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Zu viel Stoff

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Als pfiffiger Kobold, der tausend Gefahren getrotzt hatte, liebte Pennyflax Kleinigkeiten wie Stoff. Er liebte den Stoff seiner löchrigen Jacke, den Schaumstoff seines alten Sofas, den Wasserstoff, der im Rauschebach vor sich hin plätscherte, und den Gesprächsstoff, den er mit seiner Freundin Shirah seit ihrem letzten Abenteuer hatte. Manchmal auch den Ballaststoff in fauligen Äpfeln oder den Stoff, aus dem die Träume sind.

Ganz besonders allerdings mochte Pennyflax Sauerstoff. Doch ausgerechnet davon gab es auf dem Mond nur wenig, wie ihm Luno erklärt hatte. Luno war ein Mondbewohner, gestern mit seinem Raumschiff am Dorfrand gelandet und hatte die Kobolde, die in Garstingen lebten, um Hilfe gebeten. Ohne zu zögern hatten Pennyflax und Shirah eingewilligt, ihrem guten Bekannten zur Seite zu stehen und mit ihm zu fliegen. Trotz des Risikos. Denn gemäß Lunos Bericht raubten die Finsterlinge von der dunklen Mondseite das Silber der Vorderseite, und wenn sie niemand aufhielt, würde das Mondlicht für immer erlöschen.

Erst nach ihrer Zusage war den beiden Kobolden jedoch bewusst geworden, welch hartes Training die Reise zu einem anderen Planeten voraussetzte. Und genau deshalb japste Pennyflax gerade wie ein Karpfen auf dem Trockenen.

»Jetzt gib doch mal Stoff!«, feuerte Shirah ihn an. Sie hockte am Fuß des Hügels auf einem Baumstumpf und schaute zu, wie ihr Freund zum fünften Mal in Folge den Hang hinauf hechelte. Nur mit Mühe verkniff sie sich ein Grinsen. Denn seine Anstrengungen erinnerten an eine Schnecke, die in der Kühle des sonnigen Herbstmorgens jeden Tautropfen im Gras begutachtete.

Als er oben ankam und keuchend auf die Knie sank, drückte sie den Knopf ihrer Stoppuhr und schüttelte angesichts der miserablen Zeit den Kopf. Ihre zwei Zöpfe, die beidseitig abstanden und die sie aus Gründen der Haarpflege mit Harz einrieb, federten dabei vor und zurück. »So wird das nix … da ist ja ’ne Troll-Oma auf Krücken schneller! Wenn auf dem Mond tatsächlich ein Mangel an Sauerstoff herrscht, müssen wir unsere Lungen richtig gut vorbereiten. Gleich nochmal!«

»Ach, komm schon!«, schnaufte Pennyflax empört. »Bin doch … keine … Gämse, die mit Hansi Hinterhechler über die Berge hoppelt! Mein Blutzucker … ist außerdem völlig im Keller, weil du drauf bestanden hast, ohne Frühstück zu trainieren. Soll ich vielleicht verhungern?« Er nahm seinen Schlapphut ab, fächelte sich damit Luft zu und spürte, wie ihm der Pulsschlag in den Spitzohren pochte. »Auch Kobolde können an Herzanfällen sterben! Und was glaubst du, was das für’n Zündstoff für die Zeitungen wäre. Die Schlagzeilen würden lauten: ›Held von Eraluvia erstickt bei Astronauten-Training wegen Stickstoff-Schock!‹. Oder: ›Bezwinger von Hexenmeister Sulferion platzt Lunge wegen starkem Stoffwechsel‹. Oder: ›Starb Pennyflax, Retter des Elfenreichs Viancáru, an zu viel Lernstoff oder zu wenig Futterstoff?‹. Manche Zeitungen würden sogar schreiben: ›Trauernde Fans legen Pennyflax Stofftiere aufs Grab und stoßen auf sein Wohl mit einem Schlückchen Süßstoff an‹.«

