Читать книгу Magie am Hof der Herzöge von Burgund - Andrea Berlin - Страница 12
1.2.2. Der politische Prozess und das Majestätsverbrechen im späten Mittelalter
ОглавлениеPolitische Prozesse begegnen dem Historiker in der Regel als besonderes Aufsehen erregende und skandalöse Verfahren, bei denen die hervorgebrachten Vorwürfe oft den eigentlichen, politisch motivierten Hintergrund zu verschleiern scheinen.77 Für das Frankreich des späten Mittelalters denkt man dabei unweigerlich an den von Philipp dem Schönen gegen die Templer angestrengten Prozess, der schließlich zur Aufhebung dieses Ritterordens führte. Auch der Prozess gegen Johanna von Orléans, die 1430 festgenommen und in einem kirchlichen Verfahren wegen Vergehen gegen die majesté divine zum Tode verurteilt wurde, wird in der Forschung, aber auch bereits von den Zeitgenossen gemeinhin als politisch motivierter Prozess angesehen.78 Neben diesen beiden Beispielen können noch zahlreiche weitere Fälle aufgezählt werden.79 Dabei muss allerdings konstatiert werden, dass der Begriff »politischer Prozess« kein zeitgenössischer gewesen ist, dass es keine justice politique gegeben hat. Auch die Elemente, die einen solchen Prozess prägen, stimmen nicht in allen Fällen überein, obgleich man oft dem Vorwurf des Verrats, des Treuebruchs, der Rebellion, der Zauberei oder des Majestätsverbrechens begegnet. Dementsprechend können die gerichtlichen Formen der Verfolgung dieser Vorwürfe sehr unterschiedlich sein, sodass sich keine festgeschriebenen Regeln beobachten lassen.80 Allein der Hochverrat gegen den König bekam dabei im Laufe der Zeit die Bedeutung eines regelrechten Sakrilegs.81 Gemeinsam ist aber fast allen politischen Prozessen, dass sie oftmals in als krisenhaft beschriebenen Perioden in einer Herrschaft zustande kamen. Mit Friedrich Battenberg soll daher der »politische Prozess als dasjenige forensische Verfahren angesehen werden, das Konflikte um Grundlegung, Stabilisierung, Ausweitung und Verteidigung der Herrschaft lösen sollte.«82 Die Herrschaftssicherung, aber auch die Ausweitung von Macht oder die Eliminierung von potentiellen Gefahren finden sich in zahlreichen als politisch deklarierten Fällen wieder. Insbesondere zu Zeiten des Hundertjährigen Krieges und den sich anschließenden krisenhaften Jahren kam es daher im französischsprachigen Raum zu zahlreichen politischen Prozessen. Diese Prozesse sind dabei als zusätzliche Felder in einem erodierenden machtpolitischen Umfeldes zu begreifen, die sich durch innere Spannungen auf der einen und äußere Gefahren auf der anderen Seite aufbauten.
