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Kapitel zwei
ОглавлениеDer Traum vom Weingut - im Lorch der Gegenwart
Es war wie eine Befreiung, ein Traum, der in Erfüllung ging. Arnold Jäger stand vor den Hofmauern des Weingutes im Rheingauer Städtchen Lorch, das er gerade von seinem Erspartem gekauft hatte. Ein warmer Wind fuhr durch seine Haare, im Hintergrund war das Rauschen des Rheins zu hören. Die Sonne schien kräftig in das Rheintal und tauchte das wunderschöne ländliche Panorama in unverwechselbare, warme Farben.
Wie angewurzelt stand er vor der Mauer und blickte ehrfürchtig an den Steinen entlang. Arnold konnte es immer noch nicht glauben, dass sich sein lang gehegter Jugendtraum jetzt vor ihm erhob. Ein eigenes Weingut. Die Wehmut, dass er hierfür seine Heimat Mecklenburg-Vorpommern verlassen hatte, wo er auf Usedom auf dem elterlichen Bauernhof aufgewachsen war, war wie weggeflogen. Viele Tränen waren geflossen, als er die Insel verließ. Seine Mutter schnaubte Unmengen von Taschentüchern voll, als Arnold aus dem Fenster seines Wagens winkend vom Hof gefahren war. Eine abenteuerliche Reise hatte für den 32-jährigen Norddeutschen begonnen. Sein Vater hatte bis zuletzt gehofft, ihn doch noch für den Beruf eines Milchbauern zu begeistern. Schließlich hatte er sein ganzes Leben auf dem Hof verbracht und war ein echtes Talent, was das Melken von Kühen anging.
Arnolds Interesse wurde allerdings bereits in Kindertagen in eine andere Richtung gelenkt. Schon früh hatte er gern seinen Großvater beobachtet, der jeden Abend den Tag mit einem Glas Wein beschloss. Pünktlich nach dem Abendessen holte Großvater eine Flasche Wein hervor, nahm ein Glas aus dem Schrank und schenkte ganz langsam ein. Dabei schien er jeden Tropfen, der aus der Flasche rollte, genauestens zu verfolgen. Anschließend hob er das Glas ins Licht und musterte die hindurchschimmernden Farben. Danach steckte er seine große Nase in den Kelch und genoss das Bukett des Weines, während er diesen gekonnt mit der Hand schwenkte. Mit diesem Ritual war es um Arnold geschehen. Er konnte es kaum erwarten, bis er alt genug war, um daran teilzunehmen. Als es endlich so weit war, führte ihn sein Großvater in die große Welt der Weine ein. Während sie abends zusammensaßen, philosophierten die beiden stundenlang über Jahrgänge, Weinbaugebiete und Rebsorten. Immer dazu gehörte ein Schwenk aus Großvaters Jugendtagen in der Nachkriegszeit der ehemaligen DDR, wenn etwas über den Durst getrunken wurde und dabei die ein oder andere lustige Begebenheit stattfand.
Kurz vor Arnolds 18. Geburtstag verstarb sein Opa überraschend. Dieser Verlust hatte Arnold sehr schwer getroffen, bestärkte ihn allerdings umso mehr, sein Leben dem Weinbau zu verschreiben. Dies wollte er nicht nur, um das Andenken seines Großvaters zu ehren, denn er hatte eine wahre Passion zum Wein entwickelt.
Da auf der Insel Usedom Weinbaugebiete sehr rar waren, war schnell klar, dass er das elterliche Nest früher oder später verlassen würde. Arnolds Eltern liebten ihren Sohn sehr, und so wollten sie ihm auf keinem Fall im Weg stehen, wenn es um die Umsetzung seiner Träume ging. So kam es, dass Arnold nach seinem Abitur überlegte, wo er die große Kunst des Weinmachens erlernen konnte. Viele Optionen kamen für ihn nicht infrage, schon immer hatte sein Gaumen eine Vorliebe für den Rheingauer Riesling. Da die Reben schlecht zu ihm kommen konnten, entschied er sich für ein Studium an der Geisenheimer Forschungsanstalt für Weinbau. Sie war sein erster Anknüpfungspunkt mit der Region Rheingau. Schon häufig hatte er die Weine aus der Region gekostet, doch als er das erste Mal vor Ort war, entfachte eine neue Liebe, die ihn nicht mehr losließ.
Nachdem er das Studium des Weinanbaus erfolgreich abgeschlossen hatte, zog es ihn vorerst wieder nach Mecklenburg, wo er auf dem elterlichen Hof arbeitete und jeden Cent sparte, um sich den Traum eines eigenen Weingutes irgendwann zu erfüllen.
Jetzt war es soweit. Von einem alten Bekannten aus Studienzeiten hatte Arnold erfahren, dass in Lorch ein Weingut zum Verkauf stand. Die dazugehörigen Weinbergflächen waren perfekt für ihn, um mit seinen überschaubaren Mitteln seinen Traum zu verwirklichen.