Shirah schürzte die Lippen und tadelte ihren Freund: »Erstens bist du ein Angeber, der genau weiß, dass Sulferion von uns allen besiegt wurde … nicht nur von dir allein! Erinnerst du dich? WIR BEIDE haben dafür die Regenbogen-Orden vom Elfenkönig verliehen gekriegt. Und zweitens versuchst du durch deine Sprücheklopferei nur von deiner Faulheit abzulenken. Ich hab das Hügeltraining schließlich auch in zwei Minuten geschafft.« Die Koboldin holte ein Glas mit eingelegten Maden aus ihrem Beutel und flötete verführerisch: »Wenn du meine Bestzeit schlägst, kriegst du so viele Nährstoffe zur Belohnung, wie du verdrücken kannst!«

Pennyflax lief beim Anblick der Maden das Wasser im Mund zusammen, und für eine Sekunde geriet er in Versuchung, den Hügel erneut in Angriff zu nehmen. Doch aus Gründen der Selbstachtung entschied er sich dagegen – niemals würde er sich für ein Frühstück erpressen lassen. »Nee danke«, lehnte er tapfer ab, stülpte seinen Schlapphut über die Wuselhaare und schlenderte den Hang hinunter. »Für die ganze Mühe mit der Rennerei komme ich nicht mal ins Dünnesbuch der Rekorde. Lass uns lieber zum Dorf zurückgehen und Luno fragen, ob wir den Quatsch nicht überspringen können.«

Bevor sich Shirah über seinen fehlenden Ehrgeiz beschweren konnte, entdeckten sie in einiger Entfernung Schlonzo, der die Rauschebachbrücke überquerte und ihnen entgegen hetzte. Schlonzo war Garstingens Tüftler, dessen Erfindungen den zweiundfünfzig Kobolden, die im Dorf lebten, schon so manche Erleichterung im Alltag beschert hatte. Der vor allem durch seine selbst geschmiedeten Rüstungen und gebastelten Fallen dazu beigetragen hatte, die Goblintruppen Sulferions an der Eroberung von Garstingen zu hindern.

Schlonzo winkte aufgeregt und rief den beiden zu: »Miesepetrigen Morgen. Ihr solltet schleunigst antanzen, denn unser Mondmann hat was Interessantes in Snagglemints Haus entdeckt!«

Pennyflax’ Miene verdüsterte sich. Schlagartig fiel ihm wieder der zweite, tragische Grund ein, warum er sofort zum Mond musste: Meister Snagglemint wurde vermisst, der Magiker Garstingens. Hatte der Alte noch vorgestern Abend an der Siegesfeier auf dem Dorfplatz teilgenommen, war er gestern früh bei der Landung von Lunos Raumschiff nicht aufgetaucht. Daraufhin hatte man seine Behausung durchsucht, doch offensichtlich war Snagglemint entführt worden. Und alle Spuren deuteten darauf hin, dass auch in diesem Fall die Finsterlinge des Mondes hinter der Tat steckten.

»Brauchst mich nicht zweimal zu bitten«, knurrte Pennyflax Schlonzo zu, legte einen Blitzstart hin und rannte in Richtung Dorf zurück.

Shirah staunte, zu welchen Höchstleistungen ihr Freund fähig war. »Auf einmal geht’s mit der Schnelligkeit, ja?!«, rief sie ihm hinterher. Sie zückte ihre Stoppuhr, beobachtete den Zeiger und musste ihm neidvoll eine Bestzeit bescheinigen. Anschließend heftete sie sich an seine Fersen.

Pennyflax erreichte in Windeseile die aus Steinen gemauerte Brücke, flitzte darüber hinweg und kam beim Wäldchen an, in dem Garstingen lag. Hier, im ersten Haus am Dorfrand, einem umgestürzten und hohlen Baumstamm, hatte bis zu seiner Entführung Meister Snagglemint gewohnt. Bestens zu erkennen an dem Schild, das über der Eingangstür prangte, auf dem stand: »Magiker für alle Gelegenheiten und Verwegenheiten«.

Kann ich nur bestätigen, dachte Pennyflax bei sich, während er mit Schwung die Tür aufriss. Weil der Alte nämlich so weise und gebildet war, hatte er immer Rat gewusst, wenn es darum ging, Geheimnisse zu enträtseln oder Gefahrensituationen zu meistern. So wie bei der Attacke des mächtigen Drachen Pyros, die erst eine Woche zurück lag. Der Feueratem des Lindwurms war dank Snagglemints Gewitztheit an einer Energieglocke abgeprallt, die er über das Dorf gezaubert hatte. Doch das, was Pennyflax am meisten schätzte, war die tiefe Freundschaft, die sie miteinander verband. Wehe, wenn die Entführer-Schurken ihm auch nur ein einziges Warzenhaar gekrümmt haben!, schimpfte er innerlich und betrat den Wohnraum der Behausung.

