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Silberfracht in Zwielicht-Nacht

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Die drei Finsterling-Jäger zischten über der Kraterlandschaft dahin und passierten die Grenze zwischen Licht und Schatten. Hatte das Geschwader zuvor noch die Silberwälder und funkelnden Flusstäler der Mondvorderseite überflogen, erreichte es nun eine Wand aus Ruß, welche den Himmel verdüsterte. Die drei Schiffe schossen durch den Schleier hindurch und wurden vom Halbdunkel verschluckt, das sich neuerdings von der Rückseite bis hierher in den Norden der Vorderseite ausdehnte.

Magische Stürme beherrschten das Wetter, die das Dornengras auf den Boden peitschten und die Rochenform der Finsterling-Jäger zerfasern ließen. Dadurch verschmolzen sie beinah mit dem Dunst der Umgebung und ähnelten umso stärker Mantas, die in der Tiefsee auf Beutejagd dahinglitten. Nur ihre Cockpits wirkten wie Dämonenfratzen und schienen sich den Stürmen entgegen zu stemmen.

Das Kommandoschiff besaß zwei jener Dämonen-Cockpits am Bug. Doch am deutlichsten unterschied es sich von den kleinen Begleitschiffen durch seinen Frachtraum, der bis unter die Decke mit Arkanos gefüllt war. Dieses stammte von der Ebene des Mare Nubium, wo die Finsterlinge im Auftrag ihrer Gebieterin eine Serie von Raubzügen in den vergangenen Tagen unternommen hatten. Raubzüge, die sich trotz der Entfernung zum Schattenreich gelohnt hatten, da das Lichtsilber des Mare Nubium eine hohe Reinheit und Qualität aufwies.

Nachdem das Dreiergeschwader ein kurzes Stück durch das Zwielicht gebraust war, gelangte es in ein Gebiet, in dem sich die Dunstschleier verdichteten und am Boden ein Straßennetz sowie Gebäude auftauchten. Zackig und rau waren diese Gebäude, als ob jemand Lavaschlacke in Formen gegossen hatte. Wie stachelbewehrte Urzeitmonster kauerten sie sich an den Felsboden, schnauften mittels der Schornsteine auf ihren Rücken und waren durch ein Gewirr von Rohrleitungen verbunden. Der dreckige Qualm, den sie ausstießen, offenbarte jedoch ihre wahre Natur: Es handelte sich um Fabrikhallen, und zwar hunderte von ihnen, die einen Ring bildeten. Einen weit ausgedehnten Ring, in dessen Mitte ein gigantischer Krater lag, mit einem Durchmesser von hundert Kilometern.

Das Kommandoschiff und seine Begleitjäger schwirrten über die Fabrikhallen und Straßen hinweg und steuerten den Kraterrand an, der einem Berghang glich. Auf jenem Rand erhoben sich Türme aus Schwarzgestein, von deren Außenwänden zahlreiche Landeplattformen abstanden und wo ein reger Flugverkehr herrschte. Während die beiden kleinen Jäger abdrehten und davonrauschten, drosselte das Kommandoschiff sein Tempo und sank auf einen der Türme nieder.

Begleitet von einem Zischen setzte es auf der Plattform auf. Staub wirbelte von dem spiegelglatten Boden hoch. Die Konturen des Schiffs verfestigten sich, so dass es nicht mehr wie ein Nebelfetzen, sondern wie ein Raumschiff aussah, dessen Triebwerke nun aufhörten zu glühen. Kurz darauf summte die Luke seines Laderaums und öffnete sich.

Im selben Moment, in dem die Luke herunter klappte, strömte eine Heerschar von Finsterling-Helfern aus dem Turm hervor. Wie Insekten schwärmten sie zur Öffnung des Schiffsbauchs hin, um die Lichtsilber-Fracht in Empfang zu nehmen. Obwohl sie hektisch durcheinander wuselten, war ihr Treiben von Eleganz geprägt, da ihre tiefschwarzen Körper Wattebäuschen ähnelten, die man unter Wasser hin und her bewegte. Somit erschienen sie recht fransig und besaßen zwar Arme und Beine, statt Gesichtern aber düstere Flecken mit einer Öffnung darin. Die Schattenwesen schnatterten geschäftig, was wie eine Mischung aus Vogelkrächzen und dem Knistern von Heuschrecken klang. Zudem verloren sie bei ihren gleitenden Bewegungen Teertropfen, die sich im Wind auflösten und als Rußwölkchen forttrieben.

