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Kapitel 2

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Lausen quetschte seinen Dienstwagen quer in eine enge Lücke zwischen dem Stamm einer Kastanie und dem Heck eines Streifenwagens, wodurch er den halben Gehweg blockierte. In Harvestehude, einem der vornehmsten Stadtteile Hamburgs, war es zu keiner Tageszeit leicht, einen Parkplatz zu finden. Kaum ausgestiegen, hörte er hinter sich eine unfreundliche Frauenstimme: »Schlechter konnten Sie wohl nicht einparken, nicht wahr?«

Lausen drehte sich um. Die Frau hinter ihm war elegant gekleidet, mit Goldschmuck behangen und mindestens siebzig Jahre alt.

»Sie haben recht«, sagte der Hauptkommissar. »Bin wirklich nicht gut im Schlechteinparken. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, eine Leiche wartet.«

Die Frau verstummte und ihr Gesichtsausdruck wechselte innerhalb von Sekunden von empört über erstaunt zu sensationslüstern. Ihre Blicke folgten nun aufmerksam dem Kommissar, der kurz an der Fassade eines gepflegten, dreistöckigen Jugendstilhauses hinaufschaute und dann auf den Eingang zuging. Ein uniformierter Polizist grüßte mit einem Kopfnicken und hielt Lausen die Tür auf.

Die weiße Fassade des Hauses mit den grau abgesetzten Ornamenten hatte Lausen gefallen, das Treppenhaus beeindruckte ihn. Auf Hochglanz polierte Marmortreppen, detailreiche Stuckverzierungen an den Wänden und der hohen Decke, handgeschmiedete Briefkästen und die kronleuchterartige Treppenhausbeleuchtung zeigten eine einschüchternde Wirkung auf Normalverdiener. Graffiti an den Wänden oder leere Bierdosen in den Ecken – so etwas war hier unvorstellbar.

Lausen, der mehrmals pro Woche durch den Stadtpark joggte, nahm die sechs Stufen bis zum Hochparterre in drei Schritten. Er betrat die Wohnung, sein kurzfristig neu formiertes Team war bereits vor Ort. Er traf die Kollegen auf dem zehn Meter langen Flur.

Oberkommissar Konrad Schwanitz begrüßte seinen Vorgesetzten mit einem Kopfnicken und zeigte auf eine Türöffnung hinter sich.

»Das Opfer liegt dort in der Bibliothek. Die Spusi und Doktor Peters sind gleich soweit. Dann können wir rein.«

Fast versteckt hinter Schwanitz’ massigem Körper stand Kommissar Ulf Reisberg, der auch zu Lausens regulärem Team gehörte. Die hellrote Mähne von Thomas Bernstein überragte alle und Vera Becker verschwand hinter dieser Männerwand.

»Bisschen eng hier auf dem Flur«, sagte Lausen und blickte sich um. »Gehen wir doch hier rein«, beschloss er und führte die Gruppe in ein geräumiges Wohnzimmer mit offenem Kamin, das ein gediegenes, altenglisch anmutendes Ambiente zeigte. Viel dunkles Holz, eine mächtige burgunderfarbene Ledergarnitur, schmiedeeiserne Kerzenleuchter, dicke Orientteppiche und großformatige Ölgemälde – der Hauptkommissar wähnte sich für einen Moment in einem traditionsreichen Adelshaus. Er schüttelte den Kopf und wandte sich den profanen Dingen zu.

»Wie sieht’s aus, schon Fakten?«, fragte er in die Runde.

Die beiden jungen Kommissare Reisberg und Becker hielten sich zurück. Die Oberkommissare Schwanitz und Bernstein suchten mittels Blickkontakt eine Übereinkunft. Konrad Schwanitz war ein besonnener Mensch, für den Harmonie im Team einen hohen Stellenwert hatte. Er war deutlich älter als Bernstein und seit Jahren in Lausens Team. Somit hatte er jedes Recht, sich als zweiter Mann hinter Lausen zu sehen. Trotzdem suchte er das stillschweigende Einverständnis des neuen Mannes in der Gruppe, der den gleichen Rang wie er hatte. Bernstein nickte fast unsichtbar und Schwanitz berichtete:

»Das Opfer ist wahrscheinlich Rudolf Friedemann, der Bewohner. Eine sichere Identifizierung war noch nicht möglich. Ich konnte einen Blick auf den Leichnam werfen. Der ist übel zugerichtet, das Gesicht ist kaum zu erkennen.«

»Wer hat die Leiche gefunden?«, fragte Lausen.