Er stoppte abrupt und ließ den Blick über den Tatort schweifen. Ihm bot sich dieselbe Szenerie wie gestern früh, als er auf der Suche nach dem Magiker in dessen Heim gestürmt war: Sämtliche Möbel waren umgeworfen, die Bücher aus den Regalen lagen am Boden verstreut und der Teekessel hatte eine Delle – alles eindeutige Zeichen eines Kampfes. Das Auffälligste aber war das riesige Loch, das in der Decke klaffte, sowie die schwarze Substanz, die an den Rändern des Lochs klebte. Es handelte sich um eine Art Schleim, der flimmerte und fürchterlich nach Teer stank. Auch am Boden haftete einiges von dem Schattenschleim, weshalb man aufpassen musste, wo man hintrat.

»Ekliger Glibber«, murmelte der Kobold, durchquerte im Zickzack das Zimmer und bemerkte hinter einem umgestürzten Bücherregal einen Lichtschein. Das konnte nur Luno sein, der angeblich in dem ganzen Chaos etwas entdeckt hatte. Nachdem er einen großen Schritt über eine weitere Schleimpfütze gemacht hatte, erblickte er den Mondmann, der am Boden kniete und sich nun erhob.

Luno, dessen voller Name Lunosilubra lautete, besaß eine blasse, silbrig schimmernde Haut, leuchtende Telleraugen sowie Flötenohren, die auf seinem Kopf in die Höhe ragten. Seine Kleidung bewegte sich so leicht wie Geistertuch im Wind, und aufgrund seiner Körpergröße von fast einem Meter musste er sich bücken, da dies eine Koboldbehausung war. Nur mit Mühe vermied er es, sich den Kopf an der Lampe zu stoßen, drehte sich um und lächelte seinem Freund entgegen.

»Ich wünsche dem mutigen Pennyflax einen wohligen Tagesbeginn«, säuselte Luno mit einer Stimme, die aus großer Ferne zu kommen schien.

»Miesepetrigen Morgen, heißt das in Garstingen!«, berichtigte Pennyflax den Gast vom benachbarten Himmelskörper und schmunzelte über dessen Ausdrucksweise. Sogleich wurde er wieder ernst und erkundigte sich: »Hast du eine Spur gefunden, die uns verrät, wohin genau die Finsterlinge unseren Magiker entführt haben? Der Mond ist schließlich groß.«

»Bedauerlicherweise nein«, säuselte Luno und blinzelte mit seinen Telleraugen. »Die Entführer können nur zur dunklen Seite meines Heimatplaneten geflüchtet sein, aber es weist nichts auf einen bestimmten Ort hin. Ich habe allerdings eine Entdeckung gemacht, die von höchstem Interesse für uns ist.« Er wies auf den Boden, wo eine Pfütze des Schattenschleims vor sich hin flimmerte. Daneben lag der Zauberstab von Meister Snagglemint, in dessen Spitze ein grüner Smaragd eingelassen war. Der Alte musste ihn beim Kampf mit seinen Entführern fallengelassen haben, weshalb die Stabspitze nun in der Schleimpfütze lag.

»Verzwurbeldingst!«, entfuhr es Pennyflax vor Überraschung. Denn um jene Stabspitze herum hatte sich ein Gewächs gebildet, das aus Schattenkristallen bestand und nur durch die Magie des Stabs gewachsen sein konnte. Wenn er sich nicht täuschte, hörte er sogar ein Flüstern, das von der schwarzen, funkelnden Pflanze ausging. Wachsam näherte er sich dem Gebilde, beugte sich hinunter und wollte es gerade inspizieren, als es hinter ihm klackte. Er zuckte zusammen und fuhr herum – Shirah betrat die Wohnstube.

