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3.Kapitel- „Die Stadt“

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Hier bin ich geboren, in dieser Stadt, im November des Jahres 1968, im Kreiskrankenhaus von Apolda, welches es heute nicht mehr gibt.

Apolda, ein kleiner Ort, eine kleine Stadt mitten in Thüringen, einem Bundesland von Deutschland, dem grünen Herz Deutschlands. Apolda liegt geographisch gesehen am nordöstlichsten Rand von Thüringen, im so genannten Thüringer Becken. Apolda ist eine Kleinstadt heute mit knapp 22.000 Einwohnern und gehört verwaltungstechnisch zum Weimarer Land mit Weimar als Verwaltungszentrale.

Hier bin ich geboren, aber das war zu der Zeit als Apolda (bis 1989) eine Kreisstadt mit knapp 30.000 Einwohner n war und im Bezirk Erfurt lag, einem Bezirk von 15 Bezirken der Deutschen Demokratischen Republik.

Die Stadt an sich ist eigentlich nicht hässlich, eigentlich schön anzusehen und gemütlich. Bekannt ist diese Stadt durch das Gießen von Glocken und wird auch als Glockenstadt bezeichnet Unsere Glocken sind in der ganzen Welt bekannt geworden, denn es gibt Glocken aus Apolda in Argentinien, Australien, den U. S. A. und was weiß ich noch wo. Eine berühmte Glocke gibt es in Köln im Kölner Dom, die aus Apolda stammt. Einmal im Jahr findet ein so genanntes Weltglockengeläut statt wo per TV und Internet die Glocken aus Apolda in der ganzen Welt zum Klingen erbracht werden. Insofern ist die Stadt musikalisch, denn jede Glocke hat einen bestimmten Ton, der ertönt. Und in einem Glockenspiel wie zum Beispiel am Apoldaer Stadthaus, kann dadurch sogar eine Melodie gespielt werden.

Es liegt also in Apolda schon seit Jahrhunderten Musik in der Luft durch die Glocken und ihrem Klang.

Ich weiß nicht, ob ich jetzt, wo ich das Licht der Welt erblickte in dieser Stadt, Glocken gehört habe, sicher nicht, aber geschrien habe ich bestimmt ganz mächtig. Ich bin also in einer durchaus musikalischen Stadt geboren worden. Mit Musik auf eine besondere Art und Weise, auch wenn in Apolda keine großen Komponisten gewohnt haben, durchgefahren sind oder dort geboren wurden. Musik lag also immer in der Luft. Weiter ist die thüringische Kleinstadt bekannt durch ihre Wirk- und Strickwaren, also Pullover und solches Zeug, welches schon sehr früh in Apolda entwickelt und produziert wurde und später dann in aller Welt verschickt wurde gegen hartes Geld. So gab es in Apolda unzählige Strickereifamilien mit Kleinstbetrieben und manche sind dadurch auch sehr reich geworden. Apolda war zu DDR-Zeiten die reichste Stadt gewesen, wo es zu DDR-Zeiten schon Millionäre gegeben hat.

Einen Hund haben wir in Apolda auch gezüchtet, den Dobermann ‚benannt nach seinem Züchter Friedrich Louis Dobermann, der einen besonders "scharfen" Wachhund züchten wollte und da mehre Hunde durcheinander gemischt haben muss. Eine echte deutsche Hunderasse eben dieser Hund.

Etwas anderes was auch echt deutsch war, war ein in Apolda entwickeltes Auto, der Apollo. Es gab aber auch ein noch kleineres Auto aus Apolda, den Piccolo, der hier gebaut und entwickelt wurde.

Ach, fast hätte ich es vergessen. Zu Essen und zu trinken gab und gibt es in Apolda immer reichlich, denn das lieben die Apoldaer, hält ja auch Leib und Seele zusammen. So wird natürlich die berühmte Thüringer Bratwurst auch in Apolda hergestellt, gebraten und verzehrt. Apolda produziert seit dem 14. Jahrhundert ein schönes würziges Bier, was in der DDR zum Beispiel damals sehr bekannt und begehrt war.