»Die Haushaltshilfe, eine Frau Ilse Tornow. Sie kommt jeden Montag um acht Uhr und hat einen eigenen Schlüssel. Sie sitzt in der Küche, hat einen Schock. Der Notarzt kümmert sich um sie.«

»Irgendwelche Erkenntnisse über Herrn Friedemann?«

»Laut Personalausweis wurde er am 17. März 1934 in Münster geboren. Mehr haben wir nicht. Wir sind erst seit ein paar Minuten hier.«

Lausen nickte. »Okay, dann mal los. Kollege Reisberg, ab ins Büro, alles recherchieren, was es über Friedemann gibt.«

Reisberg guckte verärgert, er mochte die Büroarbeit nicht. »Muss ich? Kann das nicht Frau Becker machen?«

Lausen schaute genervt gen Zimmerdecke. Es gab bessere Mitarbeiter als diesen Reisberg mit seinen blöden Sprüchen und dem ewigen Gemecker über die Aufgaben, die er bekam. Reisberg würde lange darauf warten können, von ihm das ›Du‹ angeboten zu bekommen. Bei Konrad Schwanitz sah die Sache anders aus. Und die beiden Neuen in seinem Team würde er vorerst siezen und abwarten, wie sich die Zusammenarbeit entwickelte.

»Es ist Montagmorgen, kurz nach neun. Keine gute Zeit für sinnlose Diskussionen. In zwei Stunden will ich Ergebnisse haben.«

Reisberg grummelte ein »Immer ich« und trollte sich.

»Konrad und Kollege Bernstein klappern die Nachbarn ab. Frau Becker, Sie bleiben bei mir«, beendete Lausen seine kurze Ansprache.

Schwanitz und Bernstein verließen den Raum, zeitgleich tauchte der Rechtsmediziner Doktor Heinrich Peters auf.

»Moin, Herr Lausen. Wie geht’s?«

»Moin, Doktor Peters. Wie soll’s schon gehen, wenn die Woche gleich mit einem brutalen Mord beginnt?«

»Brutal ist das richtige Stichwort. Die Frage, ob Fremdverschulden vorliegt, ist hier eindeutig mit ja zu beantworten. So etwas habe ich lange nicht mehr gesehen.«

»Was haben Sie lange nicht mehr gesehen?«

Peters strich sich mit der Hand über seinen kahlen Kopf. »Folgen Sie mir. Ich zeige es Ihnen.«

Lausen und Becker zogen die übliche weiße Schutzkleidung an, um den Tatort nicht zu kontaminieren, dann führte Peters sie in die Bibliothek, deren Einrichtungsstil zum Wohnzimmer passte. Friedemann hatte die altbautypische Deckenhöhe von mindestens drei Metern genutzt, um riesige Bücherregale an den Wänden aufzustellen. Auch hier dominierten dunkles Holz, dicke Orientteppiche und antike Möbel. Helle Farben suchte der Betrachter vergebens, einzig die Morgensonne brachte ein wenig Freundlichkeit in den Raum.

Der Leichnam lag auf dem Boden zwischen einem Ohrensessel und einem niedrigen Mahagonitisch. Um ihn herum waren kleine dunkle Flecken auf dem Teppich zu erkennen, eingetrocknetes Blut. Der alte Mann war halbnackt, der Morgenmantel geöffnet, das Oberteil des Schlafanzugs aufgerissen. Der entblößte Oberkörper zeigte zahlreiche Hämatome und Schnittverletzungen. Die Schlafanzughose war bis zu den Kniekehlen heruntergezogen, die Hoden und das Glied mit einem Kupferdraht eng verschnürt und dunkelblau verfärbt. Das Gesicht war kaum noch zu erkennen. Aufgeplatzte Lippen, halb versunken in dem geöffneten, zahnlosen Mund, eine völlig verformte Nase und zugeschwollene Augen – Lausen verstand nun, warum Schwanitz keine sichere Identifizierung vermelden konnte. Eine unglaubliche Welle der Gewalt musste über den alten Mann hinweggerollt sein.

»Mein Gott, wie viel Hass muss vorhanden sein, um so etwas auszulösen?«

Die Frage kam von Kommissarin Becker, die mit starrem Blick neben Lausen stand. In dem Hauptkommissar erwachte der Beschützerinstinkt.

