen Krach und eine Menge komischer Töne. Trommeln kenne ich auch. Die machen auch Krach. Und dann gibt es auch noch Musiker, die machen erst recht Krach. Manchmal jaulen sie auch.“

Samuel musste lachen, vor allem über das Jaulen.

„Das ist alles, was du über den Walzer weißt? Es ist ein wenig mager, aber das bekommen wir noch hin.“

„Vielleicht ist unsere Musik anders als deine.“

„Das mag sein. Sag mal, bist du eigentlich ein Junge oder ein Mädchen? Also ich meine, bist du männlich oder weiblich? Ich kann bei dir keine typischen Merkmale für ein Geschlecht erkennen. Und dein Gesicht sieht auch nicht typisch weiblich oder männlich aus.“

Das Tori war etwas verwundert und irritiert über diese Frage. Es hätte mit allen möglichen anderen Fragen gerechnet, aber nicht mit einer Frage, die sein Geschlecht betraf.

„Ich bin nicht männlich und auch nicht weiblich. Toris sind alle gleich. Es gibt nur Toris, keine Torer oder Torinnen oder so etwas ähnlich komisch Klingendes. Und darüber bin ich auch sehr glücklich, denn so brauchst du dir keinen passenden Partner des anderen Geschlechts zu suchen, so wie es beispielsweise bei den Menschen üblich ist. Du suchst dir einfach einen Partner aus, der dir gefällt, und alles ist gut. Jedes Tori ist passend.“

„Klingt interessant. Und so braucht auch niemand darüber zu wettern, dass es lesbische oder schwule Toris gibt.“

„Genauso ist es. Was ist denn lesbisch oder schwul?“

„Nun, Homosexuelle halt.“

„Aha?“

„Wenn Männer Männer lieben oder Frauen Frauen.“

„So was gibt es?“

„Ja, so was gibt es.“

„Und das funktioniert?“

„Wie meinst du das?“

„Ich meine, bekommen die auch Junge?“

„Junge? Du meinst Kinder? Nein, nicht wirklich.“

„Warum tun sie es dann?“

„Weil es ihnen gefällt.“

„Aha, so ist das. Die machen das nur, weil es ihnen gefällt? Nicht, weil sie sich vermehren wollen?“

„Nein, weil sie sich lieben, tun sie es.“

„Aber dann bekommen sie doch gar keine Jungen!“

„Nein, bekommen sie nicht.“

„Verstehe ich nicht.“

„Musst du auch nicht. Lass uns über was Anderes reden.“

„Gute Idee.“

Es entstand eine kurze Pause, um darüber nachzudenken, über was sie sich sonst noch unterhalten konnten.

„Flieg mit mir. Das macht dir bestimmt viel Spaß!“

Samuel war überrascht. Er war noch nie mit oder auf einem Tier, nein, einem Tori, geflogen. Und es reizte ihn natürlich, dies auszuprobieren. Allerdings hatte er auch Angst, denn in seiner Fantasie fiel er herunter und landete aus großer Höhe auf dem harten Fußboden.

„Kann ich von dir herunterfallen? Das wäre gar nicht komisch, denn dann bin ich tot.“

„Nein, du kannst nicht herunterfallen.“

„Ich bin noch nie auf einem Tier, äh, Tori geflogen. Ich muss gestehen, ich habe vor dem Fliegen ein wenig Angst. Warum kann ich nicht herunterfallen?“

„Du musst keine Angst haben, ich halte dich fest.“

„Wie kannst du fliegen und mich gleichzeitig festhalten?“

„Du wirst es sehen. Du schnallst dich an mir fest.“

„Okay, du hast also einen Gurt, oder ein Seil, mit dem ich mich an dir festbinde?“

„Nein, habe ich nicht.“

„Wie soll ich mich dann an dir festschnallen?“

„Ich habe spezielle Tentakel, mit denen ich dich festhalten kann. Ich kann sie ausfahren und dich damit halten. Du kannst sie jetzt nicht sehen, aber wenn du dich auf meinen Hals setzt, siehst du sie. Sie sind dafür gemacht, dass du nicht herunterfällst, wenn ich Saltos in der Luft mache.“

„Das ist unglaublich! Du hast Tentakel am Hals?“

Samuel stellte sich gerade vor, in einem Wagen einer Achterbahn zu fahren, ohne Sicherheitsbügel vor sich zu haben. Die einzige Sicherung, die ihn während der Fahrt hat, wären Tentakel. Mithilfe dieser Tentakel würde er sich am Wagen der Achterbahn festhalten. Nicht gerade vertrauenserweckend.

