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9. Kapitel „Der Bär ist los...“
ОглавлениеEs war Februar. Mitten in den 80-er Jahren. In Apolda hielt der Winter noch Einzug und auf den Straßen lag vereinzelt noch Schnee. Es war immer noch kalt in der Stadt. Die Leute waren trotzdem froher Stimmung, denn die fünfte Jahreszeit, also der Fasching, stand vor der Tür.
Die "fünfte“ Jahreszeit wird in Apolda schon sehr lange gefeiert. Bereits vor der Jahrhundertwende pflegten die Turnvereine närrische Feste. In den 30-er Jahren begann die Tradition des Faschingsumzuges. Nach Unterbrechung während des Krieges und der Nachkriegszeit zogen im Jahr 1953 die Narren wieder durch die Stadt. In den Jahren 1964 und 1984 war der Faschingsumzug von der SED-Regierung verboten. Trotzdem ließen sich die Apoldaer Narren nicht unterkriegen und feierten ihre Feste.
Wir befanden uns zu der Zeit damals im Jahr 1987.
Überall sollte Fasching, neben dem großen Umzug durch die Stadt, gefeiert werden. Institutionen, Einrichtungen, Vereine, Kindertagesstätten und Schulen feierten ihren eigenen Fasching. So auch meine Schule, die Erweiterte Oberschule "Geschwister Scholl" Apolda, kurz Penne genannt. Die Erweiterte Oberschule wäre heute einem Gymnasium gleichzusetzen.
Nun muss ich sagen, dass ich nicht so der große Fan von Fasching bin, weil ich da so meine eigene Meinung habe über den Fasching. Fasching bedeutet für mich, dass sich die Menschen verkleiden und in eine Rolle schlüpfen wollen, die nichts mit ihren normalen Leben zu tun hat, aber viel damit, was man mal gerne sein möchte im Leben. Dagegen hatte ich nichts, aber ich hatte etwas dagegen, wenn dies diese biederen Spießbürger, die es in Apolda, zu Hauf gab, taten. Mir kamen diese Leute suspekt vor und ich fand diese Veranstaltung Fasching als sehr verlogen und bieder. Naja, hat jeder so seine eigene Ansicht zu den Sachen. Dies war meine.
In Apolda sollte nun wieder mal Fasching stattfinden und das war bis heute ein Highlight im kulturellen Leben von Apolda, wenn Apolda auch sonst kulturell nicht allzu viel bietet.
Es gab in Apolda auch eine andere besondere Form des Faschings: neben allen offiziellen Feiern, den Bluesfasching. Im Jahre 1986 wurde diese Form des Faschingsfeierns in Apolda ins Leben gerufen und fand oft im Jugendklubhaus in Apolda statt. Wie der Name des Faschings bereits verrät spielten in erster Linie Bluesbands, oft aus der ganzen Republik, dort. Denn Thüringen war ja damals auch eine Hochburg des Blues. Es kamen Erwachsene, Jugendliche und Schüler zum Fasching.
Unsere Schule feierte auch Fasching und die Schüler der elften und zwölften Klasse sollten dazu kommen.
Der Fasching sollte im legendären Filmkino "Union Theater" stattfinden, dem zweiten großen, obwohl eher kleineren, Kino in Apolda. Apolda hatte mit dem Union Theater eines der schönsten Klubkinos der DDR. Dort gab es neben Kino auch andere Veranstaltungen, wie zum Beispiel den Klub Intim.
Das Union Theater wurde 1914 gebaut und hatte 700 Sitzplätze. Im Jahre 1988 wurde das Kino von innen renoviert und erhielt eine Bar.