»Frau Becker, Sie sollten vielleicht …«

»Nein, nein«, wehrte sie ab. »Ich bin Polizistin, ich muss da durch.«

Es folgte ein unangenehmes Schweigen.

Doktor Peters löste die Situation. »Ich denke nicht, dass Hass hier die treibende Kraft war. Das wird mit Sicherheit eine zeitaufwändige Obduktion. Die Verletzungsspuren sind unglaublich zahlreich. Aber einige Informationen kann ich schon geben«, versuchte der Rechtsmediziner, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

»Dann mal los.« Lausen kam es gelegen, sich den Fakten widmen zu können.

»Die Art der Verletzungen lässt auf systematisch durchgeführte Misshandlungen schließen. Mit anderen Worten: Der alte Mann wurde gefoltert.«

Ein Kollege der Spurensicherung, der an einem Aktenschrank stand, mischte sich ein. »Ich glaube, Doktor Peters hat recht. Wahrscheinlich wollte man dem Alten die Kombination für den Safe entlocken, der hier offen steht und leer ist. An der Wohnungstür gibt es übrigens keine Einbruchsspuren. Wie es aussieht, hat er den oder die Täter selbst reingelassen.«

Peters fuhr fort. »Auf jeden Fall musste das Opfer lange leiden, bevor es zum Finale kam. Bei einem der zahlreichen Schläge ins Gesicht ist wohl das Gebiss rausgeflogen. Es liegt da hinten am Rande des Teppichs. Die weiteren unschönen Details können Sie morgen in meinem Bericht lesen. Am Ende wurde der Mann mit einer Drahtschlinge, vielleicht einer Garotte, erdrosselt.«

Peters trat an den Leichnam heran und deutete mit dem Zeigefinger auf den Hals. »Sehen Sie hier, die Furche. Sie verläuft rund um den Hals. Das war kein normales Seil, es hat sich in die Haut geschnitten, muss ein Draht oder etwas ähnlich Dünnes und Reißfestes gewesen sein.«

»Und wann ist der Mann letztendlich gestorben?«, fragte Becker.

»Gestern Abend zwischen zweiundzwanzig und null Uhr, genauer kann ich es noch nicht sagen.«

Lausen bedankte sich bei Peters. Er schwitzte. In der Bibliothek war es stickig. Ein heißer Tag kündigte sich an und die Schutzkleidung tat ein Übriges. Oder lag es daran, dass er in die Wechseljahre kam? Hormonumstellung, das passierte auch Männern jenseits der Vierzig.

Lausen und Becker entledigten sich der weißen Overalls und gingen den Flur entlang zur Küche, um Frau Tornow, die Haushälterin, zu befragen.

»Machen Sie das mal«, raunte Lausen Becker zu, während sie die Küche betraten.

Der Notarzt verabschiedete sich mit einem knappen Kopfnicken. Er hatte der Haushälterin ein Beruhigungsmittel gegeben. Sie war vernehmungsfähig. Frau Tornow saß an einem kleinen, weiß lackierten Küchentisch. Ihre grauen Haare umrahmten ein Gesicht mit vielen Falten und müden Augen. Sie trug eine geblümte Bluse und darüber eine Schürze. Mit einem Papiertaschentuch wischte sie sich die geröteten Augen trocken.

»Er war so ein feiner Mann«, sagte sie mit heiserer Stimme, ohne die Kommissare anzusehen. »Wer, um Gottes Willen, tut so etwas?«

»Das wissen wir leider nicht – noch nicht«, antwortete Becker.

»Wissen Sie, ich arbeite seit neun Jahren für Herrn Friedemann, dreimal die Woche, immer vormittags. Von ihm hörte man nie ein böses Wort. Herr Friedemann hat sich immer korrekt verhalten. Ein kultivierter Mann mit Charakter, so was gibt’s doch heute kaum noch. Warum schlägt jemand diesen Mann tot?«

Kommissarin Becker wollte eine Frage stellen, doch Frau Tornow redete weiter, die Augen auf den Boden gerichtet.

