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3. Kompetenzförderung durch Literatur

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Funktionen von Literatur

Literatur kann aufgrund ihrer Spezifik kompetenzfördernd sein. Das ergibt sich aus den Funktionen des literarischen Systems (vgl. Schmidt 1992, 66f.): kognitivreflexive, moralisch-soziale, hedonistisch-emotionale und ästhetisch-autonome Funktion. Bei der kognitiv-reflexiven Funktion geht es um die Möglichkeit, alternative Wirklichkeitsmodelle zu entwerfen. Die moralisch-soziale Funktion bezieht sich auf die Darstellung und Problematisierung von Normen und Wertvorstellungen. Die hedonistisch-emotionale Funktion betrifft den Unterhaltungswert von Literatur und die Befriedigung emotionaler Bedürfnisse durch Literatur, und die ästhetisch-autonome Funktion hebt den Zeichencharakter von Literatur hervor. Aus diesen Funktionen ergeben sich unterschiedliche Kompetenzen, die im Umgang mit Literatur erlernt werden können.

Orientierung

Literatur ist ein Medium der gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Indem sie sich in unterschiedlicher Weise – affirmativ oder kritisch – zu gesellschaftlichen Prozessen, Wert- und Normvorstellungen, Denkmustern, Verhaltensweisen oder anderen Diskursen (Ideologien, Politik, Ästhetik, Geschichte, Wissenschaft oder andere) verhält und diese reflektiert, ist sie gleichzeitig Bestandteil dieser Diskurse und dient ihrer Beobachtung sowie Kommentierung.

Erweiterung von kulturellem Wissen bzw. des Weltwissens

Literatur transportiert explizites und implizites Wissen. Hierzu gehört einerseits Kontextwissen, das notwendig ist, um den Text in seinen raum-zeitlichen Entstehungskontext einordnen zu können: Informationen zum Autor, zur historischen Epoche, zur Literaturgeschichte oder den ästhetischen Konventionen. Andererseits gehört dazu Wissen, das zum Verstehen der innertextlichen Wirklichkeit notwendig ist: Kontext- bzw. Faktenwissen, kulturelle Codes, kulturelles Gedächtnis, Werte, Normvorstellungen und Ähnliches. Literarische Texte überliefern außerdem Textmusterwissen, Informationen zu literarischen Konventionen und zum Genre.

Bewusstmachung der Wahrnehmung

Eine bewusste Wahrnehmung ist Voraussetzung für kritisches Reflektieren. Literatur schult die Wahrnehmung, indem sie die automatisierte Wahrnehmung durch Verfremdungsverfahren stört. Dadurch wird die Rezeption verlangsamt und bewusst gemacht. Bewusstmachung befähigt dazu, bestimmte Prozesse, Verfahren, Handlungen zu durchschauen und trägt insofern zur Emanzipation von (fremd)bestimmten Sicht- und Denkweisen bei. Eine bewusstgemachte Wahrnehmung erhöht auch die Bewusstheit gegenüber anderen gesellschaftlichen Diskursen wie Werbung, Politik oder Medien und gegenüber Manipulationen.

Bewusstmachung der Konstruiertheit von Wirklichkeitsmodellen

Wichtigstes Charakteristikum literarischer Texte ist ihre Fiktionalität. Daraus folgt, dass es sich bei Literatur immer um die Darstellung einer Eigenwirklichkeit handelt, die zwar auf die außersprachliche Realität bezogen sein, mit dieser aber nicht gleichgesetzt werden kann. Indem literarische Texte selbstbezüglich sind, die Aufmerksamkeit des Rezipienten also darauf lenken, wie sie funktionieren, verweisen sie auf ihre Konstruiertheit. Durch literarische Verfahren konstruieren sie ein Wirklichkeitsmodell, das eine Möglichkeit von Realität darstellt. Daraus folgt, dass literarische Texte nicht als realistische Darstellungen der Welt gelesen werden können, denn sie sind vielmehr eine Refiguration der Wirklichkeit, die dann in der Rezeption gemäß der individuellen Voraussetzungen der Leser aktualisiert wird. Werden die literarischen Verfahren, die den Konstruktcharakter des Textes offenlegen, analysiert, so kann eine Sensibilisierung für die Konstruiertheit der Texte und darüber der Wirklichkeit erfolgen, die ebenso referenzabhängig ist, denn sie wird vom individuellen Standpunkt her konstruiert.