Das Kino befand und befindet sich heute noch auf dem Martinsplatz gegenüber der kleinen Martinskirche. Es ist eher ein Bau, der aussieht als wäre er quadratisch und dann nach hinten oval wird. Über dem Kino stand in großen Lettern "Union Theater", An der Eingangstür, die wiederum eine Glastür ist mit zwei Türen. Man begab sichalso von der Treppe in den Aufgang des Kinos und war gleich im Foyer, wo man seine Karten für' s Kino oder für eine Veranstaltung kaufte. Über einen samtenen Teppich ging man wieder eine Treppe zum Einlass des Kinos hinauf und befand sich schon im Kino drin. Die Stühle im "Union Theater" war Sessel, nicht wie im Kristallpalast, gewöhnlich Stühle, nein Sessel, wo man schön bequem saß. Das Kino ging zur Leinwand hin nach unten, wo auch eine kleine podestföimigeBühnestand.An den Seiten der Kinowand waren Lampen angebracht, die bei Beginn der Veranstaltung langsam ausgingen, so dass es noch nicht gleich dunkel wurde und man noch etwas sehen konnte. Ja, dieses Kino hatte einen gewissen Charme und eine Atmosphäre. Ein Flair sozusagen.Dort, in diesem legendären Gebäude sollte der Penne-Fasching stattfinden und wir waren mit von der Partie, denn wir sollten dort vor all den Leuten spielen, aber nicht als Hauptact, sondern eher als Programmeinlage. Wir hatten ja noch unsere Diskothek "Speed 2000", denn unser Programm ging noch keine 5 Stunden.
Gesagt, getan. Wir zogen also los ins legendäre "Union Theater" und bauten unsere Anlage auf der kleinen Bühne dort auf, machten Soundcheck und warteten, dass es nun losging. HerrMeier, unser Techniker, und DJ der Diskothek "Speed 2000" baute seine Anlage links neben der Bühne auf, um hauptsächlich für den richtigen Sound zu sorgen. Es sollte ja zum größten Teil Stimmungsmusik und Tanzmusik gespielt werden, weniger Live.
Die Gäste kamen so langsam in die heiligen Hallen, wo der Fasching stattfinden sollte. Überall war geschmückt und kleine Tische mit Sessel aufgebaut, so dass man sich auch mal setzten konnte zwischen den Pausen um etwas zu trinken. Vorne vor der Bühne gab es eine mittelgroße Tanzfläche.
Unsere Gäste waren bunt gekleidet und es gab so alles was ein Faschingsherz höher schlagen ließ. Bunte Kostüme zu den unterschiedlichsten Charakteren. So sollte Fasching sein. Da gab es Piraten, Seeräuber, Indianer, Cowboys, Engel, Hausfrauen, Kleine Mucks, Prinzessinnen und was man alles so trägt zu Fasching. Die Palette der Kostüme war riesig und man fand einiges drunter.
Die Faschingsveranstaltung begann mit fetzigen Klängen der Diskothek und es wurde erst einmal Musik zum Aufwärmen gespielt. Die Leute sollten in die richtige Stimmung versetzt werden. Naja, das konnte aber noch eine Weile dauern bis die ersten tanzwütigen die Tanzfläche eroberten, denn man trank lieber Cola und rauchte. Doch jetzt kamen die ersten Mädel und tanzten dann beim dritten, vierten Titel des DJs; die Party konnte nun richtig beginnen. Die Diskothek spielte immer eine halbe Stunde und dann waren wir dran. Dass wir im Programm keine Stimmungs-oder Faschingslieder einstudiert hatten, war uns am Anfang ein bisschen peinlich, denn es war ja Fasching, aber wir machten uns nichts draus, denn wir sollten ja die Leute nicht den ganzen Abend unterhalten, sondern etwas anderes bieten als die Diskothek. So spielten wir frei unsere Stücke, von Fleetwood Mac über Rock'n Roll, von Reggae bis Hardrock. Den Leuten gefiel es und sie tanzten auch nach unserer Musik. Zum Glück, jedenfalls aus meiner Sicht, waren wir auch nicht verkleidet wie die Pappnasen. Okay, es hätte vielleicht dazu gehört, aber wir sahen das nicht als Teil einer Show an. Es störte auch niemanden groß, waren doch alle verkleidet und hatten ihren Spaß. Sie tanzten wie die wilden unsere Pennäler, Männchen mit Weiblein und umgekehrt. DJ Meier machte auch gute Ansagen und legte geile Musik rein, um die Stimmung anzuheizen. Büttenreden gab es nicht, denn es war keine Bütt aufgebaut. Es gab auch keine anderen Showeinlagen außer uns, was ich persönlich ganz gut fand. So und so war es aber gemütlich und schön.