In einigen Fällen konnte daher das Verhalten einzelner Fürsten in kriegerischen Auseinandersetzungen direkt zu Anschuldigungen führen, wie beispielsweise im Falle der Konflikte um das Herzogtum Guyenne. Bis zum Ende des Hundertjährigen Krieges befand es sich noch in englischem Besitz, weswegen der französische König dem englischen König gegenüber den Lehnseid hätte schwören müssen. Karl V. weigerte sich allerdings, dies zu tun. In diesem Zusammenhang musste sich auch der (englische) Herzog von Guyenne Ende 1368/ Anfang 1369 vor Karl V. verschiedener Vorwürfe erwehren. In der Bretagne traten die französisch-englischen Konflikte offen zutage, als sich Jean IV., Herzog von Montfort, gegen den französischen König die Unterstützung Eduards III. sicherte und dafür auf französischer Seite der Rebellion und des Verrates angeklagt wurde.83 Die Register des Parlaments von Paris weisen zudem zahlreiche Prozesse aus, bei denen den Angeklagten – durchaus auch gesammelt – schwere Delikte vorgeworfen wurden. So soll es – folgt man Contamine – im Januar 1383 nach dem Einzug Karls VI. in Paris aufgrund der Aufstandsbewegung der Maillotins zu zahlreichen Festnahmen und auch Sammelexekutionen gekommen sein. Unter den Angeklagten befand sich auch der Advocat des Königs, Jean de Marès, der als einer der Anführer der Revolte verdächtigt und letztlich auch hingerichtet wurde.84 Einer der bedeutendsten Prozesse unter Ludwig XI. war der gegen den Grafen von Saint-Pol und connétable von Frankreich, Louis de Luxembourg, im Jahr 1475.85 Dieser gut situierte Graf hatte während des Hundertjährigen Kriegs zunächst die burgundische, dann auch die französische Seite unterstützt, bevor man ihn im Krieg gegen die Stadt Gent wieder auf burgundischer Seite fand. Auch in der Guerre du Bien Public kämpfte er auf burgundischer Seite und erhielt im Gegenzug die Unterstützung des Grafen von Charolais bei seiner Ernennung zum connétable von Frankreich 1465, einem Amt, das ihn wieder näher an den französischen König rückte.86 Wegen eines Komplottes im Jahr 1475, das er mit Herzog Karl geschmiedet haben soll, fiel Saint-Pol aber in Ungnade bei Ludwig XI. und wurde des crime de lèse-majesté, des Majestätsverbrechens, bezichtigt. Der Prozess gegen ihn endete mit dem Todesurteil.87 Dass dieser Prozess nicht der einzige war, den der französische König mit Bezug auf den Vorwurf eines Majestätsverbrechens angestrengt hat, zeigen die Beispiele Alençon, Armagnac und Nemours.88
Dieser Vorwurf war auffallend oft – nicht nur bei Ludwig XI. – Gegenstand von Verfahren, denen die Ausrichtung eines politischen Prozesses zugeschrieben werden kann. Seine Ursprünge wurzeln im römischen Recht, im Konzept des crimen maiestatis. Er wurde aber insbesondere durch den Kampf gegen die Häresie als Majestätsverbrechen an Gott in das kanonische Recht aufgenommen, mit dem man auf kirchlicher Seite später auch gegen die Zauberei vorging. Auch das spätmittelalterliche französische Recht bezog sich auf die römische Gesetzgebung hinsichtlich des Hochverrates. Die Vereinnahmung dieser Anklage von der weltlichen Gerichtsbarkeit ließ daher nicht lange auf sich warten, sodass spätestens zu Beginn des 14. Jahrhunderts die Verknüpfung von Verrat und Majestätsverbrechen unbestritten war.89 Ähnlich wie der Begriff des politischen Prozesses weist der Vorwurf des Majestätsverbrechens – obgleich ein zeitgenössischer Begriff – keine eindeutig abgrenzbaren Elemente auf. Es können Übereinstimmungen zu und Assimilation von einer Reihe anderer Verbrechen festgestellt werden, etwa Verrat, Aufruhr, Rebellion, Mord, Verstöße gegen die Sicherheit, aber auch Zauberei, Häresie oder dem Handeln wider der Natur. Der Vorwurf eines Majestätsverbrechens konnte sowohl bei nur einem dieser Verbrechen als auch im Zusammenschluss mehrerer auftauchen. Es ist daher offensichtlich, wie