Aus dem Frachtraum des Kommandoschiffs quollen die Lichtsilber-Klumpen wie große Kandiszuckerstücke. Allerdings Klumpen, welche von Schattenschleim-Fäden umwickelt waren und ausschauten, als ob sie jemand in schwarze Wolle eingeschnürt hatte. Teilweise strahlte das silbrig-blaue Arkanos zwischen den Fäden hindurch und zauberte einen wahren Glitzerregen auf die Landeplattform. Natürlich mussten sich die Finsterlinge vor jenen Lichtstellen in Acht nehmen. Aufgeregt huschten sie um die heraus purzelnden Klumpen herum, verklebten die kritischen Stellen mit dem Schleim, den sie aus ihren Mündern würgten und luden die Fracht auf Rollwagen.

Bei dieser Tätigkeit übersah einer der Finsterlinge eine noch nicht verklebte Stelle und berührte das Silber des Klumpens. Sofort durchzuckte ihn die Energie wie ein Stromschlag, erfüllte ihn bis in die letzte Schattenfaser mit Licht und blähte ihn zu einem Ballon auf. Schließlich stieß er einen Schrei aus und zerplatzte in einem Funkenschauer. Nur ein kohlegroßer Kern blieb übrig, der ein paar Meter über den Steinboden kullerte und zu Asche verpuffte.

Die anderen Finsterlinge waren auf Abstand zu ihrem Kameraden gegangen, setzten aber nach dessen Zerplatzen das Verladen fort, ohne eine Gefühlserregung zu zeigen. Sie schoben Wagen für Wagen des eingesponnenen Lichtsilbers zu einem Fahrstuhl in der Turmwand hinüber, der es nach unten transportierte.

Unterdessen öffneten sich die beiden Dämonenfratzen-Cockpits des Kommandoschiffs. Wie auf ein geheimes Zeichen sprangen zwei Finsterlinge aus den Pilotensesseln und landeten gleichzeitig auf der Plattform. Im Gegensatz zu den niederen Schattenwesen besaßen sie kräftigere Gliedmaßen, Dornen auf ihren Schultern und wilde Stachelfrisuren. In den ebenfalls dunklen Flecken ihrer Gesichter glomm ein roter Punkt wie ein Stück Glut. Völlig synchron, als wäre der eine die Kopie des anderen, liefen sie im Gleichschritt nebeneinander her, auf den Ausgang des Turms zu. Augenblicke später hatten sich die beiden beim Laufen so weit genähert, dass sie nur noch Zentimeter voneinander trennten. Sie kamen sich immer näher, und als ob sich zwei Spiegelbilder verbanden, saugten sie sich gegenseitig auf: Begleitet von einem dumpfen Knirschen verschmolzen sie zu einem einzelnen, großen Schattenwesen.

Der neu entstandene Finsterling wirkte noch bedrohlicher als seine Artgenossen. Er hatte scharfe Klauen, Stacheln am ganzen Körper und der rote Punkt in seinem Schattengesicht glühte umso heller. Als einziger Vertreter seiner Art verlor er keine Teertropfen, doch sein Hauptmerkmal war sein gebückter Gang, der an ein Raubtier erinnerte. Zielstrebig huschte er auf die Ausgangstür zu, wo er bereits erwartet wurde.

Ein vornehmer Finsterling, der wegen seines nebelhaften Fracks wie ein Pinguin aussah, wartete neben der Tür. Bei ihm handelte es sich um einen sogenannten Kurschatten, der die Tätigkeit eines Nachrichtenübermittlers ausübte und seine Auftragsperson so lange verfolgte, bis er die Botschaft überbracht hatte. Er blickte dem Ankömmling entgegen und hob den Arm zum Gruß. »Ewige Nacht, Nocturus!«, raunte der Kurschatten, wobei seine Stimme wie ein Krächzen und Knistern aus dem Loch seines Gesichts tönte.