»Und?«, schnaufte die Koboldin. »Was habt ihr da gefunden?«

Pennyflax stieß die Luft aus. »Hast mich ganz schön erschreckt!« Er winkte seine Freundin heran und warnte sie: »Das hier musst du dir ansehen. Aber tritt nicht in die Schattengülle.«

Sie balancierte über einige Schleimpfützen hinweg, hielt sich die Nase zu und stöhnte: »Igitt! Das Zeugs stinkt noch schlimmer als die Schwefelgruben im Feuerberg. Wieso verlieren die Finsterlinge eigentlich diesen Teerglibber?«

»Weil jene Wesen von der dunklen Seite des Mondes stammen, geschätzte Shirah«, erklärte Luno und reichte ihr beim letzten Schritt die Hand. »Als die Finsterlinge hier eintrafen, waren sie weit von ihrer Heimat entfernt, einem Ort, an dem Dunkelmagie allgegenwärtig ist. Bewegen sie sich fort von dort, verlieren sie einen Teil der Magie, aus der sie bestehen. Sie tropft buchstäblich aus ihren Körpern heraus.«

»Schade«, brummte Pennyflax grimmig. »Dachte schon, sie hätten sich im Tageslicht den Pelz verbrannt, als sie Snagglemint entführten.«

Luno schüttelte seinen schimmernden Kopf. »Keineswegs. Die Finsterlinge verabscheuen zwar Licht, doch es verletzt sie nur in geringem Maße. Trotzdem haben sie euren Magiker sicherlich in der Nacht entführt, da ihre Stärke dann am größten ist und sie unbemerkt blieben. Sie müssen mit ihrem Raumschiff von oben gekommen sein und ein Loch ins Dach geschossen haben, durch das sie ins Haus eindrangen. Leichtes Spiel aber hatten sie nicht, in Anbetracht der Verwüstung hier drinnen.«

Der Kobold versuchte sich vorzustellen, wie die Finsterlinge aussahen und ob sie feste oder nebelartige Körper besaßen. »Was genau sind diese Dämmer-Heinis?«

»Laut einer Legende meines Volkes waren sie Schatten, die aus den unendlichen Weiten des Kosmos angelockt und zum Leben erweckt wurden. Erschaffen von einer Macht, die ich nicht beim Namen nennen möchte, da sie noch kälter und gefährlicher als die schwärzeste Tiefe des Weltraums ist … und so alt wie die Zeit selbst.«

Shirah lief ein Schauer über den Rücken. »Brr, unheimlich«, flüsterte sie und hielt Abstand zu der Schattenpflanze, die aus der Schleimpfütze spross.

Pennyflax hatte sich mittlerweile über das Gewächs gebeugt und untersuchte es von allen Seiten. Die Schattenkristalle an den Zweigen flüsterten tatsächlich vor sich hin, jedoch konnte man keine Sprache heraushören. Er griff ein Stöckchen vom Boden, um an den Kristallen herum zu stochern. »Aber warum wächst die Pflanze am Stab von Snagglemint? Und wieso wurde er entführt?«

»Zumindest darauf scheint es nun eine Antwort zu geben, meine geschätzten Freunde«, folgerte Luno und hob seinen langen Zeigefinger. »Ihr erinnert euch, wie ich gestern bei meiner Ankunft davon berichtete, dass die Finsterlinge nicht nur das Lichtsilber der Mondvorderseite stehlen, sondern auch die Wissenschaftler und Gelehrten meines Volkes entführen? Sogar die von anderen Planeten, wie man an eurem Magiker sieht. Angesichts der Beweislage vermute ich deshalb, sie versuchen die Schattenkraft, aus der sie bestehen, zu verstärken. Ähnlich wie die Magie des Stabs den Schattenschleim zum Wachsen anregt.«

»Heißt das«, erkundigte sich Pennyflax und hackte ein Kristallstück von der Pflanze ab, »die Schurken verschleppen Magiker und Wissenschaftler, um durch deren Fähigkeiten ihre Stärke zu steigern?«

Lunos Flötenohren schaukelten, als er nickte. »So würde ich annehmen, ja. Doch weshalb sie obendrein das Lichtsilber der Mondvorderseite rauben, ist mir und meinem Volk ein Rätsel. Sie können damit nichts anfangen.«