einfach es für einen König im 14. und 15. Jahrhundert war, aus einer krisenhaften Situation heraus den Vorwurf des Majestätsverbrechens zu erheben.90 Cuttler grenzt zwar deutlich den Verrat oder Treuebruch eines Untertanen gegenüber seinem Fürsten zu dem Majestätsverbrechen gegenüber dem König ab,91 doch zeigt sich, dass der Vorwurf gerade auch von den burgundischen Herzögen erhoben wurde. Das prominenteste Beispiel ist hierbei die Ermordung Herzog Johanns Ohnefurcht. Sein Sohn Philipp der Gute erhob angesichts dieses Verbrechens den Vorwurf des Majestätsverbrechens – eine Anschuldigung, die von französischer Seite nicht geteilt wurde.92 Mercier sieht sogar im Zusammenhang mit den städtischen Unruhen der Jahre 1450 – 1458, die hauptsächlich Gent betrafen, Ansätze von Verschwörungen gegen den Fürsten, die sich als Majestätsverbrechen klassifizieren ließen.93 Auch unter Karl dem Kühnen lässt sich verschiedentlich die Äußerung dieses Vorwurfs feststellen,94 was wiederum auf das Selbstverständnis der burgundischen Herzöge des 15. Jahrhunderts als souveräne Herrscher schließen lässt.95 Der Vorwurf des Majestätsverbrechens diente als eine aus dem römischen Recht entlehnte Rechtsfigure, die als Argument herangezogen werden konnte, aber durchaus nicht immer musste. Deshalb ist es nicht ungewöhnlich, dass auch die burgundischen Herzöge sich dieser Figur bedienten – möglicherweise, aber nicht zwingend, auch, um ihre Stellung gegenüber dem Königtum zu unterstreichen.96 Andererseits ist – darauf hat Blanchard zurecht hingewiesen – die Idee herrschaftlicher Souveränität um die Mitte des 15. Jahrhunderts noch nicht so ausgeprägt, das mit einer juristisch auch nur einigermaßen zwingenden Argumentation zu rechnen wäre.97
Die Tendenz von Fürsten im Spätmittelalter, Prozesse zu politischen Zwecken zu instrumentalisieren, hatte zugleich Einfluss auf die Bedeutung dieser Prozesse. Zum einen wirkten sie sich auf die Ausformung der fürstlichen Souveränität aus, denn ein Angriff auf ebendiese Souveränität hätte Konsequenzen auf der Ebene der öffentlichen Ordnung nach sich ziehen können.98 Zum anderen wurde die Öffentlichkeit gerade bei Verbrechen gegen hohe Fürsten instrumentalisiert, um vor eben dieser Verfahren zu begründen oder zu rechtfertigen und um die Vergehen des Angeklagten bekannt zu machen, wie dies auch bei einigen Fällen zu zeigen sein wird, die den burgundischen Erben und späteren Herzog Karl den Kühnen betreffen.99 Die Bedeutung eines politischen Prozesses wuchs dabei proportional zu dem Interesse, das dem Fall in der Öffentlichkeit zukam. Ein Verfahren etwa, das den Vorwurf des Majestätsverbrechens aufgrund der Ausübung von Zauberei gegen den König beinhaltete, konnte sich dabei eines öffentlichen Interesses nicht entziehen, wie die zahlreichen in der Chronistik überlieferten Fälle zeigen. Dazu gehören beispielsweise aus dem Umfeld König Philipps des Schönen (1285 – 1314) die Zaubereivorwürfe gegen Guichard, den Bischof von Troyes, dem der Umgang mit einer Zauberin und die Anwendung von Wachsfigurenmagie und Teufelsanrufung zur Schädigung der Königin nach deren plötzlichem Tod vorgeworfen wurden.100 Dem Vorwurf des Majestätsverbrechens folgte häufig die Verhängung der Todesstrafe. Der prominente Fall des Herzogs Jean d’Alençon zeigt aber, dass diese durchaus auch in Begnadigungen oder in Haftstrafen umgewandelt werden konnten. Jean d’Alençon sah sich durch den Vertrag von Arras 1435 um seine Ziele und Verdienste gebracht und begab sich in Opposition zu Karl VII. Er wurde mehrfach, sowohl unter Karl VII. als auch Ludwig XI., des Majestätsverbrechens beschuldigt und zum Tode verurteilt. Die Gründe für die harten Strafen lagen in der schwankenden Loyalität des Herzogs. Jean kollaborierte mit den Engländern und wurde 1456 von König Karl VII. eingekerkert. Die Todesurteile gegen ihn wurden aber nicht vollstreckt; unter Ludwig XI. wurde er sogar begnadigt. Gegen diesen paktierte Jean 1467 allerdings wiederum mit den Herzögen von Burgund und der Bretagne, entfernte sich aber aufgrund von Geldzahlungen des Königs von der Ligue du Bien Public. 1473 wurden eine weitere Verschwörung mit dem Herzog der Bretagne und Edward IV. aufgedeckt und er wurde ein weiteres Mal, diesmal von Ludwig XI., zum Tode verurteilt. Erneut wurde Jean d’Alençon begnadigt und seine Strafe in lebenslange Haft umgewandelt, in der er 1476 starb.101