Nocturus stoppte vor dem Kurschatten und streckte seinen Stachelkörper, der nach der Verschmelzung beider Hälften wie immer kribbelte. »Ewige Nacht«, grüßte er mit einem tiefen Knistern zurück und raunte: »Du hast eine Nachricht unserer Herrin für mich, Bote?«

Der Kurschatten nickte. »In der Tat. Doch bevor ich sie übermittle, lässt die Gebieterin fragen, wie der Raub des Lichtsilbers im Mare Nubium verläuft.«

Nocturus wies hinter sich auf sein Kommandoschiff. »Schau dir unsere Ausbeute an, Frackträger! Noch nie haben wir eine solche Menge Lichtsilber dieser Qualität geerntet. Anfangs hatten wir zwar Schwierigkeiten, das Arkanos von der Oberfläche der Ebene zu lösen, weil seine magische Kraft immens ist. Viele unserer Dienerlinge verbrannten dabei zu Asche. Doch seit der neue Sternstaub-Sauger zum Einsatz kommt, der das Lichtsilber mithilfe seines Schwarzloch-Gebläses in den Laderaum saugt, sind unsere Beutezüge von Erfolg gekrönt. Nicht einmal die schwächlichen Lunari können das verhindern, da uns ihre Garde zahlenmäßig unterlegen ist und sie aus Angst vor uns erzittern!«

Der Kurschatten rieb sich die nebelhaften Hände und wollte ein Lob aussprechen.

Aber Nocturus ergänzte: »Nur ein unbedeutender Vorfall störte heute unseren Raub. Ein Lunari-Schiff kam uns am Rand des Mare Nubium in die Quere und schoss einen unserer Jäger mit seinem Phrasendrescher ab. Während der anschließenden Verfolgungsjagd brachten wir es jedoch mit unseren Leser-Strahlen zur Strecke … seine Trümmer dürften noch immer qualmen.«

Mit einem bedrohlichen Unterton in der Stimme krächzte der Kurschatten: »Von solcherlei Misserfolgen erfährt unsere Gebieterin höchst ungern! Sie wird dir einen Teil deiner Schattenkraft nehmen, wenn ich ihr davon berichte. Also vermeide in Zukunft derartige Fehler, verstanden?!«

Nocturus stieß ein Schnauben aus. Er verabscheute Bürokraten wie den Kurschatten. Weichlinge, die den ganzen Tag Papierkram wälzten, sich nie die Hände schmutzig machten und dafür jeden Monat einen Erholungsurlaub im Wellness-Club spendiert bekamen. Sie hatten keine Ahnung davon, was es bedeutete, im Licht der Mondvorderseite Silber zu rauben oder Gelehrte von anderen Welten zu entführen. Deshalb beugte sich Nocturus vor, ließ sein rotes Auge aufblitzen und flüsterte: »Hüte deine Zunge, Frackträger! Wie die Gebieterin über meine Leistungen urteilt, ist allein ihre Sache. Solltest du ihre Entscheidungen beeinflussen, entreiße ich dir deinen Schattenkern und verbrenne ihn im Licht der Vorderseite! Und jetzt zeig mir die Nachricht unserer Herrin!«

Hätte der Kurschatten einen Hals gehabt, er hätte in diesem Moment geschluckt. Stattdessen zuckte er vor Furcht zurück, krächzte eine Entschuldigung und begann, die Botschaft abzuspielen, wegen der er hergeschickt worden war. Der tiefschwarze Fleck, der sein Gesicht darstellte, hellte sich auf, und die Nebelschleier darin nahmen die Züge einer Frau an. Harte und kalte Züge waren es, wie aus Stein gemeißelt, die zugleich Schönheit und Unbarmherzigkeit widerspiegelten. Nach wenigen Sekunden hatte sich das Frauengesicht vervollständigt und wirkte im Kopf des Kurschattens so plastisch und echt, als hätte es schon immer dort hingehört. Die Frau verengte ihre stechenden Katzenaugen zu Schlitzen und öffnete die Lippen, die türkis glänzten.