„Du willst Saltos in der Luft machen?“

„Ja, und Luftrollen.“

„Nein! Mach das bitte nicht. Ich habe Angst vor so was! Dann muss ich kot… ich meine, ich muss dann erbrechen. Wir können zusammen fliegen, wenn du geradeaus fliegst. Aber nur geradeaus. Keine Rollen, keine Saltos.“

„Menschen sind wirklich langweilig.“

Das Tori stöhnte laut.

„Ja, wenn es denn sein muss, dann fliegen wir nur geradeaus. Aber wir müssen auch nach oben und nach unten fliegen, sonst heben wir nicht ab.“

„Gut. Aber mehr nicht. Wenn ich keine Angst mehr habe, darfst du auch Kurven fliegen.“

„Also gut. Wenn ich aber keine Kurven fliege, gelangen wir nicht dorthin zurück, von wo wir abgeflogen sind.“

„Ja.“

Das Tori hielt die Menschen schon immer für sehr langweilig und ängstlich, was das Fliegen betraf. Aber der Mensch namens Samuel bestärkte ihn noch in seiner Meinung. Er war nicht nur ängstlich und langweilig, er war auch noch feige. Nein, schlimmer noch. Er war die Steigerung von feige. Aber dafür gab es kein Wort.

„Ich werde keine flugtechnischen Kunstwerke mit dir durchführen. Wir fliegen nach oben, dann geradeaus, schließlich wieder nach unten. Ich verspreche es. Wir werden ganz sanft die Welt von oben betrachten.“

„Ich bin ziemlich aufgeregt und gespannt auf meinen ersten Flug. Es muss grandios sein, durch die Luft zu segeln. Wenn du mir versprichst, dass du mich festhältst, vertraue ich dir und werde bestimmt keine Angst haben.“

„Ja, ich verspreche es.“

Das Tori hatte sich mittlerweile genügend ausgeruht und sein Essen verdaut. Es war wieder zu Kräften gekommen und schien nun wieder fliegen zu können. Also wagte Samuel sich in sein großes Abenteuer.

„Los, steig auf.“

Ziemlich ungeschickt versuchte er, den Hals des Tori zu erklimmen.

„Wo soll ich mich festhalten? Es gibt keine Haare und keine andere Möglichkeit hochzuklettern. Eine Treppe gibt es auch nicht.“

Auf was hatte er sich da bloß eingelassen?

„Immer mit der Ruhe, mein Freund.“

Das Tori senkte den Hals bis auf den Fußboden. Jetzt hatte Samuel keine Mühe mehr, aufzusteigen. Er setzte sich hin und fühlte sich etwas unsicher. Seine Beine standen zwar noch auf dem Fußboden, aber wo sollte er sie hin tun, wenn das Tori aufstand?

Plötzlich fuhren wie bei einem Seeigel schlauchartige Tentakel aus der Haut des Tori, die nach ihm tasteten und sich an ihm festhielten. Sie hielten sich dermaßen heftig fest, dass er keine Chance hatte, sich auch nur einen Finger breit von der Stelle zu bewegen. Samuel waren die Tentakel ein wenig unheimlich. Hoffentlich bissen sie keine Löcher in ihn hinein.

Und nun erhob sich das Tori. Schlagartig schoss Samuels Puls in die Höhe. Als das Tori aufrecht stand, befand er sich in einer Höhe, die zwei ausgewachsenen Männern übereinander entsprach.

„Ähm, und ich kann hier wirklich nicht herunterfallen?“

Samuels Beine, die ebenfalls unter Kontrolle der Tentakel waren, begannen zu zittern.

„Nein, kannst du nicht. Versuch es doch mal.“

„Es kann nichts passieren. Es kann gar nichts passieren. Das ist alles nur irrationale Angst, oder wie man das nennt. Ich bin es nur nicht gewohnt. Ich bin ganz entspannt und locker. Und ich kann nicht herunterfallen. Ich bilde mir all meine Angst nur ein.“

Vor lauter Aufregung versteifte sich sein ganzer Körper. Dies spürte das Tori natürlich sofort.