»Wissen Sie, ich bin jetzt neunundsechzig Jahre alt. Meine Rente ist mickrig. Der Friedemann hat keinen Druck gemacht. Ich hätte das hier noch Jahre machen können, trotz meines Alters. Wie soll ich denn jetzt klarkommen, ohne das Geld von ihm? Mich nimmt doch keiner mehr.«

»Frau Tornow, ich müsste Ihnen ein paar Fragen stellen.«

»Nur zu, junge Frau, wenn ich helfen kann.«

»Was können Sie mir über Herrn Friedemann erzählen, außer dass er ein feiner Mann war?«

»Naja, viel weiß ich nicht über ihn. Er muss vermögend sein, denn immerhin gehört ihm das Haus.«

»Ihm gehörte das ganze Haus?«

»Ja. Zumindest hat er das mal erzählt.«

»Dann war er vermögend«, meldete sich Lausen aus dem Hintergrund. Ilse Tornow sprach weiter. »Er ist gebildet. Er liest viel, aber das kann man sich ja denken, wenn man die Bibliothek sieht. Und er hört gern Musik, das klassische Zeugs, Mozart und so. Ich mag ja mehr den Howard Carpendale und solche Sachen. Oder von früher den Freddy Quinn, hach, das waren schöne Lieder.«

»Wie sieht es mit Angehörigen aus? Wissen Sie darüber etwas?«

Frau Tornow schüttelte den Kopf. »Soweit ich weiß, hat der Herr Friedemann keine Verwandten mehr. Ich habe nie welche gesehen. Und erzählt hat er auch nie was. Naja, sehr gesprächig ist … ich meine, war er nicht.«

Vera Becker hatte sich inzwischen an den Tisch gesetzt und streichelte beruhigend die Hand von Frau Tornow.

»Können Sie mir sagen, ob er Besuch bekam, vielleicht regelmäßig?«, fragte sie.

»Besuch? Nein, dazu kann ich nichts sagen, ich war ja immer nur vormittags da und da kam höchstens der Postbote mal an die Tür, oder der Pflegedienst. Aber …«

Frau Tornow machte eine bedeutungsschwangere Pause. Becker nickte ihr aufmunternd zu und die Haushälterin beugte sich zu ihr herüber.

»Manchmal, wenn ich morgens kam«, flüsterte sie, »fand ich in der Küche mehrere Weingläser und die kleinen für Schnaps. Da habe ich mich schon gewundert, denn der Friedemann benutzte ja nicht mehrere Gläser an einem Abend. Gesagt hat er aber nichts und ich mochte ihn nicht fragen. Ging mich im Grunde auch nichts an.«

»War Herr Friedemann in letzter Zeit anders als sonst, vielleicht nervös oder besorgt? Hatte er womöglich Angst vor jemandem?«

Tornow schüttelte energisch den Kopf. »Nein, da war nichts, alles ganz normal.«

»Danke, Frau Tornow.« Becker drückte die raue, alte Hand. »Sie haben uns sehr geholfen.«

In den Augen der alten Frau blitzte etwas auf. »Sie kriegen den Kerl, stimmt’s? Und dann geben Sie’s ihm ordentlich, mir zuliebe.«

Es dauerte eine Weile, bis die Tür im ersten Stock geöffnet wurde. Der Mann, der nun vor Oberkommissar Schwanitz stand, trug nichts außer karierten Boxershorts. Seine kurzen blonden Haare machten einen zerwühlten Eindruck und die leicht geröteten Augen blinzelten in das Tageslicht. Schwanitz zeigte seinen Dienstausweis.

»Guten Morgen. Oberkommissar Schwanitz, Kripo Hamburg. Sind Sie …«, Schwanitz schaute auf das Namensschild neben der Tür, »… Herr Lowrider?« Der junge Mann gähnte. »Mann, das ist Englisch. Loreider spricht man das. Ist sozusagen mein Künstlername. Aber das Wortspiel funktioniert natürlich nur mit dem vollen Namen: Dijay Loreider.«

Schwanitz guckte verständnislos. »Welches Wortspiel?«

Der Halbnackte machte eine genervte Geste. »Na gut, einmal zum Mitschreiben für Beamte: DJ steht für Discjockey, meine Berufsbezeichnung. Und ich bin momentan der Angesagteste meiner Branche in dieser Stadt. Der Witz ist aber: Wenn man das Jay von DJ und dazu das Lo von Lowrider nimmt, erhält man … na, was?«

»Keine Ahnung, und es ist …«

»Mann, Alter, JayLo! Jennifer Lopez, you know? Ich bin der JayLo-Rider, hehe. Kapiert?«

Der übernächtigte Discjockey machte eine Kopulationsgeste und grinste selbstgefällig. Schwanitz hätte ihm gerne Manieren beigebracht, aber es gab Wichtigeres.