»Nocturus …!«, dröhnte sie, und ihre durchdringende Stimme ließ keinen Widerspruch zu. »Unsere Experimente mit dem umgewandelten Lichtsilber am Chronos-Krater haben Aufmerksamkeit erregt. Mir ist zu Ohren gekommen, dass ein Erfinder namens Bernardo Maschinski nach den Ursachen der Mondbeben forscht, die in einigen Gebieten auftreten. Er hat ein Messgerät konstruiert, mit dem er die Beben zurück zur ihrer Quelle verfolgen könnte … und das würde ihn auf unsere Spur bringen. Sollte er den Lunari davon berichten, würden sie gewiss bei dir am Krater auftauchen und unsere Pläne empfindlich stören.«

Der Kurschatten machte einen Schritt nach vorn, wodurch das Frauengesicht Nocturus direkt anstarrte. Die Luft zwischen ihnen schien wie elektrisiert.

»Du wirst umgehend nach Kosmopolis fliegen«, befahl die Frau, »und dort in die Werkstatt des Erfinders eindringen. Vernichte den Mondbeben-Detektor und, wenn möglich, nimm Maschinski gefangen. Er ist zwar kein Magiker, aber eine Art Wissenschaftler, weshalb seine Fähigkeiten wertvoll für uns sind. Falls er in Begleitung von Freunden ist oder du entdeckt wirst, nutze deine Gestaltwandler-Fähigkeiten und ahme sein Aussehen nach. Vielleicht gelingt es dir sogar, auf diese Weise Informationen auszuspionieren, die uns weiterhelfen.« Die Frau ließ ihre Worte wirken und schloss: »Ich verlasse mich auf dich, Nocturus. Bist du weiterhin erfolgreich, gewähre ich dir die Herrschaft über einen Planeten deiner Wahl, sobald ich meine Macht wiedererlangt habe!«

Nocturus spürte förmlich die Göttlichkeit seiner Gebieterin. Als ihr Gesicht im Kopf des Kurschattens verblasste, verbeugte er sich, obwohl ihre Nachricht nur eine Aufzeichnung war. Weil er aber wusste, dass der Kurschatten seine Antwort an sie zurücksenden würde, raunte er: »So soll es geschehen, Herrin aller Schattenwesen. Ewige Nacht mit dir … Okktonia!«

Mit einer schnellen Drehung wandte sich Nocturus von dem Kurschatten ab und huschte in Richtung der Landeplattform, von der er gerade gekommen war. Er würde nach der Erledigung dieses Entführungsauftrags hierher zurückkehren, denn seine eigentliche Aufgabe bestand darin, das Lichtsilber zu beschaffen und dessen Umwandlung in den Fabriken rund um den Krater zu überwachen.

Während er auf einen kleinen Jäger am Ende der Plattform zu glitt, ließ er seinen Blick über die gewaltige Senke zu seiner Rechten schweifen. Wie ein kreisrundes Tal lag der Chronos-Krater in der Landschaft und erstreckte sich bis zum Horizont. Seine andere Seite war hundert Kilometer entfernt. Trotz der Dunstschwaden und des trüben Dämmerlichts, das die Gegend beherrschte, erfasste Nocturus’ rotes Auge jede Einzelheit in den Tiefen des Kraters. Furchen verliefen dort am Grund, die hinab bis zu seiner Mitte reichten und in denen sich Rohre und Leitungen wie Adern durch den Fels schlängelten. Jenes Rohrsystem war vor wenigen Monaten von den Dienern seiner Gebieterin angelegt worden und führte auf das Zentrum des Kraters zu, wo sich ein palastartiges Säulengebäude erhob. Um dieses Gebäude drehten sich die Bemühungen Okktonias. Und dorthin floss das umgewandelte Lichtsilber – zum Uhrwerk der Sterne.

***

Zur selben Zeit hatten die Finsterling-Helfer das gesamte Arkanos aus dem Kommandoschiff ausgeladen. Fein säuberlich waren die Klumpen von ihnen verklebt, in die Rollwagen gehievt und zum Fahrstuhl transportiert worden. Im Schacht des schwarzen Turms rauschte soeben der letzte Aufzug mit der kostbaren Silberfracht hinab und schoss unten aus einer Öffnung im Gestein heraus. Entlang der Außenseite des Kraterwalls, der sich wie ein mittelhohes Gebirge über der Mondlandschaft erhob, sauste der Aufzug an seiner Führungsschiene bis ganz nach unten, wo er am Fuß des Chronos-Kraters bei den unzähligen Fabrikhallen stoppte. Polternd und quietschend kam der Fahrstuhl zum Stehen und öffnete sein Gittertor.