Bei politisch motivierten Zaubereiprozessen standen dabei die religiösen Vorwürfe nicht selten stellvertretend für die eigentlichen politischen Motive.102 Für die auch bei den Zeitgenossen als außergewöhnlich eingestuften politischen Prozesse lassen sich einige wiederkehrende – allerdings nicht zu verallgemeinernde – Verfahrenselemente nennen, mit denen die Fürsten versuchten, den Anschuldigungen nachzugehen. Die Beschuldigten wurden in der Regel vor ein Gericht geführt, wo die Anschuldigungen gegen sie untersucht wurden. Hier kamen sowohl geistliche als auch weltliche Gerichte in Frage. Nicht selten wurden spezielle Kommissionen durch den Fürsten eingesetzt, deren Mitglieder Personen juristischer, königlicher oder fürstlicher Einrichtungen sein konnten. Dabei musste es sich nicht ausnahmslos um Kleriker handeln; auch vertrauenswürdige Adelige waren an solchen Kommissionen beteiligt.103 Der des Verrates an Karl VI. angeklagte königliche Advokat Jean de Marès beispielsweise wurde zunächst von einer königlichen Kommission befragt, bevor er dem Bischof von Paris überstellt wurde, damit dessen Offizial über ihn richte. Aus Sorge vor einem langwierigen Prozess mit womöglich unsicherem Ausgang veranlassten die Herzöge von Berry und von Burgund aber den Vogt von Paris, den beschuldigten Advokaten zurückzuholen und zu exekutieren.104 Die politischen Prozesse und die Prozesse mit dem Vorwurf des Majestätsverbrechens wurden oft in Form eines Inquisitionsprozesses geführt, bei denen die Folter ein regelmäßig angewendetes Verfahrensmittel war.105 Diese wurde dabei nicht nur gegen den Angeklagten selbst, sondern auch gegen dessen Diener oder Helfer eingesetzt. Die Vorwürfe bei den politischen Prozessen – Rebellion, Plünderung, Vergewaltigung, Mord, Zauberei oder Majestätsverbrechen – genügten, um die schwersten Strafen aufzuerlegen. Die Verfahren endeten daher häufig mit einem Todesurteil, das allerdings – wie gezeigt – nicht immer vollstreckt wurde.106
Einer der bekanntesten Fälle im Burgund des 15. Jahrhunderts war der des herzoglichen Kammerdieners Jean Coustain, der wegen eines versuchten Giftmordanschlags auf Karl von Burgund hingerichtet wurde.107 Dieses Komplott ist nur eines von mehreren Anschlägen oder Verschwörungen, die der Graf von Charolais während der Regierungszeit seines Vaters gegen sich vermutete.108 Auch gegen den Vetter des Herzogs von Burgund, Johann, Graf von Étampes, wurden – wie es in der Chronistik mehrfach angedeutet wird – schwere Vorwürfe kolportiert. Johann soll mithilfe von Wachsfiguren ein Komplott gegen den Grafen von Charolais geplant haben und sei daher in die Ungnade des Hauses Burgund gefallen. Das neue Aktenmaterial des Processus contra dominum de Stampis – die Prozessakten gegen Jean de Bruyère, einen Bediensteten des Grafen von Étampes und sein Mitverschwörer, – ermöglicht es, die Umstände dieser Vorwürfe und ihre Folgen wesentlicher genauer beurteilen zu können, als dies mit den wenigen Erwähnungen in der Chronistik bisher möglich gewesen ist. Für die Forschung können daraus insbesondere für die burgundische Krisenzeit der 1460er Jahre und die Rolle des Grafen von Étampes bei der Zuspitzung dieser Ereignisse tiefergehende Erkenntnisse gewonnen werden. Es ist daher an der Zeit, den Grafen von Étampes etwas näher vorzustellen.