»Schluss mit lustig! Wie lautet Ihr richtiger Name?«

»Ich habe keine Drogen im Haus, ich schwöre!«

»Bitte!«

»Okay, in meinem Personalausweis steht Detlef Ringelbauer.«

»Na fein, Herr Ringelbauer, dann können wir ja endlich zur Sache kommen. Letzte Nacht wurde Ihr Nachbar, Herr Friedemann, ermordet.«

»Der Friedemann ist tot? Das ist ja voll krass!«

»Ist Ihnen etwas Ungewöhnliches aufgefallen, fremde Leute im Haus, laute Geräusche?«

»Ey, Mann, das ist hier nicht versteckte Kamera, oder so, näh? Der wurde ermordet, so ganz in echt?«

Schwanitz war kurz davor, diesem Idioten Handschellen anzulegen und ihn wegen Behinderung der Ermittlungen vorläufig festzunehmen.

»Ja, so ganz in echt und in Farbe! Hätten Sie die Güte, meine Frage zu beantworten?«

Der Discjockey Detlef rieb sich die Augen. »Sorry, dazu kann ich nichts sagen. Ich arbeite nachts, das bringt der Beruf so mit sich. Ich bin erst gegen vier Uhr nach Hause gekommen, da war hier im Haus alles ruhig. Übrigens, der Friedemann ist nicht bloß ein Nachbar, der ist mein Vermieter. Fairer Typ, kann man nicht anders sagen. Die Miete hat der seit drei Jahren nicht erhöht.«

Schwanitz gab auf. Er ließ sich die Adresse des Clubs geben, in dem der DJ letzte Nacht gearbeitet hatte, dann verabschiedete er sich und klingelte an der nächsten Tür. Harvestehude war auch nicht mehr das, was es mal war.

Thomas Bernstein stand vor der Wohnungstür gegenüber von Friedemann. Er hatte gerade den Finger vom Klingelknopf genommen, da wurde die Tür schon geöffnet. Eine alte Frau mit zahlreichen Falten um Augen und Mund schaute ihn erwartungsvoll an. Bernstein stellte sich vor und wurde sofort herein gebeten. Frau von Langenau führte den Oberkommissar mit bedächtigen Schritten in das Wohnzimmer und ließ ihn in einem voluminösen Polstersessel Platz nehmen. Sie selbst setzte sich auf die Vorderkante eines zweiten Sessels.

»Da ist was Schlimmes passiert, da drüben bei Friedemann, nicht wahr?«, fragte sie mit neugierig vorgerecktem Kinn.

Bernstein nickte. »Ihr Nachbar, Herr Friedemann, wurde letzte Nacht ermordet. Frau von Langenau, vielleicht können Sie uns bei der Aufklärung des Verbrechens helfen. Sie wohnen ja direkt gegenüber. Da kriegt man sicher einiges mit.«

»Der Friedemann ist tot? Das ist ja furchtbar. Man ist wirklich nirgendwo mehr seines Lebens sicher.«

»Ja, Gewaltverbrechen finden auch in den besten Kreisen statt. Aber nun machen Sie sich bitte keine übertriebenen Sorgen. Ist Ihnen in der vergangenen Nacht etwas aufgefallen?«

»Ach, junger Mann, ich werde in drei Wochen neunzig Jahre alt. Da wollen die Augen und Ohren nicht mehr so wie früher.«

»Sie haben nicht zufällig einen Blick durch Ihren Türspion geworfen und jemanden im Treppenhaus gesehen, der nicht hier wohnt?« Bernstein lächelte sie an. »Sie waren sehr schnell an der Tür, als ich klingelte.«

Frau von Langenau zupfte verlegen ihre Strickjacke glatt. »Also, wenn ich mein Hörgerät drin habe, so wie jetzt, dann geht es ganz gut. Aber das trage ich nachts im Bett nicht. Da könnte man mir die Wohnung ausräumen und ich würde es verschlafen.«

»Wann sind Sie denn gestern ins Bett gegangen?«

»Das war … etwa viertel nach zehn … Moment, da war doch was. Kurz vor den Heute-Nachrichten im Fernsehen, also so gegen sieben Uhr. Ich stand auf dem Flur und hörte draußen die Stimme von Herrn Friedemann. Er klang verärgert, deshalb habe ich mal kurz geguckt, was da los war. Friedemann sprach mit einem Mann und auf einmal war er nicht mehr verärgert und ließ den Mann in seine Wohnung.«

»Können Sie den Besucher beschreiben?«

Frau von Langenau strich sich nachdenklich eine Strähne ihrer grauen Haare hinter das Ohr. »Ich weiß nicht, ich habe ihn nur von hinten gesehen. Der sah ganz normal aus.«

Bernstein stand auf. Er musste der alten Dame beim Erinnern behilflich sein. »War er so groß wie ich oder kleiner?«

Der Vergleich half. »Nein, viel kleiner als Sie, aber größer als ich.«

Bernstein zeigte mit der flachen Hand die Höhe seiner Schulter an.