Ähnlich wie oben auf der Landeplattform wimmelten auch hier die Finsterlinge herbei und zogen die Rollwagen mit den Lichtsilber-Klumpen aus dem Aufzug. Unter krächzendem Schnattern schoben sie die Fracht auf eines der Fabrikgebäude zu, das wegen des Qualms, der aus seinem Schornstein flockte, kaum zu erkennen war. Nachdem die Rollwagen das Tor passiert hatten, erreichten sie ein Schienensystem, auf dem sie automatisch davonrumpelten und in die Abteilungen der Fabrik gelangten.

Einer der Wagen ratterte zu einer Sektion, die im hintersten Winkel der Halle lag. Nur vom trüben Licht einiger Schattenspender-Funzeln erhellt, reihten sich hier dutzende Maschinen aneinander, vibrierten und produzierten einen Höllenlärm. Der Rollwagen hielt hinter den Maschinen an und kippte das Arkanos auf ein Fließband, das es durch die Luke einer Gefängniszelle beförderte. In der Zelle blieben die Silberklumpen schließlich liegen – neben zwei Gestalten, die in schmutzige Kleidung gehüllt waren.

»Schon wieder ’ne neue Ladung!«, stöhnte die eine Gestalt, ein dürrer Bursche mit braunem Haar, das ihm zur Hälfte vor sein längliches Gesicht hing. Deshalb, und wegen seines Gebisses, besaß er große Ähnlichkeit mit einem Pferd. Er schlurfte zu dem ersten Arkanosstück hin, um es vom Fließband zu wuchten. »Jetzt … hilf mir doch mal!«, ächzte er zu der zweiten Gestalt hinüber. »Wenn der Aufseher sieht, dass wir trödeln, gibt’s wieder Stress!«

Die andere Gestalt, eine Bärin von einer Frau, deren muskelbepackte Arme von Tätowierungen übersät waren, beachtete ihren Kameraden kaum. Sie interessierte sich viel mehr für eine dritte Person, die sich am Boden auf einem Strohhaufen wälzte. Jene Person war von kleinem Wuchs, trug einen langen grauen Bart, weiße Haare und stöhnte vor sich hin.

»Ich glaube«, brummte die Frau und deutete auf den Alten zu ihren Füßen, »unser Neuzugang hat sich bei der vorherigen Ladung verausgabt. Der kommt bestimmt erst morgen wieder auf die Beine … wenn überhaupt!«

Der Dürre mit dem Pferdegesicht ließ den Klumpen zurück aufs Fließband plumpsen, stürzte zu dem Strohhaufen hin und begann hektisch, die Schultern des Alten zu rütteln. »Komm schon, Opa!«, keuchte er. »Jetzt reiß dich mal zusammen und steuere deine Magie bei, damit wir das Lichtsilber umgewandelt kriegen, bevor der Aufseher antanzt. Sollte der uns nämlich beim Däumchen drehen erwischen, kriegen wir kein Abendessen!«

Die tätowierte Muskelfrau winkte ab. »Lass den doch, Archie. Wenn der Alte nicht durchhält, müssen sie uns eben einen neuen Magiker schicken.«

Archie sprang auf und blinzelte seine Zellengenossin panisch an. »Kapierst du nicht, Pythia?! Fähige Magiker sind scheinbar Mangelware, und falls der Opa schlapp macht, kriegen wir so ’ne Niete wie davor. Dann schaffen wir unser Pensum nicht und dieser Oberfiesling Nocturus lässt uns zur Strafe wieder in der Arena beim Schattenboxen antreten!«

Pythia grinste finster. »Würde mir sogar Spaß machen!« Sie ballte ihre hammergroßen Fäuste, brüllte auf und schüttelte ihren roten Lockenkopf. »Ich könnte ein bisschen Training gebrauchen!«

Bevor Archie ihre Kampfeslust kritisieren konnte, erstarrte er vor Schreck: Draußen, im Gang vor der Gefängniszelle, war ein Geräusch zu vernehmen, das die beiden nur zu gut kannten. Es klang wie das Heulen eines Windes, das sich unaufhaltsam näherte. Prompt wurde kurz darauf ein Schlüssel im Schloss herumgedreht, es klackte und die Tür öffnete sich quietschend. Sofort breitete sich eine klamme Kälte im Raum aus, während ein stattlicher Finsterling durch die Türöffnung herein wehte. Er hielt eine Sturmpeitsche in der Klaue und wirkte recht fransig, weil er sich wie ein Tornado drehte.