»Hm …«, überlegte Shirah laut. »Und wenn sie von jemandem den Auftrag dazu erhalten haben, der das Silber für etwas Bestimmtes braucht? Du sagst, die Finsterlinge wurden von einer düsteren Macht erschaffen, über die du nicht sprechen möchtest. Steckt sie vielleicht hinter all dem?«

Nachdenklich wiegte der Mondmann den Kopf. »Dies wäre äußerst verhängnisvoll, meine Freunde. Etwas, das ich bis jetzt nicht zu vermuten gewagt hatte. Doch ich fürchte, ich habe keine andere Wahl, als sofort den Hohen Rat meines Volkes über die Lage zu informieren. Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass die uralte Macht, die auf der Rückseite des Mondes lauert, ihren Einfluss vergrößert und ihre Diener ausschickt.«

Luno unterbrach sich, weil Pennyflax dabei war, die Schattenpflanze mit seinem Stock nach Strich und Faden zu zerlegen – etliche Kristalle waren bereits abgesplittert. »Bitte lass Vorsicht walten«, warnte er ihn und blinzelte mit seinen leuchtenden Telleraugen den Scherbenhaufen an. »Die Dunkelmagie kann gefährliche Eigenschaften entwickeln, wenn …«

Bevor der Kobold sich versah, erstarb das Flüstern, das bei der Pflanze zu hören war. Von einem Moment auf den anderen begann das schwarze Gewächs zu vibrieren und seine Kristallblätter, sowie die Splitter am Boden, fingen an zu klirren. Immer schriller ertönte das Klirren und schwoll zu einem Brausen an, das wie hundert Sturmhexen klang, die um die Wette kreischten. Wegen des immensen Lärms rieselte sogar Sand von der Decke und die Fenster bekamen Risse.

Die drei Freunde hielten sich die Ohren zu und wollten zur Eingangstür flüchten. Plötzlich zerbarst die Pflanze mit einem Knall. Sie verpuffte zu einer schwarzen Wolke, die sich verdichtete und auf Pennyflax zuschoss. Er versuchte, außer Reichweite zu springen, aber da umhüllte ihn die Wolke schon. Wie ein Wirbelsturm fauchte sie um ihn herum, zerrte an seiner Kleidung und begann, seinen Schlapphut einzufrieren.

Panisch fuchtelte er mit den Armen, hatte jedoch Schwierigkeiten, die schwarzen Rauchfinger abzuschütteln, die aus dem Wirbel hervor schossen und sich an ihm festkrallten. Nicht einmal Shirahs Entsetzensschreie oder Lunos Handzeichen registrierte er, so mühte er sich um seine Verteidigung. Als die Wirbelwolke auch noch seine löchrige Jacke mit Raureif überzog, reichte es ihm. Er riss sich das Kleidungsstück vom Leib und ließ es wie einen Propeller kreisen, um sich die Schwärze vom Leib zu halten. Unglücklicherweise beeindruckte das die Wolke überhaupt nicht, denn sie strudelte immer dichter heran, fast wie eine Schlange, die ihre Beute einschnürte.

Schließlich spürte er, wie die Kälte seine Haut vereiste und ihm in die Glieder kroch. Das bedrohliche Flüstern, das vorhin an der Pflanze hörbar gewesen war, vernahm er nun direkt in seinem Kopf. Es vernebelte seine Gedanken und erzeugte Schwindelgefühle. Wenn ihm nicht schleunigst etwas einfiel, würde er das Bewusstsein verlieren. Oder gar erfrieren.

Doch da passierte etwas, mit dem er nicht gerechnet hatte: Vor drei Tagen waren ihm und Shirah am Hof des Elfenkönigs die Regenbogen-Orden verliehen worden. Eine Auszeichnung dafür, dass sie zum Sieg über Hexenmeister Sulferion und zur Verständigung der Völker Eraluvias beigetragen hatten. Seit der Verleihung hatte Pennyflax den Orden nicht abgelegt und trug das schillernde, zwölfeckige Amulett an einer Kette um seinen Hals. Und genau jenes Amulett begann auf einmal zu leuchten. Ein Leuchten, das in Sekundenschnelle zunahm, bis es sonnenhell strahlte und das gesamte Haus mit seinem Glanz durchflutete.

