Читать книгу Narziss und Narzisse - Andrea Drumbl - Страница 13

VI.

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Judith träumte von Zuckermelonen und freundlichen Elefanten, auf denen sie durch fröhliche Glitzerwelten ritt, wie in Tausendundeiner Nacht ritt sie durch diesen Glitter-Glitzer ihres Traumes und war nur in bunte Seidentücher gehüllt und mit einem Kopfschmuck aus goldenen Perlen und ins Haar geflochtenen Blumen bedeckt. So ritt sie auf dem Rücken eines rot und blau geschmückten Elefanten an orientalischen Tempeln vorbei bis in regengrüne Wälder hinein, ritt hocherhobenen Hauptes wie eine indische Prinzessin mit dem Punkt auf der Stirn, und alles jubelte ihr zu. Es war ein großartiges Gefühl, Prinzessin zu sein. Es war ein Fest, ihr Fest, wie sie meinte.

In den Blumen grummelte eine späte Hummel, und Fliegenpilze flogen durch die Luft und surrten und sirrten wie Bienen, als sie selber hocherhobenen Hauptes wie eine indische Prinzessin mit dem Punkt auf der Stirn auf dem Rücken eines rot und blau geschmückten Elefanten ritt und ihr, der schönen Prinzessin, alles und jeder zujubelte. Aber dann brach plötzlich ein Feuer aus, und Judith bekam große Furcht und noch größere Angst, weil sie nicht absteigen konnte, weil die Elefanten plötzlich allesamt verschwunden waren, weil sie mit einem Mal ganz alleine war, ganz alleine am Boden lag, dann in einem Zimmer lag. Da erst bemerkte sie, dass sie sich im Haus ihrer Mutter befand und dass sie an Händen und Füßen gefesselt war. Sie konnte sich nicht mehr bewegen und schrie verzweifelt in das Feuer hinein, atmete aber nur bitteren Rauch ein, der ihr die Luft zum Schreien mehr und mehr abschnürte.

Dann sah sie Blumen aus dem Feuer wachsen. Wie ungewöhnlich, dachte sie im Traum, dass Blumen aus dem Feuer wachsen und nicht verbrennen. Aus den Blumen im Feuer wurden Narzissen, wunderschöne gelbe und weiße Narzissen, die Judith so gerne mochte, wenn nämlich die Narzissen blühten, dann war der Frühling nicht mehr weit – und mit dem Frühling auch immer schon ein möglicher Sommer, deshalb hatte sie Narzissen ja auch so wahnsinnig gern, und deshalb sah sie auch wie gebannt auf diese Narzissenpracht, aus der Narzisse für Narzisse im Feuer der Frühling erblühte.

Aber mit einem Mal verwandelten sich die Narzissen in einen Menschen, in einen Mann, es war ihr Vater, der dort im Feuer stand und zu ihr herübersah.

Sie entfernte sich rückwärts von ihm wie von einem König. Und war er es in diesem Augenblick nicht auch ein bisschen, in diesem Feuermeer aus gelben und weißen Narzissen? Er der König und sie seine Prinzessin?

Ihr Vater rief ihr durch das Feuer etwas zu, aber sie verstand es nicht sofort, horchte genauer hin, aufmerksamer, und hörte dann, was er sagte, was er ihr zu sagen hatte.

Ich bin der Narziss, rief er ihr zu, ich bin der Narziss und du meine Narzisse. Dann ging er in Flammen auf und verbrannte im Feuer lichterloh. Judith war sprachlos und machte die Augen ganz weit auf, als sie, aus diesem Traum vom Schlaf aufgeschreckt, blind auf ihre Hände schaute.

Als Judith am nächsten Morgen wie jeden Morgen zum Frühstück in die Küche ging, wo sie zwar Clara noch nicht hörte, aber immerhin wusste, wo sie ihr Frühstücksmüsli fand, um es in ihr Schälchen zu schütten, erschrak sie fürchterlich, als sie am Küchentisch ihren Vater sitzen sah. Ihr Vater war tatsächlich da, ganz echt und nicht als Albtraumbild. Judith schaute ihn verängstigt an, saß der Traum von letzter Nacht doch noch viel zu tief in ihren Gliedern.

Ihr Vater sprach sie an und schaute ihr mit großem Ernst in die Augen. Judith fragte sich, wie ihr Vater in die Wohnung gekommen war, traute sich aber nicht, ihn anzusprechen. Er sagte gerade, dass sie so etwas so schnell nicht mehr machen dürften, und damit meinte er wohl, dass sie sich so lange nicht gesehen hatten und das nicht wiederholen sollten. Er sagte ihr, wie sehr er sie vermisst hätte und fragte sie, wie es ihr ging. Judith wusste in diesem Augenblick weder so richtig, wie es ihr tatsächlich ging, noch, was sie zu der ganzen Situation hier meinen sollte, was sie dazu meinen müsste. Sie dachte an die Blumen in ihrem Traum und wie sich die Blumen in ihren Vater verwandelt hatten, der dort im Feuer stand und zu ihr herübersah. Unwillkürlich entfernte sie sich schon wieder rückwärts von ihm wie von einem König. Und war er in diesem Augenblick nicht auch wieder ein bisschen so wie ein König aus Tausendundeiner Nacht? In diesem Moment riss sie wie in ihrem Traumgefüge von letzter Nacht die Augen sperrangelweit auf und sah, wie ihr Vater in Flammen aufging und im Feuer lichterloh verbrannte. Und doch war es nicht ganz so wie in ihrem Traum, denn jetzt sprach ja ihr Vater mit ihr.