So stand er nun da, blickte auf sein Refugium und konnte die Gefühle der Freude kaum verbergen. Durch seinen Drei-Tage-Bart schimmerte ein ständiges Lächeln. Das kleine Anwesen war wie aus dem Bilderbuch. Das Haupthaus aus Stein bebaut mit einem Schieferdach. Der Hof mit Kopfsteinpflaster ausgelegt und überall rankte sich Wilder Wein die Wände hoch.
Er atmete tief ein und aus. Das kam von der Nervosität, denn jetzt ging es ans Eingemachte. Die vor ihm liegende Arbeit war nicht zu unterschätzen, denn seit vielen Jahren war das Weingut nicht mehr richtig bewirtschaftet worden. Eine riesengroße Unordnung galt es, in den Griff zu bekommen. Die Gerätschaften hatten ihre besten Zeiten hinter sich und der Traktor im Hof war wahrscheinlich das letzte Mal in den 50er-Jahren angesprungen. Die dicke Eichentür zum Weinkeller sah aus, als wäre sie seit Jahren nicht mehr geöffnet worden, so verrostet waren die schweren Scharniere. In allen Räumen des Wohnhauses roch es modrig und ein bisschen vergammelt. Aber dies störte Arnold recht wenig. Ein gesunder Enthusiasmus gehörte einfach dazu.
Arnold schritt durch den Torbogen der Hofeinfahrt und betrat sein neues Zuhause. Jeder Schritt fühlte sich an wie der Gang in eine unbekannte Zukunft und er war ängstlich und euphorisch zugleich. In der Ecke stand ein alter Strohbesen. Er schritt auf ihn zu, schnappte ihn sich und begann, den Hof zu fegen. Arnold spitzte die Lippen und begleitete sein Tun mit einem munteren Liedchen.
Dabei bemerkte er nicht, dass er plötzlich einen Zuschauer bekam. Nachbar Willi Laggei stand im Torbogen und verfolgte amüsiert sein Treiben.
»Des sieht gut aus, was Se do mache, abber ich denk´, wenn Sie mit dem klaane Bese´ des alles hier uffrahme wolle, komme´ Se sischer in de nächste Jahr´ nit zum Woi´ mache«, rief Willi mit unverwechselbarem Lorcher Akzent über den Hof.
Arnold, kurz überrascht einen Zuschauer, zu haben, erwiderte: »Irgendwo muss ich ja anfangen. Ich habe jetzt so lange auf mein eigenes Weingut gewartet, da ist es nicht schlimm, wenn ich die nächsten zwei Jahre noch mit Fegen verbringe.«
Der Mann grinste und kam auf Arnold zu.
»Ich bin de´ Willi von nebe´ an.«
»Freut mich, ich bin Arnold aus Mecklenburg.«
»Melckleburg? Ei, was verschlägt Sie dann hier in de´ Rheingau? Habt ihr keine Küh´ mehr zum Melke?«
Arnold lachte. Ihm gefiel der direkte Humor des Einheimischen. Genauso hatte er die Menschen hier in seiner Studienzeit kennengelernt. Ehrlich, authentisch und immer mit einer Prise Humor. Der herrliche Dialekt untermalte den sympathischen Eindruck.
»Doch, doch, die Kühe sind uns in Mecklenburg noch nicht ausgegangen. Aber irgendwie hatte ich schon immer den Drang, durch die Weinberge zu klettern anstelle Kühe zu melken.«
»Jo, des kann ich verstehe´ - do kimmt jo ach nur Milch naus und nit das gute Stöffche, was mir hier Riesling nenne´.«
Es war nicht zu übersehen und kein Zweifel, dass hier eine gute Basis für eine freundschaftliche Nachbarschaft entstand.
»Ei, komm´ Bub´, jetzt mach´ Paus´ und komm´ mit nübber bei misch. Do ziehe mir en´ schee Flasch´ Lorcher Woi uff und babbele en bissje.«
Obwohl Arnold gerade voll in seinem Element war und seine Energie jetzt gern für seinen Hof genutzt hätte, nahm er die Einladung dankend an. Ein Nachbarschaftsverhältnis sollte nicht damit starten, dass eine nett gemeinte Einladung auf ein Glas Wein ausgeschlagen wurde.
»Aber gerne. So ganz weiß ich eh noch nicht, wo ich anfangen, geschweige denn weitermachen soll. Da können wir auch zuerst eine gute Grundlage mit einem Glas Wein schaffen«, sagte Arnold und lächelte.
»So muss des sein … aber ein Glas is´ gut, zwei sin´ besser - uff einem Bein kann mer schließlich auch nit stehe«, sagte Wille und grinste dabei übers ganze Gesicht.
»Auf geht´s!«, rief er, drehte sich um und bog nach rechts zu seinem Haus ab. Arnold folgte den schnellen Schritten seines neuen Nachbarn.