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Die Unfähigkeit zu lieben
ОглавлениеLiebe zu empfangen und Liebe zu geben: beides ist nicht selbstverständlich und muss erlernt werden. Viele NE handeln nach dem Motto: „Liebe mich, dann schlag‘ ich dich.“
Gerade im Bereich der Zuneigung zeigt sich das ambivalente Verhalten der Eltern und entfaltet sich dessen zerstörerische Kraft.
NE kennen die „wunden Punkte“ ihrer Kinder und „stechen“ bevorzugt dort zu, wo es am meisten weh tut. Kränkungen, Beleidigungen, Demütigungen, Unterstellungen und Vorwürfe werden gezielt dort platziert, wo die Eltern sicher sein können, dass sie wie eine Waffe wirken. Dieses Verhalten kann sadistische Züge annehmen.
Als natürliche Reaktion darauf ziehen sich die Kinder zurück und bemühen sich, keinerlei Angriffsfläche zu bieten, um sich selbst zu schützen. Fälschlicherweise werden diese Kinder von Lehrern und Erziehern als „introvertiert“ oder „schüchtern“ eingestuft. Tatsächlich aber sind sie eingeschüchtert, weil sie Angst haben und massiv verletzt wurden!
Das bloßgestellte, gequälte und entwürdigte Kind versucht, die Angriffe der Eltern abzuwehren. Es bemüht sich ständig, die erlittenen Kränkungen und den damit einher gehenden Liebesmangel anderweitig auszugleichen. – Dies ist auf die Dauer (dieser Prozess erstreckt sich z. T. über Jahrzehnte!) äußerst anstrengend und hinterlässt körperliche und seelische Spuren, welche sich häufig als Erkrankungen äußern.
Das kleinere Kind fängt wieder an, am Daumen zu nuckeln, einzunässen, an den Nägeln zu kauen. Es bekommt Schlafstörungen und Alpträume. Es klammert sich an Kuscheltiere und sucht sich Bezugspersonen außerhalb der Kernfamilie (z. B. Oma, Opa, Tante, Kindergärtnerin etc.).
Später können sich daraus psychische Störungen wie z. B. Kaufsucht oder Messie-Verhalten entwickeln. Das übersteigerte Bedürfnis, die seelische Leere mit materiellen Dingen auszugleichen, führt zu Verschuldung, Bindungs-Störungen, Beziehungs-Unfähigkeit, Vereinsamung, Depressionen oder gar zum Selbstmord.
Die emotionale Sprachlosigkeit der Eltern wird von den Kindern als „emotionale Kälte“ empfunden. Da sich die Eltern schwer tun, über ihre eigenen Gefühle – und auch über ihre Gefühle, die sie zu den Kindern haben – zu sprechen, bleibt stets viel Unausgesprochenes im Raum.
Dies erzeugt einerseits eine bedrückte Stimmung und andererseits beim Kind das Gefühl der Hoffnungslosigkeit. Es denkt - und weiß inzwischen aus Erfahrung – dass Gespräche mit den Eltern in vielen Bereichen nur sehr begrenzt und über manche Themen so gut wie gar nicht möglich sind.
Zur Unfähigkeit zu lieben zählt auch die Unfähigkeit, dem Kind etwas Gutes zu gönnen. Nicht selten empfinden NE Neid und Eifersucht gegenüber ihren Kindern. Psychisch gesunden Eltern ist es ein Bedürfnis, dass es dem Nachwuchs einmal besser gehen soll. NE hingegen empfinden Befriedigung darin, das Kind leiden zu sehen.