„Du musst lockerer werden. Wenn du so steif auf mir hängst, kann ich nicht fliegen. Atme tief durch. Lass deine Arme locker von dir herabhängen.“

Samuel konzentrierte sich auf seine Arme und versuchte, die Muskeln zu entspannen. Es funktionierte beim Zahnarzt, warum nicht auch hier?

„Ist es so besser?“

„Ja, so ist es gut. Und nun konzentriere dich auf deine Beine. Sie müssen locker in der Luft pendeln.“

Leichter gesagt als getan. Samuel gab sich die größte Mühe. Was kam da bloß auf ihn zu?

„Ich kann wirklich nicht herunterfallen?“

„Nein, Samuel, wenn ich es dir doch sage.“

Auch seine Beine bekam er unter Kontrolle. Nun lockerte sich auch der Rest seines Körpers, und er saß nicht mehr wie ein verkrampfter Stock auf dem Hals. Eigentlich war es hier oben ganz bequem. Warum er so eine Angst hatte, konnte er sich gar nicht erklären.

Immer fester packten die Tentakel zu, sodass sein Oberkörper wie in den Sitzen einer Achterbahn festgehalten wurde.

Durch die Tentakel wurden das Tori und Samuel zu einer Einheit.

Samuel spürte, dass sein ganzer Körper keine Chance mehr hatte, auch nur fingerbreit hin oder her zu schaukeln. Er saß wie einbetoniert auf dem Rücken fest. Das nahm ihm zumindest einen Großteil seiner Angst. Endlich konnte er sich nahezu komplett entspannen.

„Wir werden nun abheben. Es wird anfangs ziemlich heftig schaukeln, aber das ist völlig normal. Hab keine Angst, vertrau mir, setze ein freundliches Lächeln auf. Schau nicht so verkrampft.“

Das Lächeln hatte Samuel völlig vergessen. Er war einer der ersten Menschen, der auf einem Tori fliegen durfte. Er sollte ein Grinsen auf dem Gesicht haben, das breiter als der Mund des Tori war. Stattdessen fiel es ihm momentan noch etwas schwer, zu lächeln. Aber dann! Dann kam es plötzlich doch hervor. Ein freundliches Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit.

„Ich bin jetzt bereit, du kannst abheben.“

„Können kann ich immer, aber darf ich auch?“

„Ja, du darfst.“

Schon begann das Tori, seine gewaltigen, mit Haut bespannten Flügel auszubreiten und damit zu wedeln. Ein enormer Wind strich ihm um den Körper, Staub wirbelte auf, Gras und Steine flogen durch den plötzlichen Sturm durch die Luft. Dann hoben sie ab. Kaum hatte es zwei oder dreimal mit den Flügeln geschlagen, befanden sie sich schon weit über dem Boden. Es schaukelte tatsächlich ziemlich heftig. Da Samuel aber mit dem Tori fest verbunden war, hatte er kaum noch Angst. Immer mehr kam sein Lächeln von Herzen.

Plötzlich flatterte das Tier heftiger. Samuel spürte, dass sich die Richtung von senkrecht nach oben in waagerecht änderte. Als säße er auf einer Rakete, ging es nun vorwärts. Das Tori streckte den Körper, Samuel lag jetzt flach auf seinem Hals. Dank der Stromlinienform und dem Windschatten hinter dem großen Kopf bekam er nicht so viel Wind in die Augen, wie er befürchtet hatte. Er konnte sehr gut seine Augen offen halten. Und das lohnte sich. Von hier oben hatte er einen atemberaubenden Blick über die Natur. Büsche und Bäume wurden ganz klein unter ihnen und schossen nur so an ihnen vorbei. Sie hatten nun die Flughöhe der umliegenden Berge erreicht. Das Tori hatte wirklich nicht zu viel versprochen, es ging stets geradeaus. Es flog keine Kurven. Samuel war sprachlos, er wurde von seinen Glücksgefühlen übermannt. Also tat er das, zu was er in seinem Zustand noch in der Lage war: Jubeln vor Freude.

„Juhuuu! Das ist super nice!“, rief er und genoss den Flug.

Es war atemberaubend, überwältigend, unglaublich und… dafür gibt es mal wieder keine Worte. Selbst der Start eines Tornado Düsenjets konnte nicht prickelnder sein. Die unglaubliche Beschleunigung raubte ihm die Sinne. Das Tori wurde immer schneller. Das war nicht mehr fliegen, das war Tornado.