In Apolda wird auch ein Waffelbrot hergestellt, welches Filinchen heißt und lecker


schmeckt mit allem süßen Zeug, wie Honig, Marmelade und solchen Sachen drauf Das sind so die hauptsächlichen Fakten, durch die die Stadt berühmt wurde und bekannt ist.

Es gab und gibt aber auch Persönlichkeiten der Stadt, die Apolda Ruhm und Ehre gebracht haben, wie zum Beispiel unser Ausnahmesportler Wolfgang Hoppe, der sechsmal mit seinem Bob bei den Olympischen Spielen Medaillen holte; Louis Dobermann natürlich mit dem erwähnten Hund; oder der "Men of the World"

was nichts anderes heißt als schönster Mann der Welt mit den schon etwas skurrilen Namen Nico Schwanz.

Dann gibt es noch zwei Sänger aus Apolda, die einigermaßen bekannt sind. Zum einem der etwas volkstümliche Sänger und Ivan-Rebrov-Interpret Ronny Weiland und das Talent Mark Ashley, der eigentlich das dritte Mitglied von Modem Talking hätte sein können von seiner Stimme her und wenn es diese Band noch gäbe.

Und es gäbe noch viele andere Menschen aus Apolda aufzuzählen, die bekannte Persönlichkeiten der Stadt waren und sind.

Ja, ja, in Apolda und von der Stadt gibt es viel zu erzählen, denn die Stadt ist ja mittlerweile auch schon über 700 Jahre alt.

Apolda hat auch einen Spitznamen, der nur dem Apoldaer Einwohner und manchem aus der Region bekannt ist, denn die Stadt wird auch Gramont genannt, nachdem Namen einer französischen Kleinstadt. Ein General aus Frankreich, der während der Napoleonfeldzüge und bei der Schlacht von Jena/Auerstedt dabei war, ritt an der Stadt vorbei und rief zu seinem Kameraden von den Hügeln von Apolda, das diese Stadt seinem Gramont ähnlich sei. Seitdem heißt Apolda auch Gramont und weil es in Apolda oft um das Essen und Trinken geht, auch Fressgramont. Welch niedliche Bezeichnung für einen Ort.

In diese Stadt wurde ich also im vergangenen Jahrhundert hineingeboren und fühlte mich schon als Kind glücklich, denn ich wurde sonntags geboren, bin also ein Sonntagskind und habe auch ein durchaus sonniges Gemüt.

Meine Kindheit war glücklich und ich lebte in einer Großfamilie als vorletzter Spross und gedieh prächtig. Ich hatte als Kind immer viel gespielt, gelacht, ab und zu bestimmt auch Blödsinn gemacht und empfand die Tage als schön.

Mein erstes Erlebnis mit der Musik hatte ich dann in der Schule. Im Musikunterricht, wo man immer mal singen musste. Volkslieder und so etwas. Irgendwie habe ich meinen Gesang von meiner Mutter geerbt, die auch schon immer wie eine Nachtigall sang, und bekam immer die Note 1 im Singen. Das machte mich einerseits stolz, denn Singen machte Spaß, aber ich schämte mich auch ein bisschen, denn ich war ein Junge. Die meisten Jungen konnten bei uns nicht singen und so kam ich mir schon etwas doof vor, denn Singen war auch oft als Weiberkram angesehen. Ein Mädchen wollte ich dadurch ja nicht sein, aber wenn man so gerne wie ich sang, dann denkt man an so etwas nicht groß.

Mit 14 ungefähr trat ich dann dem neu gegründeten Singeclub der Schule bei, der von Frau Gundermann geleitet wurde. Wir mussten uns Anfangs erst zusammenraufen, die ganzen Mädels und Jungs und erstellten dann ein gemischtes und

abwechslungsreiches Programm, das auch Songs von Joan Baez, Volkslieder aber auch FDJ- und Kampflieder aufzuweisen hatte. Das war eben die Zeit und meist sangen die Singeclubs im Lande mit dem Blauhemd der FDJ und auch die Lieder der FDJ und der deutschen Arbeiterklasse. Ein Fakt, der unter dieser Diktatur des Proletariats mit der SED als Führungspartei nicht zu umgehen war. Man kann dies auch nur verstehen, wenn man als Mensch in einer Diktatur oder einem totalitären