Die Diskolichter flackerten und je nach Tanz tanzte man auseinander oder bei langsameren Titeln engumschlungen. So kamen sich manche sehr, sehr nah. Absolute Hochspannung ist ja bei Fasching, dass man oft nicht weiß wer hinter der Maske war mit dem man da tanzte. Ich meine wir waren zwar nicht in Venedig und als DDR-Bürger wusste man vom Fasching in Venedig sicherlich nicht allzu viel, aber so war es auch schön und das gewisse Etwas lag bei diesen Masken in der Luft.
Die nächsten Diskorunden begannen und wir spielten auch unsere Songs von Liebe und Weltenschmerz. Zwischendurch gab es Schlager und Stimmungsmusik, alles aus dem Westen. Es wurde so oder so viel Westmusik gespielt, denn an die staatlich verordnete Linie von Ost-und Westmusik hielt sich in den 80-er kaum Jemand. Getrunken, was die alkoholischen Sachen betraf, wurde ausnahmsweise mal nichts, denn es war ein Schülerfasching und somit auch der Lehrkörper mit anwesend. Meist gab es nur Cola und Brause. Der Lehrkörper war auch putzig angezogen und hatte eigentlich weniger ein Kostüm an als frei erfundene Verkleidungen. Die Lehrer tanzten auch dann und wann. Die Fete war im vollen Gange, wir waren dran mit Spielen und wir kramten doch noch ein paar Schlager aus der Mottenkiste, empfanden das aber in Wirklichkeit als kleine Prostitution, irgendetwas zu spielen was nicht mit Rockmusik zu tun hatte. Schließlich fanden wir eine Polonaise von Gottlieb Wendehals, die damals und heute noch sehr bekannt war. Sie ging so:
„Jetzt fliegen gleich die Löcher aus dem Käse
Und nun geht sie los unsere Polonaise
Von Blankenese bis hin nach Wuppertal
Jetzt geht sie los mit ganz großen Schritten.
Und Herbert fasst der Heidi von hinten an die - Schultern,
das hebt die Stimmung ja das bringt Freude auf."
Bei der Textzeile, der Saal war gerade an Polonaise tanzen, quer durch den Saal und jeder fasste Jeden von hinten an die Schultern, genau bei dieser Textzeile, grölten alle nicht Schulter sondern " an die Tüten", was große Stimmung brachte.
Die Leute waren außer Rand und Band und konnten diese Textzeile mit den Titten gar nicht abwarten, so ein Heidenspaß war das. Wir spielten diesen Teil immer und immer wieder und das Gegröle ging ins Extreme, weil Herbert seiner Heidi nun an die Täten griff, so wie sich der Text nun reimte. Es steppte der Bär im Union Theater und man wollte gar nicht wieder aufhören, selbst als der Titel zu Ende war forderte man immer wieder Zugaben von uns und wollte diesen Titel hören. Na gut, dann spielen wir noch mal diesen Titel- und alles begann von vorn. Der Bär war los...
Der Abend im Union Theater wurde dann wieder geprägt von den Diskoklängen der 80-er, unserer Hauseigenen Diskothek, um Herrn Slotta. So kam ich schließlich auch mal zum Tanzen, denn dazu hatte ich Lust. Ich tanzte engumschlungen mit einem Mädchen was Antje hieß. Antje war etwas größer als ich und ich musste immer nach oben schauen, um in ihr Gesicht zu blicken. Meine Hände hatte ich an ihren kleinen Po. Der Titel war von Boy George und hieß "Du you realy want to hear tme". Ob ich Antje hörte, ich glaube eher nicht. So schön war sie auch nicht diese Braut. Dann ging ich an die Bar um eine Cola zu trinken und meine F6 zu rauchen. Rauchen war damals ja noch erlaubt in allen Institutionen, so dass der Saal doch schon unter Schwaden stand. Die Massen hatten sich mittlerweile auch beruhigt von ihrem Tittengeschrei und manch einer knutsche jetzt ungehemmt in den Ecken. Sex gab es aber keinen, soweit ich es beobachten konnte. Waren ja auch Lehrer da. Langsam endete der Abend und die Leute machten sich mit ihren Mopeds der Marke S51 wieder auf den Heimweg. Nicht jeder hatte ein Moped. Dies war nur denkleinen reichen Prinzen vorbehalten, ihre Bräute nach Hause zu kutschieren. Wir packten auch langsam ein und traten den Weg nach Hause an.