»Ungefähr so groß?«

»Ja, das kommt hin.«

Das ergab eine Körpergröße von einssiebzig bis einsfünfundsiebzig.

»Und die Haarfarbe?«

Frau von Langenau grinste schelmisch. »So ein Boris-Becker-Rot wie Sie es haben, war es nicht. Hellbraun oder dunkelblond würde ich sagen, so eine Straßenköterfarbe.«

»Na sehen Sie, es läuft doch. Erinnern Sie sich an die Kleidung?«

»Er trug eine helle Hose. Ach ja, und ein Sakko in so einem hässlichen Grünton. Mehr fällt mir nicht ein.«

»Frau von Langenau, ich danke Ihnen, das war weit mehr, als die meisten Zeugen zusammenbringen. Und was können Sie mir über Herrn Friedemann sagen?«

Die alte Frau schaute betroffen. »Nicht viel, ehrlich gesagt. Und das, obwohl ich seit zweiundfünfzig Jahren hier wohne. Herr Friedemann hat das Haus Anfang der neunziger Jahre gekauft. Er kam damals aus dem Ausland zurück nach Deutschland. Er hat viel Geld in die Hand genommen und alles renovieren lassen. Trotzdem blieben die Mieten erschwinglich. Ich kann nichts Schlechtes über ihn sagen. Allerdings lebte er sehr zurückgezogen und beschränkte den Kontakt zu den Mietern auf das Nötigste.«

»Bekam er ab und zu Besuch?«

»Kaum. Seine Haushälterin, dann seit ein paar Monaten der Pflegedienst des DRK und einmal im Monat hatte er so eine Art Herrenrunde bei sich. Das waren drei oder vier Männer, alle im gesetzten Alter, gepflegte Erscheinungen. Die habe ich aber seit Wochen nicht mehr gesehen.« Sie seufzte. »Ich hoffe nur, der Herr Friedemann hat nicht allzu sehr gelitten.«

Bernstein zog es vor zu schweigen.

»Es gibt nur eine Sache, die ich dem guten Mann übel nehme«, fügte die fast Neunzigjährige hinzu. »Er hätte diesem hirnamputierten Schnösel da oben im ersten Stock nicht die Wohnung überlassen sollen, nachdem Frau Diestel gestorben war. Der Schnösel ist ihr Neffe und er passt überhaupt nicht in unsere Hausgemeinschaft. Ich frage mich, was nun mit dem Haus geschieht. Gibt es Erben?«

»Darüber weiß ich leider nichts«, sagte Bernstein.

»Wenn ich hier raus muss, ist das mein Ende. Ich lasse mich nicht mehr verpflanzen!«

Der Kommissar legte der alten Frau beruhigend die Hand auf den Unterarm. »So leicht kann man Sie nicht rausschmeißen, Frau von Langenau. Nun muss ich aber weiter. Vielen Dank noch, Sie haben uns sehr geholfen.«

Sie gingen gemeinsam zur Tür. Frau von Langenau zupfte an Bernsteins Ärmel. »Ich weiß nicht, ob es von Bedeutung ist. Als ich gestern ins Bett gehen wollte, so gegen viertel nach zehn, wie ich schon sagte, da hat der Friedemann seine klassische Musik ziemlich laut aufgedreht, irgendwas von Bach oder Mozart. Das hat er öfters getan, aber eigentlich nie so spät am Abend.«

Lausen und Becker unterstützten die beiden Oberkommissare bei den Befragungen der Nachbarn, doch es ergaben sich keine wesentlichen neuen Erkenntnisse. Der Hauptkommissar beschloss, im Büro weiterzuarbeiten. Als das Team vor die Haustür trat, wartete schon ein halbes Dutzend Reporter auf Neuigkeiten. Lausen verwies auf die Pressestelle der Polizei und bahnte sich den Weg zum Auto.

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