„Fliegst du immer so schnell?“

„Das ist die normale Geschwindigkeit, wenn ich längere Strecken fliege. Es geht noch schneller, aber dann wird es anstrengend für mich. Die jungen Toris fliegen aber tatsächlich schneller, viel schneller.“

„So ist es schon in Ordnung.“

„Hast du den Mut, ein wenig aufregender zu fliegen? Vielleicht ein paar Kurven? Und ein wenig mehr Spaß?“

„Natürlich habe ich Lust. Es wäre das Nächste gewesen, das ich dich gefragt hätte. Aber du warst schneller.“

„Ja, ja, das hätte ich jetzt auch gesagt. Aber warte ab, es wird gleich lustiger.“

„Oh Gott, was kommt jetzt?“

Würde Samuels Puls nicht schon wie eine Dampfmaschine rattern, hätte er jetzt damit angefangen.

Das Tori drehte sich plötzlich auf den Kopf. Samuel blickte, wenn er nach oben schaute, in Richtung Erde. Aber so blieb es nicht, denn im selben Moment änderten sie ihre Richtung - in Richtung der Erde. Schneller als im freien Fall schossen sie nun nach unten. Es trieb Samuel die Tränen in die Augen. Doch er konnte sie nicht abwischen, weil er von den Tentakeln festgehalten wurde, die nun so hart wie Eisenstangen waren. Er ließ also die Tränen einfach fließen.

„Aaaaah!“

Samuel schrie aus voller Kehle, während es senkrecht nach unten ging. Kurz vor dem Aufprall auf den Boden zog das Tori wieder nach oben und schoss mit unbeschreiblicher Geschwindigkeit über die Baumwipfel. Es ging nun wieder Richtung Himmel, schnell gewannen sie an Höhe. Schon war die Welt wieder ganz klein.

Als wäre es nicht schon genug der Fliegerei, vollführte das Tori nun Saltos und Luftrollen. Eigentlich hatte es versprochen, dies nicht zu tun, aber Samuel hatte nichts dagegen.

Fliehkräfte wie bei einer Raumsonde, die in den Himmel katapultiert wird, wirkten auf ihn. Fast hätte sich Samuel in die Hose gemacht, an manchen Stellen hätte er sich gern übergeben. Doch er schaffte es, einzuhalten. Er genoss den wilden Flug. Es machte einen unbeschreiblichen Spaß!

„Juhuuu! Das ist klasse, Noch einen Salto!“

Anstatt zu speien, feuerte Samuel das Tori an, noch atemberaubender zu fliegen. Noch riskanter sollte der Flug werden. Und er wurde riskanter! Senkrecht nach oben, dort einen Parabelflug nach unten in Richtung Erde und knapp vor dem Boden eine scharfe Kurve, anschließend ging es wieder senkrecht nach oben. Mittlerweile hielt sich Samuel noch nicht einmal mehr an den Tentakeln fest. Er ließ alles mit sich geschehen.

Schließlich landete das Tori erschöpft, aber gekonnt auf dem Fußboden und lockerte seine Tentakel. Sie fielen von Samuel ab, sodass er vom Hals des Tori absteigen konnte. Sicher hatte er nun eine neue Frisur. Er stand wieder auf seinen eigenen Füßen. Allerdings hielt dieser Zustand nur für einen Augenblick an, dann fiel er auf dem Boden. Sein Gleichgewichtssinn war völlig durcheinander.

„Wow, war das ein Flug!“

Samuel konnte nicht mehr aufhören zu lachen und rieb sich gleichzeitig den Hintern, denn der Fall auf seinen Allerwertesten hatte ziemlich wehgetan. Doch das war ihm egal. Der Spaß ließ ihn alles vergessen.

Auch das Tori musste lachen, aber es lachte nicht mit, sondern über Samuel.

„Hey, warum lachst du über mich? Für meinen ersten Flug mit einem Tori war ich doch gar nicht so schlecht, oder etwa doch?“

„Du warst echt klasse, wie sieht es denn in deiner Hose aus?“

„Nichts drin, aber fast wäre was drin gewesen.“

Gegenseitig stachelten sie sich an, sodass sie gar nicht aufhören konnten zu lachen.

„Du bist wirklich ein grandioser Pilot. Und dein Triebwerk ist auch nicht von schlechten Eltern.“

Das Tori wusste zwar nicht, was ein Triebwerk sein soll, aber lustig war es trotzdem. Immer wieder schüttelte es sich vor Heiterkeit.

Der Tod ist mein Freund

Подняться наверх