Die Kompetenzen, die über Literatur erlernt werden können, können aufgrund des spezifischen interkulturellen Potenzials literarischer Texte und durch die Fokussierung auf Fremdheit im literarischen Text zu den interkulturellen Kompetenzen hin ausgeweitet werden, indem Literatur als derjenige Ort verstanden wird, an dem die Konfrontation mit dem Fremden durch die Kommunikation mit dem Text in unterschiedlicher Form und Intensität möglich wird.

Kompetenzförderung durch das interkulturelle Potenzial literarischer Texte

Das interkulturelle Potenzial literarischer Texte umfasst, worauf bereits hingewiesen wurde, thematische und formale Aspekte sowie Kontext- und Rezeptionsforschung. Welche Kompetenzen können nun durch die Beschäftigung mit dem jeweiligen Aspekt gefördert werden?

Thematische Aspekte

Ist Fremdheit Thema oder Motiv des literarischen Textes, kann man das spezifische interkulturelle Potenzial der Literatur als die differenzierte Darstellung des Fremden bezeichnen, das den Texten in drei unterschiedlichen Dimensionen eingeschrieben sein kann: als alltägliche, strukturelle oder radikale Fremdheit (diese Klassifizierung des Fremden geht auf Bernhard Waldenfels zurück und wird weiter unten ausführlicher dargelegt). Alltägliche Fremdheit bezieht sich auf Wissenslücken beim Leser, die sich durch zusätzliche Informationen auflösen lassen (Kontextwissen, kulturallgemeines und kulturspezifisches Wissen), strukturelle Fremdheit bezieht sich auf die Fremdheit zwischen zwei Ordnungen, sie lässt sich nicht einfach durch zusätzliche Informationen auflösen, sondern erfordert Methoden wie Einarbeiten, Einfühlung und Standortbeschreibung, um eine Annäherung an diese Fremdheitsstufe zu gewährleisten. Radikale Fremdheit ist dagegen dadurch gekennzeichnet, dass sie sich einem definitiven Zugriff weitgehend entzieht, sie generiert daher auch eine Bereitschaft, sich mit Unabgeschlossenem zufriedenzugeben und Fremdheit auszuhalten. Die Auseinandersetzung mit dem thematischen Aspekt der Fremdheit fördert demnach folgende Kompetenzen: Erweiterung des Weltwissens, Orientierung, kritische (Selbst)reflexion, produktives Handeln, Erkennen von Zentrismen, Ambiguitätstoleranz.

Formale Aspekte

Ist Fremdheit formaler Aspekt literarischer Texte, also Strukturelement, dann erfolgt die Auseinandersetzung mit Fremdheit über die Analyse des literarischen Diskurses. Es geht hier um das Erkennen von Verfremdungstechniken und poetischen Abweichungen und deren internen und externen Funktionen, um die Wirkung poetischer Abweichungen innerhalb der Textwelt und ihre möglichen Bezüge zur außertextlichen Wirklichkeit. Poetische Abweichungen implizieren zwar nicht direkt soziale Abweichungen, aber sie demonstrieren das Prinzip sozialer Abweichungen in ihrer Struktur. Daher kann Literatur als Modell zur Erprobung, Verletzung und Veränderung sozialer, gesellschaftlicher oder anderer Normen dienen (vgl. Fricke 1981). Neben literarischen Kompetenzen wie Analysefähigkeit, Realitäts-Fiktionalitätsunterscheidung, werden außerdem Wahrnehmung und Aufmerksamkeit, das Erkennen von Wirklichkeitsmodellen und Zentrismen und Ambiguitätstoleranz gefördert.

Kontext- und Rezeptionsforschung

Die Kontext- und Rezeptionsforschung beschäftigt sich, wie bereits dargelegt, hauptsächlich mit den unterschiedlichen Kontexten, in die literarische Werke eingebettet sind. Insofern können durch diesen Aspekt Wissenskompetenzen (Weltwissen, kulturelles Wissen) erweitert werden, aber auch reflexive Kompetenzen (Selbstreflexion, Reflexion des eigenen Standortes), und zwar durch die Bewusstmachung von Lesestrategien.

Einführung in die interkulturelle Literaturwissenschaft

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