Staat gelebt hat. Eigentlich war die FDJ sogar der Hitlerjugend ähnlich nur unter anderem Vorzeichen: statt Braunhemd, ein blaues Hemd, statt Nationalsozialismus, jetzt Sozialismus und Kommunismus, statt Kriegslieder jetzt Kampfeslieder. Alles sehr ähnlich und höchst verdächtig. Wir empfanden das als junge Menschen aber nicht ganz so und hätten eigentlich die Parallelen zur Vergangenheit ziehen müssen, vor allen Dingen auch deshalb, weil ja in der DDR der Antifaschismus zur Alltagspredigt gehörte.

Wir wurden so als Kinder und als Jugendlich missbraucht, wie damals im so genannten dritten Reich auf deutschen Boden.

Man trat ja ab der 8. Schulklasse automatisch in die Jugendorganisation der DDR ein, jeder, und konnte lange FDJ-ler sein, vielleicht sogar bis ins hohe Alter. Welch ein geistiger Unfug! Doch das fiel uns damals zu der Zeit nicht ein, und das böse Erwachen gab es erst nach der Wende.

So sangen wir gut, auch im FDJ-Hemd, und hatten einen schönen und guten Singeclub. Hier konnte ich also nach Herzenslust singen, mich einbringen und auftreten. Ein Lied gefiel mir besonders, dass ich immer mit Andrea aus dem Singeclub sang. Es hieß: "Sag mir wo die Blumen sind". Ein fantastisches Lied, gesungen von Marlene Dietrich, Joan Baez und später von der Rockband City. Ich hatte immer Gänsehaut bei diesem Lied und mag es heute noch sehr.

Streit gab es im Singeclub auch mal und man musste die Dinge klären. Manchmal wuchs man an dem Streit, manches war aber auch unversöhnlich und dumm. Musiktechnisch waren wir nur mit Gitarren und Tambourin versehen und so ein Singeclub hatte etwas von der Skiffle-Bewegung der 60er Jahre und auch etwas von den Hippies der 70er.

Der Singeclub tat gut, wir hatten viele Auftritte, sammelten Erfahrungen und ich kam so das erste Mal mit Musik in Berührung in Form einer Gruppe und Gemeinschaft. Außer den Singeclubs gab es Chöre in und um Apolda, wie zum Beispiel den Vereinigten Männerchor 1828 e.V. von Apolda, wo Rüdigers Vati mitsang. Mich fragten Sie auch eines Tages, ob ich mit dabei sein will. Ich wollte nicht, denn diese Knaben waren mir einfach zu alt. Aber, sie traten auch beim bekannten Sängertreffen in Eisenach auf. In Apolda selbst gibt es ein Sängerdenkmal in der August-Bebel-¬Straße.

Apolda hatte also musikalische und sangesfreudige Einwohner und Menschen, alles in allem sind die Menschen in Apolda so oder so sehr gemütlich, sehr gesellig und als freundlich zu betrachten.

Ihre Geselligkeit zum Ausdruck bringend, findet jedes Jahr der Faschingsumzug statt. Mit einigen wenigen Ausnahmen fast jedes Jahr. Fasching wird in Apolda groß geschrieben, denn das leben die Apolda er auch richtig und neben ihren Umzug wurde viel im Volkshaus gefeiert. Meine Mutter war mit ihren damaligen Freund Peter auch mal zum Fasching in Apolda und bekam beim Tanzen im Volkshaus einen schweren Glasaschenbecher von der Empore auf den Kopf, wobei der dann stark mit bluten anfing. Sie merkte es erst nicht und ihr Freund wollte sie dann ins Krankenhaus bringen. Selbst im Krankenhaus wollte sie zurück zur Faschingsfeier, so närrisch waren die Leute damals in Apolda.

Ich selbst habe mit Fasching im traditionellen Sinne nichts am Hut, als Kind vielleicht, später dann nicht mehr. Aber für mich und solche Leute gab es eine Alternative zum Ursprungsfasching: den Bluesfasching. Man muss genauer sagen den Apolda er Bluesfasching. Die Idee dazu ist bestimmt in Apolda geboren wurden.