Weißt du, sagte er ganz feierlich, es ist kein gutes Gefühl, dich so lange nicht sehen zu können, weil dann dieser Schmerz im Herzen so bedrohlich wird, zur Bedrohung für mich wird. Und das will ich nicht, weil ich ja nur mit dir zusammen sein will, weil wir ja zusammen gehören, weil du mein kleines Mädchen bist. Und deshalb müssen wir gerade jetzt so gut auf uns schauen, ja, ich will so gut auf uns schauen, will auf dich schauen, will auf mein kleines Mädchen schauen, das versprech’ ich dir. Ich versprech’ es dir, versprech’ es dir.

Judith verstand kaum die Hälfte von dem, was ihr Vater zu ihr sagte, und trotzdem hörte sie ihm zu, weil seine Stimme für sie so schön klang.

Willst du das, fragte ihr Vater sie nun.

Judith wusste nicht, was sie wollte oder nicht wollte oder wollen sollte oder nicht, und trotzdem nickte sie ihm freundlich zu. Da nahm sie ihr Vater in seine Arme und drückte sie fest an seine Brust.

Bin ich der Schmerz in seinem Herzen, dachte Judith, weil er mich so fest an sein Herz drückt, dass es ihm fast wehtun muss?

Sie sah zu ihm auf, und in diesem Augenblick traten Tränen aus seinen Augen. Da wusste Judith, dass sie der Schmerz in seinem Herzen war.

In diesem Moment ging die Tür auf und Clara kam herein. Erschrocken blickte sie von Jakob zu Judith zu Jakob zurück. Judith sah, dass Clara am ganzen Körper zitterte, als wäre ihr kalt. Überhaupt war sie anders als sonst, gar nicht freundlich, fand Judith.

Wie er hier hereingekommen sei, fragte ihn Clara mit zittriger Stimme.

Die Tür sei offen gewesen, meinte Jakob nur, Peter hatte wohl vergessen, sie zu schließen, als er außer Haus ging. Da war es naheliegend, einfach so einzutreten, ohne erst schrecklichen Lärm machen zu müssen.

Jakob sah schuldbewusst auf seine Hände, weil er wusste, dass er wie ein Eindringling wirken musste, was er schlussendlich irgendwie ja auch war.

Dann fragte ihn Clara, was er hier wolle. So plötzlich, wie sie sich ausdrückte.

Warum gerade jetzt, fragte sie ihn mit einer Angst, die tief in ihrer Kehle saß.

Judith wollte nicht hören, was die Erwachsenen sprachen, das fand sie alles langweilig, und sie wollte ja nur Spaß haben, fröhlich sein und lachen können. Deshalb ging sie hinaus und hörte nicht, wie Clara und Jakob sich aussprachen, dass Jakob in einer Woche kommen sollte.

In einer Woche würde sie, Clara, es dann mehr oder weniger begriffen haben, meinte Clara, als ihr Jakob vorsichtig sagte, dass er Judith wieder zu sich holen wollte.

Das Mädchen braucht einen Vater, sagte er im Tonfall eines Patriarchen, auch wenn ich vielleicht nicht der allerbeste Vater bin, möchte ich doch für meine Tochter sorgen können, so viel Verantwortungsgefühl, ja, so viel Verantwortungsgefühl besitze ich gerade noch.

Eine Woche, sagte Clara, dann kannst du Judith wieder zu dir nehmen, ich verspreche es.

Jakob zeigte sich einverstanden, wenn auch nicht überzeugt von dieser Idee, wollte Clara aber doch noch die Möglichkeit einer Woche mit Judith geben. Er trat zu Judith, gab ihr einen Kuss auf die Wange und sagte zu ihr, dass sie ihren Koffer und ihre Spielsachen zusammenpacken sollte, weil er sie nächste Woche abholen kommen würde. Und zwar mit dem großen gelben Auto, das sie doch so gerne hatte, weil es so lustig brummte, wenn ihr Vater auf das Gaspedal trat.

Judith wusste zwar nicht, warum es noch eine Woche – und das waren immerhin noch ganze sieben Tage mit ganzen sieben Mal schlafen –, warum es also noch eine ganze Woche dauern sollte, bis sie ihre Spielsachen in die große Umzugskiste packen sollte, aber die Aussicht auf das große gelbe Auto, mit dem sie abgeholt werden würde, ließ sie es vergessen.

Und Mutter, fragte sie ihren Vater noch, bevor er ging, wird Mutter auch wieder bei uns sein?

Ich weiß es nicht, war seine Antwort, ich weiß es leider wirklich nicht. Und damit schloss er langsam die Türe hinter sich.

Narziss und Narzisse

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