Archie und Pythia wussten, dass mit den Aufsehern nicht zu spaßen war, denn sie ließen ihre Wut regelmäßig an den Gefangenen aus. Noch schlimmer waren jedoch die Oberaufseher wie dieser hier, die sogenannten Windschatten.

»Warum wird hier nicht gearbeitet?!«, fauchte und heulte der Windschatten, wobei ihm einige Hagelkörner aus der Schwärze seines Gesichts kullerten.

Archie, der sich hinter die breitschultrige Pythia verzogen hatte, bibberte am ganzen Leib und zeigte auf den Alten, der am Boden kauerte. »Ist n… nicht unsere Schuld«, stotterte er mit klapperndem Gebiss. »Der neue M… Magiker ist erledigt!«

»Deine Ausreden langweilen mich, Pferdegesicht!«, polterte der Oberaufseher. »Wenn ich dich nicht in die Arena schleifen soll, beginnst du besser sofort mit der Umwandlung des Arkanos!«

Archie nickte wie wild, was seine Haare tatsächlich wie eine Pferdemähne zum Schaukeln brachte. »T… tun wir ja. Sobald sich der Opa erholt hat, legen wir los. Versprochen! Aber ohne ihn geht’s nun mal nicht, weil wir seine Magie brauchen.«

Der Windschatten plusterte sich auf und rauschte bedrohlich auf die Gefangenen zu. »Ich glaube, ich muss euch drei Faulenzern Beine machen!«, heulte er und ließ die Sturmpeitsche knallen. Aus seinem wirbelnden Leib lösten sich Eissplitter, die durch den Raum schossen und an den Wänden der Zelle zersplitterten.

Pythias und Archies Augen weiteten sich. Sie konnten nur vermuten, warum sämtliche Aufseher in den vergangenen Tagen besonders gereizt waren und sahen den Windschatten auf sich zu wirbeln. Schritt um Schritt wichen sie zurück, in der Gewissheit, heute eine Sonderstrafe aufgebrummt zu kriegen. Selbst die bärige Pythia fürchtete die Sturmpeitsche, weil sie stark juckende Windbeutel-Pusteln auf der Haut verursachte. Und trotzdem stellte sie sich schützend vor Archie.

Doch in diesem Moment rührte sich das Häufchen Elend neben ihnen auf dem Strohhaufen.

»Ist ja schon gut!«, krächzte der weißhaarige Alte und rappelte sich auf. Es dauerte eine Weile, bis er wegen seines Zitterns zum Stehen gekommen war. Dann aber schob er seine Brille auf die Nase, strich sich den Bart glatt und zog eine grimmige Miene. »Pfoten weg von meinen Mitgefangenen!«, pöbelte er den Aufseher an. »Sonst verpasse ich dir ’nen Lidschatten, der sich gewaschen hat!«

Der Windschatten hielt entgeistert inne. Noch nie hatte es ein Gefangener gewagt, in solch einem Ton mit ihm zu reden. Ungeachtet der geringen Größe wirkte der Alte, der sich vor ihm aufgebaut hatte und die Hände in die Hüften stemmte, höchst Respekt einflößend. Ein Eindruck, der auch mit der Magiker-Robe und dem listigen Glitzern seiner Augen zusammenhängen mochte. Und weil der Alte nun seinen Finger hob und dieser blau aufglühte, als ob er einen Blitz schleudern wollte, entschied sich der Windschatten, eine Konfrontation zu vermeiden. Er fauchte: »Wir werden sehen, wie nützlich du bist, Magiker! Ihr drei macht euch postwendend an die Arbeit und habt das Lichtsilber bis zu meinem nächsten Kontrollgang umgewandelt. Verstanden?!«

Begleitet von einem unheilvollen Heulen wirbelte der Windschatten hinaus, knallte die Eisentür zu und schloss ab.