Noch während er wegen des Schattenwirbels wie in der Arktis bibberte, starrte er verblüfft auf seine Brust. Das Licht des Amuletts blendete ihn dermaßen, dass er die Augen zusammenkneifen musste. Zudem begann er, eine Melodie zu hören, die ebenfalls von dem Anhänger ausging und die das bedrohliche Flüstern in seinem Kopf zum Verstummen brachte. Augenblicklich ließ die Kälte nach, die ihn einhüllte, und eine wohlige Wärme strömte in seinen Körper zurück. Durch seine halb geschlossenen Lider vermochte er zu erkennen, wie der Schattenwirbel aufhörte zu rotieren, sich im Licht auflöste und verpuffte. Schließlich verflog der letzte schwarze Dunst und das Leuchten seines Regenbogen-Amuletts verblasste.

Vorsichtig öffnete der Kobold die Augen.

Ein Tropfen Tauwasser löste sich von seiner Nase.

Er blinzelte und wagte nicht, sich zu rühren. Im Raum herrschte Stille, die nur von der leisen Melodie des Amuletts unterbrochen wurde.

Jemand gab ihm eine Ohrfeige, aber erst als dieser Jemand seine Schultern packte und schüttelte, erkannte Pennyflax das angstverzerrte Gesicht von Shirah.

»Sag doch was!«, schrie sie ihn an. »Haste Schmerzen?«

»Alles in B… Buttermilch«, stotterte er und hielt sich an ihr fest. Die Verwirrung war ihm deutlich anzusehen, weil ihm etwas Ähnliches nie zuvor widerfahren war. Seine Beine zitterten, und auf seiner braunen, rindenartigen Koboldhaut hatten sich Frostbeulen gebildet. Er stülpte seinen Schlapphut über die Wuselhaare und rieb sich die Wange. »Autsch! Wofür war die Ohrfeige?«

Shirah stemmte die Hände in die Hüften und schimpfte: »Die war für deine Leichtsinnigkeit, die Schattenpflanze kaputt zu stochern!« Rasch umarmte sie ihn und gab ihm einen Kuss. »Bin aber froh, dass es dir gutgeht.« Als sie sich von ihm losmachte, fiel ihr Blick auf sein Regenbogen-Amulett, das noch glomm. »Wow … das Licht hat den Schattenwirbel vertrieben und dir dein Leben gerettet!« Sie zog ihr eigenes Amulett unter ihrem Kleid hervor und hielt die beiden glänzenden Scheiben nebeneinander. »Und meines leuchtet auch heller als sonst!«

»Dreimal verlauster Grottenolm!«, staunte Pennyflax. Zum ersten Mal seit der Ordensverleihung betrachtete er die Anhänger mit anderen Augen. Hatte er sie zuvor nur für nette Schmuckstücke gehalten, so begann er nun, an die Legende ihrer Herkunft zu glauben. Denn angeblich stammten sie von götterähnlichen Wesen, die vor Urzeiten auf die Welt herab gestiegen waren. Jene Wesen hatten die Amulette allen Völkern Eraluvias geschenkt und dadurch für Frieden gesorgt.

Luno näherte sich den Kobolden und machte ein Gesicht, als ob er einen Geist gesehen hatte – seine Augen schienen immer größer zu werden. Behutsam berührte er die Amulette. »Unfassbar, liebe Freunde …«, flüsterte er voller Ehrfurcht, »ich hatte ja keine Ahnung, dass ihr zwei Klangsteine der Göttlichen Erschaffer besitzt. Das erfüllt mich mit großer Hoffnung! Bitte begleitet mich nach draußen. Ich möchte mir diese Schätze bei Tageslicht ansehen!«

Die drei stiegen über das Gerümpel und verließen das Haus des Magikers.

Auf dem Weg hinaus fiel Pennyflax’ Blick auf den Fußboden: Die Pfützen aus Schattenschleim, die die Finsterlinge vorletzte Nacht hinterlassen hatten, waren verschwunden. Nur noch eine dünne Rußschicht zeugte von ihrer Existenz.

Aha, schloss der Kobold, das Flutlicht meines Anhängers brennt die miefigste Schattengülle weg! Könnte das ein Mittel sein, vor dem die Schufte Angst haben? Hoffentlich starten wir bald zum Mond … Meister Snagglemint schwebt in Lebensgefahr!

PENNYFLAX und das Uhrwerk der Sterne

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