Der Unterschied zwischen Fasching und dem Bluesfasching besteht darin, dass beim


Bluesfasching ausschließlich Blues-und Rockband auftreten und, dass man beim Bluesfasching keine Bütt hält. Seit 1986 gibt es den Bluesfasching in Apolda und der wurde immer bis zu einem gewissen Zeitpunkt im Jugendklubhaus gefeiert. Seit einigen Jahren dann immer in der Tiefgarage eines Hotels.

Ich war einmal zum Bluesfasching im Jahr 1987 mit Rudi, Andrea und Samira, Rudis Freundin. War ganz lustig der Tag. Erst war der große Saal schön geschmückt und mit einem ausgebauten Trabant versehen, der als Couch diente. Das ganze Haus war im Faschingsfieber und überall spielte eine Band, so unter anderem die Apoldaer Bluesband Huflattich mit Paule.

Eine lustige Begebenheit gab es bei Rosi in der Kneipe auch. Andrea und Samira waren verkleidet, in einem Römerkostüm. Das heißt, sie hatten sich ein weißes Bettlaken als Umhang umgebunden. Wir standen so in der Kneipe, eine Cola und ein Bier in der Hand, und Andrea unterhielt sich mit einem Typen. Beim Reden mit dem rutsche so langsam aber sicher ihr Umhang von der Schulter und sie hatte nichts drunter. Ihre Brüste wurden sichtbar, doch sie merkte das beim Reden nicht. Wir andern schwiegen dazu und mussten innerlich lachen über diese komische Situation Dann hielten wir es mit dem Lachen nicht mehr aus und Rudi meinte ganz trocken, Andrea deine Brust guckt raus. Ein Gegröle ging los als wir Andreas Brust sahen. Sie selber war aber schon angetrunken und schob lässig alles wieder ins richtige Maß. Herrlich dieser Anblick!

In den Gaststätten wurde immer getrunken. Das Bier war billig und kostete 0,40 Pfennig. Es gab einige Gaststätten, wo Musik lief. So zum Beispiel im "Adler" in der Bahnhofstraße, wo eine Tanzkapelle mit bulgarischen Musikern ihr Bestes gab. Dann im "Haus des Handwerkes", wo auch immer mal Bands zum Tanz spielten. Im Jugendklubhaus natürlich, im Hotel "Zur Post", wo sich der Intershop befand, wurde immer mal Disko gemacht, denn die hatten auch eine Nachtbar, dann im Volkshaus, die Konzerte, Tanzveranstaltungen und Feste, im "Union Theater" dann später die Livemuggen und heute das Kneipenfestival. Apolda hatte mal 300 Gaststätten. Ziemlich viel für so einen kleinen Ort.

Musiktanzkapellen gab es ca. 25 Stück über die Jahre hinweg, wovon drei Kapellen Berufsmusiker waren, der andere Rest Amateurtanzkapellen. Ein paar Rockgruppen, etliche Diskotheken. Wo die jetzt aber alle gespielt haben, weiß ich nicht, jedenfalls nicht immer in Apolda.

Eine Musikschule gab es lange nicht in der Stadt, denn die war in Weimar, als Stadt der Klassik. Dort gab es eine Musikhochschule, eine Musikschule und Musikunterricht Apolda bekam dann sehr später eine Außenstelle der Musikschule von Weimar, in die ich aber nicht gegangen bin. Das hing einmal damit zusammen, dass es keinen Gesangsunterricht an dieser Schule gab und die Schüler viel zu jung waren. Meine Mutter sprach mich da mal drauf an und drängelte ein bisschen, aber der Besuch dort und der Weg führte mich nicht dorthin.

Mein Umfeld an Musik und Leuten war abgesteckt. Der Singeclub der Schule, später der Singeclub und Chor der EOS, meine Bands.

Es waren alles intelligente Leute mit den ich mich umgab, die alle aus ordentlichen Elternhäusern kamen, gebildet waren und wie ich Spaß am Singen und Musizieren hatten. Alle kamen sie zum größten Teil aus meiner Heimatstadt Apolda und da wirkten wir auch. Die Stadt hat ihr kulturelles Kleid, wenn dies auch manchmal löchrig war.





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