Archie atmete auf. »Puh, das war knapp … ich hab uns schon in der Arena nach Schatten boxen sehen. Da können wir dem Neuen echt dankbar sein, was Pythia?«

»Bin nicht neu!«, krächzte der Alte und schnipste seinen blau glühenden Finger aus. »Bin schon 589 Jährchen alt!«

Pythia fiel die Kinnlade runter. »Bei Andromeda!«, dröhnte sie. »Da kommen Archie und ich mit unseren lächerlichen paarunddreißig nicht mit.« Sie beugte sich hinab, um dem Alten die Hand zu schütteln. Als sie jedoch bemerkte, wie wackelig er auf den Beinen war, zog sie einen Hocker heran, damit er sich setzen konnte. »Tut mir übrigens leid wegen vorhin«, brummte die Muskelfrau, »… hatte es nicht so gemeint, als ich sagte, du würdest es vielleicht nicht schaffen. Aber nach der Fuhre Lichtsilber, die wir bei deiner Ankunft umwandeln mussten, warst du ohne Vorwarnung auf deiner Strohmatte zusammengeklappt.«

»Nehm ich dir nicht übel«, hustete der Magiker und winkte ab. »Wusste ja selbst nicht, ob ich’s schaffe, weil ich komplett ausgelaugt war. Kann’s nur nicht leiden«, schimpfte er und strafte Archie mit einem Seitenblick, »wenn mich jemand ›Opa‹ nennt!«

Archie wurde rot. »Äh … ups! Kommt bestimmt nicht wieder vor. Ist man erst mal eine Weile hier, so wie wir, verlernt man jede Höflichkeit. Wir hatten ja noch nicht mal die Gelegenheit, uns angemessen vorzustellen.« Er wies mit seinem schlaksigen Arm auf seine Mitgefangene. »Also, unsere rothaarige Barbarin hier heißt Pythia Goras, kommt aus dem Algebra-System und ist eine berühmte Rechenkünstlerin. Sie besitzt für jede mathematische Formel, mit der sie sich herumschlug, eine Tätowierung. Bekannt ist sie vor allem für ihren Schlachtruf, den Satz der Pythia-Goras, den du gewiss bei deiner Ankunft schon vernommen hast.«

Pythia verbeugte sich und erläuterte dem Alten: »Da wir sowieso mit der Umwandlung des Lichtsilbers beginnen müssen, zeig ich dir nochmal genauer, wie das funktioniert.« Sie hievte einen der Klumpen vom Fließband und schleppte ihn zu einer Maschine hinüber, die Ähnlichkeit mit einer Presse hatte. Die Presse verfügte über einen Hebel samt Zahnrädern und an ihrer Rückseite über einen Anschluss, in dem ein Schlauch steckte. Pythia legte den Klumpen in eine quadratische Vertiefung der Presse, winkelte die Arme an, so dass ihre Bizeps-Muskeln anschwollen, und brüllte: »A-Quadrat plus B-Quadrat gleich C-Quadrat!«

Mit Wucht krachten ihre Fäuste von links und rechts gegen den kandiszuckerartigen Klumpen, als ob zwei Dampfhämmer auf einen Amboss prallten. Silbrige Funken sprühten davon, wobei die schwarzen Fäden, in die die Finsterlinge das Arkanos eingesponnen hatten, erhalten blieben. Während Pythia etwas von »rechtwinkligen Dreiecken«, »Katheten« und »Hypotenusen« knurrte, verformte sich der Klumpen unter ihren Faustschlägen zu einem gleichseitigen Würfel. Ein Würfel, der schließlich passgenau in die Vertiefung der Presse hinein glitt.

Der alte Magiker zog die Brauen hoch und krächzte: »Beim gammligen Schimmelpilz … hab tatsächlich schon von diesem Satz der Pythia-Goras gelesen! War ein Buch über ›Die Wunder der Mathematik und Ratlosigkeit der Schüler‹.«

Archie nickte, stellte sich neben die Presse und legte die Hand an deren Hebel. »Und meinen Namen kennst du ja ebenfalls schon. Ich bin Archie, mit vollem Namen Archie Medes. Ich stamme aus dem Pferdekopfnebel, wo wir stolz darauf sind, die beste Hafergrütze im ganzen Orion-System zu machen. Mein Fachgebiet ist allerdings die Hydraulik. Das bedeutet, ich kenne mich mit dem Fließverhalten von Wasser und anderen Flüssigkeiten aus. Deshalb habe ich diese Lichtsilber-Presse konstruiert. Dabei gilt es, den richtigen Druck zu beachten, damit die Schläuche und Rohre nicht platzen, die durch die Fabrik zur Kratermitte führen. Nicht das kleinste Bisschen Luft darf da hinein geraten. Zuvor ist jedoch die Umwandlung des Arkanos nötig.« Archie streckte auffordernd die Hand nach dem Magiker aus.

»Was?«, schreckte der Alte hoch. »Ach ICH? Natürlich!« Er rutschte von seinem Hocker, zog sich eine Trittleiter herbei, die an der Presse lehnte, und hob sein Gewand an. Nachdem er die Stufen hochgeklettert war, stand er auf Augenhöhe mit Archie und fixierte den schwarzen Lichtsilber-Würfel, der in der Vertiefung der Ablagefläche ruhte. In bedeutungsvollen Gesten ließ der Alte seine Hände kreisen, spreizte die Finger und rezitierte mit salbungsvoller Stimme: »Sonnenflirr zu Schattenmacht … Wandelt sich in ew’ge Nacht … Lichterglanz verblasst alsbald … Dunkelheit kommt rasch und kalt … Finsternis tropft klebrig schwarz … Wird zu Pech und zäh wie Harz … Fließe, fließe fort zum Krater … Schattenenergie-Theater!«

Gleich nachdem die magische Formel gesprochen war, zischte der Lichtsilber-Würfel auf. Die schwarzen Fäden, die ihn bis eben umhüllt hatten, drangen wie gierige Finger in ihn ein, durchzogen sein Silberblau mit Schlieren und färbten ihn schwarz. Sekunden später verwandelte sich der Würfel in einen zähen Sirup, der pulsierte, summte und metallisch glitzerte.

»Schattenenergie!«, hauchte Archie und justierte die Zahnräder der Presse nach. Rasch zog er an dem Hebel, was einen Stößel in die quadratische Vertiefung absenkte – ähnlich wie bei einer Knoblauchpresse. Unter einem dumpfen Sauggeräusch wurde die Schattenenergie zur Rückseite und in den dort angeschlossenen Schlauch gedrückt, der sich wiederum draußen in der Fabrikhalle mit anderen verband.

Der Magiker wischte sich die Schweißperlen von der Stirn und keuchte: »Deshalb wurden wir Gelehrte also von den Finsterlingen entführt … weil jeder von uns eine Fähigkeit beherrscht, die sie brauchen, um dieses gefährliche Zeug zu produzieren. Aber was machen die bloß damit?«

»Ich habe mal die Aufseher belauscht«, flüsterte Pythia und half ihm von der Leiter herunter. »Sie stritten darüber, ob es ihrer Herrscherin Okktonia gelänge, mithilfe der Schattenenergie das Uhrwerk der Sterne zu beeinflussen. Es befindet sich in der Mitte des Kraters, an dem unsere Fabrik liegt.«

Der Alte legte die Stirn in Falten und krächzte: »Uhrwerk der Sterne?«

»Ja, es hält wohl die Zeit am Laufen«, erklärte Archie. »Okktonia ergriff vor ein paar Monaten Besitz von dem Uhrwerk, um damit zu experimentieren.«

»Heiliger Schlendrian!«, hauchte der Alte. Er blickte seine Mitgefangenen an und murmelte: »Mir schwant Übles. Erklärt mir genau, welche Experimente das sind. Wir dürfen keinesfalls beim Herumpfuschen an der Zeit mitmachen … müssen uns widersetzen!«

Pythia raufte sich die roten Locken. »Puh, wenn das so einfach wäre. Trotzdem erzählen wir dir gern, was wir über die Machenschaften der Finsterlinge herausgefunden haben. Doch bevor wir loslegen … wie lautet eigentlich dein Name? Und woher kommst du?«

Der Magiker schob seine Brille hoch, grinste verschmitzt und antwortete: »Gestatten, Meister Snagglemint. Bin ein Kobold und komme aus Garstingen!«

PENNYFLAX und das Uhrwerk der Sterne

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